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liches Zusammenstößen mit dem Kaiserthume un vermeidlich, und es lag, da es einmal so stand, in der Natur der Sache, daß Rom dieselben Maßregeln der Klugheit und der Feindschaft ge gen die gegcnüberstehende Gewalt ergriff, wie eine irdische Macht gegen die andere. Das ftammgcnossenschaftliche Leben der Deut schen, eine wesentliche Eigenschaft ihrer nationalen Natur, hatte schon früh eine eigenthümliche, auf germanische Freiheit gegründete Form ihres Staats körpers herbeigeführt, und die Verwandlung des sogenannten Gnadcnlchns in erbliches Lehn (Be- nesizial-Systems in eigentliches Feudal-System) prägte diese politisch unbestimmte Gestaltung fester aus. Während diese Entwickelung vor sich ging, war der Thron Deutschlands weder durch unab änderliche Thronfolgegesetze, noch auch durch Ge wohnheitsrechte hinlänglich vor Erschütterungen geschützt, und es bedurfte der mannigfaltigsten Anstrengungen der einzelnen Könige, um die Ge fahr abzuwenden. Diese beiden Punkte waren cs ganz besonders, auf welche Rom, in seiner zwiefachen Geltung als Kirche und Staat, oder besser, als kirchlicher Staat seine politischen Unternehmungen berechnete. Um das weltliche Oberhaupt, den Kaiser, abzuhalten, die Fortschritte der römischen Kurie zu stören, kam cs ihr darauf an, cs zu schwächen, es in der Vollziehung seiner Befugnisse zu hindern, oder eS im Nothfall vom Throne zu entfernen. Es gibt fast keine Veränderung in Deutschland, bei welcher die Politik des römischen -Hofes so sicht bar würde, als bei den Königswahlen. (König hieß nämlich bis zu Ende des sechzehnten Jahr hunderts das deutsche Oberhaupt so lange, bis cs in Rom die römische Kaiserkrone erhalten hatte). In die Lücken, welche die deutsche Nation auf dem Wege ihrer politischen Bildung für die wich tigsten Falle dieser Art gelassen hatte, drängte sich Rom ein, und mit der Schwächung der Kaiscr- macht war begreiflich die Schwächung der Nation selbst verbunden. Theile des Reichs, Glieder des Ganzen, wurden in ihren Häuptern von der rö- , mischen Politik gegen den Thron gestärkt, und übermäßig zu gefürchteter Macht erhoben, in die feinen Linien, mit welchen die einzelnen Volks- ftamme sich begränzten, wurde der Saame der Zwietracht und des Hasses gestreut und Bruder kämpfe entzündet und genährt, je nachdem es der Vortheil jener geistlichen Gewalt an der Tiber mit sich brachte. Das ganze Mittelalter ist ein Zeugniß dieser Nebenbuhlerschaft zwischen Thron und Kirche. So war die Einheit der deutschen Nation durch den schlimmen Gebrauch, welcher von ihren, der Freiheit sonst so günstigen Staatsformen und der stammgcnossenschaftlichen Ausbildung gemacht wurde, schon bei weitem mehr zerstört, als es je mals durch die Reformation hätte geschehen kön nen. Ja, man kann noch weiter gehen, wenn man sich gegen den Verdacht verwahrt, als solle hiermit den Strcitsragcn der Gegenwart über re ligiöse Ansichten Nahrung zugeführt werden, man kann den Vorwurf gegen die Reformation in sein Gegenthcil verwandeln. Denn da die römi sche Kurie es ganz vorzüglich war, was die Zwie tracht der deutschen Nation, ihre Zerrissenheit und ihr Unglück veranlaßt und unterhalten hatte, so hätte die Kirchenverbcsserung, welche gegen sie in die Schranken trat, ein Mittel zur Wiederherstel lung der nationalen Einheit und Unabhängigkeit werden müssen, wenn ihr Sieg in Deutschland vollständig gewesen oder wenigstens ihr politisches Princip angenommen worden wäre. Der Zwiespalt, mit welchem im Mittelalter die Kirche das mächtigste und gefürchtetste Reich jener Zeit schwächte, und die Art, wie sie die po litischen Einrichtungen deutscher Freiheit zur Unter grabung dieser Freiheit benutzte, mußte den Geist der Absonderung, des Argwohns, gleichsam der Kleinstädtern im Laufe der Jahrhunderte hervor bringen, so daß nur der Handel, trotz der end losen Hemmungen, noch eine Spur von nationaler Größe zeigte. Dies war ein Beweis von dem unheilvollen Einfluß kirchlicher Politik, denn da der Handel seinem Wesen nach sich um das kirch liche Getriebe nicht bekümmerte und die Einwir kungen dcr religiösen Interessen unaufhörlich ab zuweisen strebte, so rettete er auch eine freiere na tionale Entwickelung so lange, bis die äußern Umstände zu erdrückend wurden, um nicht auch ihn zu verderben. Hätte Deutschland, als politi scher Körper, von seinem Handel jenen Geist der Unabhängigkeit ausgenommen und bewahrt: wie anders hätte sich seine Nationalgröße entfaltet und welche Jahrhunderte der Schwäche und Zer splitterung waren erspart worden! Zu jener traurigen Ausbildung von Sonder- Interessen der deutschen Rcichsgliedcr, zu jener Mikropolitik oder jenem kleinstädtischen Wesen, das nur sich, nicht das Ganze in Betracht zicht, kamen nun noch mehrere Umstände, welche die Entwickelung derselben über alle Gränzen hinaus führte. Denn da die Macht dcr Kaiser durch die Macht der Kirche und, besonders vermittelst ihrer, durch die Rcichsgliedcr selbst im Innern geschwächt wurde, so wurde sie es in natürlicher Folge auch nach außen. Andere Staaten, besonders Frank reich, singen an, sich zu einer gefürchteten Größe zu erheben; eine gewaltsame, erschütternde Machr bildete sich im Osten, Italien war für Deutsch land fast verloren, und da, wo es nicht war, äußerte es in einzelnen Theilen, so zu sagen, als Zankapfel nur einen unheilvollen Einfluß. Unter solchen und andern Verhältnissen folgten die Kai ser, namentlich seitdem Habsburg sich auf dem deutschen Throne mehr befestigt hatte, der natür lichen Eingebung, sich für den Verlust ihrer Macht im Innern durch äußere Verstärkungen zu ent schädigen, und zwar weniger durch Eroberungen,