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WchllM fm MAE Beilage zu Nr. 56. Donnerstag, den 15. Mai 1902. Kopfschüttelnd geleitete der Hausherr seinen Gast zur Thüre. „Meinen schwersten Mastochsen will ich verwetten," sagte er, dem Freunde die Hand schüttelnd, „wenn Ihr Leute von der Feder nicht das närrischste Volk seid, das auf Gottes Erdboden umherwimmelt." (Schluß folgt.) HAM« j)fingftbesuch. Humoreske von G. Greiner. (Nachdruck verboten). Pfingsten, das Fest des Lenzes und der Liebe stand wieder einmal vor der Thür. Auf dem Buchendorfer Gutshose roch eS nach frischgebackenem Kuchen, ein Duft, der den geschäftigen Stall- nnd Küchenfeen weit lieblicher in die Nase stach, als der des weißen und blauen Flieders, der seine vollen Blüthendoldest weit über den Gartenzaun hereinhing. Frau Hanna Reling, die rührige Gutsfrau, han- tirte soeben mit dem Stubenmädchen noch droben in dem Fremdenzimmer, das einen Gast beherbergen sollte: den jungen Regierungsbauführer Hans Plefser, Frau Hannas Bruder, als drunten ein leichter Wagen auf den Hof rollte. Die Frau eilte an das Fenster. Wahrhaftig, da war der Erwartete schon! Aber wer mochte denn der Ändere sein, den ihr Gatte da mitbrachte? Wie sie die Treppe hinunterflog, um eben noch rechtzeitig unten anzu kommen, als der Hausherr seine Gäste über die Schwelle nöthigte! „Hier, Schatz, hast Du ihn," rief dieser seiner Gattin zu, dem Schwager einen liebreichen, aber nichtsdestoweniger recht fühlbaren Schlag auf die Schulter versetzend, „und hier," er deutete auf den Fremden, „rathe, wen ich auf dem Bahnhofe aufgegriffen! Doktor Egon von Gundlach aus Berlin, neben dem ich in Keilhau die Schulbank ge druckt und in Halle mein Freiwilligenjahr abgedient. Nein, Wie Mich das unverhoffte Wiedersehen freu,! Und da wollte der Mensch, als wenn Buchendors auf der anderen Hemisphäre läge, uns schlank an der Nase vorbeifahren, um Pfingsten auf der Wartburg zu verleben. Aber daraus wird heute nnd morgen nichts, mein Junge; das alte Gemäuer, auf das Du es abgesehen, wird übermorgen auch noch stehen." „Aber Fritz, wie konnte ich wissen. — Gnädige Frau, wenn Ihnen der ungebetene Pfingstgast vielleicht recht ungelegen in das Haus geschneit kommt —" „Die Freunde meines Mannes sind auch die meinen," fiel die Hausfrau mit gewinnender Freundlichkeit ein. „Seien Sie auf Buchendorf herzlich willkommen, und möchte es Ihnen bei uns gefallen." Der Gast küßte mit weltmännischer Gewandtheit die ihm dargereichte volle weiße Hand. „Das nenne ich Pfingstglück!" scherzte er galant. „Zuerst dem alten Schul- und Waffengefährten unerwartet in die Arme gelaufen, dann von Frauenhuld begrüßt, und ein Dach zum Asyl, das einen von der Großstadt luft reduzirten Litteraten anmuthet wie ein Platz in Vater Abrahams Schooß!" Bald darauf saß die kleine Gesellschaft im Speise zimmer, der Hausherr mit seinem Freunde heitere Erinner ungen aus der gemeinsam verlebten Jugendzeit tauschend, der Regierungsbauführer mit der Schwester halblaut tuschelnd von dem, was dem hübschen, jungen Manne heute besonders auf dem Herzen lag. Da überbrachte das aufwartende Dienstmädchen ihrem Herrn eine Postkarte. „Aha, von der lieben Cousine", sagte dieser mit einem Blick auf die steifen Schriftzüge „Wird abdepeschircu. Schwer geprüft. Roman von Georg Gertz. 14 Nachdruck verboten. Er fürchtete, daß Reinhold heute, sobald sich ihm Gelegen heit bot, mit Martha allein zu sprechen, ihr seine Liebe gestehen würde. Das wollteer verhindern. Und er batte noch einen anderen Zweck: er wollte Reinhold in der Gesellschaft blosstellen und dazu fand sich so keine günstigere Gelegenheit wie heute. Ehe noch Martha und Reinhold in das Zimmer ein traten, hatte er schon die in einem silbernen Weinkühler be reit stehende Ehampagnernasche entkorkt und drei hohe Kelch gläser mit dem schaumenden Naß gefüllt. Geschickt schüttete er jetzt schnell ein weißliches Pulver in eins der Gläser und alsMartha und Reinhold nun eintraten, wußte er das silbernem Tablett, auf welche er ihnen die Glaser präientirte, so zu drehen, daß Reinhold gerade dasjenige ergreifen mußte, in welches er das Pulver geschüttet hatte, von dem jetzt aber nichts mehr zu sehen war, das sich sofort ausgelöst hatte. .„Auf Dein Wohl, liebe Martha", sagte er, „daß alle Deine Wünsche sich im kommenden Jahre erfüllen mögen!" Er stieß mit ihr an und Reinhold that ein Glerches. Dann leerten beide ihre Gläser bis auf den Grund und auch Martha nippte an dem ihrigen. „Merkwürdig", sagte Reinhold zu Hermann, indem er das geleerte Glas auf den Tisch stellte, „mir war's als ob der Sekt einen eigenthümlichen, salzigen Beigeschmack hatte." „Ich Hilde nicht? bemerkt", erwiderte Hermann, „probieren wir noch . ein Glas." Er schenkte beide Gläser voll nnd wieder wurden sie geleert „Nein, ich muß mich geirrt haben, jetzt schmecke ich auch nichts", sagte Reinhold, das Glas fortsetzend. Unterdessen war der Tanz zu Ende und ein neuer be- aann, jür welchen Mldsld Warth« engggjrt hatte. Sie. Liebe Buchenauer', begann er laut vorzulescn, .Eure freund liche Einladung zu morgen Mittag nehme ich unter der Voraussetzung an, daß H., welcher jedenfalls auch Euer Pfingstgast sein wird, aus unserm Kommen keine falschen Schlüffe zieht. Mit bestem Gruß Eure Cousine Lucinded „Na, Hans, da weißt Du es ja gleich. Ein verwünschter Dickhäuter, dieses Frauenzimmer!" Und ärgerlich warf der Sprecher die Karte auf den Tisch. „Die Herren beurlauben mich?" fragte Frau Hanna, sich erhebend, „ich möchte doch mit der Köchin noch Einiges besprechen. Hans, bitte, mein Schlüsselkörbchen!" rief sie, nachdem sich die Thür bereits hinter ihr geschlossen, noch einmal zurück. Den Wink verstehend, sprang der Bruder dienstfertig auf. „Welche Bewandtniß hat es mit Deinem Schwager und jener Cousine?" fragte Gundlach, nachdem Hans das Zimmer verlassen, interessirt den Freund. „Eine verdrehte alte Schraube ist sie," polterte dieser los, „die in ihrer Jugend beinahe einmal einen Baron gekriegt hätte, und die es sich in den Kopf gesetzt hat, ihre Nichte solle nun das Glück machen, das ihr selber durch die Maschen gerutscht ist. Daß der Hans ein präch tiger Mensch ist, etwas Tüchtiges gelernt und die Annie ebenso lieb hat wie diese ihn, ist der Alten taue ägal. Ohne ein Wappenschild mit der zum mindesten fünfzackigen Krone thut sie es nun einmal nicht, damit sie sich vor ihrem Ende doch wenigstens noch in dem feudalen Glanz ihrer nächsten Angehörigen sonnen kann. Solch' ein ver schrobenes Weibsbild! Nun, ich will nicht meines Vaters Sohn sein, wenn das Mädel, so bildhübsch es auch ist, bei diesem Warten auf einen Prinzen oder Grafen schließ lich nicht ebenso sitzen bleibt, wie die liebe Tante sitzen geblieben ist. Doch da fällt mir ein, Freund, Du selber bist ja so glücklich, die bedeutungsvollen drei Buchstaben vor Deinen werthen Namen setzen zu können, also thue mir den Gefallen und mache Morgen der Kleinen nicht etwa den Hof, denn die Alte gäbe sie Dir ja wohl gleich mit Kußhand, Hans aber wäre im Stande, Dich vor die Klinge zu fordern, und auf Buchendorf ein Duell — pfui Deibel!" Der Andere lachte. „Lieb Vaterland, kannst ruhig sein, in unseren Jahren ist einem hübschen Kinde gegen über der Liebe Müh' umsonst. Aber was meinst Du, Fritz, wenn ich anstatt bei der Jungen, bei der Alten mein Heil versuchte?" warf er leicht hin. „In solch' reiferes jungfräuliches Herz sieghaft eine Bresche zu schießen, dürfte mir vielleicht noch gelingen." Mit ganz verändertem Gesichtsausdruck schob der Gutsherr mit einem Ruck seinen Stuhl um einen Schritt rückwärts und schaute dem Sprecher groß in das Gesicht. „Mensch, Du denkst doch nicht etwa im Ernst an solch' einen Streich?" Den Rest seiner Zigarre in den Aschenbecher wer fend, sprang Gundlach lachend auf. „Keine Bange, Freundchen, man kauft keine Katze im Sack! Vorläufig gedenke ich mich jetzt anstatt in Fräulein Lucindes, in Morpheus Arme zu werfen und von einem hübschen Prinzeßchen zu träumen, welches ein fahrender Ritter aus der Gewalt eines bösen Drachen befreit." Vermischtes. * EinStückchen von klerikalerJugendbildung wird den „Münchener Neuesten Nachrichten" von einem katholischen Familienvater mitgetheilt: „Die Aufmerksam keit, womit mein 13jähriger Sohn den „Seraphischen Kinderfreund" seit geraumer Zeit las, veranlaßte mich, auch einmal einen Blick in dieses von Bruder Marianus in Altötting redigirte Blatt zu werfen. Doch was mußte ich schon auf der zweiten Seite finden! In einem Artikel eines Lehrers, betitelt: „Was thun die Kinder außerhalb der Schule?", finde ich folgenden Passus: „Die unehe lichen Geburten sind in unserem Orte in den letzten Jahren von 25 auf 41 gestiegen, und das sittliche Bewußtsein so tief gesunken, daß eine Jungfrau gar nichts gilt und für gar kein „richtiges Mädchen" angesehen wird. Der Haupt grund liegt in den ungenügenden Wohnungsverhältnissen. Von 56 Kindern schlafen 37 nicht allein. Seit 1880 mußten 44 Kinder wegen grober Unsittlichkeit bestraft werden; Mädchen bilden die Mehrzahl." Dieses Blatt kommt mir jetzt nicht mehr ins Haus!" — Es ist bei Weitem nicht das erste Mal, daß die entsetzte Oeffentlich- keit erfährt, mit was für Dingen von ultramontaner Seite die Einbildungskraft der Jugend beschäftigt und verun reinigt wird. Diese sogenannte „katholische" Jugendschrift wird von einem Ordensgeistlichen heransgegeben — und trotz alledem erwärmen sich noch immer deutsche Männer für den Gedanken, die Aufsicht über die Schulen ganz und gar der Controle des Staates zu entziehen und durch Gesetz der Geistlichkeit auszuliefern! " Wie alt wird ein Da mpfroß? So wird Mancher fragen, der in den Auszügen des sächsischen Etats über die Beschaffungskosten der Lokomotiven die großen Zahlen gelesen hat. Wie bei dem Pferde, so ist auch bei seinem Konkurrenten, dem Dampfroß, die unausgesetzte Abwartung und Pflege eine Hanptbedingung für seine Leistungsfähig keit. Der Führer eines solchen „Rosses" muß mit dessen Schwächen und Vorzügen vertraut sein, um es richtig „be handeln" zu können. Er muß beobachten, ob das „Roß" einen ruhigen oder unruhigen, ob es einen harten Gang hat, ob seine Zugkraft genügend ist, ob es an Verdauungs beschwerden leidet, sodaß eine fehlerhafte Dampferzeugung eintritt, ob es zu „gefräßig" (durch übermäßigen Kohlen verbrauch) ist u. s. w. Der Führer muß ein feines Ohr und Auge haben, um zu erkennen, wo es seinem ihm an vertrauten Dampfrosse fehlt, er muß Mängel und Fehler des Rosses selbst beseitigen können und es nur im Nothfalle dem Dampfrobarzte (der Eisenbahnwerkstatt) zuführen. Das Ohr des Führers muß verständnißvoll den Tönen, Schlägen und den geräuschvollen Athemzügen seines Rosses lauscheu, um zu ermessen, ob einzelne Theile des Organis mus reparaturbedürftig sind oder ob sein Zustand derartig ist, daß nur eine Radikalkur helfen kann. Wenn man bedenkt, welche Riesenstrecken solch ein „Renner" zurückzu legen und welche Riesenlasten er außer seiner eigenen gingen in den Saal zurück, nm sich den übrigen Paaren an- zuschließen. Aber kaum batten sie einmal berumqetanzt, als das Pulver bei Reinbold zu wirken ansing. Alles drehte sich mit ihm in die Runde, es flimmerte ihm vor den Augen, das Bewußtsein drohte ibm zu schwinden. „Ich fürchte, Fräulein Martba, ich werde den Tanz nicht zu Ende tanzen können, mir wird plötzlich' so schwindelig, so unwohl, daß ich mich kaum noch aufrecht zu halten vermag." Erschreckt blickte Martba ihn an; er war bleich wie der Tod. „Mein Gott, was fehlt Ihnen, wie sehen Sie aus", rief sie angstvoll. „Schnell, schnell kommen Sie heraus." Vergebens bemühte sie sich, den schon Wankenden noch zu einem Stuhle zu führen, seine Kraft reichte nicht mehr aus und besinnungslos stürzte er zu Boden, sie im Falle noch mit sich reißend. Zuerst glaubte man, Reinhold sei nur ansgeglitten, wie das beim Tanze ja zuweilen vorkommt, aber als Martha schnell wieder aufsprang, Reinhold aber regungslos liegen liebb, eilten mehrere Herren hinzu, hoben ihn auf und trugen ihn hinaus. Man sprengte ihm Wasser ins Gesicht, um ibn wieder zur Besinnung zu bringen und wandte auch Essenzen an, doch alles vergeblich. Am eifrigsten zeigte sich Hermann dabei. „Ich hätte nicht geglaubt, daß Faber so wenig vertragen kann", äußerte er, „öderer muß bei Tisch sehr viel getrunken haben. Nachher hat er mit mir nur ein paar Gläser Sekt getrunken." „Faber sieht gar nicht aus wie ein Betrunkener, sein Zustand ähnelt vielmehr demjenigen, in den ein Mensch durch irgend ein Narkotikon versetzt ist", nahm Lieutenant Wessel seinen Kameraden in Schutz. „Ein Betrunkener sieht nicht so bleich aus. Ich will ihn sofort nach Hause bringen." „Er befahl dem Diener, einen Schlitten zu rufen und als derselbe vorgefahren, wurde der noch immer Bewußtlwe hinein getragen und Lieutnant Wessel brachte ihn in seine Wohnung. Unterdessen war Hermann nicht müßig. Bald war er hier, bald dort und wußte durch, wie absichtslos hingeworfen« Worte, die aber eben deshalb um so sicherer ihren Zweck er füllten, die Meinung zu verbreiten, daß Faber vollständig betrunken gewesen sei, überhaupt ein wüstes, unordentlicher Leben führe, hoch spiele und in Schulden stecke. Da nm einige Bekannte Fabers anwesend waren, gelang Hermann dies« Verleumdung nur zu gut und bald wußte die ganze Gesell schaft alles mögliche Schlechte von dem armen Faber. Hermann batte seinen Zweck erreicht, die Ehre des junge«, strebsamen Offiziers war besudelt. Wie immer fand das Gerücht bald weitere Verbreitung und am nächsten Tage schon wußte die halbe Stadt davon. Auch hier bewährte sich das Wort Shakespeares, wieder aufs Neue: „ . . . . Gerücht ist eine Pfeife, Die Argwohn, Eifersucht, Verleumdung bläst, Und von so leichtem Griffe, daß sogar Das Ungeheuer mit zahllosen Köpfen, Die immer streit'ge, wandelbare Menge Drauf spielen kann." Nur drei Personen stimmten nichtin das allgemeine Gerede mit ein, sondern nahmen Partei für den so arg Verleumdeten, das war der Kommerzienrath, Martha und Lieutnant Wessel. Sie waren fest davon überzeugt, daß Reinhold nicht betrunken gewesen, sondern oaß ihm ein Unfall zugestoßen sei. Als Hermann versuchte, Reinhold auch bei dem Onkel an- znschwärzen, kam er an den Unrechten. Entrüstet wies der Kommerzienrath ihn ab. „Ich hätte von Dir mehr Takt erwartet; gerade Du mußtest Faber besser kennen, anstatt in solches verläumderisches Geschwätz mit einzustimmen, solltest Du ihn gerade in Schutz nehmen. Bei Tisch hat Faber nur wenig Wein getrunken nnd von den paar Gläsern Sekt konnte er unmöglich be- stnnungslos werden. Uebrigens machte er gar nicht den Ei»» druck eines Betrunkenen, er sah vielmehr einem in tiespl Schlaf Gesunkenen ähnlich.