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Beilage zu Nr. 53 Donnerstag, den 8. Mai 1902. Vermischtes. Ein Mordprozeß, bei dem cs zu aufregenden und stürmischen Scenen kam, beschäftigte das Schwurgericht zu Augsburg. An geklagt war ein junger Mann, den man für einen lange gesuchten Verbrecher Namens Will hielt, der einen Bäcker Braun und dessen Tochter ermordet und beraubt hatte. Bei Beginn der Verhandlung ver weigerte der Angeklagte, der auch einen Diebstahl begangen hat, jede Auskunft über Namen und Herkunft. Von 80 aufgerufenen Zeugen beschwören 18, daß der Mann aus der Anklagebauk Georg Will sei. Am dritten Tage des Processes giebt der Vertheidiger bekannt, daß sein Client ihn ermächtige, nun seinen wahren Namen zu nennen, der Angeklagte heiße Anton Kerscher, sein Bruder August sei bei einer Augsburger Firma in Stellung. Anton Kerscher weile seit 1897 fern vom Elternhause, sei auf Abwege ge- rathen und habe im Interesse seiner braven Familie seinen wahren Namen verschwiegen, um den Angehörigen Kummer zu ersparen. Große Aufregung entstand im Saal und großes Erstaunen am Richtertische. Der Bruder des An geklagten und einige andere Augsburger Personen werden schleunigst vorgeladen. August Kerscher erkennt sofort seinen Bruder, giebt Einzelheiten aus dessen Leben an, die kaum einen Zweifel zulassen. Nach lebhaften Aus einandersetzungen zwischen Staatsanwalt und Vertheidiger Gerichtshof die Vereidigung des August Kerscher ab- Die Verhandlung wurde zu weiteren Erhebungen auf unbestimmte Zett ausgesetzt. * Eine furchtbare That hat in Nürnberg eine19- jährige Arbeiterin vollführt. Das junge Mädchen sollte auf Verlangen der Eltern ein Liebesverhältniß aufgeben. Dies nahm sich die Glückselige dermaßen zu Herzen, daß sie zu sterben beschloß. Sie stürzte sich in die Pegnitz und nahm ihren fünfjährigen Stiefbruder und ihre drei» jährige Stiefschwester mit in den Tod. Die Leiche des kleinen Mädchens wurde bereits aus dem Wasser gelandet. * Der Haremsroman einer Italienerin Hal dieser Tage in Tanger sein Ende erreicht. Die Angelegen heit hat viel Aufsehen erregt und das Eingreifen der Diplomatie nothwendig gemacht. Die schöne Giuseppa, die Heldin dieses Romans, ist die Gattin eines in Tanger ansässigen italienischen Kaufmanns. Die Ehe der Beiden wurde vielfach durch die Extravaganzen und Flirte der kapriziösen Frau gestört. Nach eineni dieser häuslichen Zwiste, der besonders heftig gewesen, war dir schöne Gin seppa plötzlich verschwunden. Die Nachforschungen des bekümmerten Gatten führten zu der Entdeckung, daß sich seine Frau in den Harem eines begüterten Mauren ge flüchtet hatte, der schon lange sein Auge auf die verführ erische Fremde geworfen. Sie weigerte sich, zu ihrem Manne zurückzukehrcn, und sand infolge des Einflusses ihres angesehenen Beschützers auch die Unterstützung der marokkanischen Regierung. Und das umsomehr, als Giu- feppa ihren christlichen Glauben abschwor uni» unter feier licher Ceremonie in der großen Moschee zum Glauben des Propheten übertrat. Dieser Schritt eröffnete der abcn- teuersüchtigen Schönheit eine noch glänzendere Laufbahn- Man kleidete sie in die herrlichsten Gewänder und schickte sie in den Harem eines mächtigen Scheiks, wo sie sich in den Lehren ihrer neuen Religion vervollkommnen sollte. Inzwischen hatte aber ihr Gatte nicht geruht und die Hülfe des italienischen Gesandten in Anspruch genommen. Der Diplomat hatte den marokkanischen Jntriguen gegen über einen schweren Stand. Da er aber zuletzt mit ener gischen Maßnahmen seitens seiner Regierung drohte, gaben die Beschützer dieser modernen schönen Helena nach, und Giuseppa wurde, trotz ihres Sträubens, ihrem rechtmäßigen Manne wieder zugeführt. * Ein spanischer Bürgermeister als Brand stifter. Man schreibt aus Madrid: Die Eisenbahngesell- schast Bilbao-Santander hatte auf Anordnung der Re gierung in den schönen Anlagen der Stadt Santander ein provisorisches Bahnhofsgebäude errichtet, gegen welches sie gcsammte Bevölkerung protestirte. Diese drohte mehr fach damit, den Bretterbau eines schönen Tages in Brand zu stecken. Aber weder diese Drohung, noch die Protest versammlungen, welche unter dem Vorsitz des Bürgermeisters stattfanden, veranlaßte» die Regierung zum Handeln, sie hielt es nicht einmal für nöthig, Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen. Am Sonntage fand im Stadthause eine neue Protestversammlung statt. Man entsandte eine Commission an den Gouverneur, um diesem noch einmal die Klagen der Bevölkerung vorzutragen. Mittlerweile zogen die Ver sammlungsbesucher unter Führung des Bürgermeisters nach dem Bahnhofsgebäude, um dieses mit Petroleum zu be gießen und an allen vier Ecken anzuzünden. Nur mit Mühe konnten die Beamten und ihre Familien sich aus dem brennenden Hause retten. Den Feuerwehrleuten, welche herbeieilten, um den Brand zu löschen, befahl der Bürgermeister, sich zurückzuziehen, oder höchstens den nahe gelegenen Schiffen, welchen Gefahr drohte, Hilfe zu bringen. Dagegen verhinderte er nicht, daß ein nahe gelegenes Zollhaus in Flammen aufging. Auch die vor dem Bahn hofsgebäude stehenden Wagen und alles in der Nähe be findliche Betriebsmaterial wurde mit Petroleum begossen und in Brand gesteckt. Die dem Bürgermeister untergebene Polizei ließ sich natürlich nicht blicken. Aber auch die Gendarmerie, welche dem Gouverneur untersteht, rückte erst an, als das Gebäude fast vollständig eingeäschert war, obwohl der Gouverneur dem Bahnhofsgebäude gegenüber wohnt und das Treiben der Volksmenge von seinem Fenster aus betrachtete. Als die Gendarmerie einige Verhaftungen vornehmen wollte, wurde sic von den! Bürgermeister daran verhindert. Dieser hatte eben das ganze Zerstörungswerk unter ständigen Hochrufen des ausgelassenen Pöbels ge leitet und die Brandstifter ermuthigt. Als er sein Werk Vollendet sah, ließ er sich von seinen Mitbürgern im Tri umph nach dem Stadthause tragen. — Spanische Wirth- schaft! * Für die 500000 Gäste des Königs Eduard, die anläßlich der Krönungsftier öffentlich bewirthet werden sollen, ist nun das „Menu" festgestellt. Es wird aus kaltem Rinderbraten, heißen Kartoffeln, Pudding und Brot bestehen. Thee, Kaffee/Bier und Sodawasser stehen auf der Getränkeliste. Außer den 600000 Mk., die der König für die Bestreitung der Kosten bestimmt hat, läßt er nun auch 500000 Krönungsbecher anfertigen, die an seine armen Gäste als Andenken vertheilt werden sollen. Bei der Aus wahl der Gäste fing man an, sehr penibel vorzugehen, Nachfrage anzustellen über Vorleben, Kirchenbesuch u. s w. Der König hat nun bekannt gegeben, daß dies seinen Ab sichten nicht entspreche, und daß die Bedürftigkeit allein bei den Einladungen maßgebend sein soll. GenteinnüLzises. Sitzbad (kaltes.) Wenn man ein Sitzbad nehmen will, mache man sich erst einige Bewegung; man nehme anfangs nie Sitzbäder, die eine geringere Temperatur als 15° k haben; erst nach und nach gehe man mit der Wärme herunter. Die Dauer eines Sitzbades darf selten mehr als eine Viertelstunde betragen. Personen, welche an Blutandrang nach dem Kopfe leiden, müssen vorher erst eine Kopfwaschung vornehmen, oder ein in kaltes Wasser getauchtes und ausgerungenes Tuch um den Kopf binden. Der Oberkörper wird dagegen mit einer dicken, wollenen Decke überhangen. Seidene Taschentücher und Seidenzeuge wäscht man entweder in Theewasser, spült sie dann in Branntwein, worin etwas Zucker aufgelöst ist und rollt und bügelt sie noch feucht; oder man wäscht sie in starkem Kleiewasser, in dem ein wenig Alaunpulver aufgelöst ist. Beide sind gute bewährte Verfahren. Milchvermehrung. Man erzielt solche bei Kühen durch Anis und Fenchelsamen, Wermuth und Kalmus wurzelpulver ä 66 8 und i/z lrA Kochsalz. Man giebt davon täglich 3 mal 2-3 Eßlöffel unter das Futter. Moder- und Stockflecke aus Wäsche zu entfernen. Sie entstehen sehr leicht, wenn man schmutzige Wäsche feucht aufbewahrt, oder zum Bügeln einsprengt und sie so mehrere Tage stehen läßt. Man entfernt die Flecke mit Butter, indem man diese einige Minuten darauf stehen läßt und dann mit Wasser angefeuchtete Pottasche darauf bringt. Wird die Wäsche dann gut durchgeriebe« und ge bleicht, so verschwinden die Flecke bald ganz. Aivchennachrichten a. Wilsdruff. April. Getauft: Frida Erna Charlotte, Tochter des Karl Bernhard Pollack, Barbiers u. Friseurs hier; Hermann Kurt, Sohn des Richard Max Wustmann, Materialwaaren- hänolers hier; Richard Hans, Sohn des Ernst Richard Müller, Tischlers hier; Frida Elsa, Tochter des Heinrich Bruno Müller, Heizers a. d. Staatseisenbahn hier; Johanna Gertrud und Kurt Rudolf, Zwillinge des Ernst Louis Lehmann, Todtenbetlmeisters hier; Franz Arno, Sohn des Franz Moritz Lindner, Handarbeiters hier; Erna Linda, Tochter des Karl August Schubert, Arbeiters hier. Getraut: Josef Kunert, Schuhmacher in Mainz, mit Maria Anna Schumann hier. Beerdigt: Amalie Auguste, geb. Schnee, geschieh. Näther, Anstaltsinsassin in Hilbersdorf (hier beerb.) 72 I. 10 M. 8 Tg. alt; Anna Rosine, geb. Türke, getrennt lebende Fuß, Rentenempfängerin hier, 81 I. 6 M. 7 Tg. all; tootgeborener Sohn des Ernst Otto Breuer, Handels manns hier; Max Alfred, unedel. Sohn der Auguste Helene Lieske, Dienstmagd in Klipphausen, 9 M. 6 Tg. alt; Karl Rudolf, ehel. Sohn des Josef Hampel, Schneider meisters hier, 5 M. 22 Tg. alt; Marie Helene, geb. Koch, Ehefrau des Max Otlo Drieselmann, Arbeiters hier, 22 I. 8 M. 25 Tg. alt. Schwer geprüft. Roman von Georg Gertz. 8 Nachdruck verboten. Den Abend brachte Reinhold ebenfalls in Gesellschaft des Kommerzienraths und seiner Nichte zu, während Lieutnant Wessel und Hermann cs vorzogen, gemeinsam ins Theater zu geben Reinhold batte mit großem Vergnügen die Ein ladung des alten Herrn zu einer Partie Schach angenommen, sand er doch so Gelegenheit, noch einige Stunden in der Nähe des geliebten Mädchens zu bleiben, das seit gestern sein ganzes Herz erfüllte. v-. „ Man setzte sich ans -Schachbrett. Der alte Herr war bald ganz ius Spiel vertieft und so fand Reinhold vielfach Gelegenheit, seine bewundernden Blicke auf Martha ruhen zu lasten. Auch diese ließ ihre Augen ost verstohlen zu dem jungen Krieger hinüberschweisen. Dann trafen sich wohl auch zufällig ihre Blicke und ruhten sekundenlang in einander; und diese Blicke sagten ihnen deutlicher, als es Worte ver mocht hätten, wie sehr sie einander liebten. Am nächsten Morgen verließen die beiden Offiziere das gastliche Haus und bezogen ihre Wohnungen, die sie sich in der Stadt gemiethet hatten. Beim Abschiede aber lud der Kom- merzienrath sie wiederholt ein, ihn zu besuchen; namentlich bat er Lieutnant Faber, recht häufig zu kommen, nm mit ihm eine Parthie Schach zu spielen; er würde dadurch einem ein samen, alten Manue einige frohe Stunden bereiten. Die verhängnißvolle Unterschrift. Zwei Monate waren vergangen. Zu den gern gesehensten Gästen im Hause des Kommerzienraths gehörte Lieutnant Faber. Mt Freuden war er der Einladung des reichen Kauf herrn, ihn öfter zu besuchen, gefolgt und bald weilte er nirgends lieber als dort in dem gemüthlichen Wohnzimmer, wenn der Threlefsel auf dem Tische summte und surrte Md Martha in ihrer anmnthigen Weise die Pflichten der Haus frau übte. — Nur einer sab ihn hier nicht gern, das war Hermann. Alle seine Bemühungen, Marthas Zuneigung zu newinnen, waren vergeblich gewesen, sie setzte ihm eine eisige Kälte ent gegen. „Sage mir, liebes Coufinchen, warum bist Du stets so gemessen und fremd zu mir?" fragte Hermann sie eines Tages als sie seine Aufforderung, mit ihm Schlittschuhe zu laufen, kurz abgelehnt batte, obwohl sie eine große Liebhaberin. eses Vergnügens war und manchen Nachmittag auf der spiegel blanken Eisbahn am Buttermarkt verbrachte. „Du weißt doch, liebe Martha", fuhr er nach einer Panse fort, als er auf seine Frage keine Antwort erhielt, daß es der Wunsch des Onkels ist, uns bald verlobt zu sehen. Es märe doch wohl an der Zeit, daä Du Dein Benehmen gegen mich änderst und etwas sreundlicher wärest. Du denkst doch nicht etwa im Ernst daran, Dich dem Willen des Onkels zu widersetzen? Sieh, Martha, ich liebe Dich und möchte Dich gerne glücklich machen; allein wenn ich glaube,. Dir mit irgend etwa; eine Freude zu bereiten, weisest Du mich stets ab, wie einen fremden Menschen, der Dich nichts anginge. Sei gut und lieb zu mir, Martha, und ich schwöre Dir, ich will Alles thun, war Du nur wünschest." „Ja, wolltest Du das wirklich thun, lieber Hermann? Oh, dann bitte ich Dich von Herzen, laß mich in Zukunft unbehelligt mit Deinen Bewerbungen. Sieh, ich ehre und liebe den Onkel und will ihm gern gehorsam sein in allen Dingen, nur in diesem einen Punkte vermag ich es nicht. Meine Hand werde ich nur dem Maune reichen, dein auch mein Herz gehört, keinem andern. Und Dich, Netter, liebe ich nun einmal nicht; was kamt ich dafür, wer kann seinem Herzen gebieten! Darum schlage Dir die Gedanken an mich aus dem Kopfe. Du, der Erbe des Millionärs, wirst leicht eine andere finden, die schöner und reicher ist als ich und Dich siebt. Ich kau» es nuu einmal nicht. Sei mir nicht böse. daß ich so offen mit Dir rede, ist es nicht besser, daß feder von uns weiß, woran er ist? Laß uns Freunde sein, Vetter Liebe kann ich Dir nicht bieten", fuhr sie bittend fort «ck streckte ihm treuherzig ihre kleine, weiße Hand entgegen. Aber er schlug nickt ein in die dargebotene Rechte, «l that als sähe er sie nickt. Das erheuchelte Lächeln war ans seinem Gesichte verschwunden, die Züge wurden hart und mit heiserer Stimme antwortete er: „Ha! steht es so! Du weisest mich also rundweg ab, ohne mir einen triftigen Grund für Deine Weigerung anzugeb»». Aber ich kenne denselben doch, gestehe es nur offen, Lieutnant Faber ist's, der Dir den Kopf verdreht hat, die Uniform Hal auch Dich bestochen, wie so viele andere junge Mädchen.* „Und wenn dein so wäre", fiel Martha ihm in tue 3ied», und ihre Augen blitzten im Zorn auf und die Stimme nahm einen harten Klang an, „was geht es Dich an? Hast Du mir vielleicht zu gebieten, wem ich meine Hand geben fall oder nicht? Wenn Du vielleicht glaubst, sie fordern zu dürfen, so irrst Du Dich. Dec Onkel wird mich gewiß nicht dazu Zwingen, dazu ist er viel zu einsichtig und gut." „Aber ich sage Dir, Faber ist Deiner nicht werth, tk ist ein Spieler, ein . . - „Halt ein, Hermann! Ich dulde es nicht, daß Du jemand beleidigst, der sich nicht vertheidigen kann. Eifersucht tst't, die Dich so sprechen läßt. Geh', ich will nichts weiter hören." Damit wandte sie sich ab und verließ das Zimmer.' Hermann war erstaunt; so viel Energie hatte er der sanften Martha nicht zugetraut, er sah ein, daß er zu weit gegangen war, nun war vollends alles verloren. „Alles?" sprach er zu sich selbst, „nein noch lange nicht. Es gilt nur, diesen Nebenbuhler aus dem Felde zu schlage», dann wird das Täubchen vielleicht wieder anderen Sinnes werden."