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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 19.04.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-04-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190804191
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19080419
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19080419
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-04
- Tag 1908-04-19
-
Monat
1908-04
-
Jahr
1908
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IE, Nr 146S4. Morgen-Ausgabe 8. np.'.igcrTagtblM Handelszeitung. Ämtsbkatt des Rates und des Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Auzeige«'P,eiS sür Inserat« au« eewva und Umzedung dte ügespaltene Petitzeile 2b Bi., sinanglell« onzeigen ii<) Pi., Reklamen IM.; o»n aulmärt« 80 Pt., Neklameu 1.20 M.; vm»«»«land-OP,., finani. Lnzeigr»7SPs. Reklamen 1.50 M. Inseratev Behördeni> amtlichenDeilMP' Beilagegebudr 5 M. p. Tausend erkl. Post gebühr. itieichatisaazeigeii an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabati nach lar> Iesterteilte Äusträge könne» nicht zurück gezogen werden. Kür de« iürschei»rn an bestimmten lagen uns Plätzen wird keine Garantie übernommen Anzeigen-Annabme: Luguktu»platz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Lnnoncen- Gxpedltionen des In- > »d AnLlande«. Haupt-Siliale Berlin: Earl Duncker, Herzog:. Bavr. Hosduch- hanblung, Lützowktraße 10. (Telephon Vl. Nr. -iSW). Haupt-Filiale Lre»den: Leestrabe 4,1 (Telephon 4621'. Nr 109. Sonntag 19. April 1908. 102. Jahrgang. au' dic Kr. tMa igs- igcn lsch ulirc ebc- de? Ind ien, »rci und idk'- rcn: uvi Be rnd nii Gi- ine dl. dl. ial- UN;I kflci ml Be- dnn sin rin «in- rer ar: ,tr. dl. .'in- litte i^l N6. md in um ed« ?r- ind ur ^0. vis . z r ns rcn Ul. r - r»n r'c i.r. lul ve Nc in id er- :iz- ez. tU. rd. ig. No r- K» 1-, >s 6, 4. Die näcvsie Kummer cles deipriger l'ageblstteL erselieiiii >x/eger> ciei- OLtei-- feiertage erbt am Dienstag, cieri 21. ffpril, morgens. Das wichtigste vom Tage. * Das bayrische Kultusministerium bat sich gegen die fakultative Feuerbestattung erklärt. sS. Dischs. R.) * In München droht eine neue Aussperrung im Bau gewerbe. lS. Dischs. R.) * In O« st erreich drohk eine Ministerkrisis, da Baron Aehrenthal sein Versprechen in Sachen der Osfiziersgehälter ein- zulösen kaum in der Lage sein wird. sS. Ausl. u. Letzte Dep.) * Italien konzentriert seine M i t t e l m e e r f l o t t e zu einer Demonstration gegen die Türkei. (S. Ausl.) * Im Internationalen Schachturnier zu Wien teilen Duras-Prag, Ma rö cz y-'Pest und Sch l e cb>t e r -Wien bei gleichem Schlußstand die e r st e n d r e i P r e i s e. sS. a. d. Lchachwelt.) Ostern. „Ueber Pflugschar und Spaten tief Atem holen", das zahlt Ruskin zu den höchsten Gütern des Lebens. Ihm ward die Gabe der Aus erwählten, in einfachen und edlen Worten die verborgenste Sehnsucht des menschlichen Herzens zu künden. Er empfand die Bedrängnis un srer allzu künstlichen, allzu hastenden Zeit und ließ in einem einzigen, kurzen Satz das Ideal einer gesunderen, sr"chtbringenden und ruhe vollen Tätigkeit vor uns erstehen. Was er sagt, darf nicht buchstaben gläubig aufgefaßt werden: es lag ihm natürlich fern, die ländliche Arbeit allein als ehrwürdig und menschenwürdig zu preisen und die zur äußersten Leistung angespannte Energie zu schelten; er wollte nur vor oer Künstlichkeit und der Unrast warnen. Wir alle aber empfinden es m diesen holden Frühlingstagen, wie sehr es uns not tut, „tief Atem zu holen", die reine, schon lieblich milde und doch noch kräftige Lenzluft in vollen Zügen einzuschlürscn und uns, ein wenig rastend, auf uns 'elbst zu besinnen. Wir könncn's nicht leugnen: nur wenigen von uns ist es noch gegönnt und nur wenige von uns verstehen noch die Kunst, im Strom des Lobes von Zeit zu Zeit die Ruder einzuziehen und den Kahn dahingleiten zu lassen — „Silberfähre, gleite leise, ohne Ruder, ohne Gleise!" singt Konrad Ferdinand Meyer — fast alle sind wir unermüdlich auf der Jagd nach dem Glück begriffen. Wotans wilde Jagd, ins Modernste übertragen, wäre ein Motiv für einen großen Maler, der zugleich seinem Volke ein Prediger sein möchte. Aber solche Maler gibt es nicht mehr und die Jugend der Künstler sagt lächelnd: „Gott sei Dank nicht!" In dem heißen Vorwärtsstreben liegt unsere Stärke und unsere Schwäche, unser Glück und unser Elend- Tie staunenswürdigen Er folge, die wir Deutschen in den letzten Jahrzehnten auf den Gebieten der angewandten Wissenschaft, der Technik, der Industrie und deS Handels errungen haben, verdanken wir einer Rastlosigkeit, die bei- nahe schon amerikanisch anmutet. Aber freilich, die Stimmen der Warner mehren sich, die darauf Hinweisen, daß dieser Gewinn auch ourch einen Verlust bezahlt wird, daß die Nation vielleicht an innerem Adel eingebüßt hat, was sie an äußerer Wohlfahrt gewann. Mögen diese Tadelsworte auch allzu hart sein, es ziemt uns, sie zu yoren. Eine wahrhaft große Nation darf niemals in eitler Selbstdespiegelunz oahinlsben, sie muß unablässig darauf bedacht sein, sich selbst zu er- ziehen und sich zu höheren Formen emporzubilden. Vor allem aber darf sie nicht vergessen, daß die Mission eines Volkes immer nur die sein kann, eine nationale Persönlichkeit zu werden, eine nationale Kultur zu entfalten, und daß dieses Ziel nur durch Verinnerlichung er- reicht werden kann, niemals aber durch Anbetung des äußeren Erfolges, durch Götzendienst vor dem Idol der Macht, durch den Tanz ums gol dene Kalb und eine hohle Prestigepolitik. So war die Politik Napoleons HI. beschaffen, der heute vor hun dert Jahren das Licht der Welt erblickte. Dieser nicht geniale, aber immerhin bedeutende Mann ging trotz seiner ungewöhnlichen Begabung und seiner fatalistischen Willenszähigkeit doch daran zugrunve, daß leine Regierung, die auf Usurpation beruhte und nur mit Gewalt mitteln aufrecht erhalten wurde, sich nicht auf ein sittliches Prinzip gründete. Napoleon I. gab sich als Testamentsvollstrecker der Revo lution. Er stellte in dem von Leidenschaften durchwühlten Lande die Ordnung wieder her und schuf Institutionen der Verwaltung und der Rechtspflege, die bis in die Gegenwart hinein dauern; Napoleon III. versuchte vergebens, den großen Oheim nachzuahmen. Er trieb eine Allerweltspolitik, die bei Sedan zusammenbrach, aber er ist im Buch der Geschichte nicht als ein Schöpfer, ein Reformator verzeichnet. Dynastien können nur dadurch ihre Dauer sichern, daß sie ihr Volk einer höhere« Kultur zuführen. Wir dürfen uns aus diesen kurzen Betrachtungen die Lehre ent nehmen, die auch der Lehre der Heiligen Schrift entspricht, daß es uns überall mehr um das Wesen als um den Schein zu tun sein soll. Echt sein ist alles. Der einzelne wie der Staat geht zugrunde, wenn sein ganzes Tun dem äußeren Erfolge gilt. Wir müssen uns dessen bewußt werden, daß unser individuelles und staatliches Leben an einer krank haften Unruhe leidet, und daß uns Stunden der inneren Sammlung, der Selbstbetrachtung bitter not tun. Ob sich diese Jnnenfchau in den geweihten Räumen eines Gotteshauses, ob sie sich in dem nicht minder geweihten Raum der freien Natur vollzieht, das möge ein Jeder mit seinem Gewissen abmachen. Zu wünschen ist, daß er in einer Mußestunde versucht, der inneren Stimme zu lauschen, die wir im Drang des Da sein- nur selten vernehmen können, die wir so oft zum Schweigen bringen. Das Osterfest mag uns daran erinnern, daß wir nicht allein um äußeren, sondern auch um inneren Erwerb uns mühen fallen uns daß schließlich auch der Reichste nur sich selbst besitzt. Möchten heute einem jeden Glocken ertönen, die ihn sich auf seine Bestimmung vesinnen lassen! Die politischen Ostern in Frankreich. lVon unserem Pariser I-.-Korrefpondenten.) Paris, 17. April. Tic französischen Parlamentarier begehen das Osterfest m der Provinz, nur wenig beforgi um den Aus,all der Gemeinderatswahlen, die vlelleichi dem Sozialismus einen Zuwachs bringen werden, gewiß aber nicht der Reaktion. Tie Ruhe, die in der Republik herrscht, so vollständig wie man es seit ihrem Bestehen noch nicht erlebt hat, ver- uriacht im Auslande ein Abflauen des Interesses, das man ihrer Politik zu zollen gewohnt war. Dieies Interesse war nicht zum wenigsten dem Spektakel gewidmet, der alle Evolutionen im gallischen Lande zu begleiten pflegte. Wenn die französische Politik aufnört, amuianl zu sein, glaubt man, daß sie aufgeyörl Hal, zu existieren. Aber gerade das Ausland hat allen Grund, in dieser Zeil der Windstille sein Augenmerk auf Paris zu richten. Tenn die Ruhe erlaubt es den Herren am Quai d'Orsay, sich weniger darum zu bekümmern, ob man sic morgen nicht ihres Portefeuilles berauben wird, dafür aber sich ganz der Verwirklichung lener Pläne hinzugeben, die der kleine und in Plänen große Tbeophile Delcaisä ersonnen, und von deren blendendem Glanz seine zurückgebliebenen Schüler nn Ministerium des Aeußeren den Blick nicht abzuwcnoen vermögen. Darum geschieht es nicht ohne Absicht, wenn wir in dieser Revue der politischen Vorgänge um die LZtcrzeil in Frankreich unsere Betrachtungen mit der äußeren Politik beginnen; sie ist das Wichtigste, was für die Zukunftsgeschlcke der Re publik gegenwärtig vor sich geht und was aut die anderen Nationen starke^ Rückwirkung^ üben muß. Tie Herren Diplomaten Deutschlands, Oesterreichs und Italiens machen sehr viel von sich reden; Fürst Bülow reist nach Wien; er reist nach Italien; er sieht den Freiherrn von Aehrenthal, er sieht Tlttoni; er.sieht den Papst. Herr Pichon aber, sein französischer Kollege, sitzt au? dem Siuhl und Hal stver weiß, wie es kam?) sie Fäden der Welt politik in die Hand bekommen, die Fürst Bismarck einst mst solcher Kran zu halten und an denen er nach Gutdünken die Hampelmänner in allen Nationallostümen zu ziehen wußte. Was den Reichskanzler besorgt, ist die Aufrechterhaltung des Gewesenen; mit aller Kunst kittet er am Dreibund herum, allwo er Sprünge zeigt, und wenn man uns auch versichert, daß der Kitt sehr fest hallen wird, gewinnt das Kunst werk dadurch nicht an Schönheit und Wert: es wird nur alt. Herr Pichon sieht die Resten deS Reichskanzlers nicht mit Unruhe; ,m Gegenteil. Man kann sagen, daß er gewiß dem Kollegen aus der Wu- helmstraße allen Erfolg wünscht, ia, day er ihm im geheimen durch seine Botichaster sekundieren läßt. Denn das muß festgestellt werven: Hm Gageüsatz zu Herrn Delcasse, der Lern das ganze europäische Karten haus mit einem Fußtritt in die Lust geschleudert hätte, denkt sein Nach folger nur daran, wie das Vertrauen unter den Mächten befestigt wer- den könnte. Sahen die Delcasseisten mit Aerger das Ver schwinden der konservativen und das Aufkommen der liberalen, Deutsch land wohlgesinnten Partei in London, so hat Herr Pichon gewiß nur Svmpalhien für Sir Eambell-Banncrman und seinen Erden Asquith. Würden England und Deutschland aneinandergeraten, würben die Dreibundmächte sich nicht mehr verständigen, würden Oesterreich und Rußland über der Balkanfrage sich in die Haare geraten, bas alles wäre dem Quai d'Orsay höchst fatal, Mit einiger Reserve, damit es nicht zu auffällig wird, tauscht man ein freundliches Lächeln mit Berlin aus, und dort, wie man gesehen hat, finden sich sofort d»e einfluß reichsten Leute zusammen, um der schönen Marianne die Arme so wen zu öffnen, daß sie schon einige Koketterie zeigen darf, um sich nicht gleich hineinzustürzen ldie schöne Französin hält darauf, daß ihre Eroberung nicht gar zu rasch geschieht!>. Dahinter verbirgt sich ein äußerst kluges, aber nicht rätselhaftes System. Die Diplomatie der Republik bringt ihr Schäfchen ins trockene, ihr Schäfchen Marokko. Zwischen ihr und Deutschland ist ein großes Kontobuch eröffnet; sie füllt die Serie des „Haben" in schneller, flüssiger Schrift aus, das „Soll" — darum wird man sich später bekümmern, wenn der galante, ritterliche Deutsche es nicht vergißt und einen Strich durch alle seine Ansprüche macht, bloß um Marianne zu gefallen. — Gleich werden wir in den Verdacht kommen, wenn wir mit solchem offenen Wort die Idylle stören, die längst ersehnte Aussöhnung hintertreiben und als Chauvinisten gegen den „Erbfeind" Hetzen zu wollen. Dabei wissen wir uns von jeder Animosität gegen Frankreich und die Franzosen frei. Wir möchten in einer Voraussicht, die wir nicht einmal die Prätention haben^fllr pro- phetisch zu halten, es vermieden wissen, daß daS Buch des „Soll" und „Haben" gar zu große Posten aufnotiert, die Plötzlich der Galanterie die Augen öffnen und dann dem betrogenen Liebhaber den Spaß an dem Rendezvous verderben könnten. Fragt man heute privatim einen französischen Politiker, Journa listen, Deputierten oder Senator, vielleicht auch nur einen unter richteten Zeitungsleser, dann hört man immer glatt die Antwort, die man sich istfentlich zu geben hütet: „Es ist klar, wir sind in Marokko und wir bleiben in Marokko." Niemand ist so naiv, zu glauben, daß die Regierung Millionen für Marokko ausgibt (einige zwanzig sind schon zugestanden, einige hundert werden nach Ablauf des ersten Expeditionsiahres zusammen gekommen sein), ohne die Absicht zu haben, die blutgetränkte Erde zu einer weiteren französischen Airikaprovinz zu machen. Mag George Clemenceau, mag Pichon noch ungezählte Male im Parlament ver sichern, man werde die Algecirasakte respektieren, man werde nach oer „Polizeiaktion" sich zurüaziehen, sobald die Ruhe wiederhergestellt sei, das wird man immer mit demselben anscheinend gläubigen und ver gnügten Lächeln anhören, und man wird alle neuen Kredite bewilligen, die für Truppenverstärkungen notwendig sind. Das Schauyaland ist bereits ein hübscher Bissen, den man geschluckt hat. Seine Hauptstadt an der Küste ist Casablanca, die vorgeschobenen Forts wie Settat bil den heute eine vorläufige Grenzlinie nach dem Innern und werden morgen erlauben, Vorstoße strahlenförmig nach dem Süden, dis nach Fez und Maraketsch zu machen. Schon hat General d'Amade seine Regimenter weit über Settat hinaus zu „Rekognoszierungen" vor gesandt; nichts wird diesen ausgezeichneten General aohatten können, stets einen neuen, weiter im Innern nomadisierenden Stamm zu be kriegen, weil er sich nicht offiziell Frankreich unterworfen hat. Denn wohlverstanden handelt es sich nicht nur darum, daß die Stämme mit den Angriffen aushören, sondern baß sie auch den Akt der Vasallität ablegen. Die offiziellen französischen Telegramme gebrauchen ausdrück lich immer das Wort „Lorunissioo". Uno während so von der Küste her täglich neue marokkanische Gebiete unter die Trikolore kommen, schieben sich andere Regimenter afrikanischer Jäger und Zuoven aus Algier in das Sultanat vor: eine mächtige „Harka" von zum „heiligen Krieg" fanatisierten Berbern plant ja den Ueberfall auf die französi schen Christenhunde. Was haben uns die offiziellen Berichterstatter und die Emissäre des Marokkokomitees nicht schon alles Fürchterliche über diese drichende sata-morganikche „Harka" zu melden gewußt! Aber man muh sich sagen, die öffentliche Meinung wird in der Repu blik mit wahrhaft meisterlichem Geschick bearbeitet, daß sie die Kolo nialpläne hinnimmt. Da man nichts anderes liest, als was die vom Oüai d'Orsay akkreditierten und inspirierten Reporter vermelden, hat man keine Abnung davon, wie in Deutschland, wo auch Berichte von un. parteiischen Beobachtern aus Marokko einlaufen, daß diese beunruhi genden Meldungen nur dazu dienen, es als ganz unumgänglich not wendig erscheinen zu lassen, mit Waffengewalt die Sicherheit Algiers zu verteidigen Ter französische Bürger ist überzeugt, daß Muley Hafid Frankreich bekriegen wollte, während es so klar ist, daß er in einen Kamps sortaerissen wurde, den er nicht wünschte, den aber oie Kolonialpartei in Frankreich gewünscht hat, die endlich mit ihrem Geld Abd-el-Aziz, den Schwächling von Rabat, in die Tasche gebracht har. Eine zweite Vermutung bestem im französischen Volke, das ist das Zu- trauen in die Klugheit der Diplomatie, die schließlich eine Verständi gung mit Deutschland über Marokko erzielt haben soll. Diese Ver ständigung ist aber noch nicht erzielt. Wir glauben, daß Herr Pichon sie durchzuführen hofft, wenn die Einverleibung Marokkos ein kalt aaaonwli genannt werden muß; denn er scheint uns tatsächlich fern der Revanchegedanken, die Telcasss gehegt hatte. Ohne im mindesten auf Marokko verzichten zu wollen, überlaßt er der Zukunft den Ausgleich mit dem Deutschen Reich. Die deutsche Diplomatie befindet sich in der schweren Lage nicht das Aeguivalent heute erlangen zu können, auf das sie zweifellos ein Anrecht hat, England bekam völlig freie Hand in Aegypten und Neufundland; man hat am Ouai d'Orsay eingeiehen, daß, um nicht Albion obne eigenen Vorteil ein Geschenk gemacht zu haben, man auch Deutschland wird befriedigen müssen. Niemand in der Republik würde etwas dagegen haben, wenn man von einem ver nünftigen VerständiguN'gobjekt sprechen sollte. Inzwischen erinnert man in Berlin immer wieder an das einmal ver kündete Veto, aber daS geschieht in so höflicher Weise, daß es. beinahe wie eine Ermutigung zu gegenteiligem Tun erscheint. Pflicht der deutschen Presse ist es, damit man in Frankreich nicht emgeschläfert wird, immer wieder ebenfalls in höflicher Form darauf hlnzuweisen, daß das Marokkokonto zwischen beiden Völkern nicht abgeschlossen, sondern nur für später reserviert ist. Algeciras wird dann vielleicht doch seine Früchte tragen. Die innere Politik bietet nichts Neues, die Radikalen suchen ihre Wähler für das alte, unausgeführte Programm wieder zu begeistern, die Sozialisten suchen ihnen Abbruch zu tun, weil sie noch keine ihrer Reformversprechungen erfüllt haben, und die Reaktion baut, ohne sich große Hoffnungen zu machen, auf die Angst vor der Einkommensteuer. Im „Matin" sagt Pelletan heute Clemenceau und seiner Partei die Wahrheit über die Verzögerung aller sozialen Pläne- Für die Arbeiter- veriorguna und die Bahnverstaatlichung braucht man Geld, die Radi kalen wollen sich aber nicht, besonders vor den Wahlen, mit dem A us - schreiben neuer Steuern unbeliebt machen, und da die Ein kommensteuer, von der jedermann eine Entlastung erwartet, doch nur dazu dienen würde, tiefer in den Säckel des Bürgers hineinzugreifen, wagt man auch nicht, damit Ernst zu machen. — Eine große, zu große fortschrittliche Partei ist am Ruder, die sich zu wohl fühlt, um gefähr lichen reformatorischen Abenteuern nicht das ckoloo kur nient« vorzu- ziehen, wie sie es sich gegenwärtig mit den auf fünf Wochen verlängerten Osterferien gestattet. Waterloo. Man wird in diesen Tagen des Gedenkens in Frankreich das Lied von der alten Gloire nur leise singen. Es wird ein trauerndes Er innern sein, daß just vor hundert Jahren dem Bett der Königin Hortense ein kleines Bübchen enttragen wurde, Bonapartes Neffe, der noch einmal später an die Wirklichkeit des großen Traumes dachte. Mit dem Locklied von der Gloire begann freilich auch er. Als der dritte Napoleon den Staatsstreich beging, jubelte das heitere, sorglose Volk der Franzosen, rühmte sich des ersten Napoleon und schwor in erneutem Rausche den Bonapartes wiederum Treue. Und des Korsen Nesse hatte Glück: bei Solferino schlug er des Oheims Erbfeind so gut auss Haupt, wie's kaum in den Tagen des ersten Kaiserreichs gelang, dann jubelte Italien so laut dem Befreier zu, als hätte er gar Marengo und Lodi auf den eigenen Schild geschrieben. Als Napoleon HI. an der Spitze der Siegreichen 1859 durch die Straßen von Paris einritt, grüßten ibn die begeisterten Franzosen, als wäre er Napoleon I. Und später unter- lag er. . . . Sie spielten ihm dann ärger mit, als sie je dem Oheim mitgespielt hatten, für den sich der Neffe ausaab. Haß, Verachtung. Schmähsucht folgten dem Entthronten ins Exil. Des Kaiserreichs zweiter Zusammenbruch hatte nichts mehr, auch äußerlich nichts mehr vom Pathos, das geschlagene Helden tröstet. Nur die Kläglichkeit blieb. Man bespie sie. Heute wrrd all das in Frankreich nur mehr ein trauerndes Ge- denken sein. Man wird den Groll verwunden oder doch abgeschwäcktt haben, daß der Neffe den Onkel spielen wollte und dabei versagte, man wird vielleicht den einen menschlicher gegen den andern abhcben. Wie beide von ihren letzten Schlachtfeldern schritten, mißt sie allein schon Einmal zog gegen Napoleon I. unabwendbare Gefahr herauf: alle West steht in Waisen gegen ihn, olles, was um ihn ist, verzweifelt. Doch an König Joseph, den Bruder, geht noch ein Schreiben, das die letzte Epvckn — 19. Juni 1815 — diktierte: „Alles ist noch nicht verloren. Ich ver mute, daß, wenn ich meine Streitkräfte vereinige, mir 150 000 Mann bleiben. Die Verbündeten und die Nationalqarden, die beherzt sind, werden mir hunderttausend stellen. Die Reserve: 50000. Ich habe also sofort dreihunderttausend Mann, die ich gegen den Feind führen kann. Ich werde die Artillerie mit Luxuswagen bespannen. .Ich werde 100000 ausheben; ich werde sie mit den Gewehren bewaffnen: ick werde Massenerhebungen in der Dauphins, im Lnonesischen, in der Bourgogne, Lothringen, Champagne veranstalten Ich werde den Feind erdrücken. Nur muß man mir helfen und mich nicht auälcn. Ich gebe nach Laon. Ich werde dort Truppen finden. Ich habe nichts von Grouchy gehört; wenn er nicht gefangen ist. wie ich fürchte, so kann ich in drei Tagen 50 000 Mann haben. Mit ihnen werde ich den Feind in Schach halten, und Paris und Frankreich Zeit geben, ihre Pflicht ;n tun. Die Oesterreicher marschieren lanasam; die Preußen fürchten die Bauern und wagen nicht recht vorznrncken. Alles läßt Och n"ch an! machen. Schreiben Sie mir. welche Wirkung diese schreckliche Schlackn in der Kammer hervorgebracht bat. Ich glaube, daß die Mgeordneten sich überzeugen werden, daß in dieser schweren Lage ihre Pflicht ist. sich nm mich zu scharen, um Frankreich zu retten. Arbeiten Tie darauf bin. d-iß (Ssif mich würdig wirklich unterstützen. Vor allem Mut und Festigkeit!" Und Joseph mag sich auch wirklich Müde gegeben haben, den Kaiser Ivürdig zu unterstützen, aber es war doch schon alles ver- lvren. Bonapartes Brief war am Tage nach Waterloo beschrieben. Bon dem dumpfen, stolzen, zähen Heroentrotz des Ohenns sieht man nichts, da ein Waterloo auch über den Neffen bercinbrickst. Wie der zweite Kaiser auf dem Schlachtfeld stand, wie er von ihm schied, bat man belauscht. „Dos war in der Tat Napoleon HI . . . Sicherlich, er hatte Rot aufgelegt, um nicht das Grauen seiner bleichen, durch die Schmerzen verzerrten Larve mit der spitz gewordenen Nase und den trüben Augen in seiner Armee umherzusühren. Um fünf Uhr benach richtigt. daß man sich in Bazeilles schlage, war er gekommen mit seiner stillen, düsteren Gespenstermiene, mit seinem von Zinnober wieder de lebten Gesicht. Eine Ziegelei war da, die eine Zuflucht bot. Am der andern Seite durchlöcherte ein Kugelregen die Mauern und schlugen die Granaten jede Sekunde aus der Straße ein. Der ganze Zuo war stehen geblieben. „Sire", murmelte eine Stimme, „es ist wirklich Gefahr da." Aber der Kaiser wandte sich um und befahl seinem Generalstad mit einer Gebärde, sich in dem schmalen Gäßchen längs der Ziegelei aufzustellen. Dort wären Menschen und Tiere vollständig geooracn. . . . lind er ritt ganz allein inmitten der Granaten nnd Kugeln vor, ohne Hast, in derselben düsteren und gleichgültigen Haltung, seinem Geschicke entgegen. . . . Dann hielt er an und wartete auf daS Ende, das zu suchen er gekommen war. Die Kugeln pfiffen wie ein Märzsturm, eine Granate zersprang und überschüttete ibn mit Erde. Er martere weiter. Die Mähne seines Pferdes sträubte sich und dessen ganze HaM zitterte in instinktiver Scheu vor dem Tode, der in jedem Augenblick vorüberzog, ohne das Tier, ohne den Mann zu wollen. . .. Und er
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