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22 DAS ATELIER DES PHOTOGRAPHEN. [Heft 2. Gewerbe vergleicht. Wenn wir den Zimmerschmuck aus diesen Jahren uns an sehen, wenn wir die elenden Lithographieen, die schlech ten, kümmerlichen, unkünst lerischen Holzschnitte und die vielfach schon für den Mittelstand unerschwinglich teuren Tiefdruckblätter ver schiedener Verfahren be trachten, so werden wir zugeben, dass damals die Photographie unter den künstlerischen Ausdrucks mitteln, sowohl ihrer Tech nik nach, als auch selbst, wenigstens in ihren besseren Leistungen, ihrem geistigen Inhalt nach einen bedeuten den Platz einnehmen musste. Es kann daher nicht wunder nehmen, dass die damaligen photo graphischen Erzeugnisse ohne Scheu und vollkommen folgerichtig ihren wohlberechtigten Platz als Zimmerschmuck finden konnten und thatsächlich fanden. Heute liegen die Verhältnisse anders. Der gewaltige Aufschwung des Kunstgewerbes, der die begabtesten Künstler in seinen Dienst gezogen hat, der das Alte nachahmt und vertiefend ebensowohl Neues, Unerwartetes, künstlerisch Hochbedeutendes schafft, hat die Photographie in rasend schnellem Fluge so weit überholt, dass selbst zwischen den Produkten des Kunstgewerbes die photographische Leistung, nur einmal als dekoratives Kunstwerk betrachtet, nicht mehr einen an gemessenen Platz findet. Die Photographie ist eben, nachdem sie dem Kunstgewerbe gewissermassen vorausgeeilt war, in der Entwicklung weit zurückgeblieben. Dazu kommt noch folgendes: Während früher der Stoff an Bildwerken, die sich für dekorative Zwecke eigneten, ein geringer war, und für den Mittelstand äusser den sehr minder wertigen graphischen Erzeugnissen nur photographische Werke erreichbar waren, da musste be greiflicherweise die Photographie einen ganz anderen bevorzugten Platz einnehmen als heute, wo ihre eigenen Kinder, die hochentwickelten graphischen Verfahren der modernen Zeit, sich so weit vervollkommnet haben, dass es selbst Unbemittelten möglich ist, wirklich guten und hohen Anforde rungen genügende Reproduktionen zu erwerben und zu dekorativen Zwecken zu verwerten. Wenn daher wieder einmal die Zeit kommen soll, in welcher die Photographie sich einen hervorragenden Platz auf dem Gebiet der Innendekoration erwerben kann, so darf dieses auf den heute ausgetretenen Bahnen nicht geschehen, vielmehr muss auch von ihr ein kräftiger Vor stoss in künstlerischem und dekorativem Sinne, mehr Originalität, mehr künstlerische Vertiefung erfordert werden. Das gewöhnliche photographische Bildnis mittleren Niveaus wird geschäfts mässig, handwerksmässig, zu ausserordentlich billigem Preise erzeugt. Will also jemand noch mit seinen photographischen Leistungen höhere Preise erzielen, will er etwas leisten, was über den Durchschnitt des Handwerksmässigen hinausgeht, so kann dies nur durch neue Mittel in Ausdruck und Technik, in innerem Gehalt und äusserer Form geschehen. Dies muss heute berücksichtigt werden, wenn ein Fortschritt und eine Verbesserung der inneren und äusseren Stellung des Photographen erwartet werden soll.