1902.] DAS ATELIER DES PHOTOGRAPHEN 3 THGESFRRGEN. s ist wunderbar, wie die Mode die Nachfrage nach diesem oder jenem Produkt beeinflusst. Wer jemals ein gutes Glasstereogramm gesehen hat, dem wird zum Bewusstsein kommen, dass keine andere Photographie oder irgend ein sonstiges photographisches Erzeugnis im stände ist, eine derartige eindringliche Vor stellung der Natur zu geben, wie ein solches Stereoskopbild. Dennoch werden heute Stereoskoplandschaftsbilder und stereoskopische Porträts so gut wie gar nicht angefertigt und verkauft. Das Stereoskop und das Stereoskopbild war eine Zeit lang das Objekt eifrigsten Suchens; wie man heute Postkartensammlungen oder Briefmarkenalbums besitzt, so fand man früher fast in jeder Familie ein Stereoskop mit dazu gehörigen Bildern, ja vielfach Stereogrammsammlungen von einer geradezu erstaunlichen Mannigfaltigkeit und Vollständigkeit. Dass Privatleute Tausende von Stereogrammen besassen, von denen ein grosser Teil als prächtige Diapositive auf Glas existierten, gehörte nicht zu den Seltenheiten. Heute ist das Stereoskop aus den Salons fast vollkommen verschwunden und fristet nur hier und da ein mehr als bescheidenes Dasein. Im Interesse der Photographie ist dies zu bedauern, denn gerade die körperliche Lebendigkeit und die verblüffende Naturwahrheit des stereoskopischen Bildes gab eine unerschöpfliche Quelle des Genusses, und zur Erzeugung eines guten und befriedigenden Stereogrammes gehört viel weniger künstlerisches Verständnis als zur Erzeugung einer gewöhn lichen photographischen Auf nahme. Das Stereogramm will wesentlich kein Kunstwerk sein. Es verlangt allein technische Vollendung, und ein guter Standpunkt und ein zufrieden stellender Ausschnitt lassen sich für Stereoskopbilder viel leichter finden als für gewöhnliche Aufnahmen. Forscht man dem Grunde nach, warum das Stereoskop aus der Mode gekommen ist, so dürften sich dafür verschiedene Ursachen finden. Die eine ist das kleine Format, an welches das Stereoskopbild gebunden ist, und die Neigung, sich zur Herstellung von Stereogrammen sehr kurzbrennweitiger Linsen zu bedienen. Hierdurch wird der Genuss an den kleinen Stereoskopbildern für viele Per sonen, besonders für ältere, weitsichtige Leute, beschränkt. Ein fernerer Grund ist die un bequeme Verwendung des Ste reoskops. Das stereoskopische Bild erhält erst seinen Reiz F. Müller-München.