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BezugS-Preit ,ft, n>» Gowrt» durch «ns« Lrt-«r Ä vMdtt»«, tu» -«>» ^bruchtr Lnlaabe - lu« owraen«) »t««»l1L-rllch S «., mnnaüich t »Iu»L«d« L (mörnenl und abeudl) vlerlei- jthrltch 4.S0 nwualltch l.av M. Dur» die P,<» ,» de,tehrn: <2 »al täglich) innerhalb Leuhchland. und der deutschen Kolonien vierteljährlich 5,22 M., nwnaUich 1,72 M. antlchl. Po». destellgeL, ckr Oesterreich 9 L «S d, Ungarn 8 L vterteljthrllch. Ferner tu vei- gien, Dtnemarl, den Lonauftaaten, Italien, Luiewdurg, Niederlande, Norwege», Ruh land Schweden, Schweiz und Spanien. In allen tdrigen Staaten uur dir»« dnrch dt, Lrved. d. »l. erhältlich. «bonnemeat-Snn-bme; lllugustndvlatz 8, bei unseren LrLgern, Filialen, Spediteur»» und Lnnahmeftmen^owte Postämtern u»d Lie einzelne Rümmer lostet Ist lltedaktion und Erpedtttanr Iohannidgass« 8, relevbo- Nr. 146S2. Nr. IE!, Nr. I««Se. Abend-Ausftade 8, äMgerTagMaü Haudelszeitung. Ämtsblatt des Nates und des Nolizeiaintes der Ltadt Leipzig. Nr. 151 Montag 1. Juni 1908. Luzeigeu-Prew sst» Inserat« »ue l!etpz>I und Umgednna die S gespalten» Petitzetl« 2d Ps., stna^,,«ll« Suzeigea 30 W., riellame» 1 Pi.; »an au,wärt« SV Ps., «rklame» I.2V vt^ »in Lutlaad SV Ps., stnanz. Anzeigen 72 Pl„ «eklaine» «. Inserate «. vehdrde» tu amUichea LeU ävPs. Beilage,»dühr SM.,. Lausend exv. Poft, gebühr. Geschäft,anzeigen an berorzugtrr Stelle u» Preise erhöht. Rabatt nach Laris Fest erteilt« Lusträge lSaaeu nicht zurück- gezogen werden. Für da, ftrscheweu au deftumntea Lagen und Plätzen wir» kein« Garantie übernommen. Anzeigen-«uaahmei Luguftutplatz 8, bei sämtlichen Filiale» u. allen Lnnoncea- Gkpeditionea de. In» und Lutland««. Hautzt-Filiale Berlin i Carl Lu acker, Herzogl. Bagr. Hesbuch» Handlung, Lützowstrahe Ivi (Lelephon Vl, Nr. 4603). Paupt-SUtale Lretden: Seeftrahe 4, l (Lelephon 4621). 102. Jahrgang. Das wichtigste vom Tage. * Vor dem Reichsgericht begannen heute vormittag die Verhand lungen gegen den Schriftsteller Mathias genannt Max Schl- wara wegen Verrats militärischer Geheim nisse. Die Öffentlichkeit wurde für die Dauer der Verhandlungen ausgeschlossen. lS. Bericht.! * Auf Samos ist die Lage sehr kritisch. Türkische Truppen Haden die Plätze der Insel besetzt. (S. bes. Art.) * Nachrichten aus B a m in Südpersien besagen, daß 700 gut be waffnete Afghanen die Stadt Regan westlich der Kirmanwüste besetzt haben. Der korifiszi-pte Aienzl. Vor kurzem erschien in der Sammlung von Charakteristiken, die der Virgil-Verlag unter dem Titel „Persönlichkeiten" herausgibt, ein Buch „Kaiser Franz Josef I.". Der Verfasser war Hermann Kienzl, der in Oestereich und Deutschland rühmlich bekannte Poet, dem dichte risches Anschauen und Empfinden einige der schönsten Kritiken gelingen ließ, die wir heut in deutscher Sprache besitzen. Nun hatte Kienzl seine Begabung, schöpferischen Menschen auf die Spur ihrer Sendung zu kommen, einmal ins Politische gewendet und uns zum Jubiläum des greisen Habsburgers diesen Mann geschildert, dessen Seele doch nicht so ganz einer planen, klüftelosen Ebene gleicht, wie derjenige glauben muß, der den Monarchen nur aus seinen kargen, geflissentlich banalen offiziellen Aeußcrungen kennt. Kienzl hatte uns ein Bild gemalt, das allerdings nicht aus der Werner-Schule stammt. Er hatte den Kaiser, den wir heute alle kennen und lieben, vor uns „werden" lassen, ihn in der Determinierung seiner Anlage, seiner Erziehung, seiner Stellung, seiner Umwelt gezeigt und Menschliches menschlich gesehen. Aus jeder Heile des Buches sprach neben kluger Einsicht in die politischen und öko nomischen Normen, die das Leben eines großen Volkes bestimmen, das liebevolle Verständnis eines tapferen und milden Menschen für die Läuterung, die Zeit und Geschick an einem im Purpur geborenen, fehl baren, aber tüchtigen und achtungswerten Manne vollzog. Schwung und Wärme sprach aus dem Buche und jene hohe literarische Redlich, leit, di« Kienzls Verehrer so sehr an ihm schätzen. Es wäre lächerlich, diesem Schriftsteller zuzutrauen, daß er den Kaiser bei solchen! Anlaß vom Ausland aus tückisch anfallen wollte; kein unehrerbietiges, kein gehässiges Wort ist in dem Buch enthalten, aber freilich, Kienzl hat die Wahrheit nicht verfärbt und nicht verschminkt, er hat den Kaiser nicht, wie es heut leider üblich ist, zur Heldenpuppe idealisiert und er kann den freiheitlichen Pulsschlag seines Blutes nie verleugnen. Zum Hof- Historiographen eignet er sich nicht, trotzdem aber durfte er an dem alten Kaiser so vieles loben, daß sein Buch als eine Huldigung gellen kann, die um so schöner ist, weil sie der Wahrheit nicht nahm, was sie dem Herrscher zusprach. Dieses Buch ist jetzt in Oesterreich konfisziert worDen, ganz wie vor einigen Monaten Hermann Bahrs zelotische, aber geistsprühende Studie „Wien". Sonderbar! In Deutschland sagt das Publikum: „Ja, dieses Oesterreich. Es hat doch ganze Kerle und es verjüngt sich wunderbar. Was da jetzt aus Schule und Rechtspflege herübertönt, das ist sehr beachtenswert, und wie wertvolle Gaben verdanken wrr seiner Kultur!" Dann aber ist auch schon der Staatsanwalt zur Hand und zerfetzt die Bücher, auf die Oesterreich, wie uns scheint, stolz sein müßte. Und dann hören wir von einem Bauernsturm, der die Universitäten bedroht, und vernehmen staunend, daß die Regierung die dumpfe Wild heit tatlos gewähren läßt. . . . Barbarei und Kultur ringen mitein ander. Barbarei und Kultur, sagte der alte Goethe, seien die einzigen ihm wahrhaft wichtigen Dinge. Seit er starb, sind dem Deutschen anoere Dinge wichtig, allzu wichtig geworden. Auch heute wird mancher Leser sagen: Was geht es uns an, ob in Oesterreich ein Buch konfisziert wird! Ob ein Buch konfisziert wird oder nicht, das ist nicht nur für den engen Berufskreis der Schriftsteller, sondern für uns alle von Der größten Bedeutung. Das vielbelächelte Flammenwort des Maltesers: „Geben Sie Gedankenfreiheit!" bleibt einem wahrhaft gebildeten Volke stets die höchste Angelegenheit. Nur die Freiheit des Gedankens, der Lehre, des Wortes in Rede und Schrift kann uns das Gute, das wir schon be sitzen, erhalten, das Beste, das wir noch erstreben, erringen helfen. Wie Granit sollte die Forderung stabiliert werden, daß, wo die deutsche Zunge klingt, die Wahrheit ihre Stätte habe. Auf Sauros. Im Machtbereiche des kranken Mannes am Bosporus ist ein neuer Brand entstanden, der dem Sultan im Hinblick auf Mazedonien und Armenien höchst ungelegen kommt. Aus der Insel Samos, eine der ansehnlichsten Inseln des Aegäischen Meeres, die namentlich durch ihre Weine bekannt ist, kam es zu einem Konflikt zwischen den Ein wohnern und dem Fürsten der Insel. Tie Insel gehört, wie wir schon vor einigen Tagen erwähnten, zum türkischen Jnseiwilajet und ist laut Londoner Protokoll vom 10./11. Dezember 1832 der Pforte tribut pflichtig, genießt aber sonst eine Ausnahmestellung. Die Pforte ernennt nur den Fürsten und erhebt die jährliche Abgabe. Im übrigen hat Las kleine Fürstentum eine vollständig ausgebildete eigene Verwaltung mit einer Kammer von 40 Mitgliedern. Offenbar haben diese Faktoren nicht den besten Jaden zusammen gesponnen, vielleicht auch, weil die Türkei den Bestrebungen auf An- äliedcrung der Jusel an Griechenland einen Riegel vo'-schieben wollte. Zwar wird cs von griechischer Seite als unrichtig bezeichnet, Laß die Ereignisse auf Samos mit einer panhellenischen Bewegung zusammenhängen, und betont, es handele sich einfach um Streitigkeiten Mischen den Einwohnern und dem Fürsten, der das Einberusen einer Versammlung nicht gestatten wollte. Die Türkei scheint aber doch an derer Ansicht zu sein, sonst würde sie sich kaum in die Unkosten der Ent sendung von Truppen stürzen und den Beistand der Mächte anrufen. Wie jetzt berichtet wird, bat die bewaffnete Bevölkerung die Berge außerhalb der Hauptstadt besetzt, weshalb neue Zusammenstöße mit den Truppen zu befürchten seien. Tie türkische Regierung hat von den Mächten die Entsendung von Kriegsschiffen verlangt, doch erklärten die Botschafter der Schutzmächte, sich nicht eher für Samos verwenden zu können, bis die Ruhe wiederhergestellt sei. Mittlerweile sind zwei türkische Kriegsschiffe vor Samos eingetroffen. Ter Fürst hat eine Proklamation erlassen, tn der er die Bevölkerung zur Ruhe auffordert und verspricht, ihre Privilegien un- angetastet zu lassen. Tie Bevölkerung scheint dem Fürsten zu miß trauen. Nach den Depeschen Reut-Paschas baden die türkischen Truppen nach heftigem Kampfe die Insel Samos besetzt. Die Insurgenten sind in das Innere der Insel geflüchtet. Der Führe« L> u s u l i, welcher sich über das Meer nach Griechenland fluchtete, wird von einem türkischen Schiffe verfolgt. — Tie Bevölkerung von Samos Hal den Fürsten Kopassi Efundi für abgesetzl erklärt. Ter Fürst wurde von der Menge schwer mißhandelt. Als sem eventueller Nachfolger ist der bisherige Adjunkt des Malis von Saloniki, Konsti- nides-Pastha, in Aussicht genommen. Gerüchtweise verlautet, daß das russische Kriegsschiff „Kubanetz" auf Samos Truppen abgesetzt habe. Deutsches Reich. Leipzig, 1. Juni. * Dem Reichstag wird im Herbst bei seinem Wiederzusammentritt der Entwurf des Gesetzes über die Erhöhung der Offiziers- geb älter zugeben. Es handelt sich dabei, nach einer Mitteilung der „Kölnischen Zeitung", um die unteren Dienstgrade, und die Erhöhung soll wie bei den Beamten rückwirkende Kraft auf den 1. April I90S erhalten, wozu ein Nachtragskredit nötig wird. Das Gesetz bringt eine völlige Veränderung der Gehaltsordnung. Die neuen Gehaltsstufen steigen auf nach dem Dienstalter, oder richtiger gesagt, nach dem Besoldungsalter, das für das Aufsteiger» in die höhere Stufe allein maßgebend ist. Die neue GebaltSvorlage wird die überraschende Aenderung aufweisen, daß bei den Hauptleuten drei Gehaltsklassen eingesührt werden und zu den bisherigen beider Klassen noch eine höhere Klasse hinzutritt. Für Oberleutnants und Leutnants gibt eS nur eine GehaltSklasse, die aber zwischen einem Mindest- und Höchstgehalt in einzelne Gehaltsstufen eingeteill ist, deren jede mit weiteren vier Besoldungsjahren erreicht wird, bis die höchste Stufe erreicht ist. Ueber die Höhe der einzelnen Gehaltsstufen lassen sich zurzeit zuverlässige Angaben noch nicht machen. * Die Kolonialgesellschast zur Marokkofrage. Auf der Hauptver sammlung der Deutschen Kolonialgesellschast, die am 12. Juni in Bremen statlfinden soll, dürften auch die politischen Borgä^ in Marokko und ihre Rückwirkung auf Deutschlands internationale Macht stellung einen breiten Raum in den allgemeinen Erörterungen einnehmen. Die Abteilung Allenstein stellt für die Tagesordnung schon jetzt folgenden Antrag: „In Erwägung, daß durch das eigenmächtige Vorgehen der Franzosen in Marokko die Etnflußverhältnisse der europäischen Staaten entgegen dem Geiste der Algeciras-Abmachung in einseitiger Weise zugunsten Frankreichs verschoben werdens daß die Unruhe im Lande hierdurch statt gemindert, nur immer mehr ge steigert und jede friedliche Entwickelung gehemmt wird, daß insbesondere unser blübeuder Handel in Casablanca dadurch in der nachteiligsten Weste beeinflußt wird, richtet die Deutsche Kolonialgesellschast an den Herrn Reichskanzler das Er- suchen, mit eindringliche» Mitteln daraus hinwirken zu wollen: „daß Frankreich seiner Zusage gemäß baldigst seinem kriegerischen Vorgehen in Marokko ein Ende setzt, insbesondere Casablanca räumt, daß Vorkehrungen getroffen werden, um einer Wiederholung der gegenwärtigen Verhältnisse vorzubeugen, daß, wenn eine Revision der Algeciras-Abmachung erfolgt, dies lediglich im Sinne einer Feuilleton. Mr sollen es mit den Kindern machen, wie Gott mit uns. dec uns am glücklichsten macht, wenn ec uns in freundlichem Wahn so hintaumeln läßt. Goethe. * wiener Irrbilärrnrsrrrnrnrel. Von Camill Michael. Wien, Ende Mai. In diesen Tagen wird Wien mit Brettern vernagelt. Man baut Tribünen. Am 12. Juni vormittags wird sich der Festzug anläßlich des Kaiserjubiläums vom Prater über die Ringstraße bewegen, und den ganzen Weg entlang baut man jetzt schon Zuschauertribünen. Sie sollen achtzigtausend Zuschauer fassen. Denn es wird diesmal im großen ge- arbeitet, Patriotismus hat sich mit Geschäftlichkeit vereinigt. Zuerst dachte man daran, Plätze für mehr als zweihunderttausend Menschen zu schaffen, aber die Polizei redete dazwischen. Denn es hätten alle Strahenzugänge mit den Tribünen verbarrikadiert werden sollen, und da- schien gar zu ge- fährlich. Bei irgendeinem Unfall hätte es keinen Ausweg gegeben. Also beschränkte man sich auf ein Drittel, indem man sich auch sagte, daß eS ebenfalls ein Publikum gibt, das sich keine Sitzplätze leisten kann und das immerhin darauf Anspruch erheben darf, den Festzug, diese volkstümliche Huldigung für den greisen Monarchen, zu sehen. Die Strahenpassagen sind offen geblieben, aber man muß sagen, daß der Tribünen noch immer zu viele sind. Dicht nebeneinander ziehen sie sich über die Ringstraße, zu beiden Seiten zwischen den Alleen, bis zur Höhe der Baumkronen, etwas spärlicher in der Praterstraße. Den Verkehr stören sie ohne Zweifel in hohem Maße, und zur Schönheit unserer prächtigen Ringstraße tragen sie gewiß nicht bei. Wochenlang, eben bis zum Tage des Festzuges, werden wir Wien auf diese Weise vernagelt sehen. Anderswo hätte man die Tribünen drei Tage, bevor sie nötig werden, errichtet, sie wären fix und fertig geworden. Aber hier, wo man das Lied singt: „Nur langsam, langsam, sonst kommt die Polizei", hat man vier Wochen früher ange- fangen. Und wer weiß, ob alles rechtzeitig parat sein wird? Wenn Stimmen gegen den Wiener Festzug laut geworden sind, so haben sie unrecht gehabt. Man hat die Sache so dargestellt, als wäre die Abhaltung vom Kaiser erpreßt worden. Es ist wahr, daß der Kaiser, zumal unter dem Einfluß kaum überstandener Krankheit, sein Regierung», jubiläum zunächst mit keinen Festlichkeiten feiern lassen wollte und den Wunsch aussprach, man möge daS Jubiläum durch wohltätige Stiftungen, besonders zum Wohle des Kindes, begehen. Aber er begriff gleich darauf das Bedürfnis de» Volke», seine Gesinnung in einer weithin sichtbaren Kundgebung darzutun. Waren auch gewisse Gründe, die die Wiener Ge- werbetreibenden ins Treffen führten, die Aussicht auf einen ungeheuren Fremdenzufluß, mitbestimmend, so waren sie doch nicht entscheidend. Den Ausschlag gab wirklich die Erwägung, daß eine großartige Manifestation der politischen Stimmung der Massen entspreche. Daran ist nichts auSzu- sehen, nichts zu tadeln. Aber vielerlei, was an dem Festzug hängt, ist zu kritisieren. Von den Tribünen habe ich schon gesprochen. Die Geduld der Laden inhaber, vor deren Geschäfte man hölzerne Mauern baut, kommt mir engelhaft vor. Ich finde es erstaunlich, daß nicht ein paar tausend Kauf, leute revoltieren. Jedenfalls ist es bezeichnend für die sanfte Gemütsart der Wiener. Man geht an ihren Läden vorüber wie in einem Schacht, und darum geht man lieber gar nicht vorüber. Man könnte nicht vor den Auslagen stehen bleiben, weil Stockungen auf dem Trottoir eintrcten würden. Vier Wochen lang müssen all diese Geschäftsleute auf einen großen Teil von Käufern verzichten. Zu ihnen gesellen sich die Kaffee- Hausbesitzer. In Wien ist eS Sitte, daß im Frühjahr sich all diese Kaffee- Häuser auf die Straße ausleeren. Man stellt die kleinen Tischchen vor das Haus und sitzt, soweit es das Trottoir gestattet, im Freien, nur von ein paar Lorbeer, oder Oleanderbäumchen vom Strahcntumult getrennt. Die Wiener sitzen bekanntlich im Cafe stundenlang. Sie trinken hier nicht bloß ihren Schwarzen und ihre Melange, sie lesen hier auch sämtliche Blätter und Revuen von Europa und den angrenzenden Weltteilen. Im Winter. Aber in der warmen Jahreszeit sitzen sie auch einfach da. ver- bauen bloß und blicken in das Auf und Ab der Straße, schauen den vorbei flutenden Passanten nach, den schönen Frauen und den eleganten Herren in den vorbeirollenden Wagen, genießen das Bild der lebendigen Straße. Dieser Genuß ist ihnen heute abgcschnitten, vernagelt. Sie haben auf der kilometerlangen Strecke Praterstraße-Ringstraße nur die reizvolle Aussicht auf eine kahle, öde, blöde Bretterwand. Auch die Kaffeehausbesitzer revol. tiercn merkwürdigerweise nicht. Man fragt sich: Aus Loyalität? Ach nein, aus Sanftmuti Dafür sind die Tribünen der Zorn aller, die sich keine Plätze -auscn können. Und derer sind viele. Für viele sind die Preise unerschwinglich. Ter Festzug ist eine teure Geschichte, und um das Geld, das er kosten wird, Halbwegs hereinzubekommen, haben die Patrioten nicht gerade niedrige Preise für die Sitze ausgeschrieben. Die billigsten sind längst vergriffen; sicherlich befinden sie sich in den Händen schlauer Agioteure. In den letzten Tagen vor dem Festzug werden sie mit ihnen berausrücken, mit einer entsprechenden Preiserhöhung natürlich. Wenn sie sich nur nicht verrechnen! Augenblicklich gehen noch die Plätze zu dreißig und vierzig Kronen herzlich schlecht ab. Allerdings kam das internationale Publikum als Käufer noch nicht in Betracht. Denn die Fremden aus dem Auslande werden erst unmittelbar vor dem Festzug in Wien eintreffen und die Preise werden dann mit einemmal emporschnellen. Einer ausgeprägten Komik entbehrt die jetzt herrschende Jagd nach Fenstern nicht. Wer irgendeinen noch so flüchtigen Bekannten hat, dessen Wohnung gegen die Feststraße zu gelegen ist, sucht ihn nun auf, um sich die Aussicht auf den Festzug zu sichern. Da werden nun längst aufgegebene Freundschaften und Verwandtschaften aufgefrischt, die unsympathischsten Kollegen um- worben. Ein Fenster, da» auf die Feststraße geht, ist das begehrteste Ding. Bei guten Bekannten kostet e» vor allem nichts und dabei gewährt eS einen schöneren Anblick al» die niedrigen Tribünen. Aber die Leute sind zumeist zu habgierig, um ihre Wohnungen ihren Bekannten zu überlassen. Sie vermieten sie lieber zu kostbaren Preisen, nützen die seltene Gelegen- heit zu einem glänzenden Geschäft au». Grundsätzlich haben sie recht darin. Denn sicher würden sie sich durch das Verschenken der Aussicht keine neuen Freunde machen. Jeder kommt ja nicht allein, sondern stellt seine Ansprüche für sich, für seine Frau, für seine Kinder, für seine Geschwister, für seine Verwandten bi» in» dritte und vierte Geschlecht, für seine Dienstboten womöglich und seine Geschäftsfreunde. Wer also so eine be- gehrte Wohnung und nicht zugleich da» Herz hat, alle Wünsche schlankweg nnd ausnahmslos abzulehnen, ist der unglücklichste Mann und würde gewiß selbst gern ausziehen und seine Zimmer den liebenswerten Reflektanten überlassen, die er ja doch nicht alle befriedigen kann und absolut nicht in gleicher Weise, und die er daher gründlich böse macht. Ist man also kein hartgesottener Geschäftsmann, so ist man nur zu bedauern, wenn man zu- fällig an der Prater- oder Ringstraße wohnt. Zu bedauern wegen der un- zähligen Besuche, die man jetzt täglich von Bewerbern um seine Fenster empfängt, wegen der unermeßlichen Belästigungen, denen man standzuhal. ten hat, und wegen der unerfreulichen Folgen. Wird man es glauben, daß Hausherren ihren Parteien gekündigt haben, um die Wohnungen für den Tag des Festzuges frei zu erhalten und sie an Fremde zu vermieten? Wie billig werden diese Zuschauerplätze sein, wenn sic riskieren, den Zins für ein Viertel, oder ein halbes Jahr zu verlieren? Es ergeben sich viele possenhafte Situationen, aber zu vieles an diesem Treiben ist sehr ärgerlich. Nicht sonderlich erbaulich ist zu vernehmen, daß zahlreiche Gewerbetreibende, die für den Festzug Lieferungen zu machen hatten, übertriebene Preise stellten, bei all ihrem Patriotismus. Im Ge- meindcrat kam es deswegen zu erhitzten Debatten, zu Klagen und An- klagen, so daß der Bürgermeister Dr. Karl Lueger keinen Anstand nahm, zu erklären, daß ihm die Sache schon zu einem gewissen Körperteile der- aushinge. Mein Gott, es ist nicht delikat ausgedrückt, aber durchaus be greiflich. Tas Trum und Dran an dieser festlichen Veranstaltung ist höchst unfcstlich und reich an Peinlichkeiten. Aber wie immer — dem Festzug selbst wird cs nicht schaden. Ja, cs schadet nicht einmal der Stimmung. Im Gegenteil, dadurch, daß man in einem fort von den Dingen redet, sich über sie ereifert, sie kritisiert, schimpft und sich ärgert, entbrennt die Lust gleichsam, man wird geladen von Spannung, von Erwartung, von dieser ansteckenden Elektrizität, und wird der Fcstzug ein. mal da sein, so wird man an all das nicht denken, und wird er keine Enttäuschung bringen, so wird es vergessen sein. Die Farben und der prunkende Glanz des Festzugcs, den Makart im Jahre 1879 den Wienern gab, brennen noch heute in den Gehirnen der alten Wiener nach. In den untersten Volks- schichten kennt man den Namen des einen Malers: Makart, als wäre er größer als Michelangelo, Dürer und Rembrandt zusammengenommen. Cs Ivar nicht ein Bild, sondern eine geniale künstlerische Tat, die cr damals in die Welt gesetzt hatte. Sie hat ihn über die Maßen populär gemacht. Nach seinen Bildern wird man ihn bald nicht mehr beurteilen können. Er hat seinen Farben so viel Sikkativ beigemcngt, daß sie nunmehr schwarz werden und auSlöschen. Er mußte zu rasch malen, wie er zu rasch lebte, und konnte nicht warten, bis die Farben trockneten. So bat er dem Farbcnrausche kein langes Leben verliehen. Aber, obwohl die Prachi des Festzuges noch viel ephemerer, flüchtiger war, sie lischt aus dem Ge. dächtnis des Volkes nicht aus. Wie eine Sagengestalt lebt heute schon HanS Makart unter den Wienern, ein Symbol üppiger Schönheit und strahlender Kunst. Man erzählt Märchen von seiner Lebensführung, nennt die Damen der Gesellschaft, die ihre nackten Reize dem Künstler offenbarten, um von seinem Pinsel verherrlicht zu werden, raunt sich von den orgiastischen Empfängen in seinem Atelier zu. Ja, wenn der Makart heute noch lebte, sagen viele Wiener, wäre dieser Festzug wunderbar. ES liegt aber kein Grund vor, daran zu zweifeln, daß auch der Fest- zug vom 12. Juni wunderbar werden wird, ohne Makart. Dessen Zug war ein allegorischer, und die Originalität de» neuen Festzuges besieht darin, daß cr ein historisch-ethnographischer sein wird. Er wird nicht bloß die Entwicklung Oesterreich» unter den Habsburgern veranschaulichen, sondern auch die ganze Buntheit der nationalen Zusammensetzung der Monarchie oorführen. ES ist bedauerlich, daß die Tschechen und die Mähren sich auSschließcn, denn sie schaffen eine empfindliche Lücke. Aber sie fühlen sich gekränkt, weil in Wien da» Gastspiel des Prager tschechischen