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Zur Theorie des photographischen Prozesses. Von Karl Schaum. n dem Meinungsaustausch über die Natur des latenten Bildes ist meine frühere Mitteilung über die Silberkeimwirkung beim Entwicklungsvorgang 1 ) von verschiedenen Seiten — zum Teil in nicht einwandfreier Weise — zur Stütze der einen oder der anderen Theorie herangezogen worden. Es sei mir deshalb gestattet, im folgenden meinen Standpunkt etwas eingehender darzulegen; vielleicht können die Ausführungen durch Besprechung einiger bisher wenig oder garnicht berührter Punkte zur Klärung in dieser wichtigen Frage beitragen. I. Das latente Bild. Die drei Theorien, welche zur Erklärung des Verhaltens des latenten Bildes aufgestellt worden sind, wollen wir, wie üblich, als Struktur-, Subhaloid- und Silberkeimtheorie bezeichnen, und es soll im folgenden der Versuch gemacht werden, jede der drei Theorien auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen. I. Die Strukturtheorie. Unter der Bezeichnung Strukturtheorie mag eine Reihe von Theorien zusammengefasst werden, welche die gemeinsame Grund- anschauung haben, dass das Halogensilber der empfindlichen Platte durch Belichtung keine Änderung in der chemischen Zusammensetzung, sondern nur eine Änderung in der „Struktur“ erleide. Strukturänderungen können durch verschiedene Vorgänge herbeigeführt werden; wir wollen sehen, welche von diesen Vorgängen das belichtete Bromsilber entwicklungsfähig machen können. Krystallisationstheorie. Verschiedene Forscher, z. B. Lagermac 2 ), sind der Ansicht, dass das amorphe Halogensilber durch Belichten krystallinisch werde und in diesem Zustand sich leichter reduzieren lasse. Dass das Licht die Krystalli- sation amorpher Substanzen fördert, ist thatsächlich, z. B. am Zinnjodür 3 ), beobachtet worden 4 ), (die von Lagermac angeführten Beispiele Schwefel und Phosphor sind wenig glücklich gewählt) doch ist mit dem Übergang aus dem amorphen Zustand in den krystallinischen ein Verlust an freier Energie verbunden; krystallisiertes Halogen silber ist demnach schwerer reduzierbar, als belichtetes; folglich kann die Krystalli sationstheorie die latente Bildentstehung nicht erklären, man müsste denn die im folgenden Absatz zu besprechende Voraussetzung heranziehen. Wenn Lagermac zur Stütze seiner Theorie anführt, dass gefälltes amorphes Ag Br vom Entwickler nicht reduziert werde, wohl aber geschmolzenes krystallisiertes, so wird dies darauf zurückzuführen sein, dass Lagermac das geschmolzene Ag Br in einer Reibschale zerkleinert hat, wodurch bekanntlich Halogensilber sehr entwicklungsfähig wird. Dass amorphes Ag Br ebenfalls — wenn auch langsam — reduziert wird, hat Abney 5 ) bewiesen. 1) Archiv f. wiss. Phot. I, 139. 1899. ) British Journ. of Phot. 9. 4. 1897. 3) Warden, Pharm. J. Transact. [4] 4, 61. 1897. Chem. Centr. I, 456. 1897. ) Solche Beeinflussungen von Krystallisationsvorgängen scheinen mir aus dem Grunde inter essant, weil bei ihnen das Licht wahrscheinlich katalytisch wirkt. 5) Philos. Mag. (5) 3, 46. 1877.