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Die Stirn. 433 das Gesicht ähnlic ist, und fann deshalb einen solchen Jabel nicht begreifen. Er wird ihn aber begreifen lernen, wenn er berücksichtigt, dasz jeder Wensc eine zweifache Aehnlichkeit auf feinem Portrait beanspruchen fann, nämlich bie der Form und bie des Geistes, des Charakters, der sic oft sehr spre- chend in der Stirnbildung zu erkennen gibt. „Wanche Künstler unserer Jage hegen bie Ansicht, das bie phrenologischen Siegeln, auc wenn fie auf Wahrheit begründet feien, für bie Kunst nur untergeordneten Werth hätten. Sin Bild, meinen fie, könne vortrefflich fein trot vieler phrenologischer Fehler; es könne sic den Beifall und bie Anerfennung aller Anderen erwerben, ganz unabhängig von dem Beifall der Phrenologen. Allein dies ist ein großer und sonderbarer Jrrthum. Denn ein Bild verliert durch einen phrenologischen Fehler in den Augen des Michtphrenologen ganz genau ebensp viel, als in den Augen des Phrenologen, der lInterschied ist mir, das der Phrenvlog sic über fein ungünstiges Ilrtheil Mechen- schaft zu geben weiß, der Vichtphrenolog nicht. Jenn alle Menschen sind ja Physiognomiker und alfo, ba ber Kopf so gut jur Physiognomie geßort wie das Gesicht, zugleic un bewußte Phrenologen. Jie Phrenologie verhält sich daher zur längst gelaunten und geübten Phsiognomif des Ropfes mir wie bie Theorie jur Pragis, wie bie Erklärung zur Sachze. Wenn j. B. ein Künstler einen denkenden Mann mit flacher, eingedrückter Dberstirn darstellen wollte, so könnte dies ihm trot alles in ben übrigen Gesichtszügen ausgesprochenen Geistes nicht gelingen; das Bild würbe ben, ber nicht weiß, baß bie Organe ber Denfkräfte an ber oberen Stirn liegen, gerade so wenig ansprechen, als ben, ber es weiß, und fo in allen anderen Fällen." (Scheve.) Man batte dem nicht gegenüber, baß bie Photographie uns bie Berhältnisse der Stirn im bestimmten Verhältnis ihrer Eheile zu einander gebe, baß alfo das soeben von dem bildenden Künstler Gejagte bezüglic ber Photographie leine Vedeutung habe. Ein photo- graphisches Portrait, vorausgesetst, baß es nac allen Richtungen hin vollendet ist, gibt uns allerdings bie Stirn im natur- gemäßen Verhältnis ihrer Theile wieder; wie leicht ist aber ober wirb dieses Verhältniß durc bie Hand des Retoucheurs Arnold, Tie Aegativretouche. 29