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Archiv für wissenschaftliche Photographie. I. Jahrgang Heft 5. 1. Mai 1899. Eine Theorie der photographischen Entwickelung. Von R. Abegg. ■ ie einfachste Annahme, die man über den Gang der Entwickelung eines photographischen Bildes machen kann, wenn man die Entwickelbarkeit an das Vorhandensein von Silberkeimen 1 ) gebunden erachtet, ist die, dass die in der Zeiteinheit durch den Entwickler abgeschiedenen Silberkeime an Zahl proportional sind den ander betreff enden Stelle im Augenblick vorhandenen Keimen. Es soll zunächst diese Annahme mathematisch formuliert und dann in ihren Konsequenzen an der Erfahrung geprüft werden. Bezeichnen wir die Entwickelungsgeschwindigkeit v als die in der kurzen Zeit dt d x abgeschiedene Zahl dx von Silberkeimen, so ist nach unserer Annahme 7 = d t proportional der Zahl der an der betrachteten Stelle der Platte vorhandenen Silber keime. Es möge nun die Platte — entsprechend dem Reifungszustande der Emulsion oder durch „Vorbelichtung“ — die konstante Zahl von a Keimen („Vorbelichtungs- 1) Es ist für das Folgende unwesentlich, ob die Substanz des latenten Lichtbildes ebenfalls metallisches Silber, oder ein Subhaloid ist, da letzteres beim Beginn der Entwickelung auch metallische Silberkeime bildet. Abegg, dieses Archiv 1, 15. 1899; dagegen Eder, Phot. Corresp. 1899, 276. Herr Prof. Scheiner spricht bereits in seiner „Photographie der Gestirne“, S. 240 ff. (1897), die An nahme aus, dass das Belichtungsprodukt der Platte metallisches Silber sei, und weist auf die — zuerst von Ostwald [Lehrb. d. allgem. Chemie (2. Aufl.) II, I, 1078] betonte — Analogie des Entwickelungs vorganges an solchen Silberkeimen mit der Aufhebung von Übersättigungen an Krystallkeimen hin. Seine weitere Annahme, dass die Bromsilberteilchen „nicht von gleicher, sondern sehr verschiedener Empfindlichkeit“ seien, weil sonst „bei der geringsten wirksamen Belichtung sämtliche Körner reduzierbar geworden sein müssten“, ist zunächst unwahrscheinlich, weil kein Grund für eine Verschiedenheit der Bromsilberteilchen ersichtlich ist. Sie ist aber auch unnötig, weil die von Herrn Scheiner als Argument benutzte Thatsache sich nach den Ausführungen in dieser Abhand lung folgendermassen anders verstehen lässt: für die Entwickelbarkeit kommt es danach nicht darauf an, dass überhaupt ein metallischer Silberkeim vorhanden ist, sondern wieviele derselben; und dass eine schwache Belichtung in ein geringeres Quantum chemischer Energie umwandelbar ist, d. h. weniger Silberkeime erzeugt, als eine stärkere, ist ja nichts anderes als das Gesetz von der Erhaltung der Energie. Die weiteren interessanten Ausführungen Herrn Scheiners über die Wirkung von Vorbelichtungen stehen in schönstem Einklang mit den obigen Darlegungen. Michalke macht (loc. cit. S. 114) die Annahme, dass die durch Belichtung veränderten Brom silberteilchen nicht allein proportional der Belichtung seien, sondern auch der Anzahl der in dem Augenblick noch unveränderten. Dies würde nach dem chemischen Massenwirkungsgesetz die Annahme involvieren, dass verändertes und unverändertes Bromsilber ein homogenes System bildeten. Nach unserer Grundannahme jedoch, wonach das veränderte Bromsilber metallisches Silber ist, stellt das Reaktionssystem ein heterogenes dar, bestehend aus den beiden Phasen Silber und Bromsilber, deren aktive Massen gegeneinander konstant sind; dem entspricht unsere einfache Annahme der Unabhängigkeit der Belichtungskornzahl von der Menge des veränderten Bromsilbers. Natürlich ver lieren unsere Formeln ihre Gültigkeit stets dann, wenn infolge Mangels an unverändertem Bromsilber ihre Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind.