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hat, sobald er über die schlimmsten Fehlgriffe in malerischer Beziehung hinaus ist, meistens in die Bahnen und die Schrittart der Berufs photographie hineingelenkt werden, sei es durch Vereine, sei es durch einseitige Fachlitteratur oder durch Verkehr mit Berufsphotographen selbst. Und das wird um so leichter von statten gehen, je weniger solid seine technischen Kennt nisse sind und je ferner er dem Kunstleben überhaupt steht. Bald ist er so weit, dass er in die schönste Landschaft — weil er bei der Aufnahme gerade keine farbenempfindliche Platte zur Hand hatte — Wolken, womöglich gekaufte, hineinkopiert. Dann fängt er bei Porträts schleunigst an zu stellen, zu beleuchten, „auf zuhellen“ u. s. w. und vertauscht so das Naive und Belebende des Amateurphotogrammes gegen das Konventionelle und Gezwungene der Be rufsphotographie. Vor allen Dingen aber — und das ist das Grundübel — fängt er an zu retouchieren! Erst zaghaft und schüchtern. Später, wenn er merkt, dass diese „Kunst“ nicht so arg schwer zu erlernen sei, wird er mutiger und kühner, und bald haben seine Bilder die vollendete Glätte und Nüchternheit der bekannten „Visits“ und „Kabinetts“ erreicht, ja, wenn es möglich wäre, noch übertroffen. Damit ist aber der strebsame Amateur noch nicht zufrieden! Jetzt greift er zu Pinsel und Palette, zu 01-, Lasur- und anderen Farben. Nun ist der Gipfel der Geschmacklosigkeit er reicht und gleichzeitig jeder Logik ins Gesicht geschlagen. Denn ein Photogramm, in welchem nicht nur die Konturen, in welchem nicht nur die Flächenbildung, nicht nur Licht und Schatten, sondern ganz 1 besonders auch die Farben ihrem Werte nach durch Schwarz und Weiss zum Aus druck gebracht werden, ein Photogramm zu kolorieren, d. h. mit durchscheinenden Farben zu übermalen, das ist unlogisch, widersinnig, zu viel des Guten und zeitigt dementsprechend widerwärtige und unästhetische Resultate. Photo gramme aber mit Deckfarben zu übermalen, das kann ich — ebenso wie jede Retouche — nicht mit ptt yoassw bezeichnen, sondern das ist meiner Meinung nach eine Art Öl- oder Guache- malerei. Und der Autor stellt sich mit dieser Art Malerei das Zeugnis völliger Talentlosigkeit im Entwerfen und mangelhafter, technischer Kenntnisse aus. Denn da er aus sich selbst heraus nichts schaffen kann, so sieht er sich eben genötigt, die Photographie als Surrogat zu benutzen. So kommt denn der bessere Durchschnitts amateur — es giebt noch schlimmere — all mählich ästhetisch immer mehr und mehr herunter, da er eben über die Grenzen photographischer Kunst, ja des photographisch Möglichen hinaus geht. In seinem Streben nach besseren, be friedigenderen Resultaten erlahmt er, und endlich verkauft er seinen Apparat und schafft sich für den Erlös ein Rad an oder— wird Berufsphotograph! Das ist der eine Punkt, der einen Auf schwung noch immer zurückhält. Der andere liegt auf der Hand: Gewiss! Es giebt Ama teure, die eigenes Fühlen, Denken und Wollen genug besitzen, um ungestört ihre eigenen Bahnen wandeln zu können, Amateure, denen auch Kunstverständnis und Kunstwissen ge nügend zu Gebote steht, um zwischen schön und unschön unterscheiden zu können, die auch gern — was ja die Hauptsache ist — Zeit und Geld und Studium auf ihre Kunst verwenden würden, wenn sie von den beiden ersten nur etwas mehr hätten. Es sind mir z. B. eine ganze Reihe für Photographie hochbegabter Leute bekannt, zum Teil wirklich tüchtige Kräfte, die gern mehr für die Sache thun würden, wenn ihnen die Photographie als Studium betrieben nicht allzu kostspielig wäre. Nur dann ist an eine fortschreitende, glück liche Entwicklung photographischer Kunst zu denken, wenn man ihr dieselbe materielle Basis giebt, wie anderen Künsten, nur dann, wenn die Bilder, Landschaften, Porträts, Genres, Aktstudien, Stillleben, Architekturen erst im Publikum ein Absatzgebiet gefunden, wenn es dem tüchtigen, talentvollen Künstler ermöglicht sein wird, seine Arbeiten in Konkurrenz zu stellen mit denen anderer. Dann wird natur gemäss das stärkere Talent auch grösseren, materiellen Erfolg haben, dann wird sich für den begabten Photographen, gleichviel ob Ama teur, ob Berufsphotograph, die Ausübung seiner Kunst nicht nur billiger stellen als bisher, sondern wird ihm — hoffen wir das — auch noch etwas abwerfen! Wann aber Werden wir dahin kommen?! O. Rau - Berlin. Für die Redaktion verantwortlich: Dr.A. Miethe in Braunschweig. — Druck und Verlag von Wilhelm Knapp in Halle a. S.