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Kunden jugendlich, munter oder zurückhaltend, ernst, kokett, ängstlich oder ungezwungen, stolz, herablassend oder aristokratisch sein, demütig, griesgrämig, befehlend oder gar unfreundlich sein. Haben wir das Charakteristische heraus gefunden, so ist es nicht immer angebracht, dasselbe krass hervorzuheben, sondern es gilt ebenfalls das festzuhalten, was der Mensch sich Mühe giebt, in der Konversation zu zeigen. Das ist es; so, wie er sich zu geben bemüht ist, so möchte der Mensch sein, und dies haben wir mit der wahren Charakteristik zu ver einigen. Nicht durch langes Herumraten und Hin- und Herdrehen und Wenden erzielt man gute Bilder, schnell muss der Operateur das Richtige finden und auch machen. Kopfhalter stellen, lange exponieren, um Ruhighalten bitten, das Exponieren mit „Bitte“ oder „Jetzt“ ein leiten, sind verwerfliche Angewohnheiten, die noch aus der guten alten „nassen“ Zeit stammen, und die wir vollständig bei Seite lassen. „Brust bildstühle“ mit Schrauben, verstellbaren Lehnen und sonstigen Schikanen, die alle an ein Zahn techniker-Atelier erinnern, gehören alle in die Rumpelkammer. Ein gewöhnliches leichtes Stühlchen mit nicht zu hoher Lehne oder ein Hocker, kurz Möbel, wie man sie zu Hause gewohnt ist, thun bessere Dienste. Je weniger Ungewöhnliches man dem Modell zumutet, um so natürlicher, unbefangener und munterer wird es sein, ohne das abgeschmackte „Bitte recht freundlich“. Herr Operateur, sehen doch Sie einmal auf Kommando wirklich freundlich. Stellen Sie sich lieber so an, dass Ihr Modell von selber freundlich ist! Vor allem machen wir keine Stellung, bevor nicht alles eingestellt ist. Ist unser Modell an seinem un gefähren Platz, so richten wir zunächst die Be leuchtung, dann wird eingestellt, die Platte ein gesetzt, alles in wenigen Sekunden, wir schliessen den Verschluss und ziehen den Kassettendeckel auf. Dann erst bringen wir unser Modell un befangen, womöglich von etwas anderm plaudernd, in die vorher ausgedachte Stellung und expo nieren. Wir haben uns dann nur noch für die Liebenswürdigkeit zu bedanken und unsern Kunden zu entlassen, der hoch erstaunt kaum glauben will, dass er photographiert ist. Von grosser Wichtigkeit ist, dass während der Auf nahme kein Fremder, etwa vom Geschäfts personal, das Atelier betritt und etwa eine Konversation stört, selbst die Anwesenheit eines zweiten Operateurs hat Unzuträglichkeiten und Befangenheit des Kunden häufig im Gefolge und sollte thunlichst vermieden werden. Lautes Sprechen mit Gehilfen ist absolut verwerflich. Sind grössere Arrangements, welche das Schleppen von Möbelstücken und dergl. bedingen, zu machen, so besorgt man dies vor dem Ein treten des Modells. Zuvorkommenheit hat noch nie geschadet und selbst, wenn der Kunde Unmögliches ver langt, so gehe man möglichst auf solche Wünsche ein und suche denselben in Wirklichkeit nach Kräften gerecht zu werden. Ein guter Grundsatz ist, die Zeit zwischen dem Stellen und Exponieren auf ein Minimum, ja fast auf Null zu reduzieren. Ist die Stellung und der Ausdruck gut, so soll auch schon exponiert sein. Gut ist es, wenn der pneumatische Ballon bei dieser Gelegenheit ver steckt gehalten wird. Die Anwesenheit dritter, zum Modell gehöriger Personen ist nicht nur nicht immer zu vermeiden, sondern manchmal sogar recht nützlich. Etwaige Ratschläge von dieser Seite nehmen wir ruhig hin und vermeiden nur, dass falsche Ansichten die Oberhand gewinnen. Zuweilen sind ja derlei Anmerkungen für uns nützlich. Das selbständige Posieren und Korrigieren am Modell von fremden Personen müssen wir stets, jedoch immer mit der grössten Liebenswürdigkeit und möglichst scherzend untersagen, wenn dies nicht hilft, so hilft jedenfalls die Bemerkung, dass Herr X oder Fräulein Y wohl kaum die Verant wortlichkeit für das Gelingen übernehmen will. Eine Hauptsache sei auch für den Operierenden, stets bei guter Laune zu sein und die Geduld in keinem, auch dem schlimmsten Falle nicht, zu ver lieren. (Fortsetzung folgt.) 20