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MsdrusserTageblatt Das Wilsdruffer Tageblatt ist bas zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meißen, des Stadt- rats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt alle anderen Stände des Wilsdruffer Äezirks Anzeigenpreise laut aufliegenLcm Tarif Nr. 4. — Nachweisüngs-Mebühei 20 Npfg. — Dorgeschriebeno Erscheinungslage und Platzvorschristc» werde» nach Möglichkeit berücksichtig!. —. Anzeigen - Annahme! bis vormittags ll> Uhr. - Für di» Nichtigkeit de» durch Fernruf übcrmit» FerNsprechtk I AMt Wilsdruff Nr. 6 'eilen Anzeigen übernehm men wir keine Gewähr. — - — Jeder Rabaltanfpruch erlischt, wenn Ler Betrag durch Klage eingczogcn werden- mutz odcv Ler Auftraggeber in Konkurs gerät. Nationale Tageszeitung für Landwirtschaft und "Das «Wilsdruffer Tageblatt» erschein! an allen Weidingen nachmittag» 4 Uhr. Bezugspreis monatlich 2.— RM. frei Haus, bei Postbcstellung 1.80 RM. zuzüglich Bestellgeld. 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Und ob wir gar, wie auch einmal gesagt wurde, in der besten aller Welten leben, dürfte auch wohl jeder bestreiten, der die letzten zwanzig Jahre an der Er innerung vorbeiziehen läßt, — und namentlich di.e vier ersten Jahre davon, deren Beginn ganz besonders tief in unserer Erinnerung haftet. Wir stehen ja nun dicht vor jenem Tage, dessen unvergängliches Gedächtnis nun zum zwanzigsten Male begangen wird. Der 1. August 1914. Der Tag des Ausbruches eines Weltkrieges, der so oft und immer wieder für „unmöglich" erklärt worden war. Und der in jenen Tagen rasch sich verschärfender Spannungen einhergeschritten kam als ein unabwendbares Schicksal, — die Schuld einer bewußt herbeigeführten Ent wicklung in der Vorkriegszeit. Der Tag, an dem für das deutsche Volk das große Sterben begann, aber an dem auch bis säst in seine letzten Teile hinein dieses selbe Volk nach jahrzehntelanger, immer größer werdenden Zerrissen heit endlich einmal, angesichts der Riesengröße des ihm bevorstehenden Kampfes um sein Dasein, das Bewußtsein seiner Zusammengehörigkeit durch diese Gefahr hincin- gctragen wurde. In wenigen Tagen nur, in einer Woche, schoben sich am Himmel Europas die Kriegswolken zu sammen, und je eifriger die Depeschen der für unser Schicksal Verantwortlichen durch die Telegraphendrähte rasten und einander folgten, desto spürbarer wurden die „atmosphärischen" Spannungen unter jenen Wolken. Bis am 1. August 1914 das Gewitter losbrach, das das Antlitz des alten Europa zerstören sollte! * Die Gestaltung aber, die man dem neuen Europa fünf Jahre später gab, hat von vornherein nur noch stärkere Spannungen erzeugen müssen als vorher. Die „Balkanisierung Europas", aus der unmittel bar der Kriegszustand entstanden war, wurde bis in die Mitte des Kontinents vorgeschoben, die Reibungsflächen zwischen den Staaten vergrößerten sich gewaltig. „Das Pulverfaß ist vom Balkan nach Wien transportiert worden", schrieb anläßlich der Ermordung des öster reichischen Bundeskanzlers Dr. Dollfuß ein englisches Blatt. Durchaus nicht zn Unrecht. Aber den Transport haben jene besorgt, die cs nicht geduldet hatten, daß das „Selbstbestimmungsrecht der Völker zur Wirklichkeit wurde". Gerade jetzt, da Österreich, dieser kleine ver stümmelte Staat von sechs Millionen Deutscher, seit anderthalb Jahrzehnten fast zum Drehpunkt der europäi schen Politik gemacht worden ist, und da die Ereignisse des 25. Juli wieder einmal gezeigt haben, wie überstark mit Spannung dieser Staat selbst geladen ist, — gerade jetzt darf man wohl als Deutscher daran erinnern, wem das heute von Nervenzuckungen gequälte Europa diesen Zustand zu verdanken hat. Schon einmal, während des Weltkrieges selbst, traf einen österreichischen Minister präsidenten, dem Grafen Stürgkh, die tödliche Kugel eines politischen Fanatikers, des Sozialdemokraten Viktor Adler. Jahre später ließen einen anderen Öster reicher die inner-politischen Spannungen in seinem Lande die Pistole erheben gegen den Bundeskanzler Doktor Seipel. Und dann, als von Wien und Berlin aus vor drei Jahren der Versuch gemacht wurde, wenigstens wirt schaftlich in ein engeres Verhältnis zu gelangen, zertrat der Fuß der damaligen, jetzt aber wieder geeinten Entente dieses Bemühen. -ft Auch wenn zahlreiche Zeitungsredaktionen im Ausland im Hinblick auf die Ereignisse des 25. Juli in Wien nicht so sehr die Nerven verloren hätten, wie es aus einem großen Teil der Presse im Ausland sichtbar geworden ist, so ist doch deutscherseits sofort alles durchgeführt worden, was eine Ausbreitung des in Wien aufflammenden Feuers verhindern konnte. Besonders die italienischen Zeitung^ n sahen und sehen Gespenster, wenn sie glaubten, daß der Wiener Putschversuch im Sinne und in der Absicht des deutschen Nationalsozialismus vor sich ge gangen wäre. Schon die ersten Maßnahmen der Reichs regierung haben international beruhigend gewirkt, — aber noch stärkere Wirkungen übte nach dieser Richtung hin die Ernennung des bisherigen Vizekanzlers v. Papen zum Gesandten in Wien aus. Durch diese S o n d e rm i ssi o n wird aber besonders herausgchoben, daß die deutsche Reichsregierung sich mit allen Mitteln be- ^uhst eavaigcn unglückseligen internationalen Folgen Des 2o. Juli vorzubeugen, die hier und da geradezu her- veigewunscht werden! Gegenüber der aufgeregten Welt bewerft der Führer durch diese Ernennung des Herrn v. -papen zum Sondergesandten nach Wien, wie sehr ihm E^aN"gelegen ist, auch Öie letzten üblen Vermutungen oder Anschuldigungen der Auslandspresse aus dem Weg zu einer endgültigen Verständigung mit Österreich weg- ruraumen. Diele Anschuldigungen sind politisch Mn Ser NieimMt Adolf Hitlers. Papens Mission Amtlich wird mitgekeM: Im Anschluß an das von dem Herrn Reichskanzler an den Vizekanzler vonPapen gerichtete Schreiben vom 26. Juli 1934 hak sich der Herr Reichspräsi dent damit einverstanden erklärt, den Vizekanzler von seinem Amt als Stellvertreter des Reichskanzlers und als Saar- beauftragter zu entbinden, um ihn mit der vom Reichskanz ler vorgeschlagenen wichtigen Aufgabe eines Gesandten in befristeter Sondcrmission in Wien zu betrauen. Das Agree ment für Herrn von Papen wurde in Wien nachgesucht. * Eine befreiende Tat. Der Eindruck des Hitle r-B riefes an Papen in Österreich. Das halbamtliche Organ der österreichischen Regierung, die „Reichspost", läßt durch zahllose Vertreter ein Extrablatt mit dem Wortlaut des Schreibens des Führers an den Vizekanzler von Papen verteilen. Das Extrablatt trägt die Aufschrift „Reichskanzler Hitler macht Frieden mit Österreich. Herr von Papen als Gesandter nach Wien entsandt." Es folgt sodann der vom Deutschen Nachrichtenbüro verbreitete Wortlaut des Schreibens. Im österreichischen Rundfunk wird in regelmäßigen Abständen von einer halben Stunde der Wortlaut des Schreibens wiederholt. Dieser entscheidende Schritt des Führers zur Entspannung der Lage und zur Wiederherstellung normaler und freund schaftlicher Beziehungen hat in allen Bevölkerungskreisen das größte Aufsehen erregt. Nach der lähmenden Spannung und der maßlosen Erregung der letzten Tage geht es wie ein Aufatmen durch das ganze österreichische Volk, überall hört man Stimmen laut werden: Frieden mit Deutschland, Frieden mit unse ren Brüdern jenseits der Grenze. Der Beschluß des Reichskanzlers wird in den leiten den diplomatischen Kreisen ausnahmslos als die entscheidende Tat von der größten Tragweite sowohl für die Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich als auch für die gesamte europäische L a g e beurteilt, überall wird die Auffassung laut, daß damit eine entscheidende Wendung eingetreten ist und daß der Entschluß des Führers im wirklichen Interesse der beiden deutschen Staaten liegt. Das Extrablatt der „Reichspost" wurde am Freitag früh von mehreren Flugzeugen in Kärnten und Steiermark über den wenigen noch vorhandenen Kampfgebieten in zahlreichen Exemplaren abgeworfcn. Die Regierung hofft, daß damit eine sofortige Einstellung der Kampfhandlungen erreicht werden wird. -» Versöhnungsschnit zur Entspannung -er Lage. England zur Ernennung von Papens. Die durch den Reichskanzler' erfolgte Ernennung Herrn von Papens zum Gesandten in Wien erregt überall in England das größte Aufsehen und wird allgemein als Versöhnung s schritt des Reichskanz lers gegen überLsterreich gewertet. Reuter berichtet aus Berlin, daß Hitlers bemer kenswerter Schritt zur Überzeugung der Welt von Deutschlands sympathischer Haltung gegenüber Österreich einen tiefen Eindruck in diplomatischen und amtlichen Kreisen gemacht habe. Die Tatsache der Ernennung eines so wichtigen Staatsmannes zum Vertreter Deutschlands stelle eine weitere Geste der Versöhnung gegenüber Österreich dar. * Eine Erklärung Rieths In einer längeren Erklärung über die Vorgänge in Wien betonte der nach Deutschland zurückgekehrte bisherige deutsche Gesandte in Wien, Dr. Rieth, daß er zu der bekann ten Abmachung mit dem österreichischen Minister Fey über das freie Geleit einer Anzahl Aufständischer an die deutsche Grenze keinerlei Zustimmung oder sonstige Erklärung gege ben sondern betonte habe, daß, wenn er diese Mitteilung des Ministers Fey entgegengenommen habe, dies nurpersön. lich tue. Rieth schildert die bereits bekannten Vorgänge und fügt hinzu, daß er nicht eine Vermittlungsaktion einge leitet oder lich daran beteiligt habe, sondern daß er lediglich die Mitteilung einer bereits stattgehabten Vereinbarung gewissermaßen als Zeuge entgegengenommen habe, ohne sich dazu zu äußern. Er habe auch nicht auf Ver anlassung der in das Bundeskanzleramt eingedrungenen Truppe gehandelt, sondern er sei nur im Einvernehmen mit dem ihm zum Ausdruck gebrachten Wunsch österreichischer Regierungsmitglieder vorgegangen. Sie empörende und unverantwortliche Sehe der italienischen presse. Wann wird Rom endlich zur Einsicht kommen? Freitagmittag bestand der Eindruck, daß in der aus- geputschtcn öffentlichen Meinung Italiens eine ge wisse Abkühlung eintreten wird. Indessen muß noch ein mal hcrvorgehoben werden, daß der Ton der italienischen Presse bis Freitagsrüh von einer unerhörten Schärfe und Gehässigkeit gegen Deutschland gewesen ist und daß die Blätter mit allen Mitteln, auch mit Verdrehungen und mit Verschweigen von Tatsachen, die öffentliche Meinung des Landes ziemlich erfolgreich auf- geputscht haben. Unerhört sind vor allem die Beschimpfungen Deutsch lands durch den vatikanamtlichen „Osservatore - Romano". Ein 60-Millionen-Volk vergewaltige ein armes 6-Mil- lionen-Volk, die deutsche Barbarei stehe gegen die ganze Kultnrivelt und müsse zur Ordnung gernfcn werden. Daß Italien in dieser Darstellung führend voran gegangen ist, steht außer Zweifel. Obwohl in der römi schen Presse behauptet wurde, daß die ganze Kulturwelt mit ciucm einzigen Aufschrei der Entrüstung auf die von Deutschland angcstifteten Verbrechen antworte, gelang cs doch kaum mit Mühe und Not, ausländische Pressc- stimmcn znsammenzubringen, die den italienischen „gleich wertig" waren. Lediglich einige schweizerische Blätter und ein paar französische Zeitungen konnten sich neben der italienischen Presse sehen lassen und wurden zitierte Zu gleicher Zeit scheint auf diplomatischem Gebiet eine gewisse Ernüchterung cingctretcn zu sein. Die maßgebenden europäischen Mächte scheinen, obwohl sie zweifellos durch ihre Geschäftsträger am Donnerstag ihre Solidarität bezüglich der Aufrechterhaltung der öster reichischen Unabhängigkeit erklärten, doch, wie man in Rom annimmt, angcdeutet zu haben, daß das Material für den Nachweis einer Beteiligung Deutschlands nicht ausrcicht. — Der „Piccolo", die Mittagsausgabe des „Gioruale d'Jtalia", spricht am Freitag auch nicht mehr von einer „Aktion", sondern von der italienischen „Wach samkeit". Die Aufstandsversuchc würden von den öster reichischen Kräften allein rasch erledigt. Keine ausländische durchsichtig und darum ist es erfreulich, daß in Wien jeden falls diese schnelle Tat des Führers außerordentlich be grüßt wird. Die Welt außerhalb Deutschlands und Österreichs wird sich also nunmehr beruhigen können, sogar die italienische Presse, die ohne jeden Beweis, man kann beinahe sagen: sogar gegen besse res Wissen die deutsche Reichsregierung mit der Schuld an der Wiener Bluttat belasten will. Wenn man in Wien die Tat des deutschen Führers verstanden und mit großer Freude begrüßt hat, so sollte man auch in Italien dafür sorgen, daß die aufgeregten Nerven in den italienischen Zeitungsredaktionen sich schleunigst be ruhigen! Denn diese Zeitungen baben in einer derart unglaublichen Weise gegen Deutschland geschrieben, daß sic im Chor unserer Gegner geradezu als die Ton- angeber a »gesehen werden mußten Andererseits hat aber die Wiener „Ncichspost" also das offizielle Oraan der Christlichsozialen Partei, im Auftrage der Wiener Regierung dafür gesorgt, daß der rasche und zu- greifende Entschluß Adolf Hitlers in ganz Österreich be- kanntgcmacht wurde. Und in diesem Extrablatt steht der Satz: „Der Beschluß des Reichskanzlers wird in den leitenden diplomatischen Kreisen ausnahmslos als' die e n t s ch e i d e n d e Tat von größter Tragweite sowohk für die Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich Ivie auch für die gesamte europäische Lage beurteilt."'. Selbst in einer solchen Lage, wie sie durch die Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Dollfuß entstanden: ist, hat des deutschen Volkes Führer die Nerven nicht ver loren, sondern er hat so gehandelt, daß die sich schnell! cmportnrmcnden Gewitterwolken über den Himmel! Europas zerstreut wurden, — und es wäre zu wünschen, daß auch in den anderen Kabinetten der für Europas Schicksal verantwortlichen Staaten dieselbe Nervcnruhe bewahrt geblieben wäM