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ilsdrusserTagebsatt Nr. 172 — 93. Jahrgang Donnerstag, den 26. Juli 1934 Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen oer Amtshauplmannsckatt Meisten des StadL- rats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt Oer Ruf der Motore. Während die Lords des englischen Oberhauses über den Gesetzentwurf ihrer Negierung zu einer Verdop pelung der Luftrüstung Englands ab- stimmten, bransten zu einem großen Angriff aus London 180 Bomben- und Kampfflugzeuge, von der Ostkttste kommend, auf Loudon los. Die großen Luftmanöver hatten begonnen! Und der englische Minister für Luft fahrt, Lord Londonderry, mußte seine Stimme erheben, um im House of Lords verstanden zu werden, weil der Lärm der Motore über ihm die Worte zu ersticken drohte. Dieses Schauspiel ließen sich aber die Mitglieder des Oberhauses in ihrer großen Mehrzahl nicht entgehen, sondern sahen ihm von der riesigen Plattform des eng lischen Parlaments aus zu. Wußten sie doch, daß das Mißtrauensvotum der wenigen Liberalen und Arbeiter- partciler — auch so etwas gibt es im englischen Ober haus! Lord Ponsondy z. B. ist ein geadelter früherer Arbeiterführer — durch ein paar Dutzend Zurückbleiben der glatt niedergestimmt werden würde. Was auch prompt geschah. Daß dem Luftfahrtminister übrigens nicht ganz wohl in seiner Haut war, geht aus der persönlichen Schärfe hervor, mit der er auf die Angriffe der Oppo sition antwortete. Steht doch diese gewaltige eng lische Aufrüstung in einem mehr als sonderbaren Gegen satz zu den kürzlich erfolgten Erklärungen des Außen ministers, er habe sich hinsichtlich des Nordostpaktes auf die französische Seite gestellt, weil er in diesem einen wichtigen Schritt zur — Abrüstung sehe! Außerdem hatte die Opposition mehr oder weniger deutliche An spielungen darauf gemacht, daß sie sich diese Luftauf rüstung Englands nur dann erklären könne, wenn die Negierung während des jüngsten Besuches des franzö sischen Außenministers geheime militärische Abmachungen getroffen habe; ein anderer Redner der Opposition, der wirklich nicht deutschfreundliche Lord Cecil, übrigens ein begeisterter Verehrer des Völkerbundes, äußerte sogar, das Vorgehen der englischen Regierung gerade in diesem Augenblick weise eine verdächtige Ähnlichkeit mit der Vorkriegspolitik Englands sowohl in den Rüstungen wie in allen auswärtigen Angelegenheiten auf. Das ist recht verständlich! Denn vor 20 Jahren hatten die englischen und französischen Generalstäbe mili tärische Verabredungen und Vorbereitungen bis ins letzte hinein getroffen, wovon das englische Volk selbst dann schwer überrascht worden ist. Aber was nützten diese schwachen Worte der Oppo sition, wörtlich und figürlich über sie hinweg sprachen die Motoren von 350 Flugzeugen ihre stählerne Sprache. Tagelang werden diese großen Luftmanöver dauern oder vielmehr Nächte hindurch. Natürlich ist das ganze eine riesige Propaganda für die angebliche Notwendigkeit schnellster und schärfster Luftaufrüstung, — und ebenso natürlich war der Angriff auf London so erfolg reich, daß sogar die großen „West-Jndia-Docks", also einer der wichtigsten Teile des Londoner Hafens, durch die angreifenden Luftstreitkräfte als „vollständig zerstört" angenommen werden mußten. Das gleiche Schicksal ereilte drei vorstädtische Flugplätze. Wohl ist die englische Luftmacht an Zahl der Maschinen durchaus nicht die stärkste in der Welt, sondern steht hinter der mehrerer anderer Staaten zurück. Aber doch immer gilt der alte Wahrspruch, daß es vor allem „auf die Menschen an kommt, die hinter den Kanonen stehen!" Das englische Fliegerkorps besitzt auch heute uoch, ebenso wie einst im Weltkrieg, ein hervorragendes Menschenmaterial, das auch im Frieden, bei der Ausbildung, bei den Manöver» usw. mit vollem Einsatz der Persönlichkeit auch Opfer nicht scheut. Mit welchem Ernst und welcher Kriegswirklichkeit auch jetzt die Luftmanöver in England veranstaltet werden, kann man schon daraus ersehen, daß die Lust- kämpse des abends, um 6 Uhr, begannen, die ganzö Nacht durch währten und erst um 9 Uhr morgens beendet wurden. Und das wird vier Tage hindurch so weiter- getrieben werden, — eine unerhörte Anstrengung »ür das englische Fliegerkorps! Aber was nicht zuletzt der Zweck des ganzen Manövers ist: Auch ein unerhörtes Schau spiel und eine ernste Mahnung an das englische Volk! Nintelen tst unrichtig. Eine kleine Gruppe von Terro risten hat sich der Rawag bemächtigt und diese unwahren Meldungen ausgegeben. In ganz Österreich ist aus nahmslos Ruhe und Ordnung." Zu gleicher Zeit wurde bekannt, baß die Regierung das Bundeskanzleramt verlassen habe. Tekegr.-Adr.: „Tageblatt VMMfstand in Oesterreich Dollfuß tot. Blutige Kümpfe in Wien. Die Folgen noch nicht abzusehen. Die deutsche Grenze gesperrt. Nationale Tageszeitung für Landwirtschaft und Das „Wilsdruffer Tageblatt* erscheint an allen Werktagen nachmittags 4 Uhr. Bezugspreis monatlich 2.— RM. frei Haus, bei Postbestellung 1.80 NM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern !O Npfg. Alle Postanstalten und Post boten. unsereNiiSN-üaer n. Geschäftsstelle, nehmen zu jeder,m Btsttllungtn enl- Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend «egen. Im Nalle höherer Gewalt,Kriegod.sonstiger Betriebsstörungen besteht Kein Anspruch aus Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Rückporto beiliegt. Wilsdruff-Dresden Postscheck: Dresden 2640 Aufruhr in Wien. In Wien waren am Mittwochmittag Gerüchte ver breitet, daß Bundeskanzler Dr. D o l l fu ß, der General staatskommissar für Sicherheit Fey und der Sicherheits kommissar Karwinsky im Gebäude des Bundes kanzleramtes fcstgehaltcn würden. Bei diesen Vorgängen soll geschossen worden sein. Darüber, von welcher Seite die Aktion unternommen worden ist, herrscht noch Un gewißheit. Man spricht davon, daß Angehörige des Bundesheeres dabei eine führende Nolle spielen. Wie man andererseits hört, soll es im Ministerrat zu schweren Zusammenstößen zwischen Dollfuß und Fey gekommen fein, die sich gegenseitig mit Verhaftung bedroht hätten. Zu dieser Zeit habe eine Heimwehr kompagnie das Gebäude besetzt und die Tore geschlossen, so daß man Näheres aus dem Bundeskanzleramt nicht erfahren könnte, zumal auch die telephonischen Ver bindungen dorthin gänzlich unterbrochen wären. Schwere Kampfe am Wiener Rundfunkhaus. Rundfunkstörer meldet Dollfuß' Rücktritt. Die Wiener Rawag hat am Mittwoch gegen 1 Uhr mittags plötzlich das Schallplattenkonzert unterbrochen, nachdem kurz vorher Stimmengewirr und Unruhe zu vernehmen waren. Dann erfolgte durch Radio die kurze Mitteilung, die Bundesregierung habe demissioniert. Dr. Rintelen übetnehme die Ge schäfte des Bundeskanzlers. Dann wurde von der Rawag nichts weiter gesendet. Die Hörer vernahmen jedoch laute Geräusche, die wie ein Krachen klangen; das schien daraus hinzudeutcn, als ob sich im Senderaum etwas Un- gewöhnliches ereigne. Die Bundeskanzlei erklärt, daß die Verlaut barung eine Mystifikation gewesen war und daß Unbefugte in den Senderaum des Wiener Rundfunks ein- gedrungen wären und die Verlautbarung selbst gemacht hätten. Die Regierung Hai angesichts dieser Lage sofort die Polizei mobilisiert und sämtliche öffentlichen Gebäude erneut besetzen lassen, nachdem die Besetzungen zurück gezogen-worden waren. Vor dem Gebäude der Rawag kam es zu heftigen Kämpfen. Von der Straße wurde in das Gebäude mit Maschinengewehren geschossen. Aus dem Gebäude wurden Handgranaten geworfen. Nach dreistündigem Gefecht wurde der Kampf um die Rawag beendet. Wie es heißt, wurde ein Polizist getötet und verschiedene Angestellte der Rawag verwundet. Der Handstreich aus den Wiener Sender. Zu dem Handstreich, der im Senderaum des Wiener Rundfunks ausgeführt wurde, wird noch folgendes bekannt: Eine Anzahl junger Burschen, die mit Revol vern bewaffnet waren, drangen in das Gebäude der Sendcgesellschaft ein, stürmte in das Sendezimmcr, wo gerade ein Sprecher am Mikrophon stand. Der Sprecher wurde bciscitcgeschoben, und einer der jungen Leute ries in das Mikrophon, die Negiernng Dollfuß sei soeben zu- rückgetrcten und habe ihre Geschäfte dem zur Zeit in Wien weilenden österreichischen Gesandten in Rom, Rin telen, übergeben. Als die Polizei ankam und bemerkte, daß sie sich der Burschen nicht bemächtigen konnte, wurden in größter Eile zwei Kompagnien Bundesheer herbei gerufen. Die Soldaten erschienen mit Panzerautos und leichten Maschinengewehren. Die Geschütze und Maschinengewehre des Panzerwagens wurden auf den ersten und zweiten Stock des Rawag- Gebäudes gerichtet, wo sich die Burschen verbarrikadiert hatten. Vor dem Gebäude fand ein heftige rFeuer- kamps statt. Amtlich wird verlauibari: „Die Rawag hat die Sendungen wieder aus genommen. - Die vor Abbruch der Sendung ausgegebene Meldung über den Rücktritt der Regierung und die über- nsbme bei Geschäfte des Bundeskanzlers' durch Doktor Volkserhebung in Österreich. Bundesheer besetzt zusammen mit der Volksmenge das Wiener Bundeskanzleramt. Eine Zusammenstellung der bis Mittwoch, lÄ Nhr, aus Österreich eingelangten amtlichen und privaten Meldungen ergab folgendes Bild der Lager Kurz nach 13 Uhr fuhr vor dem Gebäude der R a w a q, der Österreichischen Scndegesellschaft in der Johannis gasse in Wien, ein Trnpp Bewaffneter in Bundes- heeruniform vor und besetzte das Gebäude. Einer der Teilnehmer an dieser Unternehmung gab eine Rund- fnnkmeldung des Inhalts, daß die Regierung Dollfuß zurückgctretcn sei. Unmittelbar danach wurde die Sendung unterbrochen. Etwa zur gleichen Zeit besetzte eine mit Bundesheer stark untermischte DoSS- menge das Bundeskanzleramt, schloß die Tore und sicherte das Gebäude durch Aufstellen von Maschinengewehren. In dem Gebäude selbst befanden sich zur Zeit des Überfalls nach sicheren Meldungen Bundeskanzler Dr. Dollfuß, Bundes- Minister Feh und der Staatssekretär Karwinsky, die von den Aufständischen gefangengenommen wur den. Um das Gebäude der Rawag entspann sich ein Kampf, der nach dreistündiger Dauer mit der Kapitulation und Gefangennahme der Aufständischen endete. Das Bundeskanzleramt selbst, ebenso der Bundes kanzler und die beiden genannten Minister, befinden sich nach wie vor in den Händen der Aufständischen. In den Vororten Wiens, ebenso wie in verschiedenen Teilen der Provinz, sollen sich starke Ansammlungen regierungsfeindlicher Massen zusammen- zuchen. über dre Hintergründe des Aufstandes verlautet bis jetzt, daß in der Bevölkerung eine unerhörte Erregung darüber entstanden sei, daß die vor das Standgericht ge brachten Nationalsozialisten in geradezu mittel alterlicher Weise gefoltert würden, um aus ihnen Ge- standnisse oder Selbstbeschuldigungen herauszupressen. Die Erregung im Bundesheer und dessen Beteiligung an dem Aufstand soll in letzter Linie ausgclöst worden sein durch die am Montag in Niederösterreich erfolgte Erschießung eines Offi ziersanwärters durch einen Schutzkorpsverteidiger. Dottfuß schwer verlehi? Auf dem Balkon des Wiener Bundeskanzleramts er schien im Laufe des Nachmittags mehrmals M i n i st e r Fey, bewacht von einem Mann in Kaiserjägcrunisorm, und anderen Soldaten. Er forderte den Höchstkommandierenden der auf dem Platz stehenden Sicherheitsformationen auf, hinaufzukommen. Darauf begaben sich der Stabschef der Heimwehr Bodenstedt, Sicherheitsinspektor Eibl und ein Heimwchrmann namens Priner in das Bundes kanzleramt. Nach Meldungen von Personen, die ein Telephon- gespräch des Sichcrhcitsinspettors Eibl mitangehört haben wollen, soll Minister Fey mitgeteilt haben, Bundes- kanzlcr D r. D o l l sllNr s e i sehr schwerverletzt. Er sei zurückgetretcu. Gleichzeitig bat der bisherige Minister Fey um einen Priester, der Dr. Dollfuß die Sterbesakramente spenden soll. 4 SO Beamte.vom Dott verhaftet. Der militärische Leiter der Wiener Heimwehr, Major Baar, teilt ferner mit, daß die umliegenden Hauser des Bundeskanzleramts von H e i m w e h r l e u 1 e n b e- '"^Wi7 ferner bekannt wird, werden im Bundeskanzler- alle anderen Stände des Wilsdruffer Bezirks LÄr" Zernsprecher : Amt Wilsdruff Nr. 6 «ttjch.. d-- Be.ra, durch «lag, wcr-o» uruk ->°cu -cd