ANTONIN DVOK: STABAT MATER OP. 58 Die Ansichten über geistliche Musik waren am Ende des 19. Jahrhunderts in zwei Lager gespalten: Einer seits forderte der kirchlich unterstützte Caecilianismus eine Rückbindung an den Stil Palestrinas, andererseits eroberten orchesterbegleitete Sakralwerke die Konzert säle. Ende 1875 fand in Prag die Aufführung eines Stabat Mater von Franz Xaver Witt statt, des Begründers des Caecilienverbandes. Vermutlich forderte dies Antonin Dvorak heraus, ein Gegenwerk zu schaffen, denn just im Frühjahr 1876 fertigte der Komponist erste Skizzen zu seinem Werk an. Witts Version für Chor und Orgel stellte die offizielle Sakralmusik dar, während der Vatikan seit Rossinis »Stabat Mater« von 1833 alles Opernhafte ablehnte und zunehmend auch die Werke der Wiener Klassik als liturgisch nicht benutzbar bezeichnete. In diesem Zusam menhang ist es als Parteinahme Dvoraks für die Klassiker zu verstehen, wenn er sofort nach der Uraufführung des Witt-Werkes ein groß besetztes Stabat Mater konzipiert. Zudem ist das Werk auch als Bekenntnis zur National bewegung ein Seitenhieb gegen die österreichisch ungarische Doppelmonarchie, denn im Gegensatz zum strengen Katholizismus der Machthaber waren die Tschechen religiös tolerant, zudem wurde der Reformator Jan Hus als Nationalheld verehrt. Sicher ist das Stabat Mater kein kämpferisches Werk, denn trotz sinfonischer Wucht überwiegt ein frommer, elegischer Grundton. Trotzdem ist das Stück die bis dato umfangreichste tschechische Sakral musik, und das allein war für die junge Na tionalbewegung schon eine politische Aus sage: Komponisten wie Leos Janäcek beriefen sich immer wieder auf dieses Werk, wenn es darum ging, eigene Positionen zu bestim ¬ men. Weniger als den Caecilianern ging es dem Komponisten um die Hervor hebung einzelner Wörter, sondern um die Einbindung der Verse in weite melodische Bögen. Sie formen sich zu bildhaften Tongemälden, denn so verstand er die um 1300 von Jacopone da Todi gedichtete Sequenz, die auch zahlreiche Maler anregte. Die Marienverehrung erreichte während des 19. Jahr hunderts in den slawischen Ländern einen Höhepunkt. Die Schilderung der schmerzhaften Gottesmutter, die unter dem Kreuz ihren Sohn beweint, hatte für den Komponisten aber auch eine persönliche Bedeutung: Das Werk wurde zur Klage eines Vaters um seine drei Kinder. 1875 war Dvoraks erste Tochter Josefa kurz nach der Ge burt gestorben, 1877 folgten seine die Tochter Ruzena und der Sohn Otakar. Ohne diese Schicksalsschläge ist