Im Oktober 1989 in Odessa (Ukraine), während des „Second Festival of Jewish Art Music“, hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, den Leipziger Synagogalchor unter der Leitung von Helmut Klotz zu hören. Dieser Chor vollbrachte die einzig artige Leistung, die Traditionen des syna gogalen Chorgesangs und der jüdischen Volksmusikinterpretation beizubehalten. Der jetzige künstlerische Leiter Helmut Klotz, der als Solist schon lange mit dem Chor zusammenarbeitete, setzt das Ver mächtnis seines Gründers, des Oberkan tors Werner Sander, in würdiger Weise fort. Sowohl im Konzert als auch beim Hören der CD-Aufnahmen war ich begei stert vom Einfühlungsvermögen des Chores in den Geist jüdischen Musi zierens. Als Herr Klotz sich mit der Bitte an mich wandte, etwas für den Chor zu schreiben, reagierte ich sofort und schuf einen Zyklus von fünf jüdischen Liedern für gemischten Chor und Streichorchester, der dem Andenken an die Opfer der Katastrophe des europäischen Judentums gewidmet ist. Drei dieser Lieder werden im heutigen Konzert uraufgeführt: .Aus dem War schauer Ghetto“, „Wiegenlied" und „Nachtlied“. Die Texte sind Originaltexte, die im Konzentrationslager entstanden sind, ihre Verfasser sind unbekannt. Ich bediene mich einer Melodik, die die Grundlage für einen einheitlichen Zyklus schafft, indem sie ins Gewebe eines jeden Liedes eingeflochten ist. Auch habe ich versucht, die emotionale Stimmung sowohl der Texte als auch der Melodik beizubehalten. Die Tatsache, daß die Uraufführung dieser Lieder in Leipzig stattfindet, in der Stadt, in der Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn Bartholdy wirkten, und zudem noch zum 50. Jahrestag des Endes des 2. Weltkrie ges, hat für mich eine tiefe symbolische Bedeutung. Die Katastrophe der jüdischen Gemein den Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte den geistigen Untergang einer tausendjährigen Kultur zur Folge - der Kultur der jüdischen Diaspora. Ein wichtiger Zweig dieses Kulturgutes ist die Musik. Joseph Dorfman