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Die Geschichte synagogaler Musik reicht bis an den Anfang unserer Zeitrechnung zurück. Ein erstes Zeugnis der Religionshandlungen und Anfänge des Gesanges in der Synagoge findet sich bei Philo von Alexandria (etwa 20 v.u.Z. bis nach 40 u.Z.), der die Entstehung der »Sabbat häuser« auf Moses zurückführt: »Moses befahl dem Volke, sich am siebenten Tage an einem gemeinsamen Ort zu versammeln und unter Scheu und Ehrfurcht die Vorlesung des Gesetzes anzuhören, damit jeder mit dem Inhalte desselben vertraut werde. Und in Wirklichkeit versammeln sie sich regelmäßig und sitzen nebeneinander, die Menge gewöhnlich schweigsam, außer, wo es üblich, in das Gelesene einzustimmen.« Aus dem Sprechgesang, mit dem die Zuhörer wiederholend in das Gelesene einstimmen, entwickelte sich all mählich ein Wechselgesang zwischen Vorsänger und Chor. Während es in den Tempeln bereits rei che künstlerische Mittel zur Ausstattung von Opfer handlungen gab, fanden die Synagogenversamm lungen in nüchterner, mehr auf die Verbreitung reli giöser Inhalte und neuer wissenschaftlicher Lehren orientierter Atmosphäre statt. Allmählich jedoch hielt die Musik auch in den Synagogen Einzug: Der Psalmengesang der Tempel wurde übernom men, und der Wechselgesang zwischen Vorsänger und Chor gestaltete sich immer kunstvoller, so daß ein erfahrener Sänger, der Kantor, den Solopart übernehmen mußte. Um wichtige Textpassagen hervorzuheben oder die Zuhörer zum Einstimmen zu motivieren, bediente er sich improvisatorisch frei einer Vielzahl von Koloraturen, Melismen, Ton wiederholungen, Portamenti und Glissandi. Die mit den schrecklichen Verfolgungen und Ver treibungen der Juden aus verschiedenen Ländern verbundene Anpassung an jeweils neue Kulturen brachte der jüdischen Musik in der Zeit vom 12. bis zum 18. Jahrhundert europäische Elemen te ein. Es entstanden einfache, gleichperiodische Sangeslinien in festen Taktschemata, die »Steiger« vermischten sich mit Dur-Moll-Tonleitern, die im synagogalen Gesang ursprüngliche Einstimmigkeit wich der Mehrstimmigkeit, und die komplizierten Melismen vereinfachten sich. Die ersten bekannt gewordenen Kompositionen synagogaler Gesänge stammen von Salomone Rossi (um 1570 bis 1628), der im Zusammenhang mit der Einführung des monodischen Stils auch in die europäische Musikgeschichte einging: »II Ebreo« (Der Hebräer). Trotz seiner jüdischen Herkunft war es Rossi gelun gen, zum führenden Musiker am kunstliebenden Hof der Herzöge von Mantua zu avancieren und 1 623 Noten zu 30 Stücken aus dem Gebetbuch unter dem in deutscher Übersetzung lautenden Titel »Salomonische Gesänge, Psalmen, Hymnen und Tempelgesänge, komponiert nach den musikali schen Regeln zu drei, vier, fünf, sechs, sieben und acht Stimmen von Salomon Mehaadonim, geboren zu Mantua« zu veröffentlichen. Mit diesen viel leicht ersten synagogalen Gesängen tauchte auch ein heute noch vorhandenes Notationsproblem auf: der hebräische Text läuft von rechts nach links, die Notenschrift jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Rossi und auch viele spätere Komponi sten gingen den Kompromiß ein, auf den allseits bekannten Text zu verzichten. Seit Rossi gibt es eine ganze Reihe namhafter jüdi scher Komponisten, die, zumeist von einem tradi tionellen Motiv am Anfang der Komposition aus gehend, eigenständige Werke synagogaler Musik schufen. Unter ihnen hebt sich Samuel Aiman (1879 bis 1947) hervor, der in dem südrussischen Städtchen Sobolowka geboren wurde, mit 13 Jah ren zu komponieren begann und 17jährig in das Konservatorium Odessa eintrat. Er diente vier Jah re in der russischen Armee als Musiker und mußte nach den Progromen in Kischinjow 1905 nach London fliehen, wo er seine Studien am Royal Col lege vervollkommnete und als Chordirigent der dortigen jüdischen Gemeinde wirkte. Aimans Schaffen umfaßt neben der erfolgreichen Oper »König Achas« Kammer- und Orgelmusik, zahlrei che Lieder, synagogale Kompositionen und Bear beitungen jüdischer Volkslieder. In seiner Synago genmusik wird - ähnlich der von David Nowa- kowsky (1848 bis 1921) - der Einfluß slawischer Musik spürbar. Samuel Aiman gehört auch zu jenen Komponisten und Musikforschern, die Quel len jiddischer und hebräischer Folklore sammelten. Während uns die Synagogenmusik mit ihren europäischen Elementen trotz orientalischen Kolo rits oft vertraut vorkommt, wirken jiddische und hebräische Folklore ursprünglicher und fremdländi scher in unseren Ohren. Die zumeist nur hand schriftlich überlieferten oder durch gegenseitiges Vorsingen lebendig gebliebenen Melodien ent stammen jüdischen Gemeinden in Polen, Rumäni en, Litauen und der Ukraine, die durch die Vertrei bungen der Juden aus Deutschland im 13. und 14.Jahrhundert entstanden waren. Hier sprach man jiddisch: eine Vermischung der mittelhoch deutschen Sprache mit hebräischen Brocken, russi schen, polnischen und litauischen Worten. Es ist bis heute, in hebräischen Buchstaben geschrieben, gebräuchlich. Wenngleich sich in den oft tempera mentvollen Liedern wie in der Sprache Motive der Exilumgebung wiederfinden, so bleibt doch alles der elegischen Grundhaltung in Moll-Varianten untergeordnet. Diese Volksmusik von Liebe und Leid, Trost und Hoffnung und der ständigen Sehn sucht nach Frieden zeugt vom Fühlen und Denken humanistisch gesinnter jüdischer Menschen. Dr. Ulrike Liedtke