Die Geschichte der synagogalen Musikausübung läßt sich, wenn auch nicht lückenlos, bis an den Anfang unserer Zeitrechnung zurückverfolgen. Als einer der ersten legte Philo von Alexandrien (um 25 v. u. Z. — um 50 u. Z.), ein bedeutender Repräsentant des jüdisch-hellenistischen Kulturbereichs, Zeugnis ab vom Ge brauch des Gesanges in den altjüdischen Tempeln. Während man sich hier be reits sehr früh einer Vielzahl künstlerischer Mittel zur Ausstattung kultischer Handlungen bediente, fanden die Synagogenversammlungen in nüchterner, mehr auf die Verbreitung religiöser Inhalte und neuer wissenschaftlicher Lehren orien tierten Atmosphäre statt. Nach der Zerstörung der Tempel durch Titus nach der Zeitenwende hielten die Psalmengesänge nun Einzug in die Synagoge. Der be reits von Philo von Alexandrien beschriebene Wechselgesang zwischen Vorsänger und Chor wurde immer kunstvoller, so daß ein erfahrener, d.h. ein besonders aus gebildeter Sänger, der „Chasan", den Solopart übernehmen mußte. Um wichtige Textpassagen der alttestamentarischen Gesänge hervorzuheben oder die Zu hörer zum Einstimmen zu motivieren, bediente er sich improvisatorisch freier Koloraturen, Melismen, Tonwiederholungen, Portamenti und Glissandi. Die heute bekannte Synagogenmusik entwickelte sich seit der Massenwanderung der Juden nach Europa vom 8. Jahrhundert an durch die enge, spannungsvolle und überaus fruchtbare Verbindung mit den nationalen Musikkulturen West- und später Osteuropas. Die alten orientalischen Grundformen verschmolzen zuneh mend mit der Volksmelodik jener Länder. So vermischten sich die modalen Struk turen der jüdischen Musik, die sogenannten „Steiger", die von dem Wiener Chasan Josef Singer 1886 erstmals systematisiert wurden (drei Grundformen: Adonai-Malach-Steiger, Ahavah-Rabbah-Steiger, Magen-Avot-Steiger), mit den Dur-Moll-Tonleitern. Bis heute haben sich einige typische Merkmale jener ur sprünglich Drittel- und Vierteltöne einbeziehenden Steiger in besonderen Inter vallstrukturen erhalten. Dadurch und durch die Beschränkung auf einen relativ geringen Tonraum für die Melodiebildung erklärt sich der eigentümliche Klage ton synagogaler Gesänge, der selbst Liedern zu Freudenfesten nicht fehlt. Die ersten bekannt gewordenen Kompositionen synagogaler Gesänge stammen von Salomone Rossi (um 1570-1627), der unter dem Namen „II Ebreo" (Der Hebräer) im Zusammenhang mit der Entstehung des monodischen Stils auch in die europäische Musikgeschichte einging. Trotz seiner jüdischen Herkunft war es ihm gelungen, eine führende Position am Hofe der Herzöge zu Mantua, die sich durch ihre Musikverständigkeit auszeichneten, einzunehmen. Mit diesen ersten Kompositionen für den Gebrauch in der Synagoge entstand ein bis heute unlösbares Problem, das der Notation: Während die Notenschrift wie gewöhnlich von links nach rechts verläuft, verhält es sich mit dem hebräischen Text dazu genau entgegengesetzt. Rossi und auch viele Komponisten nach ihm begnügten sich damit, auf die in der Regel bekannten Texte zu verzichten und nur die Mu sik niederzuschreiben. Seit Salomone Rossi gibt es eine ganze Reihe bedeutender jüdischer Kompo-