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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.08.1908
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-08-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080828013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908082801
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908082801
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-08
- Tag 1908-08-28
-
Monat
1908-08
-
Jahr
1908
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Freit-», 28. «»««st 1VV8 Leipziger T-Matt. «r. 238. 1V2. A-hrg. Neues aus aller Welt. Der Wiederaufbau von Donaueschingen. Unter rührigen Händen beginnt sich das ChaoS auf der Bvcmdstätte von Donaueschingen all mählich zu lichten. Allein außer den Aufräumungsarbeiten ist noch mancherlei zu erledigen- ehe Dutzende obdachlos gewordener Familien den Grundstein zu einem neuen Heim logen können. Die staatlichen Organe bieten jeL>e Erleichterung und suchen gleichzeitig nach Kräften dahin zu wirken, da das Neue auch schöner werde als das Gewesene, ohne Bauprotzentum und ohne daß man darüber die Fühlung mit dem stark ländlichen Gepräge der Kleinstadt verliert oder verwischt. Die Straßenzüge sollen keine wesentlichen Aenderungen erleiden. Die Be hörden haben sich ein entscheidendes Mitbestimmungsrecht in bezug auf die Aesthetik deS Bauens gesichert. Manche Neubauten- namentlich für Geschäftszwecke, sind schon planfertig und vergeben. Bei der jetzigen stillen Konjunktur im Baugewerbe bieten auch die durchweg in Frage kommenden kleineren Objekte von etwa 15—30 000 „il willkommene Be schäftigung, um so mehr als es vielfach die Eigenbauten ortsansässiger Handwerker sind. Dem landwirtschaftstreibenden Teil der Brand geschädigten geht, wie der „Franks. Ztg.' geschrieben wird, die vor kurzem erst ins Leben getretene badische Landwirtschaftskannner auf eine über den örtlichen Interessentenkreis hinaus beachtenswerte Weise an die Hand. Sie hat im Fürstlich Fürstenbergischen Museumsgebäude eine Ausstellung von Plänen landwirtschaftlicher Wohn- und Betriebsbauten eröffnet. DaS für die gegenwärtige Ausstellung durch Oekonomierat Dr. Müller, de» Sekretär der badischen Landwirtschaftskammer, sehr schnell aus allen Teilen Deutschlands zusammengebrachte Planmaterial bietet wohl für die zünftige Bauwelt einen sonst schwer zu erlangenden Neberblick. MS zweckmäßig für die süddeutschen Verhältnisse werden die Pläne ans dem Bereich der Landwi'rtschaftskammer zu Kassel von den Kennern bezeichnet. AuS dem Großherzogtum Hessen wurden die seiner zeit für das abgebrannte Herbstein gefertigten Entwürfe hergeliehen. Aus Baden liegen Pläne vor, die für zwei ebenfalls von großen Bränden heimgesuchte Orte, für Möhringen uich Sundhausen, entworfen wurden. — Bei weitem nicht alle Neubauten können vor dem Winter unter Dach gebracht werden, und so ergibt sich die für die Stadt auch materiell noch recht gewichtige Aufgabe, für voraussichtlich 42 Familien mit einer statt lichen Kinderzahl einstweilen wetterfeste Baracken zu beschaffen. Die Verunglückte» vom Zeppeliu-Ballon. Die bei dem Unfall des Zeppelin-Luftschiff» verwundeten Personen sind jetzt alle aus dem Krankenhaus entlassen, nur der Zivilist Köhler nicht, dessen Befinden schlecht ist. Er mußte sich einen Fuß abnehmcn lassen. Familiendrama. Aus Kassel meldet uns ein Privattelegramm unseres dl.-Korrespondenten: In Gittersdorf, Ltteis Hersfeld, erschlug die Landwirtsfrau Reinhardt ihren Gatten. Unterschlagungen. Wie ans Heidelberg gemeldet wird, hat der frühere Gemeinderechner von Heddesheim, Bezirksrat Hein rich Joachim, in seiner Eigenschaft als Leiter der Filiale Heddes heim der Ladenburger Vorschutzbank bei den Buchungen seit mehreren Jahren Verschleierungen vorgenommen. Infolge einer kürzlich ein getretenen schweren Erkrankung des Genannten ist ein Defizit in der Vorschußkasse in Höhe von etwa 82 000 aufgedeckt worden. — Aus Dcuthen berichtet ein Privattelegramm: Der Direktor Poske von der Spar- und Darlehnskasse in Haiduk stellte sich nach Unter schlagung von 10000 der hiesigen Staatsanwaltschaft. Tas Befinden des Fürsten Eulenburg. Neber das Befinden des Fürsten Eulenburg wußte eine Berliner Korrespondenz zu berichten, daß nach einem Gutachten, das der Staatsanwalischast ausgestellt wurde, in dem Befinden Eulenburgs keine merkbare Besserung zu verzeichnen sei. Ferner wußte sie zu melden, daß der Grad der Krankbeit des Fürsten von Zeit zu Zeit auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft fest gestellt und daß ein Obergutachten beglaubigt werde. Die Berliner Unioersal-Korrespondcnz will nun ganz auihentisch sestgestellt haben, daß die obigen Mitteilungen total aus der Luft gegriffen sind. Weder hat die Staatsanwaltschaft in den letzten Wochen ein Gutach en eingesvrdert, noch konnte der Grad der Krankbeit durch ein Obergutachten beglaubigt werden. Zur Ab.'abe eines Obergutacktens ist nämlich in erster Linie Geh. Rat Professor Kraus zuständig. Professor Kraus besinvet sich jedoch gegenwärtig auf Urlaub in St. Moritz und wird vor dem 15. September nicht zurückkchren. Staatsanwalt Schönian, in dessen Hänvcn die Untersuchungsakten sich befinden, hat, wenn er auch naturgemäß über den Gesundheitszustand LeS angcklagten Fürsten stets informiert ist, ein Gutachten bisher noch nicht ein gefordert. Sämtliche au die obige Darstellung geknüpften Folge rungen über die Erledigung des Prozesses Eulenburg sinv daher gänz lich hinfällig. Die Dampferkatastrophe bei Bergen. Ueber ein entsetzliches Schiffs. Unglück, das sich in der Nacht bei Skaanevik, südlich Bergen in Nor wegen, ereignete, berichtet das „B. T." jetzt noch folgende Einzelheiten: Das Dampfschiff „Jolgefonden" hatte, als es Bergen verließ, etwa 50 Passagiere an Bord; unterwegs nach Skaanevik wurden aber ver schiedene Fjorddörfer angelaufen, so daß sich die Zahl der Passagiere bei der Katastrophe auf etwa 80 belaufen haben wird. Die Katastrophe er eignete sich im Fjord vor Skaanevik; der Fjord ist an der Unglücksstelle etwa 1500 Meter breit. 800 Meter von dem Ufer, an dem das Dorf Skaanevik liegt, ragt ein kleiner, schwer sichtbarer Felsen aus dem Wasserspiegel heraus; an dieser Stelle gilt es deshalb, dicht an der Küste entlang zu fahren. Der Kapitän Johannesen- der das Schiff führte, war nun gerade kurz bevor der Dampfer die kritische Stelle er reichte, in den Vagageraum des Schiffes gegangen. Inzwischen hatte der Steuermann den Kurs zu weit nach der Mitte des Fjorbs gesetzt; dies merkte der Kapitän sofort, als er wieder auf das Deck heraufkam, und befahl, näher dem Laude zuzusteuern. Es war aber schon zu spät; denn im nächsten Augenblick stieß das Schiff bereits auf den gefährlichen Felsen. Es entstand sofort eine furchtbare Panik unter den Passa gieren. Ter Kapitän mahnte aber zur Ruhe; denn er war der Ansicht, daß das Schiff fest auf dem Felsen stehe, so daß eine augenblickliche Ge fahr nicht vorliege. Er irrte sich aber, benn das Schiff war mit zer stoßenem Boden über den Felsen hinausgefahren, und zwei Minuten nach dem Stoßen auf den Felsen trennte sich der ganze vordere Teil des Schiffes von dem übrigen Schiffsrnmpf und sank. Der Kessel explodierte und Kohlenstaub, Holzstücke und siedendes Wasser werden über die See hinausgeschleudert. Die meisten derjenigen Passagiere- die Geistesgegen wart genug besessen hatten, sich Rettungsgürtel umzulegen, wunden ge rettet. Etwa 30 Passagiere wurden, als das Schiff sank, von dem Strudel mit in die Tiefe gezogen; von diesen kamen diejenigen, die mit Rettungsgürteln versehen waren, meistenteils wieder zum Vorschein. ES entstand aber ein furchtbarer Kampf zwischen den Schiffbrüchigen, die Rettungsaürtel hatten, und den Unglücklichen, die ohne Gürtel waren; auch die Schwimmer wurden von den Nichtschwimmern, die dem Unter gänge preisgegeben waren, in ihrer Todesangst umklammert und mit in die Tiefe gezogen. Die Frauen beteten und die Männer fluchten. Tie gellenden Notschreie wurden im Dorfe Skaanevik gehört, und es wurde sofort ein Rettungsschiff nach der Unglücksstelle gesandt, das die meisten Passagiere des „Folgernden" rettete. 30 werden ober vermißt. Bisher sind SO Leichen geborgen worden. Lptstber-enfahrt. Aus Hammerfest wird uns über den Versauf der diesjährigen, von Kapitän Bades Söhne, WiSmar i. M., v.ranstalteten Spitzberqensahrt berichiet: Von herrlichstem Wetter begünstigt, war eS den Teilnehmern dieser Fahrt vergönnt, die nördliche Breite von 80 Grad 42' zu erreichen. Die>eS Mal bat die Wunderwelt des höchsten Norden« im vollen Glanz der Mitternachtssonne ihre ganze märchen hafte Schönheit qeoffenbart. Auf Spitzbergen selbst sind 5 verschicvene Buchten angelaufen worden, um einen richtigen Einblick in dieses eigen- artige Land zu ermöglichen. Nacktem man auch dem edlen Weitwerk gehuldigt, unv in der Widehai Renntiere zur Strecke gebracht hatte, wurde die Rückfahrt nach Hammersest angctreten. Diese in jeder Be ziehung so wohl gelungenen Reisen in den Gewässern SpitzbergcnS werden sicherlich jedem Teilnehmer an der Badeschen NordlandSfahrt in schönster Erinnerung bleiben. bin Expreßzog entgleist. Der Expreßgug Brüssel —Lüt- tich ist, wie uns aus Brüssel telegraphisch gemeldet wird, gestern in der Nähe der Station Momalle entgleist. Dem Lokomotivführer gelang es im letzten Augenblick, die Bremsen anzuziehcn und so zu vcr- bindern, daß der mit Reisenden überfüllte Zug den Bahndamm hinab stürzte. Die Reisenden kamen mit dem Schrecken und einigM uner heblichen Verletzungen davon, dagegen ist der Sachschaden sehr be deutend. — Der von uns gemeldete Eisenbahnunfall, der sich letzten Sonntag auf der Station A t h zugetragen hat, stellt sich nachträglich als größer heraus, als zuerst angenommen war; fünf Personen wurden sehr schwer verletzt, eine von ihnen ist bereits gestorben. Turbinendampfer Hoek van Holland—Harwich. Aus Glasgow wird uns geschrieben: Ein weiterer für die Hoek van Holland—Harwich- Route der Great Eastern-Dayn bestimmter Turbinendampfer, Schwcsterjckisf der „Copenhagen", wurde auf der Werft von Brown L Eo. in Clydebank (Schottlands vom Stapel gelassen. Bei der Taufe, die von Fräulein Lawson, Tochter von Sir Arthur Tredgold Lawson, Mitglied des Verwaltungsrates der Great Eastern-Bahn, vollzogen wurde, erhielt der Dampfer den Namen „Munich". , Er wird eine Schnelligkeit von 20 Seemeilen in der Stunde entwickeln, hat eine Länge von 343 Fuß, ein« Breite von 43 Fuß und gewährt in seinen Schlafräumen, welche mit wenigen Ausnahmen nur zwei Betten ent halten, Unterkunft für über 300 Passagiere erster Klasse. Nach den letz ten Erfahrungen der Schifssbaukunst, sowie mit drahtloser Telegraphie ausgestattet, wird die „Munich" noch vor Ende dieses Jahres in Dienst gestellt werden. Eine ganze Stadt unter Wasser. Aus Atlanta (Georgia) wird unterm 27. August telegraphiert: Nach Mitteilungen aus Augusta ist der Savannah über die Ufer getreten und setzte die Straßen der Stadt sechs bis zwölf Fuß unter Wasser. Der Fluß hat Brücken weg- gerissen und Jarmen überflutet. Drei Personen sind ums Leben ge kommen. Der Schaden wird auf 500000 Dollars geschätzt. AuS Süd-Karolina treffen Nachrichten ein, daß die dortigen Neberschtvem- mungen großen Schaden an der Baumwoll- und Getreideernte an richteten. Vom Berbrecherkongrrß. Aus New Dork wird berichtet: Der kühne Gedanke, die Verbrecher Amerikas zu einem Kongreß nach New York zu berufen, in dem die Brecher der Ordnung unter sich ihre Angelegenheiten beraten sollen, hat lebhaftes Aufsehen hcrvorgerufen und neben vielen Einwänden auch manche Betrachtung erfahren, die dem Plan als ein interessantes soziologisches Experiment in ruhige Erwägung zieht. Der Urheber des Gedankens, Dr. Ben L. Reitman, hat sich feit zwanzig Jahren das Ziel gesetzt, allen AuSgestoßenen der Gesellschaft Hilfe und Beistand zu bringen, und unausgesetzt hat er seitdem an dieser Aufgabe gearbeitet. Schon als Kind ist er mit den Kreisen in Berührung ge kommen, deren Lebensbedingungen zu erforschen er sich stets hat an- gelegen sein lassen. Als zehnjähriger Junge lief er in einer Aufwallung von Wander- und Abenteuerlust von Hause fort, schmuggelte sich mit einem Güterzug nach New Uork und gewann dann, ein Kind noch, zum ersten- mal Fühlung mit den untersten Schichten der New Uorker Verbrecherwelt. Als Fünfzehnjähriger wiederholt er die Eskapade, zum zweitenmal ver- schwindet er Plötzlich von Hause, und sein Schicksal führt ihn in eine große Stadt, wo er in den Nachtasylen und Herbergen Aufnahme erlangt. Dort wird er Zeuge, wie ein Schlafgcfährte grausam mißhandelt wird, und mit diesem Augenblick ersteht in ihm dec Gedanke, reformierend in das Leben des Verbrechertums einzugreifen und anstatt mit moralischer Belehrung durch ein praktisches und vorurteilsfreies Eingehen auf das Denken und Fühlen der AuSgestoßenen den Versuch zu machen, sie all- mählich aus den Tiefen ihres elenden Daseins emporzuführen. Seitdem hat er die größere Hälfte seines Vermögens, seine Zeit und seine ArbeitS- kraft der Aufgabe zugewandt, das Los der Gesellschaftsparias zu ver- bessern. Weite Reisen, die immer dem Studium des Verbrechers, der Gefängnisse, des Gefangenenfürsorgewesens galten, führen ihn hinaus über die Grenzen der Vereinigten Staaten; viermal weilt er längere Zeit in Europa, er besucht Afrika, sowohl Aegypten als auch Transvaal, und seine Studien führen ihn schließlich auch zu eiivr Reise um die Welt. Aber wie sehr sein Lieblingsgedanke seinen Sinn auch erfüllte, der Mann, der heute die Welt durch seinen so phantastisch klingenden Vorschlag eine» Verbrecherkongresses verblüfft, blickt auf einen reichen und gründlichen Bildungsgang zurück. In Chicago hat er an der medizinischen Universität mit Ehren sein Doktorexamen bestanden, er hat später noch in Paris im Institut Pasteur gearbeitet, in Italien unter Lombroso. Später wurde er als Bakteriologe und Pathologe in den Lehrkörper des College of Dental Surgcrh in Chicago ausgenommen und später als Lehrer für Histologie an die Tierarzneischule in Chicago berufen. Aber seine wissenschaftliche Lehrtätigkeit hat sein Interesse für die Probleme des Verbrechertums nie abzuschwächen vermocht. Jahrelang vertrat er den Standpunkt, daß eine besondere Gesetzgebung die Verhältnisse der Verbrecherwelt ordnen könne, aber heute ist er der Meinung, daß nur neue soziale Verhältnisse Hilfe schaffen können und daß alle Rcformbcwegungen nur von vorübergchen- dem Einfluß sein können. „Der Verbrecher wird heute von der Gesell schaft immer nur dann beachtet, wenn er nach einer Tat verhaftet wird. Das ist nicht die Zeit, in der man ihn und sein Wesen begreifen lernt. DaS muß geschehen, wenn er frei ist." Der Kongreß soll der Welt Ge- legcnheit geben, von den Verbrechern selbst zu erfahren, was sie zum Bruche mit Gesetz und Ordnung angctricbcn hat und welche Ziele sic erstreben. Die Polizei ßoll den Teilnehmern des Kongresses für die Dauer der Tagung freies Geleit zusichcrn. Eine Reihe bekannter amerikanischer Einbrecher haben bereits Vorträge angemeldet. „Das durchschnittliche Einkommen des Verbrechers" wird von „Boston Freddie" behandelt — denn die Familiennamen der Teilnehmer sollen grundsätzlich verschwiegen werden —, „Cincinnati Slim" spricht über das Thema „21 Jahre Ver- brecher und 21 Jahre Gefangener", wobei er statistisch nachweisen will, daß selbst die vom Glück begünstigten Verbrecher die größte Zeit ihres Lebens in den Strafanstalten zubringen. Ueber die Frau und das Ver. brechen wird die bekannte „Chicago Betz" einen Vortrag halten; einer der bekanntesten Diebe deS OstenS, „PittSburg Billy", behandelt die Pflichten der Gesellschaft gegen den Verbrecher, und so werden noch zahlreiche andere Themen, die den Laien in ihrer Fragenstellung wohl oft verblüffen, von „Fachleuten" erörtert. Unter der Bedingung, daß sie „als Männer zu Männern" reden und aller moralischen Predigten sich enthalten, sollen auch bekannte Soziologen an der Session teilnehmen, und Dr. Reitman erwartet, daß dies lebendige Studium des Verbrechertums der sozialen Wissenschaft interessante praktische Aufschlüsse geben wird. Freilich, ob die Polizei sich herbeiläßt, den Kongreßteilnehmern das verlangte freie Geleit zu gewähren, ist noch unentschieden, wird aber auf keinen Fall die Abhaltung des Kongresses verhindern. Denn in diesem Falle, so wird erklärt, soll die Versammlung im Laufe des September in oder um New Dork im geheimen tagen. König Eduard und die Halbwelt. Eine lustige Geschichte, die auch des pikanten Anstriches nicht entbehrt, spielte sich kürzlich in Marien- bad ab. König Eduard VII., der bekanntlich in dem böhmischen Kurorte alljährlich eine Entfettungskur absolviert, ist ein eifriger Kaffeehausgast. Vor einigen Tagen befand er sich in Gesellschaft mehrerer Personen in dem fashionablen und nur von den vornehmsten Gästen des Weltkur- ortcs besuchten CafL Bellevue. Er hatte an einem großen Tische Platz genommen. Das ganze Etablissement war dicht besetzt, nur an des Königs Tisch waren noch zwei Plätze leer. Plötzlich trat ein neuer Gast ein: eine hübsche, höchst ausfallend gekleidete Dame. Vergebens spähte sie nach einem leeren Stuhl, als sie die beiden leeren Plätze gegenüber dem König erblickte, und ganz ungeniert auf einem Stuhle Platz nahm. Dem Cafetier war das natürlich peinlich, daß an dem Tische des Königs eine durch ihr kokettes Benehmen und ihr« Kleidung auffallende Dame Platz nahm, und so stellte er an die anscheinend der Demimondaine an gehörige Frau in höflichen Worten das Ersuchen, sich mit Rücksicht darauf, daß diese Tafel für seine Majestät reserviert sei, sich anderswo hinzusetzen. König Eduard, der bekanntlich ein sehr scharfes Gehör be sitzt, vernahm die in halblautem Tone gesprochenen Worte und bemerkte in heiterem Tone Aum Casebier: „Ich bitte sehr, lassen Sie die Dame doch." Der Prinzipal mußte natürlich gehorchen, aber einige Augen blicke später erschien sein Kellner, nm der Dame den bestellten Kaffee zu servieren, dieser hatte sich jedoch auch ein Tischchen mitgenommen, das er in einiger Entfernung ausstellle, und nun lud er die Dame ein, sich gefälligst an diesen neuen Platz zu begeben. Selbstverständlich leistete sie Folge, und eilte in ihrer Seide rauschend und kokette Blicke um sich werfend, davon, während König Eduard über dieses kleine Abenteuer herzlich lachte, und zu seinem Nachbar scherzend meinte, daß man selbst im Alter nicht vor Versuchungen gesch-ützt sei. Kühe im Tanzsaal. In Jllminster in Nordengl-and war Tanzver gnügen. Es war gegen sieben Uhr abends, als sich die Paare nach den Klängen eines „Schottisch" drehten. Von der Straße her tönte das Horn des Kuhhirten, der wohlgemut seine Herde die Torfstraße entlang rieb. Aus einer bisher nicht ermittelten Ursache fiel es Plötzlich der Leitkuh ein, in das offene Tor der Dorfschenke einzutreten, in der das Tanzvergnügen stattfand. Auch die Türe des Tan^soalcs stand der großen Hitze und der Ventilation wegen sperrangelweit offen, und unsere gute Leitkuh trabte ganz ungeniert in den Tanzsaal, gefolgt von einigen Genossen ihres Geschlecktes. In wilder Flucht stoben die Tanzenden auseinander, und ,,die beherzten Ritter" der erschrockenen Schönen mach ten sich nun an die Arbeit, die .Kühe aus dem Saale zu jagen. Nach einigen Bemühungen gelang dies auch, jedoch so mancher Tisch und Stuhl, und auch das Klavier wurden nmpestoßen wie Kegel. Es Kauerte geraume Zeit, bis das unliebsam unterbrochene Tanzvergnügen, jetzt aber um so lustiger, seinen Fortgang nehmen konnte. Ei» orientalisches Marche« L la 1V01 Nacht hat jüngst ein An- gestellter der Zentralasiatischen Eisenbahn erlebt. Der Beamte, rin eifriger Sammler, ritt — so schreibt man dem Petersburger „Herold" — in die Umgegend von Aschabad, um Pflanzen für sein Herbarium -u reichen Sartenhaufe, in der Gesell die nicht, wie üblich, ihre Gesichter gaben, daß er ihnen sehr gefalle. Doch dem müden, hungrigen „Uruß" war es nicht nach derlei Zeitvertreib zumute, was er auch durch Gesten !. Da wurde ihm reichliches Essen und Trinken vorgesetzt, daß sich stärken konnte. Dann wurde sei» Bett bereitet, und ihm er- cten die Sartinnen, daß ihr Mann alt sei; er müsse ihnen jetzt die suchen. ES war ein glühend heißer La-. Da» Pferd des Beamten siel nach einigen Stunden einem Hitzschlaae zum Opfer, und dem jungen Dl-anne gelang es nur mit Mühe, zur Nacht i» d»e Nähe eines Carlen- lager» -u gelangen. Doch wollte er nicht die Gastfreundschaft der un bekannten Sorten in Anspruch nehmen »nd schlief im Schutze der Mauer eine» der äußersten Häuser eia. „Uruß (persisch, bedeutet „Russe"), höre „Uruß", weckte iyn eine leis«, sanfte Stimme. Im Halb dunkel der Hellen Nacht sah er eine Sartin über sich gebeugt, welche sprach: ,,Hier kalt . . . Dein sich erkälten . . Komme mein . . Und sie zog ihn mit sich. Der junge Mensch fand sich wieder in einem reichen Sartenhaufe, in der Gesellschaft von fünf schönen Sartinnen. die nicht, wie üblich, ihre Gesichter verhüllten und ihm zu verstehen gaben, daß er ihnen sehr gefalle. Doch dem müden, hungrigen „Uruß" l._. .7 ' ' * " erklärte er sV^ klärten .... .. Zeit vertreiben. Damit er keine Fluchtversuche unternehme, nahmen sie ihm die Kleider weg. So lebte er eine Woche lang bei den schonen Sartinnen. Eine der Damen, namen» Fatima, wurde von starker Liebe zu ihm erfaßt; er wollte das benutzen und sich mit ihrer Hilke befreie». Doch Fatima erklärte ihm. daß er, damit niemand von dem Geschehenen erfahre, getötet wenden müsse! Sie konnte jedoch auf die Dauer seinem Flehen nicht widerstehen und willigte in eine gemeinsame Flucht. In einer Nacht verließen sie leise daS Haus und bestiegen ein vereitgebal- tenes Pferd. Doch im selben Augnblick erschien eine der anderen Sar tinnen, die sich mit einem funkelnden Dolch ans den „Uruß" stürzte: Fatima aber warf sich schützend vor ibn und sank getroffen zn Boden. Der Gefangene sprengte davon, hinaus in die Freiheit, die er der toten Fatima verdankte Fesselnde Erinnerungen an Baden-Baden veröffentlicht Jule» Llaretie im „TempS"; den Anlaß dazu bietet ihm da- fünfzigjährige Jubiläum der Iffezheimer Rennen. „Baden-Baden vor fünfzig Jahren!" ruft er doll Wehmut. „Baden-Baden zur Zeit B^nazetS, des Königs der Schwarz. Wälder, der Philanthrop und Spekulant in einer Person war, wie eS schon sein Vater Jacques BSnazet, der ehemalige Oberst einer Legion der Pariser Nationalgarde und Ehrenbürger von Baden-Baden, gewesen war. Vor fünfzig Jahren konnte der jetzt vergessene geistreiche Eugene Guinot schreiben: „Wenn ein Unwissender fragte, welches die Hauptstadt Europas ist, würde man ihm antworten: Europa hat zwei Hauptstädte: eine Winterhauptstadt, Pari», eine Sommerhauptstadt, Baden-Baden." Es gab wirklich eine Zeit, wo Baden-Baden ein sommerliche» Pari», eine „Filiale" von Paris, ein Nest, ein Zufluchtsort für BouIevardierS war. Man war hier sozusagen zu Hause, und Scholl oder Villemeffcmt waren in Baden-Baden beinahe ebenso mächtig und angesehen, wie der Groß herzog in eigener Person. Baden-Baden war damals da» Paradies der Spielerinnen, der Sängerinnen und der Pariser ChroniguerS. Und die badischen Soldaten mit den Pickelhauben, blaue Dragoner oder Artille, risten mit grauen Hosen, machten auf uns den Eindruck von Parade soldaten, die nur da zu fein schienen, um das Gewehr zu präsentieren, wenn jemand vorüberging. Maxime du Camp, der noch nach dem Kriege in Baden-Baden gelebt hat, sagte eines Tage» zu mir: „Die Soldaten, gegen welche wir 1870/71 gekämpft haben, waren nur von Pappe, mit denen verglichen, die wir heute zu bekämpfen haben würden!" Vor fünf zig Jahren interessierten sie uns nur wegen ihrer Musikkapellen. Und das Jubiläum der Rennen ruft uns jene Zeit der Illusionen ins Gedächtnis, in welcher Froufrou, die Jroufrou von Meilhac und Halsvy, als sie er fuhr, daß man ihren Gatten zum Gesandten in Karlsruhe ernannt hatte, erstaunt auSrief: „Aber du sagtest mir ja, daß man dich als Gesandten nach dein Auslande schicken wolle?!" Eines Tages gab man in Baden. Baden Molieres „Misanthrope" in einer Aufführung, die berühmt ge- blieben ist, weil sie bewies, daß MoliSre keinerlei Inszenierung braucht, um Moliöre zu bleiben. Schauspieler der TomSdie Frangaise waren ein- getroffen, um das Meisterwerk des größten Lustspieldichters der Fran zosen zur Darstellung zu bringen; als sie aber auftreten wollten, ent» deckten sie zu ihrem Schreck, daß ihre Kostüme unterwegs verloren gegangen oder irgendwo liegen geblieben waren. Da mit dem Großherzog von Baden der König und die Königin von Preußen der Vorstellung beiwohnen woll ten, entschloß man sich, den „Misanthrope" in modernen Kostümen zu spielen — man denke: Nlceste im schwarzen Gesellschaftsrock und Cdli- möne in einer stark ausgeschnittenen Ballrobe! Aber die Aufführung verlief glänzend, und König Wilhelm sagte nach dem fünften Akt zu den Schauspielern: „Ich habe Moliere niemals besser verstanden und niemals mehr bewundert, als heute abend!" Dieser König von Preußen — schreibt Clarctie —, der damals sicher noch nicht glaubte, daß er einst Kaiser von Deutschland werden würde, machte auf uns mit seiner freund lichen Familiarität, die jedoch nie das vornehme Wesen vermissen ließ, den Eindruck eine» einfachen Menschen, wenn er wie irgendein sriedlicker Bürger seinen Verdauungsspaziergang machte. Man ahnte damals weder Sadowa noch Sedan! Sadowa vielleicht doch schon. Wenn die preußische Militärmusik spielte, taten die österreichischen Offiziere, die in ihren weißen Uniformröcken sehr elegant aussahen, al» wenn sie nicht hin. hörten; spielte aber eine österreichische Kapelle, so hörten wieder die preu- ßischen Offiziere nicht hin ..." Emmannl-ArSne-Anekdoten. Der dieser Tage verstorbene franzö sische Schriftsteller und Politiker Emmanuel ArSne, den man den un gekrönten König von Korsika hätte nennen können, hat einer großen Anzahl seiner Landsleute gute Äeamtenstellungeu verschafft. Sein Ein fluß war groß, und außerdem war Arene so gutmütig, daß er keinem Menschen etwas abschlage-n konnte. Als er — so erzählt das „Echo de Paris" — sich eines Tages im Arbeitszimmer eines Ministers des Innern befand, entdeckte er ein großes Blatt Papier, daS mit einer Menge Namen beschrieben war. „Was bedeutet diese Liste?" fragte er. — „Das ist der neue Präfekten, und Unterpräfektenschub." — „Lassen Sie mal sehen." Er nahm die Liste und las: „Zwei Korsen, ein -Mar seiller, zwei Korsen, ein Pariser, zwei Korsen, ein Toulouser." Dann gab er die Liste zurück und sagte befriedigt: „Eine ausgezeichnete Be- törderungsliste! Hier ist endlich einmal die Proportion gewahrt." Ein- mal hatte Arene für einen Lehrer die akademischen Palmen und für einen Landwirt den landwirtschaftlichen Verdienstorden verlangt. In- folge eines Irrtums bekam aber der Landwirt die Palmen und der Lehrer den Verdienstorden. Der Lehrer telegraphierte an Arene, der ibm erwiderte: „Tauschen Sie mit dem Landwirt!" „Und daS taten sie auch", schloß Ar»ne, wenn er diese Geschichte erzählte. Mit einem Ingenieur, den die Regierung nach Ajaccio geschickt hatte, dann! er dort verschiedene Arbeiten vornähme, konnte sich Arene nicht recht befreunden. Der Ingenieur trug sich mit einem ganzen Haufen großzügiger Vrojekte, und Ar»ne fand, daß alle diese Projekte für Korsika nichts taugten. Monatelang bekämpften sich der Ingenieur und der Abgeordnete in Briefen und Depeschen, die sie an den Minister richteten, auf das has tigste. Eines Tages aber bekam Arene die Sache satt; er setzte sich bin und telegraphierte an den Minister. „Wir haben uns endlich ver ständigt. Herr L. ist eil. ganz ausgezeichneter Ingenieur, der sofort bcssörbert zu werden verdiente." Einige Tage später wurde Herr X. zum Generalinsvektor ernannt, und von seinen korsischen Projekten war nicht mehr die Rede. Rückert und die Luftschiffahrt. Die künstliche Atmung, die bei Höhen, führten den Luftschiffern unerläßlich ist, scheint, wie die „Deutsche Zeitung für Luftschiffahrt" bemerkt, von Rückert schon in seiner Weisheit des Brahmanen vorauSgeahnt worden zu sein. ES heißt dort: „Der Mensch ist nicht gemacht, zum Himmel aufzusliegen, Die Flügel fehlen ihm, sich vogelgleich zu wiegen. Und hält' er Flügel auch, und fehlt' ihm nicht» am Schwünge, Kein Vogel würd' er doch mit seiner Menschenlunge. Auf hohen Bergen schon geht ihm der Atem au». Behaglich ist er nur auf mittlerer Höhe zu Han». Und füllt er seinen Ball mit Lüsten oder Feuern, Und lernt durch» Meer der Lust al» wte durch» andere steuern, Was hilft'» ihm, wenn er auch nicht füllen zum verbrauch » Der Luftfahrt kann mit Lust zum Atmen einen Schlauch?" — Wenn Dichter reisen. Man schreibt un«: Jüngst brachte da« Leipziger Tageblatt unter dieser Spitzmarke eine amüsante Schilderung. Die» ruft eine kleine, hübsche Erinnerung au» Capri in mir wach. Dort hatte in einem Fremdenbuch ein Herr sich unter der stolzen Bezeichnung ein getragen: L. y.. Dichter. Da» la» ein Witzbold, der damal« gerade in dem Hotel wohnte. Flug» setzte er sich hin und schrieb folgende» — mit- unter gar nicht unwahres — VerSchen darunter: Wenn Dichter reisen. Die meisten Dichter haben auf der Reise Beim Kofferpacken diese Art und Weise: Zu unterst Hemden, Wäsch' und Taschentücher. Zu obcrft dann die Manuskriptenbüchcr. Die Wäsche, sie verträgt den Druck ganz gut, Indessen da» Gewäsch da» weniger tut. Der Dichter soll de,in Lesen dieser Zeilen eia wenig geistreiche» Gesicht gemacht haben.
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