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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.08.1908
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-08-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080828013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908082801
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908082801
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-08
- Tag 1908-08-28
-
Monat
1908-08
-
Jahr
1908
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«r. 338. 1V3.J-hr«. Leipziger Tageklrit. Nuhegebaltskasse und der Witwen- undWaisenpen- sionSkasse deutscher Erwerbs- und Wirtschaftsycnossenschaften statt. Die Hilsskafle, die im Jahre 1887 in? Leben gerufen wurde und die unterstühungS- bedürstikien Vorstandsmitgliedern und Angestellten von Genossenschaften >m stalle besonderer Bedürftigkeit einmalige und laufende Unterstützungen gewährt, verfügt zurzeit über einen Mitgliederbestand von 303 Mit gliedern (Verbänden, Vereinen, Personen,. Das Gesamtvermögen der HilsSkalse belief sich am Schluß des abgelauscncn Geschäftsjahres auf rund 128 MO .il. An Unterstützungen sind im abgelausenen Oseschästs- jahr insgesamt rund 10200 .4 gewährt worden. Die seit Bestehen der Hilfskasse von dieser gewährten Unterstützungen belaufen sich, einschließ lich der Prämienbeibilsen, die die Hilsskasie für ältere Mitglieder zu den Prämien für die Nuhegebaltskasse und Witwen» und Pcnnonskasse seit Bestehen dieser beiden Kassen zahlt, auf rund 200 000 .<l. Die Nuhegebaltskasse blickt aus da? 9. Geschäftsjahr zurück und verfügt über einen Mitglieder bestand am Schluß des Geschäftsjahres von 713 persönlichen Mitgliedern, Genossenschaften und Verbänden. Das Vermögen der Kasse beträgt rund 800 0(>0 .<(, da? versicherte Dicnsteinkommen l'si Millionen Mark. An Pubegcbältern wurden rund 10 000 gezahlt. Zurzeit sind 17 Pen sionäre vorhanden. Die jährlichen Prämien von persönlichen und kor porativen Mitgliedern beliefen sich im letzten Iabr auf rund 100 000 .§. Die am 1. Januar 1907 ins Leben getretene Witwen- und Waiseni- Pensionskasse bat eine recht gute Entwickelung im ersten Geschäftsjahr genommen. Die Miraliederzabl an Verbänden, Vereinen und persön lichen Mitgliedern belief sich insgesamt Ende 1907 auf 322. In der W-cnsenkalle wurden im Berichtsjahr 205 Kinder versichert. Die Ge samteinnahmen der Kasse beliefen sich auf rund 90 000 .K, die Ausgaben aus rund 85 000 .tl, wovon rund 80 000 zum Ankauf von Effekten ver wandt wurden. — Das Gesamtvermögen der Witwen- und Waisenkasse beläuft sich aus rund 50 000 ,<t, das versicherte Dicnsteinkommen in der Witwcnkafse Ende 1907 aus 8503M .<(, das versicherte Erziehungsgeld in der Waiienkasic Ende 1907 aus 43140 .K. — Alle diese Kallen zeigen mit ihrer erfreulichen Entwickelung auch ihrerseits, was die Selbsthilfe vermag. * lDclegräpbischer Bericht., 8. u. H. Frankfurt a. M., 27. August. Die dritte Hauptversammlung des 49. Allgemeinen Deutschen Genossenschaststages des Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden Deutschen Erwerbs- und Wirtschastsgenossenschaften beschäftigte sich heute vormittag mit Ange legenheiten der Kreditgenossenschaften. Den Vorsitz führte Iustizrat Wolski (Allenstein). An erster Stelle wurde der Antrag des Gc- samtaus'chusies über die Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes behandelt. Der Antrag will folgendes zum Beschluß des Genossenschasts tages erheben: „1, Die. Schulze-Dclitzschschen Kreditgenossenschaften haben cs stets als ihre Aufgabe betrachtet, auf die Entschuldung des ländlichen Grund besitzes hinzuarbeilen, indem sie ihren ländlichen Mitgliedern Zwischen kredit einräumen, wodurch diesen die Konvertierung und Regelung der hypothekarischen Belastung ihres Besitzes ermöglicht oder mindestens er. lieblich erleichtert wird, und indem sie ihnen gegen hypothekarische Sicher heit zu mäßigem Zinsfüße und gegen entsprechende Abzahlungen Kredit gewähren. 2) Für die Gewährung unkündbarer und nur durch Amorti sationsraten tilgbarer Kredite zum Zwecke der Entschuldung des länd- lichen Grundbesitzes, sowie für die Uebernahme von Bürgschaften für derartige Kredite müssen die Genossenschaften des Allgemeinen Verban des außer Betracht bleiben." Genossenschaftsanwalt Tr. Crügcr (Charlottenburgf legt die Gründ« dar, aus denen er im vorigen Jahre aus dem Leipziger Ge- nossemchastst-age den Antrag betr. die Stellungnahme der Schulze- Delitzschschen Genossenschaften zur Entschuldungsaktion zurückgezogen habe. Referent kritisiert dann die Verschuldungsstatistik, deren Ergeb nisse nicht einwandfrei seien. Wichtiges Material über die Entschul- dungsaktion biete die Konferenz der Generallandschaftsdirektoren, die im September 1902 stattgefundcn habe. Für die Entschuldung selbst habe man ins Auge gefaßt 114 Prozent Amortisation der betreffenden Hypo theken. Außerdem sollten die Landschaften die Amortisationsguoten der von ihnen beliehenen ersten vier Sechstel zur Kündigung der Nach hypotheken zur Verfügung stellen. Inzwischen sei das. Gesetz vom Jahre 1906 betreffend di« Eintragung der Verichuldungsgrenze er- gangen. Die Ansichten über die wirtschaftliche Bedeutung der Verschul. dungsgrenze seien sehr verschieden. Vielfach halte man die Eintragung direkt 'iir schädlich. Im preußischen Abgeordnetenhau'e habe man ein gehend verhandelt über die Beschaffung der Mittel zur Durchführung der Ent'chuldungsaktion. Der Finanzminister habe eine Beteiligung abgelehnt, eben'o die preußische Zentralgenossenschastskasse. So habe man eine ganz allgemein gehaltene Resolution gefaßt, in der man den Genossenschaften einfach diese Aufgabe zudiktierte. Zum Schlüsse wendet sich der Referent dem positiven Teil des Antrages zu. Es gebe nicht bloß eine Nealkreditverschuldung, sondern auch eine Perkonalkredit- Verschuldung. Auf dem Gebiete der letzteren hätten sich die Schulzc- Delitz'chschen Genossenschaften wirksam betätigt. In unzähligen Fällen >eien Landwirte durch Schulze-Dclitzschsche Kreditgenossenschaften aus den Händen von Wucherern befreit worden, und ebenso hätte man viel- sach für ländliche Besitzer durch Gewährung von Zwischenkredit die Re gulierung der Hvpothekenschuld vermittelt. Redner ist der Meinung, daß, wenn überhaupt ein Institut für die Entschuldungsaktion in Be- tracht kommen könne, dies nur die Landschaft als Nealkreditinstitut sein könne, jedenfalls niemals die Kreditgenossenschaften nach ihrer wirt- 'chaftlicben und rechtlichen Natur. Der zweite Referent zu diesem Thema, Verbandsdirektor Neuge bauer (Breslau), spricht aus der Praxis heraus. Nach seiner Ansicht lieg« die Sache so, daß d,e Frage wicht so negiert werden dürfe, wie es der Verbandsanwalt getan habe. Er stelle sich in der Beurteilung dieser Frage auf einen anderen Standpunkt wie der erste Referent, der durch eine absolute Ablehnung der Entschuldungsaktion den Genossenschaften nur Schaden zufüge. Redner empfiehlt deshalb in seinen Ausführungen die vorliegenden Anträge aus das wärmste. In der sich hieran anschließenden lebhaften Diskussion wendet sich zunächst der Präsident der Zentralgenossenschastskasse, H e i l i g e n stad t, gegen verschiedene Auffassungen des Referenten, der ihm unterlegt habe, er habe die Angelegenheit als eine preußische be zeichnet. Das sei nicht der Fall gewesen. Seine Ansicht gehe dahin, daß die Frage noch nicht spruchreif sei, wenigstens in vollem Maße. Die Eintragung der Vcrschuldungsgrenze habe aber nichts zu tun mit einer Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes. Im ganzen stelle er sich auf den Standpunkt, daß man den Antrag des Gesamtausschusses zur An nahme empfehlen könne, weil er die Materie vorwärts bringe. Für den Antrag sprechen ferner Justizrat Alberti Wiesbadens, Dirichlet sDar- kehmcns und Regierungsrat Dr. Hecht sKarlsruhes. Dieser erklärt von seinem badischen Standpunkte aus, daß die Frage nicht nur für den Norden, sondern auch in erheblicher Weise für den Süden akut ge worden sei, und nicht nur für die Landwirtschaft, sondern für das Ge werbe und die Industrie. Eine Erhebung, die die badische Negierung vorgeuommeu habe, habe bei einer Bevölkerungszahl von etwas über 2 Millionen ergeben, daß eine Verschuldung au Hypotheken von etwa 2 Milliarden Mark in Baden vorhanden sei. Ans diesem Prozentsatz ergebe sich, daß die Frage der Entschuldung nicht einseitig für die Land- wirtschaft brennend sei, sondern in noch erheblicherem Maße für das Handwerk. Auch dieser Redner empfiehlt die Annahme des Antrages des Gesamtausschnsses. Deutsches Reich. Leipzig, 28. August. * Tas Kaiser paar in Metz. Um 10 Uhr begann auf dem großen Exerzierplätze bei FreScati die Parade über das 16. Armeekorps und die in Mey stehenden bayrischen Truppenteile. Die Truppen standen in einem Treffen in einem Viereck, dessen noch zum Teil freie Nordwest seite durch Tribünen für das Publikum, berittene und unberittene Zu schauer, Reserve und Landwehr, für die Kriegsschule und die Krieger vereine ausgefüllt wurde. Letztere zogen sich bis zum C hloß von Fres- cati hin, wo der Kaiser zu Pserde stieg. Es waren Kriegervercine des Korpsbeznks und Abordnungen der Kriegervereine des 16. Armeekorps ans Westfalen und der pfälzischen Kampsgenossenschast. Der Kaiser in der Uniform des Königsinfanterie-RegimentS Nr. 145 mit dem Ab zeichen eines GeneralfeldmarschallS hatte sich am Ausgange des SckstoßhofeS von FrcScatr an die Spitze der Fahnenkompanie des Infanterie-Regimentes Graf BarfuS Nr. 17 gesetzt und führte diese auf den Paradeplatz. Mit dem Kaiser ritten der Kronprinz in der Uniform seines bayrischen Ulanen- RcgimcntcS, die Kronprinzessin in schwarzem Reitkleide mit schwarzem Dreispitz und die Prinzen Eitel Friedrich, August Wilhelm und Oskar. In der Mitte des Platzes übergab der Kaiser die neuen Fahnen des Korps mit einer Ansprache dcn Kommandeuren der betreffenden Truppen teile; die Fahnen rückten unter dem Präsentiermarsch an. Der Kaiser und die übrigen Fürstlichkeiten ritten darauf die Fronten der Krieger vereine ab. Die Kaiserin hatte mit der Prinzessin Eitel Friedrich in einem sechsspännigen Wagen Platz genommen. Der Kaiser zeichnete viele von den alten Kriegern durch Ansprachen aus. Das Publikum auf der Tribüne brachte Hochrufe auf den Kaiser, die Kaiserin und die Kronprinzessin aus. Es folgte das Abresten der Fronten des Korps. Der König von Sachsen, der Großherzog von Baden und Prinz Leopold von Bayern ritten die Fronten der Truppenteile der betreffenden Bundesstaaten mit ab. Die Parade stand unter dem , Kommando des Generals der Infanterie von Prittwitz und Gaffron. — Beim ersten Vorbeimarsch defilierte die Infanterie in t Kompaniefront, die Kavallerie in SchwadronSsront, die Artillerie in Baiterieiront; die berittenen Truppen im Schritt. Beim zweiten Vor beimarsch ging die In'anterie in Regimentskolonne, die Kavallerie in Eskadronsronien im Galopp, die Artillerie in Abteilungsfronten im Galopp vorüber. Der Kaiser führte beide Male sein Regiment Nr. 145 der Kaiserin vor, ebenso der Großherzog von Baden sein 8. bayrisches Regiment. Prinz Leopold von Bayern defilierte jedesmal mit den bayrischen Truppenteilen. Die Parade endete um ein Uhr. Während des Abreitens der Fronten durch den Kaiser hatten die Forts Salut geschossen. Nach der Parade kehrte die Kaiserin im Wagen mit einer GeleitSeskadron nach Metz zurück. Der Kaiser, dem der Kronprinz und die drei anderen lästerlichen Prinzen folgten, führte die Fabnenlompanie vom 4. Magdeburgstchcn Infanterieregiment Nr. 67 und die Standarten- eSladron des Husarcnregiments König Humbert Nr. 13 nach dem Generalkommando. Auf "dem ganzen Wege wurde er von anhaltenden Zurufen begrüßt. * Lanittansstichwahl in Brauusckweig. Bei der gestrigen Landtags stichwahl zwischen dem Brauerei-Inhaber Dr. Wolters und dem Sozial- dcmolrcst-n Rechtsanwalt Jasper wurde Dr. Wol'erS gewählt. § Frauenstimmrecht in Walbeck-Pyrmont. In den Fürstentümern Waldeck-Pyrmont finden die Landtagswablen am 7. September statt. Es sinv 15 Volksvertreter zu wählen aufGrnnd des Dreillafsen- systems nnv der indirekten, öffentlichen Stimmabgabe. Der entschiecene Liberalismus nimmt zum erstenmal an den Wahlen test. E n Flugblatt Feuilleton. Der rimftrittene Tolstoi. Von Eduard Goldbeck. Am LS. August scicrt Graf Leo Tolstoi seinen achtzigsten Geburtstag. Nun bar der Petersburger Gouverneur Tambow ein Zirkular erlassen, in welchem jede öffentliche Feier auf das strengste untersagt wird. Weder Schulen noch Behörden dürfen irgend etwas untcrnebmen, was als eine Ehrung Tolstois gedeutet werden könnte. Dieses Zirkular ist ein Stim mungssymptom, das in der ganzen Welt interessieren wird. In Rußland hat nämlich ein phantastischer Kampf pon Kundgebungen für oder wider die geplante Feier begonnen. Tolstoi selbst hat zwar die russische Ge sellschaft gebeten, pon jeder Demonstration Abstand zu nehmen, aber trotz, dem haben sich die sogenannten Intellektuellen nuf der einen Seite, die Reaktionären auf der anderen Seite zusammengcschart und der Name des greisen Einsiedlers von Jaßnaja Poljana ist zu einem Kampfruf ge worden. Diese Erregung wird das Bild Tolstois trüben und es ist vielleicht nützlich, seine reinen Linien einmal wicderherzustellen. Die unbefangene Betrachtung wird uns auch den Maßnahmen der russischen Behörden gegenüber den richtigen Standpunkt geben. Die Angelegenheit ist ja von einer Bedeutung, die nicht an den Grenzen Rußlands erlischt. Tolstoi gehört der Menschheit an und wir alle, die wir ihm Stunden der Er- bebung verdanken, sind daran interessiert, daß die Feier seines achtzigsten Geburtstages würdig verlaufe und daß sic nicht das Signal zu einem partiellen Bürgerkriege werde. Wenn es sich nur um den Künstler Tolstoi handelte, der unbestritten der größte Epiker des neunzehnten Jahrhunderts ist, so würde die russische Bureaukratic gewiß nichts dagegen einzuwcnden haben, daß sein Ju biläum mit allem Pomp gefeiert würde. Man würde sogar die Be- teiligung der Intelligenz und des Volkes gutheißcn, denn jeder Russe weiß ja, daß Tolstoi für dcn Ruf seines Vaterlandes unendlich mehr getan bat, als irgendein lebender Mensch und daß zumal die Leistungen des offiziellen Rußlands neben den seinigen verblassen. Jeder gebildete Aus. länder kennt nicbt allein den Namen Tolstoi, er steht auch in einer inneren Beziehung zu ihm, liebt oder haßt, verehrt oder bekämpft ihn, aber ganz jicbcr bat er sich seinem Einflüsse nicht zu entziehen vermocht. ..Anna Karenina" ist eine Leistung, die auf dem Gebiete des Romans neben die snönten Scbövfunaen Shakespeare« gestellt werden darf. In Tolstoi aber leben bekanntlich zwei (Seelen. Je älter er wurde, desto mehr gewann seine urcbristlich reformatorische Richtung in ihm die Ueberhand. lind dieser Richtung gegenüber müssen wir uns in aller Ehrerbietung vor dem > großen Manne unseren abweichenden Standpunkt wahren. In Tolstoi ist die Institution sehr viel stärker als die Selbstkritik. Seine sozialen Reformen sind undurchführbar und sein Verstand besitzt nicht die Kraft, diese Ilndnrchführbarkeit zu erkennen. Das Gefühl reißt ihn fort. Die Wärme und Tiefe seiner Empfindung durchglüht und begeistert auch uns und wir erquicken uns an der „Allgegenwart des Gewissens", die ein feiner französischer Kritiker ihm nachgernhmt hat, aber wenn wir dann das Buch ans der Hand legen und nüchtern darüber Nachdenken, was es uns eigentlich geleistet hat, dann gewahren wir, daß hier ein Dichter, ein Schwärmer in der MaSkc des sozialen Reformators gesprochen hat und daß seine Anregungen zwar zur Läuterung unseres inneren Ich wertvoll sein mögen, daß sie aber für die praktische Verbesserung unserer staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen keinen Anhalt gewähren. Ja, wir können vom Standpunkte des Politikers nicht leugnen, daß sie un gemein gefährlich sind. Tolstoi rät zur Verweigerung des Militärdienstes, er empfiehlt den passiven Widerstand, er hält jede Negierung für über- flüssig, ja für schädlich, er fordert in einem Lande, in dem die Terroristen mit Dolch tlitd Bombe wüten, die Abschaffung der Todesstrafe, kurz, er ist Anarchist. Ein Edelanarchist, aber ein Anarchist. In einem Staate, dessen Fundamente unerschütterlich gefügt sind, besten Ordnung gesichert ist, in einem solchen Staate kann man über dergleichen Utopien lächeln, selbst, wenn sie von einem Manne ausgesprochen werden, besten Worten Millionen lauschen. In einem Staate aber, in dem die Ruhe nur mit gewaltsamen Mitteln und rein äußerlich hergestellt ist, in dem jeden Augenblick die revolutionären Zuckungen sich wieder regen können, in einem solchen Staate ist diese Sprache überaus bedenklich. Wir sind davon überzeugt, daß Tolstoi fast in jedem modernen Kulturstaat und ganz sicher sowohl in Frankreich wie in Deutschland längst dem Straf, gcsch verfallen wäre. Er hat nicht allein die höchsten Beamten Mörder genannt, sondern mit seiner Kritik auch vor der Person des Zaren (und, nebenbei gesagt, vor der Person des Deutschen Kaiser») nicht Haltgemacht. Die russische Regierung ist klug genug gewesen, ihm die Martyrerkrone, nach der der alte Mann sich sehnt, zu versagen. Daß d,e Behörden nun gegen eine offizielle Feier seines Geburtstages Einspruch erheben, ,st begreiflich, wenn eS auch würdiger und weiser wäre, eine passive Haltung cinzunebmcn und den Strom der Begeisterung verrauschen zu lassen. Wir aber sollten uns nicht allzu laut über russische Sünden beklagen. * * Vom Kölner Rrsidenztheater. Ans Köln wird uns berichtet: Am nächsten Sonnabend wird die neue Direktion des Residenz» thcatcrs, Frau Annie N c n m a n n - H o f e r und Erwi n P n r O n, die WinterspielAkit mit dem Ncdolttlionsdramn arle Aiitoinct 1 c" von Annie Neumann-Hofer eröffnen. Eine groß« Anzahl von Neuheiten ist für das Theater bereit« erworben worden. Arett-a, 28. «««ist 19V8. des NeichStagsvertreierS Walbecks, Dr. Potthoff, stellt die Wahlrechts frage in den Vordergrund. Während in Waldeck Dienstboten und Un verheiratete ohne eigenen Hausstand nicht wählen dürfen, besitzen unter Umständen Frauen das Wahlrecht. Das Wahlreglement sagt hierüber: „Wer in einer Gemeinde an direlten Staats- und Gemnnveabgaben fo viel entrichtet, als einer der drei höchstbesteuerten Gemeindewähler, ist, auch obne in der betreffenden Gemeinde zu wobnen, oder sich daselbst aufzuhalten, zur Teilnahme an den Wahlen berechtigt, sofern er nur übe>haupt das Gemeinverecht in einer inländischen Gemeinde besitzt. Auch volljährige, nn Gemeindebezirk ihren Wohnsitz habende Frauens personen nehmen unter gleicher Voraussetzung teil an der Wahl; sie müssen sich jedoch durch einen Bürger derzeitigen Gemeinde vertreten lassen, in welcher sie das Wahlrecht ausüben wollen." Die Wahl der Abgeordneten ist auf den 28. September festgesetzt. * Tie Lptelwarentudttstrie. Die für die Spielwarenindustrie noch bestehenden Ausnahmebestimmungen im Kinderschutzgesetz sollen, wie uns ein Privattelegramm aus Sonneberg meldet, am 1. Januar 1909 ausgehoben werden. * Kall Schücking. Wie uns ein Privattelegramm aus Flens burg meldet, steht jetzt sest, daß der Schleswiger Regierungspräsident v. Dolega-Kopierowski, der bekanntlich aus „Urlaub" weilt, nicht wieder auf feinen Posten zurückkehrt. * Aufruf des Evangelischen BuuöeS. Die 21. Generalversammlung des Evangelischen Bundes zur Wahrung der deutsch - protestantischen Interessen findet vom 4. bis 8. Oktober in Braunschweig statt. Der Zentralvorstand erläßt gemeinsam mit den Vorständen deö Hauptvereins und der Zweigvereine im Herzogtum Braunschweig sowie mit dem großen Festausschuß einen Aufruf, in dem es heißt: „Um dem viel angefeindeten deutschen Protestantismus vie kraftvolle Auswirkung seiner volkserneuernden Lebenskräfte zu sichern und die gebührende Stellung im öffentlichen Leben zu erringen, haben sich nunmehr an die vierhunderttausend evangelische Deutsche verschiedener kirchlicher und politischer Richtungen in den 38 Hanptvereinen des Eoangeltschcn Bundes mit mehr als 2400 Zweigvereinen zusammengeschlossen. — Die 21. Generalversammlung des Evangelischen Bundes in Braunschweig soll erneut bezeugen, welche Fülle von Pflichten diese hohen Ziele den deutschen Protestanten auf den mannigfachsten Lebensgebieten auferlegen. Darum stellt die Braunschweiger Bundesversammlung unter der guten Losung: „Deutsch-evangelische Aufgaben." * Ein scharfes Dementi. Zu einem Artikel der „Dortmunder Zeitung" vom 20. August unter der Ueberschrift „Eine Englandleise Kaiser Wilhelms" schreibt die „Noiddenlsche Allgemeine Zeitung": Wir sind zu der Erklärung ermächtigt, daß bei der Zusammenkunft des Kaisers mit dem König von England von einer kommenden Herbst geplanten Reise dcS Kaisers nach England mit keiner Silbe die Rede gewesen ist. Die in dem Artikel ausgestellte Behauptung kennzeichnet sich als eine ebenso dreiste Erfindung wie die von demselben Blatte für Mai dieses Jahres verbreitete Nachricht, Hotbeamte seien nach England gereist, um dort Vorbereitungen für den Kaiserbesuch zu treffen. * AeichStagSrrsatzwahlen. Im Reichstage sind zurzeit 4 Mandate unbesetzt, 3 infolge Todesfalles, 1 infolge MandatSniererlegung und zwar: 4. Potsvam (Prenzlau-Angermünde): bisher v. Winterfeldt- Menkin (Kons.) i, 1. Königsberg (Memel-Heydekrug): bisher Schwabach (Natl.) Mandat niebergelegß 2. Braunschweig (Helm- stedt-Wolffenbüttel): bisher v. Kaufmann (Hosp. d. Natl.) -f, 1. Pfalz (Speyer) bisher Ehrhart (Soz.) f. Die Ersatzwahlen werden alle noch im Oktober stattfinden vor dem Wicderzusammentritt des Reichs tages, so daß dieser, wenn nicht neue Verluste einireten, vollzählig sein wird. Die Wahlkreise dürften alle nn Besitze der Parteien bleiben, auch der pfälzische Kreis wird nach dem Scheitern der Kan didatur Posadowsky den Roten nicht zu entreißen sein. 1907 wurrcn an Stimmen abgegeben: in 4. Potsdam 13 266 konservative gegen 4237 sozialdemokratische und 3710 freisinnige, in 1. Königsberg in der Stich wahl 11 403 uationalliberale gegen 6431 konservative, in 2. Braun schweig 14122 nationalliberale gegen 7998 sozialdemokratische, 4876 welfnche und 472 Zentrumsstimmen, in 1. Pfalz in der Stichwahl 21 826 sozialeemokratische gegen 15 794 nationalliberale. Hätte bier daS Zentrum die Kandidatur Posadowsky unterstützt, so wäre dieser sicherlich mit 3000 Stimmen Plus gewählt worden. In allen beteiligten Kreisen treten die genannten Parteien wieder aus den Plan. * Militärische Eisenbahii-Krankenwage». Wie die „Inf." von militärischer Seite erfährt, w:rdcn demnächst Versuche mit Eisenbahn- Krankenwagen gemacht wereen, die vermög; sinnreicher Konstruktionen leicht desinfiziert werden können und dadurch die Verschleppung an steckender Krankheiten während größerer Truppentransporte (z. B. im Kriege und im Manöver) zu verhüten imstande sind. Die ersten Ver suche wurden in den Jahren 1904 und 1905 gemacht. Die Wagen haben eine für Krankenzwccke besonders geeignete Einrichtung und werden durch einen Apparat desinfiziert, der den strömenden Waffer- dampf von der Maschine der Lokomotive bezieht. Sobald ein Kranker genesen ist unv den Wagen verlassen hat, wird der ganze Innenraum mit heißem Dampf so lange durchströmt, bis die Desinfektion voll kommen und der Wagen von Anstecknngsstoffen frei ist. Mit diesem Desinfektionsapparat ist auch ein Trockenapparat verbunden, der dazu dient, die Feuchtigkeit, die von dem heißen Dampf im Wagen zurück bleibt. vollliänvig zu beseitigen. Die Äeriuche früherer Jahre sollen nun wieder ausgenommen werden, da die Erfahrungen im russisch japanischen Krieg die Notwendigkeit eines solchen Eisenbahn-Kranken wagens ergaben. * Ansichtspostkarten in Päckchen. In den meisten Ländern sind Ansichtspostkarten, die nicht in gewöhnlicher Weise einzeln und offen, (Wie bekannt sein dürfte, werden auch zwei frühere Mitglieder des Leip ziger Schauspielhauses, Frau Kronau und Fräulein Häbcrlin in dem Theater jetzt und in dcn nächsten Jahren auftreten. * Ein neunzehnjähriger Oprrettenkomponist. Uns wird geschrieben: Der neunzehnjährige Leipziger Komponist Ludwig Dubiner hat die Komposition einer Operette „K u r z s ch l u ß" vollendet. Das Libretto hat ihm Rechtsanwalt Dr. Springer in Leipzig geliefert. Kleinere Kompositionen Dubiners sind bereits im Verlage von Emil Grude in Leipzig erschienen. * Ensemblegastspiel des Berliner Lustspielhauses. Donnerstag, den 3. September, beginnt daS Berliner Lustjpielhaus ein auf drei Abende berrch» iieteS Gastspiel mit seinem neuesten Schwank „Die blaue Maus", drei Akte von Alexander Engel und Julius Horst, im Krislallpalast. Die weibliche Hauptrolle wird von Flau Feliziia Cerigieli dargeslcllt, die sie auch in Berlin kreiert hat. * ,Israel" von Hcnrn Bernstein. Das neueste Stück des geistreichen Franzosen Henry Bernstein, dessen Uraufführung gleichzeitig am Rejanc Theater in Paris und im Neuen Theater in Berlin stattfindcn wird, be handelt das Problem des Rasscnkampfcs. Der spannendste und dra matischste Moment des Stückes ist jener Augenblick, da die Mutter eines tungen Aristokraten und cnragiertcn Antisemiten ihm eröffnet, daß er selbst der Sohn eines Juden ist, dem sie sich einmal in Liebe hingegcben. * Ter Tod Walter Letsttkoms ein Selbstmord? Die Wiener „Zeit" läßt sich von ibrem Berliner Korrespondenten als" zuverlässig telegraphieren, daß der Tod Walter Leistikows bestimmt auf Selbstmord zurückzuführen sei. Er hat sich drei Rasiermesser verschosst und sich damit die Keblc durchschnitten. Ein unheilbares Leiden Halle sich bei ihm eingestellt, nämlich Gehirnlubkrlulose. Er fürchtete, unter Umständen wahnsinnig zu werden. Dem ist er dadurch zuvor gekommen, daß er seinem Leben freiwillig ein Ende machte. Wir geben diese uns nicht recht glaubhaft scheinende Nachricht wieder, indem wir die Verant wortung hierfür dem zitierten Korreipondenlen überlassen. * Kleine Chronik. Wie das „B. T." aus Frankfurt a. M. meldet, wurde nicht das wirkliche Original der Eintragung von Goethes Geburt gestohlen, sondern cS liegt angeblich noch wohl verwahrt im städtischen Archiv II in Frankfurt a. M. Man muß freilich dre Richtigkeit dieser überraschenden Nachricht noch abwarten. — Geheimer Medizinalrat Professor Dr. EduardHenoch in Berlin, der Altmeister der deutschen Kinderheilkunde, kann morgen das seltene fünfzigjährige Jubiläum als außerordentlicher Professor begehen. — SofieWacbner verläßt am 1. September das Berliner Königliche Schauspielhaus. An diesem Tage läuft der Kontrakt der Künstlerin mit der General- intcndantur ab. Indessen: Fräulein Wachncr scheidet in Unfrieden vom Schauspielhaus. Vor einiger Zeit kam c» nämlich zu Differenzen zwischen ihr und Herrn v. Hülsen.
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