ZUR EINFÜHRUNG Die synagogale Tempelmusik vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts bietet uns neben orientalischem Klang kolorit auch musikalisch Bekanntes. Aus dem einstigen Sprechgesang, der in den Synagogen der Vertiefung von Religionshandlungen, aber auch der Verbreitung neuer Lehren schon zu Beginn unserer Zeitrechnung diente, wurden eigenständige Kompositionen religiösen wie welt lichen Inhalts. Geblieben ist oftmals der Wechselgesang zwischen Vorsänger und Chor, der nun aber so kunstvolle Formen annahm, daß ein erfahrener Sänger - der Kan tor - den Solopart übernehmen mußte. An die alten syn agogalen Gesänge erinnert ein eigentümlicher Klageton, der selbst den Liedern zu Freudenfesten nicht fehlt. Was uns hier orientalisch anmutet, liegt in der Verwendung alter Tonarten (sogenannter Steiger) begründet, die sich allenfalls dem Charakter der natürlichen Molltonleitern vergleichen lassen. Damit verbunden erklingen für uns unübliche Intervalle und Tonfolgen sowie die oft auf einen geringen Tonraum eingegrenzte Melodie. Früher war es Aufgabe des Vorsängers, ein musikalisches Motiv improvisatorisch frei zu gestalten. Noten gab es dafür nicht. Die Synagogenmusik schreibenden Komponisten des 19. Jahrhunderts verwandten das traditionelle Motiv meist nur am Anfang ihrer frei gestalteten Kompositio nen. Es entstanden einfache, gleichperiodische Sanges linien, feste Taktschemata wurden angewandt, die Steiger europäischer Tonalität angeglichen und die Melismen ver einfacht. Ursprünglicher und vielleicht fremdländischer als die Syn agogenmusik erscheinen uns jiddische und hebräische Folklore. Ihre Fundgrube bildeten jüdische Gemeinden in Polen, Rumänien, Litauen und der Ukraine, die durch die furchtbaren Verfolgungen und Vertreibungen der Juden aus Deutschland im 13. und 14. Jahrhundert entstanden waren. Hier sprach man jiddisch - eine Vermischung der mittelhochdeutschen Sprache mit hebräischen Brocken, russischen, polnischen und litauischen Worten, das bis heute in hebräischen Buchstaben geschrieben, gebräuchlich ist. Wenngleich sich in den oft temperamentvollen Lie dern wie in der Sprache Motive der Exilumgebung wie derfinden, so bleibt doch alles der elegischen Grundhal tung in Moll-Varianten untergeordnet. Diese Volksmusik zeugt vom Fühlen und Denken humanistisch gesinnter jüdischer Menschen.