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GIORA FEIDMAN wurde 1936 in Buenos Aires als Kind jüdischer Einwanderer aus Bessarabien geboren. Vater, Großvater und Urgroßvaterwaren Kiezmorin, Nachfahren und musikalische Erben jener Stetl- Musikanten Osteuropas, die von Ort zu Ort zogen, sangen und spielten, wo immer sich ein Anlaß fand und man sie bezahlen konnte, und die aus den Traditionen der jeweiligen polnischen, bulgarischen, russischen oder ungarischen Gastgeber eine eigen ständige, tatsächlich multikulturelle Kunstform schufen: die „jid dische Musik" - Klezmer. Schon die Kinderzeit - und, wie er glaubhaft versichert, bereits die Empfindungen des Ungeborenen - waren von dieser kultur- und grenzüberschreitenden Vielfalt unterschiedlichster Klänge und Rhythmen geprägt, in die sich, in bester Klezmer-Tradition, problemlos die Tangorhythmen Argentiniens mischten. Nicht zu vergessen die Einflüsse, die aus Nordamerika herüberwehten: Swing, Blues und Jazz. Für den Sechsjährigen, der sich irgendwann eines der vielen Instrumente im Haus - wohl eher aus Zufall die Klarinette des Vaters - als Spielzeug nimmt und nachmacht, was er hört und sieht, haben die Töne, die er erzeugt, keine Namen. Gebets melodien, Freilachs, Tangos und Ragtimesind einfach die nächst liegende Form, sich auszudrücken. Bald begleitet er den Vater zu seinen Auftritten bei Hochzeiten und Festen der jüdischen Gemeinde, spielt schließlich selbst. Allerdings besteht der Vater, für den Klezmer - entgegen der Tradition - keineswegs gleichbedeutend mit Amateur ist, auf einer zusätzlichen Ausbildung am Konservatorium von Buenos Aires, und so gibt Feidman als 18jähriger sein Debüt im Orche ster des berühmten Teatro Colon mit Puccinis „Tosca“. Drei Jahre später folgt er der Einladung des Israel Philharmonie Orchestra nach Tel Aviv und wird dessen jüngster Solobläser. Für den jungen Argentinier, der kein Wort hebräisch spricht, ist die Begegnung mit dem fremden Land, das das „Gelobte“, in der Familienüberlieferung seit Generationen ersehnte ist, schwierig und entscheidend fruchtbar zugleich. Zwar wird im Israel der sechziger Jahre alles, was mit dem Begriff „jiddisch“ zusammen hängt, als Synonym für die mit unerträglichen Erinnerungen belastete Vergangenheit eher verdrängt, aber er findet in den fast vergessenen Melodien der im Lande Verbliebenen, Juden wie