Gedanken für den Nachhauseweg 21 sang. Wie sollte eine wirkliche musikalische Kommunikation entstehen? Eine weitere Frage löste Diskussionen aus: Darf ein Jude angesichts des Arbeitsverbotes am Sabbat und zu den Feiertagen die Organisten-Posi- tion übernehmen? In der Regel suchten sich die Gemeinden zu helfen, indem sie nichtjüdische Organisten anstellten, unter ihnen auch die Leip ziger. Dies förderte nicht zuletzt das Miteinander von Menschen unterschiedlicher religiöser Iden titäten, das gegenseitige Sich-Öffnen und Ken nenlernen. So wurde Karl Stiller, in Hauptfunktion Organist an der Jacobi-, danach an der Peters- kirche, an den „Tempel" berufen. Nach ihm wirkte Paul Homeyer, später Gewandhausorganist, in der Synagoge. In den 1920er Jahren übernahm Hans Hiller, seinerzeit Organist der Friedens kirche, das Amt. Aber es gab auch eine Aus nahme: Mit Benno Kantrowitz, der zeitweilig auch den Psalterion-Verein geleitet hatte, wirkte ein Jude als Organist in der Gottschedstraße. Am Konservatorium hatte er Musiktheorie und Klavier, später auch noch Dirigieren studiert. Die Orgel hat in seinem Leben immer eine Rolle gespielt. hinein in den Stil unserer Zeit" Von Beginn an erklangen im „Tempel" die got tesdienstlichen Weisen in Bearbeitungen nach dem Vorbild europäischer Kompositionen. Den Grundstock bildete zunächst der erste Band von Schir Zion, einer weitverbreiteten Sammlung des Wiener Kantors Salomon Sulzer, der übrigens 1869 als einziger Musiker zur Synode nach Leip zig reiste. So lernten auch die Thomaner und viele Studenten die Gesänge kennen. In den späten 1870er Jahren wurden die Werke von Louis Lewandowski aus Berlin eingeführt, angeregt durch Kantor Jacobsohn, einen seiner Schüler, der bei dem bekannten Synagogenmusiker im Chor gesungen hatte. Samuel Lampel schaffte das Buch Schire Jaakow seines Lehrers Alfred Rose aus Hannover an. Zugleich entstanden in Leipzig zwei eigene Sammlungen. Sie sind unmittelbar durch die Gottesdienste am „Tempel" angeregt worden und über viele Jahre gewachsen. Beide fanden überregionale Beachtung. Die eine - Schire beth Jaakob von Louis Liebling und Bernhard Jacob sohn (1880) - bietet ein- bis zweistimmige Sätze. Sie war von der Absicht getragen, mit einfachen Mitteln den Gemeindegesang zu fördern und dabei zu vereinheitlichen. Die andere - Samuel Lampels Kol Sch’muel (1928) - knüpft an die Tra dition mehrstimmiger Bearbeitungen für Kantor, gemischten Chor und Orgel an. Doch sollte sie „hinein in den Stil unserer Zeit" führen, wie Lam pels Kantorenkollege Max Jaffe es ausdrückte. Die Gemeinde habe die Stücke zunächst „recht kühl, wenn nicht gar ablehnend" aufgenommen. Doch durch Lampels Beharrlichkeit hätten sich „verschiedene Piecen" im Laufe der Jahre „fest in die Herzen der Betergemeinde gepflanzt". „zunehmendes Verständnis für unser religiöses Leben ..." Gelegentlich gastierten andere Leipziger Chöre im „Tempel". Als 1873 Julius Fürst, Professor für „aramäische und talmudische Sprache", mit einer bewegenden Trauerfeier bedacht wurde, sang neben dem Psalterion-Verein auch das Paulus- Ensemble der Universität in der Synagoge. 1915 gab der Leipziger Männerchor in dem Gotteshaus, gemeinsam mit Vokal- und Instrumentalsolisten, unter ihnen Leo Schwarz, „ein vaterländisches Konzert [...] zum Besten der Kriegsnotspende". Nach dem Ersten Weltkrieg öffnete sich der „Tempel" zunehmend öffentlichen Musikveran staltungen, gemeinsam gestaltet von Juden und