Cantate l'Adonai Psalmen aus Synagogen und Kirchen Die 150 Psalmen des Alten Testaments sind in jeglicher Beziehung außergewöhnliche Texte. Sie wurden in einer sehr langen Zeitspanne von unterschiedlichen Autoren angelegt - die ältesten Psalmen stammen noch aus der israelitischen Königszeit (8.-7. Jh. v. Chr.), weitere entstanden im Babylonischen Exil (6. Jh. v. Chr.) sowie in den darauf folgenden Jahrhunderten. Wie kein anderes Buch der Bibel vermitteln sie auf engem Raum und in überaus poetischer Weise zutiefst menschliche Gefühle wie Trauer, Hoffnung, Freude und Dank. Ganz in diesem Sinne schrieb Martin Luther 1528 in der Vorrede zu seinem ins Deutsche übersetzten Psalter: „Der Psalter könnt wohl eine kleine Bibel heißen, darin alles, was in der ganzen Bibel steht, aufs Schönste und Kürzeste gefasst ist." Waren die Psalmen zunächst ureigene jüdische Gebete, so übernahm sie das Christentum bereits in den ersten Jahrhunderten fest in seine liturgischen Abläufe. Jegliche Stunden gebete, Gottesdienste und Andachten in den verschiedensten christlichen Konfessionen sind bis heute ohne die Psalmen gar nicht denkbar. Angesichts dieser engen Verquickung von jüdischen und christlichen Elementen sprach der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber einmal pointiert davon, dass der Christ von heute wohl meint, „die Psalmen gehör ten zum Neuen Testament". Gleichzeitig sind die Psalmen auch für die Musikgeschichte von grundlegender Bedeutung, stellen sie doch nicht mehr und nicht weniger als die Urform des liturgischen Musizierens dar. Vermutlich von Anfang an wurden die Psalmen nicht nur gesprochen, sondern in erster Linie gesungen. Ihren Platz hatten diese Lob-, Dank- und Bittgesänge im jüdischen Tempel- und Synagogalgottesdienst, vermutlich - ähnlich wie heute im christlichen Got tesdienst - als Antwort auf die Lesung eines Abschnitts aus den fünf Büchern Moses. Dafür gibt es etliche Nachweise im Alten Testament; aber auch Paulus ermahnt gleich mehrfach in seinen Briefen, Gott mit Psalmengesang zu preisen. Später bezeugen die Kirchenväter, dass der Psalmengesang als Erbe des Alten Bundes in der christlichen Kirche fundamentale Bedeutung besaß. In ihrer einfachen liturgischen Funktion wurden und werden die Psalmen - sowohl in jüdischer als auch in christlicher Tratition - einstimmig dargeboten. Dafür haben sich bestimmte Psalmtöne herausgebildet, die das dichterische Konstruktionsprinzip eines Psalms - nämlich den gedanklichen Bezug zweier Vershälften zueinander - musikalisch wiedergeben. Mit Aufkommen der Mehrstimmigkeit allerdings gab es für die Komponisten umso mehr Möglichkeiten, die poetisch anspruchsvollen, oftmals auch sehr persönlich gehaltenen Psalmtexte mit Musik zu versehen. Seit dem 15. Jahrhundert ist die mehrstimmige Ver tonung von Psalmen eine der bedeutendsten Gattungen der geistlichen Vokalmusik.