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Marokko. Während der Kaiser mit dem Reichskanzler und dem Staatssekretär des AuSivärtigen in Wilhelmshöhe Be ratungen pflegen über die bisherigen Ergebnisse der Verhandlungen mit Frankreich und die hierbei weiter zu beachtenden Gesichtspunkte und Forderungen, wird in der nationalen deutschen Presse ein immer festerer Standpunkt in der Marokkofrage vertreten als Ant wort auf die grenzenlosen Unverschämtheiten, die sich die France militaire in der vorigen Woche wiederholt gegenüber Deutschland gestattet hat. Kann oder will die französische Regierung das von ihr abhängige Blatt nicht im Züoel halten, so mag Frankreich die Zeche dafür bezahlen. Tas scheint uns eine viel bessere Ge nugtuung, als wenn die „Norddeutsche Allgemeine Zei tung" einen fulminanten Artikel gegen die „France militaire" geschrieben hätte. Muß Frankreich ein wirk liches und erhebliches Opfer bringen, um in Marokko freie Hand zu erhalten, dann wird die „France militaire" einsehen, daß ihre Verhöhnung Deutschlands ein ivenig verfrüht gewesen ist. So schreibt das „Eh. Tgbl.": Tas ist es, was wir als das Resultat der Verhandlun gen wünschen: daß nicht nur Frankreich, sondern die ganze Welt erkennt, daß man es schließlich bezahlen muA wenn man glaubt, Deutschland als eine quantite: negligeablee behandeln zu dürfen. Das hat Delcassee 1904 versucht, das hat Frankreich abermals versucht, als es sich sowohl um die Abmachung 'von Algeciras, wie um das deutsch-französische Abkommen vom Februar 1909 kernen Pfifferling kümmert. Es kommt nicht gerade darauf an, daß wir ein Stück von Marokko Gehalten bezw. erhalten, sondern es kommt darauf an, daß wir ein wirkliches Wertobjekt gewinnen, dessen Verlust von Frankreich schmerzlich empfunden wird. Aengstliche Gemüter könnten vielleicht gegen diese Forderung einwenden, daß dadurch in Frankreich ähn liche Revancheempfindungen geweckt werden könnten, wie durch den Verlust Elsaß-Lothringens. Diese guten Leute wissen immer noch nicht, daß weder der Verlust Elsaß-Lothringens, noch die Zahlung von fünf Mil liarden Kriegsentschädigung die Revanchelust bei den Franzosen hervvrgcrufen hat, sondern einzig die Tat sache, daß sie vor den Augen ganz Europas die Jacke voll gehauen bekommen haben. Hätten wir 1871 den Franzosen kein Stück Land und keinen Pfennig abgenom- men, so wäre die. Nevanchelust heute genau so groß. Im Gegenteil: sie hätte sich vielleicht schon eher Luft gemacht, denn dle Franzosen hätten dann keinen Re spekt vor dem dummen Michel gehabt. Es dient der Sache des Friedens nur, wenn ihnen von Zeit -zu Zeit Respekt eingeflößt wird, und gerade deshalb erscheint es uns wichtig, daß wir jetzt eine wirkliche, 'nicht leine Scheinentschädigung von ihnen erhalten. Denn wenn sie glauben dürften, uns bei den Verhandlungen übers Ohr gehauen zu haben, so würde ihnen der Kamm schwellen und sie würden viel eher Neigung haben, einen Krieg vom Zaune zu brechen, weit sic uns Hann eben für schwach und ängstlich halten würden. ^Müssen sie aber ordentlich heran, so werden sie für eine Zeit genug haben. ' , Deutschlands Position scheint uns vorteilhaft genug - zu sein, um dieses günstige Ergebnis herbeizuführen. ! Gewiß dürften sich die Verhandlungen dadurch in die Lange ziehen, aber das verbessert nur die Lage dessen, der die besseren Nerven hat, und dies äst hoffentlich die deutsche Regierung. Was können die Franzosen denn tun? Wir bleiben eben in Agadir solange, bis sie unsere Forderungen befriedigt haben, und wenn sie das nicht tun, so bleibt uns ja die Möglichkeit, luns dort häuslich niederzulassen. Wohl sind die Franzo sen in Marokko militärisch viel stärker als wir, aber sie wissen gut genug, daß um Agadir .nicht dort ge kämpft werden würde. Sie werden sich hüten, mns!mit Gewalt vertreiben zu wollen. Auch ihr lieber Freund England wird ruhig bleiben, wenn wir allen Minifter- brohungen gegenüber die nötige Schnuppigkeit be sitzen. „Nur immer mit die Ruhe", sagt der Berliner. Französischer Chauvinismus. Eine sehr aufreizende Rede des Nademikers und französischen Abgeordneten Barres auf dem Schlacht felde von St. Privat.) Wie gemeldet, hat die Regie rung in Straßburg dem Oberstleutnant a. T. Rousset, der auch nicht mehr der Kammer angehört, verboten, die lotAingische Grenze zu überschreiten. Es ist da her in Paris aufgcsallen, daß der gefährlichere Maurice Barres von der Akademie der Wissenschaften und na tionalistisches Mitglied der Kammer in St. Privai -er Gedenkfeier der Metzer Gruppe des sogenannten Souvenir francais beiwohnen konnte und dann bei einem „Tiner intime" eine Ansprache gehalten hat, der wir nach dem Pariser Eclair (das Blatt 'bringt ven Wortlaut) folgende Stellen entnehmen: „Seit vier zig Jahren sind unsere treuesten Gedanken nach Straß burg und Metz gerichtet. Unsere Augen verlassen euch nicht ... — Es gibt bei uns viel Zersplitterung und Uneinigkeit. Aber wenn es sich um euch handelt, dann gibt es nur eine Stimme, nur ein Volk! . . . Tie Jahre vergehen, aber unsere Brüderlichkeit schließt sich immer enger; unsere Söhne und eure Söhne haben sich nach nicht gesehen, aber sie gleichen sich und sie lieben sich. Unsere Jugend ist der eurigen würdig. Es steht also alles gut, Kameraden! Auf einem der Gräber von St. Krivat las ich die Inschrift: Gesegnet sei derjenige, der aus den Gräbern die Hoffnung aufpflanzte. Welch ein schönes Wort, das wie ein Gebet «auf 'unsere Lippen tam . . . Unter fremden Massen ist euer Mut Vicht gebrochen worden. Bleibt gehobenen Hauptes euch selbst treu, Frankreich bewundert euch .... Wir werden uns nicht auf Gräber setzen, um zu seufzen, wie die Frauen des Orients. Tie Toten von 1870 weinten nicht, das waren Tapfere, die in der Krim, inJtalienvnd Algerien gesiegt hatten. Wenn wir an ihre Gräber gehen, so ge schieht es, um ihren Geist in uns auszunehmen .. ." Die Offtzterstragödie tu Trier. Der jugendliche Kaufmann v. Chamier, der seinen Bruder im Garnisonlazarett von Trier erschoßt hat jetzt der Polizei eine zusammenhängende Darstellung gegeben. Ein Telegramm meldet uns darüber in Er gänzung unseres gestrigen Berichtes folgende Einzel heiten : Nach den Massagen des Bruders des erschossenen v. Eyamier-Glisczinski, Ukke, hat sich die Affäre fol gendermaßen in dem Krankenzimmer abgespielt: Vor einigen Tagen kam Ukke nach Trier und stieg in der Wohnung des Leutnants ab. Vorgestern morgen ver kaufte er einen Teil der Wohnungseinrichtung an einen Atthändler, den anderen Teil schickte er an einen Aus wärts wohnenden Onkel. Nachmittags besuchte Ukke seinen Bruder im Garnisonlazarett, nachdem er vor her dessen Dienstrcvolver zu sich gesteckt hatte. Er suchte seinen Bruder zu bewegen, mit ihm (nach Kanada oder Argentinien auszuwandern, um sich dort eine neu: Existenz zu schaffen. Der Leutnant, der jegliche Ener gie verloren hatte, gab zunächst keine bestimmte Ant wort, schließlich aber lehnte er ab. Labei stand der Offizier, den Rücken dem Zimmer zugekehrt, mit den Händen in den Hosentaschen, am Fenster. Sein Bru der trat hinter ihn und gab aus flachster Nähe aus dem Dienstrevolver den tödlichen Schuß auf den Offi zier ab. Ohne einen Laut fiel dter Getroffene rück wärts ins Zimmer. Als die herbeigeeilten Personen ihn fanden, hatte er noch die Hände in den Hosen taschen; der Tod war also auf der Stelle eingetretcn. Der Täter setzte seiner Festnahme keinen Widerstand entgegen. Er gab zum Teil konfuse Antworten; seine Absicht sei gewesen, sich ebenfalls zu erschießen. Als er aber das Blut des Getöteten habe aufspritzen sehen, sei seine Hand wie gelähmt gewesen, und die Kraft zum Abdrücken habe ihm gefehlt. Der gerade Weg. Roman von Julia Jobst. 8. (Nachdruck verboten.) Ter alte Herr wpr bei oer Mittagsmahlzeit sehr aufgeräumt und ordnete an, daß sein Nesse mit Su sanne nach dem Nebengut, Friedrichshof, fahren sollte, um den doritgen Inspektor zu holen. „Barthels ist schon telegraphisch benachrichtigt, sich bereit zu halten." „Wird er Voß' Nachfolger?" fragte Friedrich Wil helm. „Wahrscheinlich. Voß hat ihn selber in den langen Jahren für den Posten herangczogen." Susanne machte sich Vorwürse, daß sie so leichten Herzens die Fahrt begann, trotzdem am Morgen Her Tod jählings zweier Menschen Leben vernichtet harte. War as das herrliche Frühlingswetter? War esÄi.e Aussicht, stundenlang mit Friedrich Wilhelm alllein zu sein? ! r Wozu das Grübeln, d>as kräftige junge Lxbcn lihjr. zur Seite forderte sein Recht. Tie beiden alten Leute hatten ihr nie besonders nahe gestanden, ja, wenn sie ehrlich sein wollte, so mußte sie sich sogar einge- stehcn, daß sie in dem Jnspektorhause nie 'recht heimisch gewesen war. Jede Intimität mit den Beamten Und Leuten war ihr wiederholt untersagt ivorden, und ihre Lehrerin hatte stets nach dieser ihr gewordenen In struktion gehandelt. Sie hatte sogar jeder Vertraulich keit zwischen ihr und Susanne gewehrt. So waren ihr nur zwei Getreue geworden, denen sie ihr Kinderherz hatte ausschütten können, zwei Ge treue, denen sie Freud und Leid lfatte klagen dürfen: Johann und Därthc, und als sie diesen renlnvuchs, hatte sie niemanden mehr. Niemanden? Tisch sie Hütte neue Freunde und Vertraute gesunden, als die Lehrerin entlassen war — die Bücher. Noch zu Großmutters Lebzeiten hatte sie Einblick in die Schätze der Schloßbibliothek gewonnen und nach deren Tode, als sie die 'halben Tage lohne Aufsicht war, da las sie wahllos alles, toas «ihr in die Hände kam. Ihr Unterricht war ein sehr guter gewesen, und sie hatte große Freude am Lernen ge habt, doch sie verstand nur zur Hälfte Kas, was 'sie las. Tas Moderne hatte keinen Eingang in Altcn- werder gefunden, aber die Zeit der Blüte unserer Li teratur war vollständig vertreten, auch der Philosophie. Ten französischen Dichtern vermochte sie keinen Ge schmack abzugewinnen, und das war gut, denn laußer den Werken der Klassiker war auch die gesamte schlüpf rige Romanlitcratur vorhanden. Es war nur ein Zu fall, daß Susanne zuerst über Raicnc geriet und sich An ihm den Geschmack verdarb. Am liebsten blätterte sie in den Seiten der Weltgeschichte und in den Werken einiger moderner Naturforscher und Weltreisenden, die als Erbteil eines Onkels erst vor einigen 'Jahren nach Altenwerder verschlagen wurden, und die der Groß vater der Bibliothek einverleibt hatte, ohne sie je mals aufzuschlagen. Friedrich Wilhelm störte das Mädchen nur zu bald saus ihren Gedanken auf, als er der unruhigen Pferde Herr geworden war. Er fuhr selber und hatte tzü jthrer Freude die Begleitung des Reitknechts zurücktzewiesen. Ter Weg führt durch den Hochwald, der nur von Zeit zu Zeit den Blick auf das blitzende Wasser frei hab. „Friedrichshof ist wohl hauptsächlich Wiesengut?" „Ja, Großvater sagte einmal, es sei von großem Wert." „Natürlich." „Ein großer Teil davon ist an Berliner Viehhänd ler verpachtet." „Wie prosaisch." Findest Am das auch? Blarthels behauptet, «S brächte ein Heidengeld." „Und das ist hier ausschlaggebend." „Großvater ist ein scharfer Rechner." „In der Jugend soll er es dvchi krg getrieben haben, wie mir erzählt worden ist." „Ach!" Friedrich Wilhelm lachte hell auf. „Jetzt, ja, -jetzt sieht er nicht mehr danach aus, aber in der Hauptstadt lebt ntsch mancher, der ihn gekannt hat, jvon denen ließ ich mir allerhand erzählen. Als der schöne leicht sinnige Kammerherr von Bagewitz noch zu Hofe ging, soll er ein arger Dpn Juan gewesen sein. Darum hüt er wohl auch erst so spät geheiratet. — Run krachst Tu wieder Deine erstaunten Augen, Susanne. Bist Du denn mit Scheuklappen geboren, daß Du wie «in Dummerchen herumläufst? Weil der alte Herr die Versuchungen der bösen Welt so gut gekannt hat, sperrt er Dich so grausam ein." „Ob meine Mutter zu Hof gegangen ist?" „Ich glaube nicht. Laß mich einmal nachrochnen. D<r alte Herr ist jetzt 78 Jahre att, «geheiratet hat «r mit etwa 40 Jahren, Deine Mutter muß sehr jung ge storben sein." „Ja, das glaube ich auch, und woran der einzige Sohn starb, weiß ich auch nicht." Wieder stand das Schweigen zwischen ihnen. Wie lästig das war! Der junge Mann wurde sich knun «auch bewußt, daß ein Gespenst in Altenwerder umging, der Spuk der Vergangenheit — das Skelett des Hauses Bagewitz auf Altenwerder. Grinste seine Fratze nicht hinter dem schönen ernsten Gesicht seiner Begleiterin hervor, oder trat es ihm an jener Biegung des Weges entgegen aus den tiefen Schatten der hohen köjuchen. Ob sic den Makel ihrer Geburt erfahren würde, bevor sie heiratete? Sollte er es ihr vielleicht ierst nach der Ehe mitteilen? „Friedrich Wilhelm, woran denkst Du?" fragte plötz lich die weiche Mädchenstimme dicht an seinem Ohr, und er fuhr zusammen, als sei er vuf Lösen Schleich wegen ertappt worden. „Ich frage mich, ob ich morgen nach Berlin fahre." „Um wieder Deinen Dienst chnzutreten?" „Ja." Es gelüstete Bagewitz plötzlich, zu erfahren, wieweit er in das verschlossene Herz von Susanne Bagewitz eingedrungen war, darum bejahte er ihre Frage. „Geh' nicht, Friedrich Wilhelm. Bleibe hier." „Um Deinetwillen? — Susanne, ich lese es än; Deinen Augen." „Ja, denn wenn Du gehst, wird es wieder «infam um mich her." „ToS bist Du doch gewöhnt." „Jetzt würde ich es aber nacht mehr -ertragen kön nen, denn Tu hast mich gelehrt, was Leben bedeutet." „Soll ich Dich noch anderes lehren, Susanne'?" „Tas Reiten?" „Auch das, aber was ich meine, ist was Schöneres." „Tas Segeln?" Friedrich Wilhelm hielt die Rappen an, sie sielen in Schritt. Ta legte er den Arm um Susanne «und küßte sie mitten auf den Mund. „Nun sage, was jes ist?" ' Verwirrt sah sie ihn an und machte sich von-ihm bvs. „Sufamie, hast Tu schon jemanden lieb gehabt?" „Nein." , . s f : Wie ein Aufschrei kam es von ihren Lippen, «atus ihren weit geöffneten Augen brach ein Strahl wilder Sehnsucht. Und der Mann neben ihr, den sie wie in zwingendem Sturm von Tag zu Tag lieber gewonnen hatte, uno dem zu dieser Stunde in glühender Leiden schaft nach dem Besitz dieser einsamen, verschlossenen Mädchenknospe verlangte, zog sie von neuem in seine Arme und küßte sie in wildem Ungestüm. Sie wehrte sich nicht und hielt die Augen geschlos sen. Seltsam rot blühten die Lippen aus dem bleichen Gesicht entgegen. Immer wieder mußte er sie suchen. „Tu hast mich lieb?" ! „Ja" ' „Seit wann? „Seitdem ich Dich kenne." „Und Du hast noch nie einen Mann geliebt?" Die geschlossenen Augen öffneten sich weit und blick ten ihn verwundert an, als begriffe Susanne die Frage nicht, dann sagte sie in schwerer Betonung: „Du bist meine erste und einzige Liebe, Friedrich Wilhelm." „Großvater wird sich freuen." „Weißt Du das für gewiß?" (Fortsetzung folgt!) «r»ck «nlo« vtt» Ko« »«hol» V«stn, »ü, >l«b«ttt»» «routtvocUtch Wilh«»» ««ft« ftft d« Vvo Ko« d«id« »