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^ 240, 14. Oktober 1907. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. 10549 veröffentlichten Ziffern ungenau, so z. B. wenn sie für das Jahr 1903 27 606 Werke als deutsche Produktion answeist, während die Eingeweihten wissen, daß in dieser Zahl außer den deutschen auch die in Österreich-Ungarn und in der deutschen Schweiz veröffentlichten Werke figurieren, um nur die deutschen Länder zu zitieren. Wenn man hinzufügt, daß diese Statistik auch die in andern Ländern Europas, ein schließlich Frankreichs und in den andern Weltteilen in deutscher Sprache erschienenen Bücher enthält und zu gunsten Deutschlands aufführt, ist es nicht zu verwundern, daß ein aufmerksamer Beobachter sie nicht, ohne sie zu kontrollieren, akzeptieren kann. Diese Statistik kann gewissenhaft gemacht sein; aber sie ist nicht exakt. Das Börsenblatt hat zur Zeit seines Erscheinens voriges Jahr meinen Bericht sehr ausführlich besprochen, eine Liebenswürdigkeit für die ich sehr dankbar bin; nur bedaure ich, daß es das Kapitel der Produktion, wo ich Vorstehendes sehr im Detail auseinanderlege, mit Stillschweigen über gangen hat. Wenn es mir erlaubt ist, einem Wunsch Ausdruck zu geben, so möchte ich wünschen, daß jedes Land nur jene Bücher anzeigte, die es wirklich erzeugt, wie dies in Frankreich der Fall ist, wo die Verpflichtung des gesetzlichen Depots den besten Nachweis für die nationale Produktion liefert. Ich möchte die Gastfreundschaft, die mir in den Spalten des Börsenblatts gewährt wird, nicht mißbrauchen, wünsche im Gegenteil, mich so kurz wie möglich zu fassen; aber ich muß doch auf die Einwürfe antworten, die in betreff der durch das Deutsche Reich exportierten Bücher und der Re- mittenden gemacht sind. Jedermann weiß, daß Leipzig ein großer Mittelpunkt, der größte Mittelpunkt für den Buchhandel ist. Die ca. 2400 deutschen Buchhändler, die auswärts auf dem Erd ball verbreitet sind und die hauptsächlich deutschen Buch handel treiben, jedoch auch Werke in andern Sprachen ver kaufen, haben das größte Interesse, ihre Bestellungen auch auf französische Werke, selbst wenn diese in Paris gemacht sind, in Leipzig zu konzentrieren, um sie mit ihren deutschen Sendungen expedieren zu lassen, denen noch die öster reichischen, schweizerischen, italienischen, spanischen, russischen Werke hinzugefügt werden, die bei ihnen bestellt werden. Die großen Importgeschäfte in Leipzig und Berlin werden dem nicht widersprechen, denn sie halten umfangreiche Depots von gangbaren Werken in allen Sprachen und haben eine weitverbreitete Kundschaft nicht nur in ganz Europa, sondern auch im nahen und fernen Orient und in Amerika. Eine enorme Anzahl französischer und anderssprachiger Bücher wird durch sie abgesetzt. Wenn ein schwedischer oder russi scher Buchhändler seine Bestellungen auf französische Werke in Paris macht und sie an seinen Kommissionär in Leipzig expedieren läßt, damit sie von dort mit diesen deutschen Be stellungen nach Stockholm oder St. Petersburg weiter befördert werden, — werden diese französischen Bücher als solche in die Statistik ausgenommen? Gewiß nicht, sie kommen der deutschen Ausfuhr zugute. Hinsichtlich der Ausgleichung, die zu Gunsten Frankreichs in Rechnung gestellt wird, indem englische und amerika nische Bücher angeblich über Frankreich nach der Schweiz und nach Italien gehen, fürchte ich, daß der Verfasser des Artikels nicht weiß, daß die englischen und amerikanischen Spediteure den Weg über Belgien, hauptsächlich über Ant werpen wählen, weil er um vieles billiger ist als der Transit über Frankreich. Auf jeden Fall wird es schwer sein, eine Schweizer oder italienische Buchhandlung zu finden, die ihren außerfranzöstschen Bedarf in Paris sammeln läßt; was mich Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 74. Jahrgang. betrifft, so kenne ich keine, und ich bin in der Lage, in dieser Beziehung gut unterrichtet zu sein. Was Spanien betrifft, so hat dieses Land absolut kein Interesse, seinen Bedarf an englischer und amerikanischer Literatur über Frankreich zu beziehen, da ihm doch der direkte maritime Weg offen steht. Von Bezug unter Kreuzband kann hier abgesehen werden; diese Sendungen werden von den Zollämtern nicht registriert und erscheinen daher nicht in den statistischen Tabellen. Deutschlands Ausfuhrziffer in Büchern wird demnach durch den Zuschuß, den ihm ohne Unterschied andre liefern, verstärkt, während Frankreich s. priori durch Transit keinen ernstlich in Betracht kommenden Zuwachs erhält, weder aus England noch aus Amerika; die Einfuhr im Transit bleibt sehr problematisch. Noch ein Einwurf wurde hinsichtlich der Remittenden gemacht. Gewiß, die großen französischen Verleger machen auch Sendungen in Depot und L Condition in einem großen Maßstabe; doch ist die Anzahl derselben ganz unverhältnis mäßig kleiner als in Deutschland. Nur Pariser Verleger kommen hier in Betracht; Verleger in andern Städten senden — so zu sagen — fast nie etwas unverlangt s, Condition, während in Deutschland es keinen Verleger, selbst in der kleinsten Stadt gibt, der sich weigerte Depot-Sendungen zu machen. Der deutsche Buchhandel lebt, wie jedermann weiß, zum größten Teil durch die Depots, und es gereicht den deutschen Verlegern zur Ehre, in dieser Be ziehung sehr freigebig zu sein; sie leisten den Sortimentern durch ihre Bereitwilligkeit, fast allen diesbezüglichen Wünschen nachzukommen, sehr große Dienste. Ich habe ein Jmport- und Export-Geschäft, bin daher sehr auf dem Laufenden. Ein deutscher Verleger verweigert — außer wenn die Auflage eines Buches zur Neige geht — selten, L Condition zu senden. Es ist daher logisch und natürlich, daß Remittenden viel zahlreicher sind als in Frankreich. Es würde mich zu weit führen, von den ultraleichten Werken zu reden, gegen die alle Franzosen protestieren. Ich begnüge mich, zu erwähnen — was man im Ausland nicht weiß —, daß dieses Genre von Literatur durch ein halbes Dutzend von Verlegern ausgebeutet wird, die zum größten Teil Ausländer sind. In der Provinz gibt es gar keine; sie könnten da nicht leben. Es soll nur noch hinzugefügt werden, daß der überwiegend größte Teil dieser Schand- literatur über die Grenzen ins Ausland geht. Die Pariser Kommissionäre haben dies schon längst konstatiert und würden es bezeugen. Zum Schluß möchte ich mir erlauben, den Verfasser des Artikels im Börsenblatt einzuladen, einen Blick auf meinen Bericht über die Ausstellung in St. Louis (er wird ein Exemplar in der Bibliothek des Börsenvereins finden) zu werfen. Wenn er mir diese Ehre vor dem Verfassen seines Artikels gemacht hätte, würde er sich dann mit Sachkenntnis ein besseres Urteil haben bilden können. Er wird sehen, daß ich dem deutschen Buchhandel und seiner vorzüglichen Organisation, die ich durch 35jährige persönliche Erfahrung schätzen gelernt habe, alle Gerechtigkeit widerfahren lasse. Er wird da auch die Ratschläge finden, die ich erteile; er wird dann über meine Meinungen urteilen und sich überzeugen können, daß sie von dem größten Wohlwollen für die Herren Kollegen in allen Ländern — im allgemeinen und ins besondre in Deutschland — durchdrungen sind. Paris, den 3. Oktober 1907. H. Le Soudier. 1375