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Beilage zu Nr. 93. —— 81. JlchrDOUG. ' ' Sonntag, deu 23. April 19N. Am Braunen vor dem Tore . . . Novell «Ue von L. Aum e. Nachdruck verboten. Mit klingendem Spiel rückte dar bayrische Regiment «un Marsch aus. Scharen von Volk begleiteten die schmucken Jsarsöhne. Bälden lag der Maimorgen über d«n StadMde, aber wunderherrlich gar draußen vor dem Torr. Nebelduftia die blaue F«ne und über Wie sen und Gründen tausend neckische Sonnenlichter im lauen, lustigru Maiwind schwebend. Ueber dem blühen den Klee gaukelten Schmetterlinge. Ein warmer, won« uigrr Dunst entstieg dem Boden und von den blüten- übersäten Fruchtbäumen trug der West Duftwogen den Soldaten zu. Jrtzt marschierten dir Kompanien an dem asten, längst versiegten Brunnen vorbei, daneben eine mächtige Linde ihr lichtgrüueS Blätterdach ausbreitete. Hei l wie dir Blickr drr Soldatrn nach der Linde hin- flogen, gerade, als habe der Hauptmann das Kommando d«qu gegeben. Und steh, jrtzt rrckten auch die Herrrn Offiziere die Köpfe dorthin, ja, selbst der H«rr Oberst leutnant äugte hinüber. Durch daS Blätterdach der Linde huschten grüngoldne Lichter und umspielten die schlanke Mädchengestalt, die auf der Strinbank unter drr Linde saß. Sir trug den Sommerhut am Arm. Lrise spielte der Westwind mit ihren goldbraunen Haaren. Sie neigte das liebliche Köpfchen zu einem munteren 3jährigen Mädchen herab, während ein größerer Bube, das Schulränzel auf dem Rücken, und mit gespannter Aufmerksamkeit dem Vorbei marsch der Soldaten zusah. In di« Melodie der Pfeifer und Trommler fielen jrtzt dir Stimmrn drr Soldatrn ein: „A Blüm'l, das schön blühen soll, Kann's Gießen nit rntbehr'n; A Herz, daS lustig schlag'n soll, Das muß verstand'» werd'»." Das junge Mädchen unter der Linde hob jetzt das Haupt und den Sängern zu. Dabei traf lbr Blick in zwei dunkle Männeraugen, di« mit inniger Begeistrung an ihr hingen. Errötrnd senkt« sie den Blick. Obwohl sie gern noch «inmal hingesrhen hättr, tat sie es nicht. Aber sie wußte es auch ohnedies, daß der Träger des dunklen AugrnpaarS der schmuckste Soldat des Re giments war. Fern und ferner hallten die Marschtritte, die Trom meln und Pfeifen, verklang der Gesang: „A Herz, das lustig schlag'n soll, Das muß verstanden werd'»." Die klein« Gesellschaft unter der Linde hatte sich gleichfalls zum Weitermarsch gerüstet. Das kleine Schwesterchen an der Hand und zur anderen Seite den A-B-C-Schützen, schritt das Mädchen der Stadt zu, um den Hansl zur Schul« zu geleiten. * * * Immer verschwenderischer schmückte der Wonnemond die Natur. Es war jetzt ein Blühen und Duften schier ohne Ende. Der LiebeSsong der Vögel erfüllte die Lüfte und für empfindsame Herzen sang die Nachtigall im Gestrüpp. Jedesmal, wenn das Regiment auf dem Morgen marsch am Brunnen vor dem Tor« vorbeikam, blickte der schmucke Soldat mit den dunklen Augen, der damals das Mädchen angeschaut, dorthin. Jedesmal aber hob ein Seufzer der Enttäuschung seine Brust — die Er sehnte war nicht dort. Um so deutlicher aber lebte ihr Bild in seiner Seele und mit jedem Tag, der ward, ward sein Wunsch, das Mädchen wiederzusehen und kennen zu lernen, brennender. Wer war sie? Wer war ihr Name? Wenn er Urlaub hatte, durchstreifte er die Umgegend in drr Hoffnung, ihr zu begegnen. Zu der Unruhe seines von Liebe zu der Unbekannten erfaßten Herzens, gesellte sich drr Umstand, daß rr demnächst seine Dienst- zttt beim Militär beendet und dann in eine entfernte Stadt ging, woselbst er eine gute Anstellung gefunden hatte. An einem Sonntagabend endlich hatte er das Ziel seiner Wünsche gefunden. Querfeldein, an einem mur melnden Bächlein vorbei hatte er den Weg genommen. Da waren plötzlich hinter Weidengestrüpp die Flügel einer Mühle ausg,taucht. Und nun erblickte der Wan derer ein weißgrstrichenes, freundliches Haus, von dunk len Tannen malerisch umgrben. Die Mühlräder stan den still, sie arbeiteten nicht mehr. Die Konkurrenz »ar groß und der Mühlenbesitzer, ein vermögender Mann, der nach einer spät geschloffenen Ehe es sich erlauben konnte, seinen Kindern zu leben. Der Beobachter erinnerte sich, ähnliches gehört zu haben. Jetzt stand er und schaute in atemloser Bewun derung zu dem Mädchen hin, das an der Gartenpforte «Hute und in dte jetzt vom Abendlicht verklärte Land ¬ sah. Sie war «S, die er gesucht. Aber weit Drei Jahre waren seitdem vergangen. Wieder streute der Mai seine Wonnen über die Erde aus. Wie brennendes Gold lag die untergehendr Sonne auf den bewaldeten Hügeln und grünen Matten und tauchte die Mühle in rosige Tinten. Das Bächlein glitzerte und schäumte; die Tannen am Mühlengarten zeichneten sich scharf von dem verklärten Horizont ab. Der Kukuk rief; traummüde erstarb das Vogelzwitschern, aber der Drossel Sang ertönte — wie einst. Das war die Stunde, wo Xaver Zwirngibl heimkehrte. Aus dem Jüngling war «in bärtiger Mann geworden- Gut und stattlich sah er aus, und seine Augen leuchteten. Er kam, sich den Lohn zu holen, um den er mit uner müdlichem Fleiß gearbeitet hatte. Stolz konnte er jetzt vor Lieseis Vater hintrrten und sein Kleinod erbitten, denn seine Kunst und sein Fleiß hatten ein glänzendes Zeugnis abgelegt. Seine Hand war es, welche die große Glocke für die neuerbaute Kirche in N. gegossen hatte und die Zeitungen waren des Lobes voll über die Klangschönhett dieses seines Werkes. Trotz stolzer Freude und seliger Erwartung begann doch sein Herz unruhig zu pochen, als rr sich der Mühle näherte. Drei Jahre hatten sie nichts voneinander ge hört — würde die Liesei ihm treu geblieben sein? Vor dem Hause spielte eine Kinderschar. Das nied liche sechsjährige Ding mit den Hängezöpfen, war LieseiS jüngstes Schwesterchen, die Mali. Obgleich sic inzwischen recht gewachsen war, erkannte er in ihr die Dreijährige von damals wieder. Er trat in den Kreis der Kinder. «Grüß Gott, kleine Mali, bist groß geworden seit ich fort war. Erkennst Du mich wohl wieder?" Die kleine kwxte und sah ihn unsicher an. Dann schüttelte sie den Kopf. .Nicht?" Er lachte. .Vielleicht aber kennt Deine Schwester Liesei mich wieder ? Finde ich sie im Hause?" Wieder verneinte die Mali. „Die Liksei ist dahin ge gangen. wohin sie alle Abend geht, — Mutter soll's aber nicht wissen." „Wo ist denn das?" fragte mtt erwachender Unruhe der Ankömmling. „Zur Linde gehr sie, am Brunnen vor dem Torr," sagte das Kind.- Er kehrte nicht im Hause ein, sondern nahm den Weg zum Tore. Weshalb beunruhigt die Nachricht ihn? Etwa weil die Linde «in beliebter Ort war zum Stell dichein von Liebrslruten. Torheit! Fröhlich sollte er sein, jubeln, daß er sein herziges Lieb an der nämlichen Stele wiederfinden würde, wo er Abschied von ihr genommen. Und er sang: „Am Brunnen vor dem Tore, Da steht ein Lindenbaum, Ich träumt' in seinem Schatten, So manchen süßen Traum. Ich schnitt in seine Rinde So manches liebe Wort; Es zieht in Lust und Leide Zu ihm mich immerfort. Die Sonne war untergegangrn. Ein fahles Licht breitete sich über die Landschaft; leise Nebel be- schöner und lieblicher noch deuchte sie ihm, nun er sie nabe sah. Jetzt hatte auch sie ihn bemerkt und erwiderte er- rötend seinen Gruß. Noch au demselben Abend schrieb er an sie und bat um ein Stelldichein am Brunnen vor dem L«r. Er heiß« Laver Zvkngibl und sei von Beruf Glockengießer. Er habe sie vom erste» Sehe« an grlirbt und es sei sein heißester Wunsch, vor seiner Ab reise in die Residenz, woselbst er an der Glockengießerei eine gute Anstellung gefunden habe, sie kennen zu lerne». Wie es »u» Wetter kam? Zwei jung«, reinherzige Menschen fanden sich in heißer Lieb«. .Heimlich hab' ich mich fortgestohlen, denn die Mutter darf nichts davon wissen," hatte die Liesei eingrstlmden. „Die Mutter sagt, rin Mädchen müsse sein wie eine KrankenhauSsuppr." Begeistert hatte der junge Glockengießer in diesen Weisheitsspruch, drssru Sin» rr sehr Wohl verstand, rin- gtstimmt. Und beseligt war er gewest», daß er der nste sein durfte, der den Kuß der Liebe auf diese keuschen Mädchenlipprn drückte. An einem Maiabrnd nahmen sie Abschied voneinander. Es war eine weiche, trübe Luft. Der Flieder duftete und im Lindenboum sang eine Drossel ihr Lied. „Ich darf Dir nicht schreiben, sagst Du, Lirsri? Weil der Vater und die Mutter nicht um unsere Liebe wissen dürfen, bevor ich soweit bin, daß ich Dich von ihnen erbitten kann? Schwer wird «s mir, darein zu willigen, bittrrschwrr. Wirst Du mir in d«n drei Jahren, die ich fern sein werde, auch treu bleib«», Liesei?" „Nicht nur in den drei Jahren, — immer werde ich Dir treu bleiben, Lirbster," hatte die Liesei geschluchzt. Der.Soldat aber hatte sie cm sein selig klopfendes Herz gerissen zum letzten Lebewohl. gannrn zu steigen; «inen feuchtschwülen Atem strömt» sie aus. > Schweigend setzte Laver Zwirngibl seinen Weg fort. Mtt de« fahlen Licht war ein bängliches Gefühl über ihn gekommen, daS ihm die Lust zum Singen nahm. Er grübelte de« Watten d«S Kindes nach: die Lisei ist dahin gegangen, wohin sie alle Abend« geht, die Mutter soll'S aber nicht wissen. Weshalb dies, wenn die Liesei einzig in Erinnerung an ihn, den Laver, zum Brunnen ging? Nun, weil di« Mutter eine strenge Frau war, die «S schlecht ge duldet hätte, daß die Ärsei einem nachweinte. Wahr scheinlicher war's, daß die Liesei ihn vergessen hatte und unter der Linde sich mit einrm andern Ätzte. Allmächtiger! Da war rr angelangt btt etwas, vor dem rr bislang grflohrn, wenn srmr Gedanke» sich da hin verirrt. Die Lirsri ihm untrru?! Dar sollt« das Ende sein? Trug die Hoffnung langer Jahr«? Zer ronnen dar Glück, noch bevor er eS hatte halten kön nen ? Und seine Zukunft? Arbeit — Oede — Pflicht erfüllung. Drr Grübelnde hatte seine Schrite beschleunigt; im Laufschritt stürmte er jrtzt dahin. Urberzeugr dich, br- vor du urteilst, flüsterte die Stimme der Vernunft. Aber daS heiße junge Blut ging mit ihm davon. Schon war ihm, als sei Listts Untreue Tatsache. Seine Stirn brannte, sein Herz pochte hörbar und seine Pulse flogen. Nur die Biegung drS Weges noch, dann würde er am Ziel sein. Golden stand dir Mondsichrl am Abendhimmel. Durch die blaue Dämmerung blinzelte am Horizont vereinzelt ri» Stern. Ein leises Rausche» ging durch die Wipfel der Bäume, so rin traummüdrS Säuseln, daß es wie Nüstern durchs Blattwerk ging. Dazu die Düfte von Flieder und JaSmin und eine weich«, zärtliche Luft; eine Stimmung in der Natur, die in jungen Herzen Sehnsucht weckt. Auch Laver Zwirngibl empfand, wrnn auch unbe wußt, die Stimmung in der Natur — langsamer wurde sein Schritt. Heiße Sehnsucht nach LiesttS Liebe über kam ihn mit zwingender Gewalt. Wer hatte ihm denn gesagt, daß rr sie verloren? Und wenn? Er war nicht der Mann, der sie sich kampflos stehlen ließ. Zurückerobern würde rr sie sich, — er —. Jetzt tauchte der Brunnen vor seinen Augen auf. Von einem Mondstrahl beglänzt die Linde. Ihr breiter Stamm verwehrte dem Näherkommenden den Blick auf die Bank. Deutlich aber erkannte rr ein Helles Kleid durch die Dämmerung schimmern. Da drang plötzlich eine Stimme durch die Stille, eine liebe, liebe Stimme: „Laver!" tönte es an sein Ohr. Der selig Erschrockene stürmte vorwärts, der Linde zu. Da stand unter ihren Zweigen die Liesri und hatte die Arme ausgebreitet —. Er stürzte zu ihren Füßen nieder im Taumel seines Glückes, seines wiedergefundenen Glückes. „Liesei, meine liebt, liebe Braut," flüsterte er, „wie war es nur möglich, daß Du mich von fern schon erkannt hast? Sag' auch, Lies«, hast Du um meinetwillen all abendlich die Linde besucht, wie die Mali sagt?" Sie nickte unter Glückstränrn. „Ich hoffte immer, daß Du kommen würdest." Und ihr heißes Gesicht an seine bärtige Wange legend, flüsterte sie: ,Du fragst, Geliebter, wie es möglich war, daß ich Dich erkannt hab', noch bevor Du vor mir standest? Weißt Du denn nicht, daß die Liebe hellseherisch macht? — Horch" unierbracb sie sich, „die Nachtigall singt, sie singt von unserem Glück." Die Lippen der Liebenden fanden sich zu heißem Kuß. Die Linde über ihren Häuptern rauschte leise im Abend winde. Nimm ii NK — ei« Hile «s bin Die Sklaverei in Mexiko ist in kürzeren Nottzen der internationalen Press« schon öfters erwähnt worden. Das Thema dürfte jetzt um so zeitgemäßer sein, als die innere Gährung in drr Republik mittelbar auf diese Ausbeu tung der unteren mexikanischen VolkSkrttse durch voll ständig skrupellose Plantagenbesitzer, hinter denen meist nordamerikanisches Kapital steckt, zurückgeführt werden muß. Nie zuvor aber wurde der Außenwelt ein so intimer Einblick hinter die Kulissen eines noch immer auf dem Repertoir befindlichen Trauerspiels gewährt, als es in der kürzlich veröffentlichten Artikelrtthe einer ernst haften amerikanischen Zeitschrift „Fry's Magazine" — geschieht; denn aus den an Ort und Stelle gemachten Beobachtungen des Verfassers, K. Turners, eines durch aus vertrauenswürdigen und bekannten englisch-amerika nischen Schriftstellers, geht unzweideutig hervor, daß die vielerörtrtten Kongogreuel im Lichte der in vielen Telle« Mexiko» herrschenden ungeheuerlichen Zustäude verblassen müssen. Der Autor verweilt in seinen Artikeln besonders bei der Schilderung der Zustände, die er in einer der frucht barsten Gegenden der Republik, im „Valle National", wo sich die großen Tabaksplantagen befinden, angetroffen