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Bei diesen Worten richtete sich ihre gestalt höher, und ihre sonst so traurigen, braunen Augen blitzten einen Moment auf. „Ich brauche keine Belohnung, ich würde Dich so führen; aber man würde uns beide tüten." „Was war rS denn für ein Mann, der Dich schlug?" „ES ist ein Gaukler und sehr angesehen. Er hat viele Freunde und Bekannt«, und die erfahren eS heute noch alle, daß Du ihn geschlagen; man würde Dich sicher töten, Herr, glaube mir." Und meine Hände ergreifend, legte sie diese auf ihre Brust. Einen Augenblick lang spürte ich durch daS leichte Tuch den Herzschlag des erwachenden WeibeS; ein Schauer durchrieselte mich. Ich nickte aber. „Ich glaube Dir," sagte sich stockend, und nach einer Pause: „Was wollte er denn von Dir?" Wieder ihr trauriger Blick, so entsagend allen Freuden, fast dem Leben überhaupt. „Möchtest Du es wissen, Herr?" frug sie zurück und fuhr fort als ich nicht gleich antwortete, aber ganz leise: „Ich sollte sein Weib werden." „Und das möchtest Du nicht?" „Nie, Herr, nie," rief sie fast wild. Ihre Augen blitzten wieder; dann sagte sie etwas ruhiger: „Er sagt auch nur so; in Wahrheit würde ich seine Sklavin und müßte seine Gaukelkünste erlernen. Ich bin ja nur ein Pariakind," setzte sie traurig hinzu. * Ich wußte nicht, was ich dem entgegnen sollte und schwieg. Aber irgend etwas mußte geschehen, denn der Abend kam schon, und in der Wildnis zu übernachten sagte mir gar nicht zu. So frug ich denn: „Was sollen wir denn machen? was gedenkst Du zu tun?" „Ich weiß ein Versteck, Herr, dahin will ich Dich bringen. Ich gehe dann nach Bahama und hole von dort einen Trupp Eurer Soldaten; die werden Euch dann nach Bahama zurückführen." Das alles wurde so natürlich, so einfach gesagt, als wäre dies die einzig richtige Lösung und einfachste Sache von der Welt. Fürs erste wollte es mir nicht be hagen; das sah nach Furcht aus. Jemehr ich es aber mir überlegte, desto richtiger fand ich die Handlungs weise. Dir Beleidigung würde der Inder nie vergessen, und nur zu oft geschah es, daß irgend ein Opfer aus sicherem Versteck ermordet wurde. „Aber Du?" wandte ich noch zögernd ein. „O, ich kenne die Wege; ich kann mich allein ver bergen, was mit Dir nicht möglich wäre." „Gut," entgegnete ich dann nach einer Weile, „ich nehme Deine Hilfe an." Etwas wie Stolz leuchtete in ihren blauen Augen auf. Dann nahm sie mich an der Hand, und wir schritten schweigend durch das abendliche Dunkel eine ziemliche Strecke; gesprochen wurde nichts. Vor einem verfallenen Gebäude machte sie Halt, und als ich sie verwundert ansah, sagte sie: „Es ist ein Tempel, und hier sind wir sicher; den« keiner wagt es, diesen Ort zu betreten." Ich kannte die Scheu der Inder, ihre alten Tempel zu betreten, und folgte daher ruhig dem sicher voran schreitenden Mädchen, das mit einer erstaunlichen Ge- wandheit sich durch das Steingewirr bewegte. Wir waren ohne Licht, nur der Mond schien mit magischem Glanze durch die Risse und Oeffnungen der Mauer. Es war wohl der hinterste Raum, in dem sie Halt machte und mit mir unbegreiflicher Schnelligkeit ein Licht anzündete. Der Raum war klein, nur einige Quadratmeter groß. In einer Ecke lagen einige Decken; hierhin deutete sie und sagte ruhig: „Hier kannst Du ruhen, Herr; Wasser werde ich Dir holen, und morgen um diese Zeit wirst Du bei den Deinen sein." „Und Du?" frug ich sie, ihre Hand ergreifend. „Ich?" Unendlich traurig klang das Wort aus ihrem kleinen Munde, und dann: O, ich werde eines Tages sterben, und dann bin ich nicht mehr." Ich konnte es nicht unterlassen, stürmisch riß ich sie an mich und drückte einen langen, heißen Kuß auf ihre braunen, sammetweichen Lippen. Und sie hing an meinem Halse, ihr ganzes Ich drängte mir entgegen. Ueber uns beiden war ein Rausch süßester Freude ge kommen. Doch plötzlich lösten sich ihre Arme, und ihr Ohr dicht an meinen Mund legend, flüsterte sie: „Laß mich gehen, Herr; Du mußt ruhen und auch ich muß ruhig werden" Und ehe ich wußte, wie mir geschah, war sie leicht füßig davon geeilt. — Des andern Tages gegen 3 Uhr kam ein Korporal mit etwa zehn Mann; aber ohne die kleine, braune Inderin. Auf meine Frage, wo das Mädchen war, hörte ich, r-aß sie im Lazarett lag, aus vielen Wunden blutend. Ich war aufs tiefste bestürzt, aber keiner konnte mir ein Wort sage«, denn sie selbst hatte nur gesagt, man möchte mich holen, da ich in Lebensgefahr wäre. Im Geschwindschritt ging's nach Bahama zurück wo wir abends gegen 10 Uhr an kamen. Sofort ließ ich mich ins Lazarett führen. Auf einem der eisernen Feldbetten lag sie, mit einem weißen Tuch bedeckt. Ich nahm einen Stuhl und setzte mich an ihr Bett und nahm die matt herabhängrnde Rechte leise in meine Hand. Doch schon bei der leisesten Berührung öffnete sie die Augen, und kaum ein merkliches Lächeln glitt über ihre lieblichen Züge. Ihre Lippen öffneten sich kaum merk lich und ich rückt« dicht an sie heran. „Man hat Dich gefunden, Herr," flüsterte sie, „das ist gut." „War hat man Dir dem» getan?" fmg ich mit er stickter Stimme. „O Herr, ich dachte nur an Deine« Kuß und ver - gaß vorsichtig zu sein; und da — da — sah man mich. Man lauerte Dir auf; ich sollte sagen, wo Du wärst und da — da —." Matt schloß sie die Augen. Nach einer Wecke öffnete sie sie wieder und hauchte. „Es war so schön, Herr — noch einmal — ja — ich sterbe ja — — Ich beugte mich über sie und berührte leise ihre Lippen. Ich fühlte einen schwachen Kuß — sah noch ein letztes, seliges Lächeln, und dann — war's vorüber.' Der Erzähler schwieg. Auch die anderen; nur von der Themse her klang frohes Jauchzen. Neuestes vom Lage. -f- Die alte Geschichte. Die Frau des Zim merers Gommert in der Huttenstraße in Berlin ver suchte sich und ihre beiden Töchter im Alter von 6 und 7 Jahren mit Leuchtgas zu vergiften, weil sie fortge setzt Mißhandlungen ihres Mannes ausgesetzt war. Die beiden Kinder konnten wieder ins Leben zurückge rufen werden. -f Die feindlichen Brüder. In Bamberg gerieten zwei Brüder, Handwerker, wegen der Frau des einen in Eifersucht uud Streit. Während die Frau aus Angst vor den kämpfenden Männern zum Man sardenfenster hinaus in den Hof hinab sprang und töd lich verletzt liegen blieb, gingen die Brüder ins Wirts haus und versöhnten sich. -f- Verhafteter LandgerichtSrat. In Cronach (Bayern) ist der Landgerichtsrat Greiner, der seit einigen Monaten pensioniert ist, wegen Unterschlagung von Mündelgeldern verhaftet worden. Der Verhaftete steht im Aller von 73 Jahren. Eine von seinen Ver wandten angebotene Kaution ist abgelehnt worden. Feinste « KillMW. 711888, » W garantiert reine A k Oavsos 8 A feinste D » KkoeolsüsnL « empfiehlt » 8 Drogerie«. Kräutcrgewölbe « k zum Kreuz ü Z kml UStlMM. « Die Geschwister. Roman von H. Courths-Mahler. 7. (Nachdruck verboten.) „Entweder bist Du bezecht oder verliebt. Na, mei netwegen, ich habe das meinige getan, einen Vor wurf kannst Du mir nicht machen." „Nein, Fred, nein. Sieh' nur, wie die Sterne funkeln. Morgen wird ein schöner Tag — ein hol der, schöner Tag." Fred war nun überzeugt, daß Römer einen Spitz hatte, und ließ ihn zufrieden. Schließlich konnte er ihn ja auch noch ein anderes Mal auf Ingeborg Haller aufmerksam machen. Vom Denkmal löste sich eine dunkle Gestalt. Gab«, riele stutzte. Das »vor kein Offizier, der ihr da schnell entgegenkam. Aber dann erkannte sie im Dämmer» doch Römers Züge. Er hatte zur Vorsicht Zivilkleider angelegt. Nun flog sie auf ihn zu, und stumm jn seliger Lust hielten sie sich umschlungen. Kuß um Kuß brannte auf den verlangenden Lippen. Die Weld versank ihnen in dieser Stunde. Und so viel hatten sie sich zu sagen, als sie Arm in Arm, eng aneinander-, geschmiegt, auf und abgingen. Im Lichte des aus gehenden Mondes lasen sie die sehnsüchtige Sprache ihrer Augen und küßten sich dann wieder und wieder. Aber dann mußten sie an das Ende denken, an die Trennung. „Liebling, wie soll ich es nur ertragen, Dich von mir zu lassen? Ich war schon heute ganz krank vor Sehnsucht noch Dir." Sie erschauerte. 'Nun war's vorbei mit Glück und Liebe. Aber sie wollte sich ihm nicht mutlos zeigen, jetzt mußte sie stark sein, für ihn und für sich. Nachher daheim, da konnte sie den Jammer über sich Hereinbrechen lassen, sich ihm wehrlos aus liefern. Aber nicht jetzt. Sie zwang ein Lächeln in, das erblaßte Gesicht. „Heinz — wir wollen mutig tragen, was uns das Schicksal auferlegt. Sieh, so reich sind wir durch das genossene Glück geworden, nur wollen dankbar dafür sein und tapser vorwärtsschreiten." „Mein herziges, liebes Mädchen. Oh, daß es eine Möglichkeit gäbe, Dich zu halten. Süß, Liebe, wenn wir nun warteten — auf den Hauptmann." Sie schüttelte ernst den Kopf. „Nein, o nein. Ich könnte es nicht ertragen, Dir eine Lessel zu sein. Dich zu Boden zu drücken. An meinen Eltern habe ich ein trauriges Beispiel solcher Ehe gehabt. Ich sehe meinen Vater noch vor mir, elend, frühzeitig gealtert, gramvoll, verbittert. Nein- mein Herz. Dazu habe ich Dich viel zu lieb. Lieber eine freiwillige Trennung, ein mutiges Ertragen des Geschicks, als dieses langsame Verbluten, dieses Hin- sterben der Jugend, der Liebe. Sieh', ich habe ja immer gewußt, daß meine Liebe zu Dir ein seliger Traum bleiben muß. Nun hab' ich mein Glück sogar in Wirklichkeit erhalten. Ta darf ich nicht undankbar sein. Und auch Tu mußt mir versprechen, Dich auf zuraffen. Laß Dich nicht uuterkriegen durch das Hangen und Bangen nach Unmöglichem. Versprich es mir, Heinz. Nur wenn ich weiß, daß Dein geliebtes Leben nicht gebrochen ist, werde ich die Kraft finde«, das meine zu ertragen." Ihre Stimme brach in leisem Jammer. Er küßte ihre Jugcn, ihren Mund, die schlanken, bebenden Hände. „Sei ruhig, mein Lieb, ich will alles tun, was Dich beruhigen kann." Es schlug sechs Uhr. Gabriele löste sich aus seinen. Armen. „Nun muß ich heim," sagte sie tonlos. Noch einmal hielten sie sich fest umschlungen, noch einmal preßten sich die Lippen aufeinander. „Leb wohl, Liebling, leb Wohl. Ich lasse mich so. bald als möglich versetzen, nur so werden wir unser« Ruhe wiedcrfinden." „Leb wohl — alles Glück der Welt mit Tir," sagte sie leise. Tann ging sie langsam davon. Er sah ihr nach, bis sie am Ausgang de>- Allee verschwunden war. Tann folgte er ihr langsam und suchte seine Wohnung in der Kaserne auf. Tort warf er sich auf den Tivan und barg aufstöhnend den Kopf in den Händen. Gabriele bat ihre Mutter, als sie nach Hause kam, sich zu Bett legen zu dürfen. Ihr Kopfweh sei nicht besser geworden. „Dir steckt die Müdigkeit von gestern noch in den Gliedern, Gabi. Geh nur ruhig zu Bett und schlaf' aus. Tann wird es morgen schon besser sein." Das junge Mädchen suchte denn auch ihr Lager auf. Aber sie schlief nicht. Still und reglos lag sie da undi überließ sich ihrem Schmerze. Die brennenden AugeN starrten im Dunkeln zur Decke empor. Es wäre ihr eine Wohltat gewesen, weine« zu dürfen. Aber dir Tränen, die ihr so wohlgetan haben würden, fände« Am nächsten Morgen ging Gabi mit strahlenden Augen umher. Aengstlich wehrte sie alle Gedanken am die Zukunft von sich. Heute wollte sie noch glücklich sein, glücklich, ohne Rest, ohne Nebengedanken. Walter und Frieda hatten es sehr gut heute. Gabriele strich ihnen die Butterbrote besonders dick und sparte auch nicht mit der Sahne beim Kaffee. Aber, sobald sie den Kaffeetisch abgeräumt hatte, machte sie sich zum Aus gehen fertig. „Wo willst Du denn hin, Gabi?" fragte die Mutter verwundert. Gabriele wandte das errötende Gesicht von ihr sb. „Ich habe ein bißchen Kopfweh von gestern abend. Laß mich eine halbe Stunde hinaus, Mama." „Es beginnt aber schon zu dunkeln." „Gerade deshalb. Im Dämmern kann ich doch nicht arbeiten." „Dann geh', Kind. Du bleibst doch in belebten Straßen?" Gabriele nickte nur. Donn war sie hinaus. Eilig lief sic einige Straßen hinab. Zehn Minuten später war sie im Stadtpork. Nur noch mit fliegendem Schritt die Kastanienallee hinab. Kein Mensch war rings um zu sehen. . , nicht den Weg zu ihren Augen. Stunde um Stunde lag sie da und kämpfte mit ihrem sehnsüchtigen, rebel lischen Herzen. Doch als der Morgen dämmerte, erhöh sie sich wie jeden Tag. Sie weckte die Kinder, half ihnen, sich zur Schule fertig zu machen, und besorgt« das Frühstück. (Fortsetzung folgt.) Geschäftliches Die Sntwicklnng de» deutsche» Privatverfichernngs- »esrns in dem Jahrfünft 1902—1906 ist vor kurzem durch eine bedeutsame Veröffentlichung des Kaiserlichen Aufsichtsamts für Privatversicherung beleuchtet worden. Es ergibt sich da raus ein beständiger kraftvoller Aufschwung. Wir kommen für Deutschland auf einen Betrag von weit über 10 Milliarden Mark Versicherungssumme allein in der großen Lebensver sicherung. In der Feuerversicherung hoben sich die bei den deutschen Unternehmungen versicherten Summen von 93 aus 112 Milliarden Mark. In der Unfallversicherung stieg die Prämieneinnahme de» deutschen Geschäft» von rund 31 auf 42 Millionen Mark, und in der Haftpflichtversicherung war die Zunahme noch auffälliger, nämlich von fast 26 auf über 40 Millionen Mark, wovon allein auf das einzige große Gegenseitigkeitsinstitut in diesem Zweige, den Allgemeinen Deutschen Versicherungs-Verein in Stuttgart, an 13 Mill ent fallen.