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Aus Nah und Keru. Lichtenftei», den 27. April 1909. *— Salzsäure-Attentat. Dem Beispiele licht- scheuen Gesindels in den Großstädten, das sich, wie inan schon oft gelesen, eine Freude daraus macht, Frauen die Kleider mit ätzenden Flüssigkeiten zu be gießen, scheint man auch hier solge» zu wolle», wie nachstehender Fall beweist: Gestern abend gegen ^9 Uhr spielte die Witwe K. in der Aeußeren Bleicl-gasse am Bache tKesäß« aus. Plötzlich kam ein Mann im Havelock daher und srug sie, ob hier der Weg nach Röblitz ginge. Als sic sich aufrichtete, um Besstieid zu geben, geh ihr der Mensch eine Flüssigkeit in das Gesicht; schließlich hat er auch »och ein zweites Mal gegossen, was aber die Fran in ihrer Aufregung nicht bemerkte. Erst auf dem Wege nach dem Hanse bemerkte sie ein brennendes Gesicht im Gesichte, sie rief nun nach Hilfe, der Täter war aber inzwischen geflohen. Ter herbejgernfene Arzt stellte dann fest, daß die linke Gesichtshälste mit Salzsäure verbrannt war, auch die Unterarme und die Schürze usw. wiesen Brandflecken auf. Gefahr für das Augenlicht besteht glücklicherweise nicht. Was den Mann zu feiner ver brecherischen Tat veranlaßt hat, darüber fehlt jeder Anhalt, die überfallene Fran lebte still vor sich hin und dürste kaum Feinde haben. Der Polizei wurde sofort Mitteilung von dem sür unsere Stadt auf- regcuden Attentat gemacht. Sic nahm Henle srüb — warum erst so spät? — die Recherchen aus. Aach den nun vorliegenden Aussagen der Witwe Kohler dürste der ganze Vorgang ans ein geplantes Sittlich- kejtsvcrbrecheu lnuauslanscn: denn als sic in der neunten Abendstunde an der sogenaunien Schasbrücke einige Scheuerhader spülte und sich ausrichtete, nm dpi» Attentäter aus seine Frage Austunst zu geben, faßte sic dieser beim linken Arm. Die Frau wehrte sich und erhielt einen heftigen Stoß vor die Brust, dadurch taumelte sie an die Brückcnbarrjere. Als nun der Unbekannte sah, daß er infolge der heftigen Abwehr nicht zum Ziele kam, wollte er sich, so wird vermutet, an seinem Opfer rächen und verübte das Salzsäure-Attentat aus einer zu diesem Zwecke bereit gehaltcuen Flasche. Der Hilserns der Fran K. per schencßtc dann den frechen Menschen. Er trug Pele rine und dürste zirka 1,70 Meter groß sein. Wahr scheinlich wird er sich beim Attentat auch selbst die rechte Haud durch die Säure verbrannt haben, ebenso ist anzunehmen, das; Mantel nnd .Kleidung Säure- fleckc ausweisen, die bekanntlich bald eine gelbe Fär bung annehmcn. Schließlich könnte auch sein Gesicht Verbrennungsmerkmalc zeigen. Ter Polizeibehörde ist natürlich jeder, auch der kleinste Fingerzeig will kommen, der eine Spur zur Verfolgung des Ver brechers weist. — Ltcnographie-Untcrricht. Wie aus vor liegender Nummer dieser Zeitung ersichtlich, erösfnet der hiesige Stenographen-Verein „(Kabelsberg" wie ¬ derum einen Kursus in Gabelsbergerscher Steno graphie. Mit Rücksicht darauf, daß von d«l Behörden, Rechtsanwälten, Kaufleuten, Fabrikanten usw den An gestellten immer mehr die gründlich)« Fertigkeit in der Stenographie zur Bedingung gemacht wird, sei auf die günstige Gelegenheit, welche durch den angc- kündigten Kursus zur Erlernung der Kurzschrift ge boten wird, besonders Hingelviesen. — Die Lichtenstein-Lallnberger Bant nimmt Zeichnungen auf 4 Prozent und KC- Prozent deutsche Rcichsanleihe, sowie dergleichen preußische konsolidierte Staatsanleihe entgegen, woraus wir auch an dieser Stelle Hinweisen. Näheres befindet sich im Inseratenteile. *— Der 8 Uhr-Ladenschlutz. Wie wir in Er fahrung gebracht haben, hat die rege Tätigkeit des Ausschusses zur Herbeiführung des 8 Uhr-Laden schlusses einen respektablen Erfolg erzielt. Bor einigen Tagen sind die betreffenden Anträge von mehr als 160 Inhabern offener Geschäfte in Lichtenstein und Eallubcrg bei der Königlichen Kreishauptmannfchaft Ehemnitz ejngerejcht worden, nnd es jst zu erwarten, daß in absehbarer Zeit auch in unseren Schwester- städten der bon so vielen Geschäftsleuten — Prinzi palen und Gehilfe» erwünschte zeitgemäße Acht- uhrschlus; für alle Wochentage — außer Sonnabends und einiger Ansnahmctage im Dezember — in Kraft tritt. *— Diebstahl. In der Nacht zum Montag sind von einem, Herrn Keilberg gehörigen Grundstücke an der äußeren Zwickauer Straße in der Nähc der Zscherp'schcn Gärtnerei ll Aepselbäumchen gestohlen worden, die erst am Sonntag vor mittag gepflanzt worden waren. Allem Anscheine nach bat ein Vorüber gehender das Einsetzen der Stämmchen beobachtet rind diese dann später unter dem Schutze der Nacht sich ungeeignet. Bei Ankauf von Aepselbäumchen aus Privathandel! ist daher Vorsicht geboten' *— Lottcrieglück. In die Lvsvcrkaufsstclle des Herrn Gasthossbesitzers Lahl in Knhschnappel sielen in den letzten Tagen ans Nr. 6NU -R>oo Mark nnd auf Nr. iN>6!> 1000 Mark. Mülsen St. Jacob. (Vccschjcdencs. Geschenk! wurde der hiesigen Webschnle ein höchst wertvoller mechanischer Webstuhl englischen Systems mit Steig kästen nnd sicbenschützig von Herrn Meinhold, Karl Klingers Nachfolger jn Glauchau. Durch diese edle Stiftung kam in der Fachschule eine Maschine zur Aufstellung, Ivie sie noch in keinem mechanischen Be triebe der Textilbranche im Mülsengrundc vorhanden ist. — Aus einciü hiesigen Mühlgraben wurde eine handgroße Schildkröte mit schöner Hornplatleuzeich- nung aas Land gebracht. n. Mülsen St. Jacob. (Ein schweres Unglück ereignete sich am Sonntag nachmittag in unserem Orte. Der Bergarbeiter Thalheim fuhr mit seinem Rade, von der Schicht kommend, den Fußweg an dem Gasthof „Drei Linden" herein: er Hane hier bei das Unglück, an das Gustav Kahcustchc Haus zu fahren, slicst mit dem Kopfe ein Fenster ein. so das; ihm das Blut aus Mund, dürfe und Ohren strömte. Der Verunglückte blieb längere Zeit ohne Be sinnung; ob er sich innere Verletzungen zugczogen, wird erst die Zukunft lehren. Blascwitz. (Unsere Zukunft auf dem Wasser. Kürzlich halte ein zwölfjähriger, aus Böhmen ge bürtiger Knabe ein am Elbnfer liegendes Boot des Gastwirt? der „Hirschmühle" oberhalb Krjppeu los gemacht, um damit nach Hamburg zu fahren unlü von dorr angeblich nach Amerika auszuwandern Das Bürschchen wurde in Blasewitz in der Nähe des Ho tels „Bellevue" eingeholt und der Polizei übergeben. Nach mehrstündigem Verhöre wurde der Ausreißer wieder entlassen. Am Mittwoch abend stahl der Knabe bei einem Fahrradhändler in Leuben ein Dreirad und fuhr nach Seidnitz, wo er übernachtete. Dein Wirte teilte er mit, daß sein Vater nachkäme. Am anderen Morgen war der Bursche mit dem Rade spurlos versckMunden Frankenberg. (Die Schürze der Mörderin.) In einem von der Kücks« des Ease Humbold durch eine Falltür zu erreichenden Kellerslur hat man eine Schürze der Mörderin der Elfriede Menzel, Martha. Kompros, gesunden. Die Schürze jst stark mit Blut getränkt. MÜgetN. (Ausbruch aus dem Gefängnis? Ter 23 Jahre alte Handarbeiter Rüger, der wegen eines Fahrraddiebstahles in das Amtsgerichtsgefängnis zu Mügeln eingeführt Ivar, ist am Sonnabend ausge- brochen. Er hatte in der Nacht zum Sonnabend den Ofen seiner Zelle zertrümmert und war durch den Kamin in den Korridor des Gefängnisses gelangt. Hier hielt er sich verborgen. Als um 6 Uhr der Wacht meister das zum Hof führende Tor aufschlost, versetzte Rügcr dem ahnungslosen Beamten mit einem bei der Zertrümmerung des Ofens erlangten Eisenstück drei wuchtige Schläge auf den Kopf, so das; der Wacht meister blutüberströmt zusammenbrach. Die Ver letzungen sind so schwer, das; man für das Leben des Verletzten fürchtet. Als auf das Hilsegeschrei des Ueberfallenen seine Frau herbejeille, raunte Rüger sie über den Hausen, so das; sie die Treppe hinab jjek und eine Lchnlkerverrenkung daovutrug. Rüger flüch tete dann über die Hosmaner nach dun Walde. Eine Verfolgung führte zu keinem Ergebnis. Jedoch führt ein Einbruch, der in der Sonntag-Nacht bei dem Gutsbesitzer Kuntze in Gros; Pelsen, bei dem Rüger vorher in Diensten stand, verübt wurde, wenigstens auf eine Spur. Hier halte der Ausbrecher, der ohne Schuhe geflohen war, Kleider und Stiefel an sich genommen. Gendarmen umstellten am Sonntag das Kuntzesche Gehöft in der Hoffnung, das; Rüger sich dort verborgen hielte. Die Durchsuchung des Gehöfte war jedoch ergebnislos Bis jetzt konnte der Aufenthalts ort des Ein- und Ausbrechers noch nicht ermittelt werden. Zwickau. tVerfchivnndeu? Seit Freitag vormit tag ll Uhr sind zwei Kinder, Will» Scheffler, 8 Jahre alt, und Mariechen Scheitler, 7 Jahre alt, entlausen. Sie sind nicht in die Schule gegangen und bjs jetzt auch nicht wieder nach Hause znrüctgekehrt. Die El tern wohnen Erimmitschaner Straße öO b. Die Kinder waren mir sauberer .Kleidung zur Schule angezogen nnd hatten Schulbücher bei sich. Gerichts zeitung. — Zwickau. (Znwjderhaudlung gegen das Rejckfs- gesetz zur Unterdrückung von Viehseuchen. Ter Vieh händler Ernst Günther in Mülsen St. Njclas hatte es unterlassen, der Ortspolizeibehörde von der seuchen- verdüchtigeu Erkrankung Schweinepeso mehrerer Lüu- serscüweme, die er am Nl. Oktober von Berlin- Frirdricl.sfelde nach Mülsen St. Niclas eingeführt batte, sofort Anzeige zu erstatten, weshalb er vom Schöffengerichte Lichtenstein mit lä Mark Geldstrafe belegt worden ist. Seine Berufung wurde verworfen. „Wer war es?" Roman von Ernst Waldow. 10 Nachdruck verboten- Zdenko wandte ihm sein verzerrtes Antlitz zu. „Nichts", antwortete er in dumpfem, geistesabwesen dem Tone, „es ist nichts." Tann sein Gesicht i» beide» Hände» vergrabend, schluchzte er laut auf. So fas; er eine Weile, stumm und bewegungslos. Endlich schien die fürchterliche seelische Erschütterung nachzu lassen. Sich mir Gewalt zur Ruhe zwingend, richtete sich Graf Zdenko auf. Er hatte seine Haltung wieder gesunden, aber das jähe Zucken, das für Sekunden seine Züge überflog, der irre Blick der brennende» Augen bewies, das; die entsetzenbrjngende Mitteilung noch lange in ihm nachwirktc. „Herr Graf", begann der Polizeileutnant nach einer kurze» Pause, „ich fühle mich verpflichtet, Ihue» mitzmcften, daß Lie in' hohem Maße belastet er scheine», falls es Ihnen nicht gelingt, den Nachweis zu führen, wo Sie sich während der Zeit zwischen Ihrem Besuche bei der Gräsiu und drei Uhr morgens anfgeballcu haben." Gras Zdenko schüttelte den Kopf. „Ich begreife nicht", begann er langsam nnd leiie, als ob er sich vor dem Klang der eigenen Stimme fürchte. „Ich will Ihnen alle Einzelheiten mittejlen. Sje haben die Gräfin gegen 10 Uhr verlassen und sind durch den «Karten gegangen. Man weiß nicht, ob Sie düsen verlassen haben. Kein Mensch hat die Gräfin an dem Abend mehr gesprochen. Heute morgen findet man sh rot, erdolcht, in ihrem Boudoir. Das Fenster ist geöiinkt und draußen ist eine Leiter angelehnt. Nichts deutet aus eine Beraubung oder ein sonstiges Verbrechen. Sie begreifen, daß der erste Verdacht ans Sie fallen mußte, und daß dieser. dadurch noch bestärkt wurde, daß Sie heute morgen, als man Sie verhaftete, im Begriffe waren, abznrcisen." j Graf Zdenko hatte mit gespanntester Ansmerl- samkeit diesen Worten gelanscht. Aber es schien, als ob es ihm schwer sei, ihren Sinn zu erfassen. In ungläubigem Tone, in dem jedoch die seelische Er regung nachzitterte, fragte er dann: „Und mich hält man sür den Mörder?" Es lag etwas so unsäglich Trauriges, Klagendes in diesen wenigen Worten, daß der Beamte das leichte Gcbände seines Indizienbeweises schwanken fühlte nnd fast wie entschuldigend die näheren Gründe darzulcgen begann, welche die Behörde zur Annahme der Täter schaft des Grafen geführt hatten: „Sehen Sie, Herr Graf, die Sache ist allgemein naheliegend. Wohlüberlegten Mord nimmt ja kein Mensch an, sondern Tötung im Affekt. Sie sind verschuldet, diese Tatsache läßt sich nicht wcgleugnen, und Sie dachten durch Ihre Verbindung mit der jungen, rejck'en Witwe Ihre Verhältnisse wieder zu rangieren. Zn einer ganz ungewöhnlichen Zeit suchten Sie die Gräfin ans, jedenfalls durch die Lage der Ver hältnisse znm Aenßersten getrieben und — erfuhren eine Abweisung. Voller Berzwenelung verlassen Sie Gräfin Stcrnfeld, wagen jedoch einen letzten Versuch, indeni Sie noch am selben Abend das Fenster er klettern und in das Zimmer eindringen. Tie haben ja schon öfter Proben einer geradezu abenteuerlichen Handlungsweise gegeben, Herr Graf, so daß dies bei Ihrem Charakter gar nicht Wunder nehmen könnte. — Von neuem von der Gräfin zurückgewjesen, die über Ihr Benehmen empört und entrüstet ist, begehen Sie dann in leidenschaftlicher Aufwallnng die unselige Tat, nm dann ans dem gleichen Wege, auf dem Sie gekommen sind, zu fliehen. So stellt sich der Gang der Dinge dem kombinierenden unbeteiligten Zu schauer dar, und die Berdachtsmomeute sind ge geben." Fast teilnahmkos hatte Gras Zdenko zugehört. Auf die Frage des Beamten, ob er sich nicht zu der Lache erklären wollte, hatte er keine Antwort. Erst als ihm dieser in ruhigem Tone eröffnete, daß er einst weilen in Haft genommen und am Nachmittage dem Untersuchungsrichter vorgeführt werde, kam einiges Leben in die starren Züge. Einer plötzlichen Ein gebung solgeud, stellte Gras Zdenko die Frage: „Kann ich die Totc noch einmal sehen?" Der Polizeileutnant schante den des Mordes Ver dächtigten mit sprachlosem Erstaunen an. Ern der artiges Verlangen war ibm in seiner Praxis noch nicht vorgekomnien, aber in höflichem Tone erklärte er, daß er diese Bitte dem Untersuchungsrichter unter breiten werde. . .Hinter dem Grafen Zdenko schloß sich bald darauf die schwere Tür eines engen, vergitterten Gemaches. Sechstes Kavitel. Es war gegen drei Uhr nachmittags, an dem gleichen Tage, der so viel des Aufregenden und Ge heimnisvollen gebracht hatte, als ein junger, elegant geNejdeter Mann eiligen Schrittes eine freundliche, kleine Straße der Vorstadt passierte. Glied an Glied standen dort einfache Einfamilienhäuser, mit meist nur ejuem einzigen Stockwerk und kleinen, aber sauber gehaltenen Vorgärten. Ter junge Mann schaute suchend nach den blanken Mctallschildern, die an den Eingangspforten angebracht waren, und endlich hatte ec das Gewünscht« gefunden. „Reinhold Müller, Privatmann", las er mit einem Seufzer der Befriedigung. Tann drückte er auf die Klingel nnd nach einer kurzen Weile öffnete sich laut los die Gartenpforte, Einlaß gewährend. Der Be sucher schritt auf dem kiesbestreuten Wege zur Eiu> gangstür des Hauses, wo eine ältere, sauber gekleidet« Frau ihn erwartete. „Ist Herr Müller zu sprechen?" fragte der AnK kömmling ohne jede Einleitung. l-- (Fortsetzung folgtZ