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Lichtenstein Lallnberger Tageblatt -- ' — »8. — 1. Beilaae z« Sk. 26l. Sonntag, de» 8. November isog Eine Heldin. Novellette von Edmund Handtke. Nachdruck »erboten. Am Fenster ihre» mit schmucklos« Etasachheit av»g,statteten Zimmrrchrn» steht di« junge Diakonissin und schaut müden Blicket in den Sommrrabend hinaus. Die letzten Sounrnstrahlen stehlen sich durch die Bovwwipftl des Arar kenhautga,tent, grüngol dene Reflexe huschen üb« die ernsten Züge deS MäkchenS. Eine weich« träumerische Stimmung benäch. tigte sich der Einsamen, unwtükürlich fliegen ihre Gebar km in die Vergangenheit zurück. Vier Jahre stand sie nun schon im Dienst der leidenden Menschheit, halt« si« alle ihre Kräfte daran gefitzt, vttgessen zu lernen, ihr seelische« Lletchgrwicht wieder zu finden. Berhältn sw äßig leicht war eil Hr geworden, sich in die so gänAich veränderten Lebentbedingungen zu finden, welche mit dem Ueb«- tritt au« dem elterlichen Haus« in das Schwrstern- heim verknüpft waren. Ihrem ernsten Streben war die Anerkennmg nicht versagt geblieben. Schon während d«k P obe. jahreS hatte sie ungruähnliches Srschsck zum Pflrge- rinnenamt bekundet, sodaß die Wahl sofort auf sie fiel, alt für dat neue Krankenhaus in der großen rheinischen Industriestadt eine Pflege schwester vom Mutterhaus« vrrlangt wurde. Und auch in dtesem ihren Wirkungskreise konnte sie mit dem bisherigen Erfolge ihrer Listigkeit zu- frieden sein. Alle Kranken nanr ten ihren Namen mit Worten höchst« Verehrung und wußten ihre Dankbarkeit oft In rührender Weise zum Ausdruck zu bringen. Keine verstand et auch, sich das Ver trauen, die Zuneigung der Kranken in so hohem Maße zu erringen, wie Schwester Elisabeth. Die Oberin und die übrigen Schwestern liebten dat be scheidene, hilfsbereite junge Mädchen gleichfalls und der Chefarzt schätzte st« als umsichtige S«hl fip. Keine wichtig re Operation, kein „schrotens«« All" bet dem Schwester Elisabeth nicht assistierte, und' bei Kranken, die besonders aufmerksamer Wartung bedurften, übertrug er ihr das Pflegeramt am liebsten. Schwester Elisabeth wußte das, ebenso aber sü! lte sie auch, daß si« oft über ihre Kräfte ging. Aber sie liebte die Arbeit um ihrer selbstwillen, als auch, weil sie sich als Heilmittel für die tiefen Hrrz wunden bewähr, an der sie einst zu verbluten gr- »eint halte. Vor fünf Jahren war eS, als die Liebe in ihr junges Herz einzog. Ein sonniges Leuchten, wie ein Abglanz längstentschwundener glückseliger Z-sten huschte über das lietllche Gesicht der Sinnenden, um j.-koch alsbald wieder dem gewohnten E.nst Pst tz zu machen, dar jähe Ende ihre« kurzen Li«be8- traumeS ließ keine Freude über die ve-stoffenen glücklichen Tage auskommen. Wie ein Rausch war kS damals über sie ge- kommen, als HanS Arnim, ter vielumworben' junge Ingenieur, sie vor allen bevorzugt hatte, Wochen und Monate reinsten, ungetrübten GlückrS verlebte sie an Ler Seite des Heißgeliebten, als die Eltern die Zu stimmung zu dem HerzensbündniS gegeben. Doch nur zu bald ging da» LtebeSidyll zu End,. Die Werstbauten, deren Leitung HanS Arnim abgelegen, waren beendet und seitens seiner vorgesetzten Dienst behörde war ihm ein anderes Arbeitsfeld zugrwirsen, da» thm weit weg von der Geliebten führte. Zuerst hatte sie die Trennung nicht zu über- leben gemeint, doch die alles nivellir e rde Zeit mil derte auch hier den Schmerz, zumal ein eifriger Brttswrchsel ein geistige» Band um die Liebenden schlang. Und auch als nach einiger Zsst die Briese weniger häufig eintrafen, beunruhigte die» Elisabeth nicht, d«in si« wußte, ihr HanS hatte in seinem neuen Wirkungskreise viel Arbeit vorgesunden und taher wenig Zeit zu Privotkcrkespondefzm. Doch Lie Trennung konnte ja nicht lange dauern, die Hrff nung aus die Zukunft half ihr über die Stunden de» Zweifels und der Mutlosigkeit hinweg. Und dann kam eines Tage« ein Brief mit Trauerrand cuS dem Wohnort Ihres Verlobten, der die Adresse ter jungen Braut von fremder Hand geschrieben trug. Bon banger Ahnung ersüllt, er brach sie mit zitternden Händen das Schreiben, wie durch einen Nebel erkannte sie den üblichen gedruckten Nachruf, den die Behörde ihrem pflichttreuen Be amten gewidmet und die schriftliche Mitteilung, daß HanS Arnim bei einer Segelpartie «trunken fei, die ihr «in Freund d«» Verstorbenen zukommen ließ. D'« Leiche des Verunglückten war trotz eifrigem Suchen nicht gesundm worden. In rin« unbeschretbiiche Verzwe flung hctte sie di«s« r itdttschmkt1rrr.de Nachricht gestürzt. Sie hatte darunter gelitten, zum Strrbrn schwer, sie hatte die ganze Staffel jener Qualen Lurchkostrt, die ein Menschenkind empfindet, da» unter einem großen, erdrückenden Schmerze leidet. Da» strahlend heiler«, glücklich« Mädchrn schien über Nacht nm z«hn Jahre g«aU«t, abrr e» Haft« sich durch g«rur gen. Ihr Ent- schluß war bald gefaßt, sie wo» t« dem E«liebt«n die Treue Li» über da» Grab hinan» bewahren, wollte ihre Kräfte in den Dienst dir Leidenden und Un glücklichen stellen. Wenige Wochen noch Erholt de» vrrhängntSvollen Briefer trat sie al» Novize in da» Schwefle rnheim ein. Hastige Schritte aus dem Korridor schlickten die Sinnende au» ihren Gedanken, und gleich darauf trat die Oberin in da» schon ! unkel giwordene Zimm«. „Doktor Sollnitz verlangt nach Dir, Schw«st«r Elisabeth. In wentgrn Minuten werden wir alle Hände voll zu tun haken. Soeben ging di« tele phonische Meldung ein, daß in der chemischen Fabrik beim Experimentieren mit einem neuin Sprengfirff eine Explosion stattgefunden hat, wobei mehrere Ar. beiter und d« Fabrilb sitz« selbst schwer verl'tzt morden sind. Lttz1«rer ist am ärgsten mitgenommen, Dr. Sollnitz meint, wir müßten un» auf «ine so fortige Operation vorbneiten. Willst Du dabei be. hilslich fein?" „Grwß, Schwester Oberin," antwortete di« stet» Hilfsbereite und schickte sich an, da« Zimm« zu v«rl:ff«n. „Sorge für da» nötige Verbandszeug, ich will inzwischen im Operation» saale Licht machen lcsfin," rief die Oberin der Davonrilenden nach. Schon rach wenigen Minuten langte der Tran», port mit den Verwundeten an. Fünf Krankenwagen, begleitet von den Arbeitern de» Werks und dem Fabrikarzt, der bereits die erst« Hilse geleistet. Schnellen Schritte» eilte letzterer auf den An- flaltkarzt zu. „Ingenieur Arnim, der Fabrikbrftzrr, bedarf ror allem Ihrer Fürsorge, Hrrr Kollege. Bei der Schwer« seiner Verätzungen hab.« ich von einem Ein greifen Abstand genommen. Die übrigen sind einst weilen versorgt." „Ich hörte schon davon, habe infolgedessen alle Borberettungen getroffen. Schwester Elisabeth," wandte er sich an diese, „wollen Sie Lie Träger nach oben g«l«iten?" Mit der ihr eigenen Sorgfalt und Umsicht kommt diese dem Wunsche nach, und doch läßt sie heute di« Rule vrrmissen, die sie sonst vor allen Schwistern ouSzeichmt. Ihre Hand, die sie auf die Tragbahre gklkgt hatte, zitterte leicht und ihre Stimme bebt Set den leise gegebenen Anort nurigen. Wer sie genau brachtet hätte, dem wäre eS nicht entgangen, wie sie vorhin erschreckt zusammenzuckte, als d« Arzt den Namen des V.rletzten nannte, doch eS hatte nie mand aus Schwester Elisabeth geachtet Nan liegt der Kranke aus dem für ihn bereiteten Lag«, da» Helle Licht der elektrischen Lampen sällt auf das bluiiae Letnentuch, welches den Körper be- brckt. Am Fußende des Bette» steht Schwester Eli sabeth. Ihre B-ust arbeitet heftig und ihre zittern den Hände umfoffrn krampfhaft die kalten E sen- stangen de» BtttgestellS. Jetzt entfernt Dr. Solln tz das Tuch, und ter Anblick, der sich ioi, entlocke selbst den an dergleichen gewohnten P rsonen einen AuSrus de» Schreckens. Schwester Elisabeth Halle sich weit vorgebeugt. Starren BlickeS schaut sie in das zenissme, mit gironnenem Biut, Staub und Pulverschleim bedeckte Gesicht; aus drr verschwollenen Masse waren kaum menschliche Züge zu erkennen. Aber si« erkennt sie heraus, erkennt si« genau bis zur furchtbaren G/wchheit. Ihre Fing r lösen sich von der Eifenstange, mit einem heiseren Auf- schrei taumelt sie zurück. Doch der erstaunte Blick deS Arztes gibt ihr dir Fassung wi.der. Und als dtesir nun fragt: „Wndrn Sie imstande sein, die Waschungen vorzunrymen, Schwester? Sie haben eine leichtere Hand als ich l" war sie sofort bereit. Leicht und sich r fuhr sie mit dem weichen Schwamm über die verschwollenen NisichtS- und Kopfteile, Blut und Schmutz entfernend Sie war jetzt wieder die völlig in ihrem Berus ausgehende Samariterin. Dr. Sollnitz Haire so<brn mit der Untersuchung begonnen, al» draußen das Geräusch eine» rasch heranrollenden Wagens hörbar wurde. Wenige Augenblicke stürzt rinr Frau zur Tür h-nin, schiebt die Zur ächststehenden zur Seite und wirst sich mit einem markttschütternken Schrei über den Verwun deten. Die wie ein Lar ffeuer sich orrbreitende Kunde von dem Unglück hatte auch die Gattin deS Fabrik- blsitztls erreicht, dir ihr m ersten Impulse folgend sofort hrrbeeilt war, sich Gewißheit zu verschaffen. „HanS! Hav! I" tönte e« r erzweiflungSooll durch doS I mmer, „Tu darfst nicht strrbrn, darfst Lein Weib, Deine Kinder nicht verlassen!" Man hat Mühe, die Frau von dem Lager de» leise stöhnenden Verwundeten zu entfernen. Schwester Elisabeth geleitete sie sanft Henau». „Glauben St«, daß er finden muß?" In angst- vlller Frag« richteten sich tie trämnvervunk«lt«n Augen auf Lie Schwester. „Dor beendeter Untersuchung läßt flch nicht» sagen, gnädige Frau: Loch ich habe wenig Hcffnung," antwortete dies«, und ihre sonst so sanfte Stimme klingt rauh und heis«r. „Sie Haven Kind«, Frau Arnim?" setzt« si« gl«ich darauf unvnmittrlt hinzu. Zwti huzig« Knak«n von drei und zwei Jahren, an Lenen sein Herz mit abgöttisch« Lieb« hängt," entgegn ete di« Gefragt«, „O Schwrster," fuhr si« aufstöhnrnd fort, „Sir w ffen ja nicht, wie e» ist, wenn ein unendlich glückliche» Familienleben so jäh zerrissen wird, wenn Kind« zu Wais«n werden, dir ihren Vater kaum gekannt!" „O doch, grätig« Frau, ich vrrstrh« ihr« G«fühl« zu wütdigrn. Und weil ich die» vermag, verspreche ich Ihnen, daß alle» grtan werden soll, wa» dir ärztliche Kunst, die aufmerksamste Pfleg« zu l«ist«n imstande sind, um Ihnen drn Gatten, Ihren Kindern den Bat« zu erhalten. Ich selbst werde die Wartung tbnnehmln." „Sie geben mich mit Ihren Worten dem Lebe» zurück, Schwester," entgegnete mit dankbar auf- leuchtenden Bücken die Unglückliche. „Gotte» Segen wird Ihrem Tun, wird Ihnen selbst dabei nicht sehlen." Schwester Elisabeth geleitete di« Frau zu ihrrm Wag«n. Dc nn aber ging sie langsamen, schleppenden Schritte» in ihr Zimmrrchrn zurück, um auf den Knieen Gott um Beistand zu d«m schweren Werk anzrflehen, demjenigen, ter durch einen ungeheuer lichen Betrug ihr LrbenSglück vernichtet, sein« Fa milie zu «halten. Der Anblick de» leidenden Weibe» hatten jeden Gedanken an Haß und Rache verscheucht, sie wollte ihrem Berufe getreu bleiben — eine Heldin der Pflicht! Neuestes vom Tage. j- Ein Sack voll Geld. Daß da» Geld in diesen Zeiten doch roch gewogen wird, w il «» nicht gezählt werden kann, dieser selten« Fall hat sich in Drmmin (Pros. Pommern) zugetra^en. Vor dem Amtsgericht in Demmin fuhr dieser Tage ein Wagrn vor. Der Gimetndevorsteher Stark und der Wachtmeister Ziemssm hoben einen Seck von 47 Pfund Geld herab und legten ihn dem erstaunten Amtsrichter auf den Tisch deS Hause» mit den Worten: „Da» ist der bare Nachlaß des verstorbenen Gastwirte» und Kaufmannes Johann Priepke." Sie erzählten, st« HStt«n Priepke am Tag« vorher in seinem Schlafzimmer tot aufgefundrn inmitten seiner Reichtümer. Die L ich« habe, mit einem Flanellhemd angetan, in einer eisernen Bettstelle zwischen Betten ohne Wäsche und Bezügen grlegen. Anscheinend sei drr Tote bei seiner Lieblingsbeschäftigung, der Kontrolle des Mammons, vom Tod« überrascht worden, so daß er kaum noch das Lager erreichen konnte. DaS Schlafzimmer, die Schatzkammer de» Junggesellen, war mit Dokumenten, Wertpapieren, Sparbüchsen, Pspirrgkld und einer Unnnnge baren Geldes auSgrsiopst. Dabei lag in jedem der Be- hältrisse — Stretchhülzerschachrel, Zigarrenkiste, Tüte und Beutel — immer ein auffallender G/genstand, eine Spielkarte, ein Bild, ein Knopf und dergleichen, so daß eS allgemein hieß, da» Geld sei behext. Gemeindevorsteher und Wachtmeister begannen zu nächst die Münzen, die teilweise schon aneinander- kl-bten. zu zählen. Als si« abrr bis 11000 Mark g kowmrn v arrn, hirlten ste vor Erschöpfung inne, kehrten alle» znsammin in «inen Sack und wog«n «L. Dir Hypothrkendclumente über 80 OM Mk. füllt n allein einen ganzrn Waschkorb. Mit dem Barglo verwies der Amtsrichter die Leute an die Sp rlasfi, wo die Beamt ir bis M ttag zu tun hatten, um diese seltsame Einlage auZ M inzen aller Sorten zu ordnen. In ganzen stellte sich der bare Nachlaß einschließlich Ler Hypoth krn auf 130000 Mk. Dazu kommen noch die Gastwirtschaft und Landwirtschaft, rin großes Warenlager, wahre Brrge von Getreide und drei große Grundstück« im Dorfe, so daß t<r ganze N ichlaß aus über 200 OM Mk. steigt. Voraus sichtlich wird er ganz nach Amerika fließen, denn der Verstorbene besaß nur eine Schwester, Lie vor Jahren nach Amerika auiwanderie und mit Ler «seit langer Zeit kiine Verbindung unterhielt. Drr verstorbene Dors-Nabob war ehemals Stein,ch'ägrr. j-Die Irrfahrten des Grafen Tou louse-Lautrec. In Antwerpen ist wilder ein mal d«r berüchtigt int«rnationale Abrntrurer, drr «hrmalige russische Cornett NicolauS EraSmuk S .vine verhaft« worden, der schon dw Gerichte aller Lä der beschäftigt hat, zweimal auS der sibirischen Ver bannung entflohen md wiederholt aus sahrrndrn Eisrnöchnzügen seinen Transporteuren entsprungen ist. In drr lltzten Zsst trat ,r meistens unter dem Namen Comte N'colauS de Toulousl-Lautnc, Prü ce