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Lichtenstein «Lallirberger Tageblatt - > . > «L >,»,,««»» - — 1. Beilage zu Nr. 255. Sonnabend, de» 31. Oktober is«8 Auf die Probe gestellt. Von S. Halm. Nachdruck »erboten, Warum Jan van Herzet so beliebt «ar? Nicht daß er etwa jung oder schön war! Mit feinen fünfzig Jahren, seinem etwa» fauntschrn Gesichte qualifizierte er sich wirklich kaum als Adonis. Aber er hatte andere Eigenschaften, die ihn beliebt machten. Vor allem war er Junggeselle; da» im Verein mit seiner günstigen Vermögenslage machte ihn schon zum Liebling aller hrffnungSvollen, löchter- gesegneten Mütter. Die Männer aber halten ihn einfach gern, weil er ein fideler HauS , kur- ein famoser K«l war. Allezeit gutgelaunt, witzelte er sich mit Bonhomie durch'» ganze Leben, den Kollegen ein treuer Zech kumpan, den Damen noch immer ein galanter Rüter. Ja, die Damen! Sie waren Jan van HergeS Achtll«»v«rse. Sein alte» Herz hüpfte beim Anblick jeder leidlich hübschen Mädel». Ach, wenn ihm die Jahre nur nicht ein niedliche» Bäuchlein angehängt Hüten, er wäre noch immer gern von Blume zu Blume geflüstert. So zwang ihn da» leidige Embonpotnt zu etwa» fchwerfälliger Galanterie und unfreiwilliger Mäßigung. Ja, er liebte die grauen, liebte sie in der Mehr zahl und war darum ledig geblieben. Nicht daß er sich vielleicht nie für eine ganz b« f anders erwärmt hätte, dar passierte ihnen nur leider zu oft. Aber wenn er dann fest glaubte, fitzt end lich die Richtige, Einzige erkoren zu haben, tauchte irgend ein neuer Stern auf, und machte den alten erblassen. DaS war Jan van HergeS Pech! Nun — do pochte schon der Herbst d«S Leben» mit har tem Finger an, etn unerbittlicher Mahner. Und vor Jan» geistigen Augen tauchte das Bild der Zukunft auf — eine Perspektive grau in grau. Na, so schlimm sah e» wohl auch nicht mit ihm ar 8. Schließlich war er doch immer noch ein netter lieber Kerl, und manche» Mädchen würde froh sein, wenn er ihm di» Hand bieten würde, auch ohne sein Geld. Der Gedanke hatte etwa» Beruhigendes. Jan ran HergeS kotettterte gewissermcßrn damit. Er wünschte plötzlich ar« zu fein, um seiner st löst willen geliebt zu werden. Ja, wenn er so eine fände, eine, die bereit wäre, auch bescheidene Verhältnisse mit Ihm zu teilen, dann — ja dann wäre da» wohl die Echte, Rechte! Und plötzlich kam ihm eine Idee. Wie — wenn er diplomatisch diesen Prüfstein aufpellte, wenn er so den Weg zum wahren Glück fand? Warum denn nicht? Glückte der Versuch — war er ja vor aller Alt« junggesellenmisere bewahrt, — mißlang er — na — so galt - eben, die bittere Pille mit gut r Miene hinabzuschlucken und sich so gut e» ging au» der Affäre zu ziehen! Zwei Lage darauf erzählten sichJan'S Bekannte zrpsschüttelnd die große Neuigkeit: Jan van HergeS «ar über Nacht rin armer Mann geworden. Wer hatte da» geahnt? Der biedere Jan «in Börsenjobber! Unglaublich! Aber der kläglichen Miene des Heimgesuchten, feinen ver änderten Verhältnissen mußte man wohl oder Übel Glauben schenken. Hatte Jan seine schöne Garconwohnung doch aufgegeben, sogar der Wirtin, wie er erzählte, seine schönen Möbel überlassen müssen, war der bequeme Faulenzer doch jetzt bei einem Krunde in Stellung getreten. Man schüttelte die Köpfe, wunderte sich über seinen Leichtsinn, schalt auch wohl hie und da, und beruhigte sich schließlich wieder, do man sab, daß der Hauptbeteiligte stlk st fein Schicksal mit stoischer Ruhe zu tragen schien. Am schwersten b«uh'gten sich die Gemüter der Damen über die große Neuigkeit. Ach, wie manche Mutter atmete erleichtert auf und beglückwünschte sich zu der Nichterfüllung einst gehegter Schwieger- mutterst äume. Ein halbe» Jahr hatte er sich vorgenommen, feine Komödie turchzuführen, und wenn'S ihm zu weilen auch schwer ward, Llteb er drch standhaft. Sein Freund, dem er sich anoertraut, und der ob wohl ,d« Schrulle", 'postend doch Diskretion gelobt, erleichterte ihm sein Vorhaben tunlichst. Zu plagen brauchte sich Jan van Heye» nicht. Und wenn er nach GeschästSschluß in feinem schlechtesten Habit durch dle Straßen bummelte, freute er sich zuweilen sogar st ine» Aman »I Raschldtum», steute sich de» Moments, wo die oorgenommene Maske wieder fallen würde, fteute sich sogar über Frau von F.» sehr kühle» Gruß. Jetzt war er nicht «ehr ihr lieb« ^U«r Kenn». Er fühlte deutlich heran», daß sie *pch sein« Bekanntschaft schämte. »Warte nur, schöne Frau," dachte er wohl dann schadenfroh, „wir zuletzt der Blamiert« von uns beiden ist, wird sich zeigen." Mitleidig halten nur die Augen de» Töchterchen» aus ihm geruht. Er glaubte in den jungen Augen lesen zu können. Mama war empört, chokiert, da» Kind empfand noch warmblütig, noch nicht al» Rechenmaschine! Ach, er wünschte, plötzlich um etn Merteljahrhundert jünger zu sein. Dann schöne Frau von F hätte e» sich fast gelohnt, Ihnen «ine Bla mage nicht zu erspar«« — Ab«r «r und da» Kind? Undenkbar, unmög lich ! Jetzt, wo di« L«ut« ihm nicht ,m«hr seines Gelder wegen schmeichelt«», bekam «r ja löffrlwtise ihr« Ehrlichkeit zu schmecken; fitzt wußte rr, daß er ohne drn Nimbu« dr» Gelder nur noch ein alt« Knabe sei, drr seine Ansprüche nicht mehr gar zu hoch schrauben düife. W ed r ging er einrr Täger seiner Wege», al» ihm «ine sehr einfach, ab« adrett gekleidet« Dame au'fiel, die ihm schon öfter« begegnet sein mußte. Ein zierliches Persönchen, aschblond, nicht mehr ganz juno, mit sinnigen und doch lebenSmutigen Augen, — Augen, dle zu sagen schienen: »Ah, kah, nur nicht die Flinte inr Korn werfen, sich nur nicht unter- kritgrn lassen!" Die Augen gefielen ihm. „Eine Stehausnatur," dachte er und ging ihr kurzentschlossen nach. Er wollte wissen, war und wer sie war. Ab« sie anreden? Das qtng doch nicht so leicht. Eine „Dame" mußte das als Beleidigung auffofsen. So trottete ir denn beharrlich schweigend hinter ihr her. Ihre Bewegungen waren jugendlich, aber die Falte am Hal» verrieten dem Kenner, daß sie bereits über den Schneider hinaus war. Der Weg war lang. Die Blonde machte Einkäufe und dann einen weiten Weg hinan» bi» in die Vorstadt. WaS mochte sie fein, eine Schneiderin? Die Hand, die da» Kleid hielt, war sein und klein. Malerin? Genialer oder etwas vom Ueberw«ib hastete ihr Gott Lob nicht an. Plötzlich mochte sie den beharrlichen Nachsteiger ge wahr geworden sein. Halt machend, warf sie ihm einen sehr kühlen Blick aus den stahlblauen Augrn zu. Ein Blick der Abwehr war'S. Da» grfiel ihm. Also keine, die jeden «rstrn besten nahm. Schon etwa» l Und nun traf er sie Tag für Tag, lief ihr nach wie ein Hund. Sie merkte e» natürlich, sah sich aber nicht mehr um. Er belästigte sie ja nicht. Wenn sie ihn jetzt nicht getrrffen hätte, würde ihr nachgerade etwas gefehlt haben. Ihm erging «t nicht anders. Und al» sie «ine» Tag«» wirklich au»- blirb, packt« ihn eine sonderbare Unruhe. War st« trank? Fort? Mtrkwürdig, wie ihm da» srrmde Märchen soviel Jnterrffe entlocken konnte! Was wußte er denn von ihr? Sie war Buchhalterin, wohnte bei drn Eltern, schien keinen Drrkehr mit Herren zu pflegen — kurz, etn ordentliches, arbeit same» Mädchen zu sein. Sonst wußte er nicht» von ihr. — Und nun f«h!t« sie ihm wie «twa», da» in sein Leben htneingehörte. Zwei Tage hielt «'S aus. Dann ging rr hinaus in die VorortSgass>, in der sie wohnte, lief aus und ab vor ihrem Hauf«, und ging betrübt, sie nirgends zu sehen, heim. Am Tage darauf ward er belohnt. Schon von weitem er kannte er laS schlichte Hütchen, da» sie zu tragen pflegte, und heute hielt er sich nicht länger. — Er mußte den Hut ziehen, sie anreden. Er tat «S stockend, vttlegen, fast rührend unbeholfen, sodaß sie mit einem Bltck erkannte, etn gut« Mensch strhe vor ihr. So litt st»'», daß « mit ihr ging. Und nun erfuhr er, wa» « rossen wollte. St« hieß Meta Meter, und war. woS «r bereits herausgebracht, Buchhalterin bri L L Co. Jetzt war sie ein paar Tage krank gewesen. Er war entzückt von der schlichten Natürlichkeit ihre- Wesen». Str gefiel ihm, gefiel thm trotz threr orrblühien Jugend! — Er sprach Ihr von sich, immer seiner Rolle eingedenk. Sie sah ihn aufmerksam dabet an, fast forschend. Durchschaute sie die Komödie oiellricht? Nein, sie glaubte ihm. Vielleicht gab thr seine rornehme Haltung den Gedanken ein, er stamme au» besserer Familie. Von nun an sprachen sie sich täglich. Jan sreute sich schon auf den Augenblick, Ler sie ihm ent gegen führte. Nach und nach ward sie zutraulicher, erzählte auch von sich. Reich an Ereignissen war ihr Leben nicht gewesen. Nur einmal hatte sie Liebe eine Rolle darin gespielt. Eine zurückgegangene Verlobung, «r kannte zufällig den Mann. An dem hatte Meta nicht» verloren. Aber «, Jan würde sie nicht mehr haben entbehren können. Al» «'S ihr sagt«, schien sie ungläubig. Sie fühlte sich doch ein wenig g« zu alt. — Da» wollte Jan nun nicht wahr Haden. AU? Dann hätte « sich ja «st recht alt fühlen müssen! O, er sei «in Mann, da» h«tße garntcht». — Sie hätten sich eben beide ein gut Teil Jugend bewahrt. Näh« und näher rückte die Frist, dle er sich selbst gestellt, warum sollte « Meta nicht auf Re Prob« stellen, wenn sie ihn gern hatte, würde sie auch trotz seiner scheinbar simplen Verhältnisse ja sagen Hier war wenigsten» eine Täuschung au»- geschloffen. Dann wollte er sie durch sein« Beichte btlohnen. Wie sich da» gute bescheidene Geschöpf wohl freuen würde. Aufblühen sollte sie an seiner Seite im Wohll«b«n. Zu schämen brauchte er sich ja ihrer nicht. An Alt« stimmten sie gut zufammen, und im übrigen «ar sie »in llugeS Geschöpf, da» auch Herzensbildung besaß. Warum also roch warten? Da» gab ein«n kUinen Sturm. Wie, Jan van H«rge» hatte sich orrlobt? war nicht arm? D« Heuchler!! Ein armes Mädel, richt mal hübsch, auch nicht jung, würde de» Wohlhabenden, Beg«hrten Frau? Undenkbar! Di« Männer schüttelten den Kopf. Die enttäuschten Mütter taten entrüstet: „Eine Schreibmaschinenmamfell l So rin« in» Netz zu grh«n! So «tr fällig zu sein! Sich die besten Char cen, in «ine ar gesehene Familie hineinzuheiraten, entgehen zu lassen!" Jan van Herget lachte sein behaglich«» breste» Lachrn! Er hatte die Rechte gtsunden. Neuestes vom Tage. Raubmord in Magdeburg. Sonn tag ne chmittag wurde in drr im Hause Breitrwrg 120 in Magdrburg belegenen Hirschapothrke ein Ein bruch verübt. Der in sein« Wohnung über de» Geschäftsräumen befindlich« urverhrtratet« Apotheken- besitz« Wilhelm Rathge hatte in den unteren Räumen etwa» vergessen und ging deshalb hinunter, um noch- zuschauen; dabei bemerkte er einige Personen, die sich in verdächtiger Weise in drn Räumen zu schaffen machten. Bet dem Bestreben, den «inen L« Ein brecher festzuhalten, wurde er von dem andern durch einen Revolversckuß in den Leib schwer vttletzt; « mußte nach dem Krankenhause gekracht werden, wo «ine Verletzung tes Herzen», des Magen», der Milz und der L b« fifigtsUllt und sofort «ine Operation vorgrnommen wurde. Am Montag ist Rathge je doch grstorben. Vermutlich haben die Einbrecher, von drnen rin« frstgrrommen wurde, einen Einbruch in die Kontorräume beabsichtigt. Der Festgrnommene, bei dem eine Menge Brrchwrrkzeuge, eine elektrisch« Toschenlaterne nnd etn geladen« Revolver oorge- funden wurden, nennt sich Fran- Sch öder; wie er angtbt, ist « I88S in Hannover geboren. Eine trle» grrph sche Anstage ergab, daß diese Angabe falsch ist, wie von vornherein angenommen wurde. Zweifel- lo» hat man eS wieder einmal mit her umreisenden Einbrechern zu tun. ß Gin furchtbares Eifersuch t»drama spielte sich in New-Orlran» ab. Ein junger Manu namens Bantngen, N>ffe de» Gouverneur» dr» Staate» Louisiana, v«rmählte sich am Freitag mit einer reichen jungen Patriziers acht«, Miß Rorke». Da» junge Paar bestieg nach der Vermählung den Expreßzug, um die Hochzeitsreise anzutreten. Kurz bevor drr Zug sich in Bewegung frHr, sprang ein junger Mann in da» Coupe und schoß dem jungen Ehrmann eine Reoolverkugel in die Stirn, die thn sofort tötrte. DrrMörd« ist ein junger Mann au» «ich« Familie namens Beauvre. Gr führte die Mordtat au- Eifersucht aus, weil die jung« Frau vor einem Jahr seine Bewerbung zurückgewieseu hatte. fEine Kindesaussetzung. Da» „B. T." bringt au» Weilburg folgende wunderbare Nachricht: Dor einem in Tourtstenkreifen wohlbrkannten Gast- Hause Weilburg» (Nassau) hielt kürzlich ein glänzend karrofsiertrS Automobil, dem ein elegant gekleidete» Paar entstieg. Die Frrmdtn ließen in dem Gast hof einen großen Schließkorb niederstellen mtt dem Bemerken, daß rr in kurzer Zeit abgeholt werden würde. In dem Schließkorb ober ließ sich bald eine Kindttsttmme vernehmen. Der Wirt öffnete und fand den Korb bi» üb« die Hälfte mit sein« Kindrrmäsche gefüllt. Darauf lag lächelnd ein Knäb- leiu. Eine unbemittelt« Frau «klärt« sich bereit, da» Kind an sich zu nehmen. A» sie den Findling in die Höhe hob, kam e» zu einer neuen Ueberraschuno. Am Halse dr» KindrS hingen in rin« seiden«» Hülle wohlvrrpackt 20000 M. in Papi« mtt einem Briefe, in dem zu lesen stand, daß diese Summe demjenigen gehöre, drr da» Kind auszirhrn werde. sEtn neuer deutscher Rtesendampfer wud« in diesen Tagen auf der Werst de» „Vulkan" in Stettin sirttggrstellt. D« dem Norddeutschen Llryd im Bremen gehörig« Dampf« «»hält d«n Name» „Seo'ge Washington". Da» Schiff hat eine Länge von 220 Met«; «in« Breit« von 28 Met«, und ist mit einer Jahrgefchwtndtqkit von 18 5 Knoten un» einem Rauminhalt von 27.000 Tonnen au-geflalttt. Der Stapellauf findet am 31. Oktober statt. Der Taufakt wird oo« amerikanischen Botschaft« HGl vollzogen w«d«n.