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die Schonung, Frankreich zu dem zu erwartenden Schritt nickst zu drängen, kein Ultimatum zu stellen, sotchern den Franzosen Zeit zu lassen. Mit einer Anerkennung des jetzigen Sultans von Marokko wird keine Macht sür sich allein vorgehen, da dies für ein Konkurrenzwettlaufen um seine Gunst aussehen würde. Tie vollendet neutrale Haltung sällt hier um so leichter, als die alte Delcassesche Politik auch sowie so abgewirtschaftet zu l-aben scheint, und dann sei jetzt kein Grund zur Reizung vorhanden. Aus Nah uud Fern Lichtenstein, den 2G August 1908. *— Die Witterung-Vorhersage für morgen: Schwache Winde, vorwiegend heiter, meist trocken. *— Gtadtbad. Wasserwärme 1 Uhr: 14 T *— Der Herbst naht. Wenn auch erst nur einzeln, sieht inan dock, hier und da die ersten dürren Blätter fallen, uud der Altweibersommer fliegt um her. Tie Getreidefelder werden von Tag zu Tag lichter, der Wind streift über die Stoppeln. Die Grumternte ist im Gange und verspricht einen guten Erfolg. Langsam geht es nun auch an das Kar- toffelausmachcn. Tas Kernobst beginnt zn reifen. Auch in der Blumeuwelt macht sich der nahende Herbst bemerkbar. Tie Flora des Spätsommers: Hortensien, Georginen, Sonnenblumen, Storch schnabel, Astern, Fuchsschwänze usw., steht in ihrer vollsten Blüte und zaubert uns noch einmal kurz vor dem Scheiden des Sommers seine ganze Pracht und Herrlichkeit vor Augen. Ten deutlichsten Be weis für das Nahen des Herbstes gibt die Vogelwelt. Die kleinen, gefiederten Sänger bereiten sich schon seit längerer Zeit auf ihre Reife nach dem Süden Vor, und bald wird sie der groste Flug über das Meer himvegführeu. *— Konzert- Voigt-Stops berühmte Herren gesellschaft konzertiert morgen TonnerStag abend im „Goldenen Helm" hier. Zur Tarbietuug gelangen nur Schlager ersten Ranges. Es erübrigt sich, noch be sonders auf die Leistungen dieser Herrengesellschaft aufmerksam zn machen, da sie noch von ihrem letzten Hiersein her in guter Erinnerung ist. Ein volles Kaus dürfte den allgemein beliebten Sängern sicher sein. *— Reue Ramenreihe in den sächsischen Ka lendern. Nach einer Anordnung des Ministeriums des Inner« ist für den „Normalkalender für das Königreich Sachsen" eine neue Namenreihe bestimmt worden, die nach dem Wunsche des Ministeriums auch in andere in Sachsen erscheinende Kalender aus genommen werden mochte. Erstmalig wird diese Namenreihe in dem Kalender aus 1910 zn finden sein. * Die Neberschwemmungsgebiete Blauen thal Wildenthal-Earlsfeld-Sleinbach bieten, trotzdem seit dem Ereignis drei Wochen vergangen sind, noch einen trostlosen Anblick Viele Familien sind an ihrem Hob und Gnt durch die verheerenden Fluten schwer heimgesucht worden und Strassen, Wege nnd Brücken hoben arg gelitten. Um den Verkehr aufrecht zu er holten, sind Notbrücke« errichtet worden. Tie Regu lierung uud Wiederinstandsetzung wird eine geraume Zeit in Anspruch nehmen und viele, ja sehr viele Gelder fordern, deshalb ist dem begonnenen Sammel werk sür die bedürftigen Geschädigten ein weiterer guter Fortgang zn wünschen. In der Expedition des „Lichtenstein-Eallnberger Tageblattes" werden noch Gaben für diesen Zweck entgegengenommen. In Eibenstock Hut die Haussammlung des Stadtrates für die Hochtoassergeschä-igten 1366 Mark 45 Pfennige ergeben. *— Richtigstellung. In dein gestrigen Bericht über das Preisschießen in Mülsen St Iakob muß es anstatt M. Scheffler-Neudörfel: „M. Scheffler, Schützengesellschast Thurm," heißen. Leipzig. (Verhaftet.) Der aus Weimar ge bürtige 2l Jahre alte Kontorbote, der in einem Fabrikkontor in Wurzen beschäftigt und am 15. dieses Monats mit einer Postsendung, bestehend in 1200 Mark bar und 1800 Mark in Wechseln, flüchtig ge worden war, wurde hier verhaftet. Das Geld hatte er bis auf 300 Mark vertan und die Wechsel will er in einer Ledermappe an der Landstraße zwischen Wurzen und Burkhartshain in einem Schleusenrohr versteckt lwben. Lommatzsch. (Tödlich verunglückt.« Tas 0 Jahre alte Mädchen des Hausbesitzers Zeibig in Graußzig siel in das Mühlenrad der Nicdcrmühle und starb bald an den erlittenen schweren Verletzungen. Plauen. (Eine böse Suppe eingebrockt« haben sich am Montag nachmittag zwei im zweiten Iabre dienende Soldaten des hiesigen Infanterie-Regiments Nummer 134, die nebst noch einem Kameraden die Postsachen für das Regiment abzuholen hatten. In angetrunkenem Zustande kamen die beiden in Ab wesenheit des aussichtführenden Feldtvebels in der Vorhalle des Hauptpostamtes in Streit, der dann auf dem belebten Postplatze in Tätlichkeiten aus artete, insofern der eine stärker angetrunkene Soldat gegen den anderen mit blankgezogcuem Seitengewehr vorging und dann sogar dem Kameraden die Uniform zerriß. Als die zu vielen Hunderten sich ansammelnde Volksmenge hiergegen einschrciten wollte, ging der andere betrunkene Soldat mit dem Seitengeivehr gegen die Leute vor, um seinen Kameraden zu schützen. Nun kam ein Schutzmann herbei, der den am tollsten sich gebärenden Soldaten die Arretur ankündigte, aber heftigen Widerstand bei demselben fand. Erst nach dem er ihn geknebelt, konnte er mit Hilse eines an deren Schutzmanns und mehrerer Zivilpersonen den erregten Soldaten nach der Polizeihauptwache brin gen. von wo aus dann die Verbringuffg desselben und seines beteiligten Kameraden durch eine Militär patrouille nach dein Garnisongesängnis erfolgte. Stollberg. «Nationale Arbeitervereines Wie in Gornsdorf, so haben sich auch in Thalheim die aus dem Textilarbciteroerband ausgetretenen Wirker zu einem nationalen Arbeiterverein zusammeugeschlossen, der am Gründungstage 4l> Mitglieder zählte. Nach der gegenwärtigen Stimmung ist, wie man ans Thal heim schreibt, ein rasches Anwachsen des Vereins zu erwarten — Tie dem Textilarbeitcrverband ange- höreuden Wirker in Thalheim führen jährlich über 30 000 Mark an die Verbandstoffe ab. Zwickau. (Vergiftet.« In der Schlucht hinter dem sechsten Brückenbergschacht — zwischen Pöhlauer- und Dresdener-Straße — verstarb ein 20 Jahre alter Kausmannslehrling von hier; er hatte wegen be ruflicher Differenzen offenbar Gift zu fich genom men. ZittNwalb. «Kirchenbau.) Der Bau der hieiigeu evangelischen Exulantenkirche schreitet rüstig vvr- wärts. Tie Mittel zum Kirchcnbau sind durch eine > vom evangelischen Landeskonsistorium veraustaltete ' Sammlung aufgebracht. Der Gustav-Ädolf-Vercin er ¬ klärte sich bereit, das fehlende Kapital beizusteuern. Da aber das Fehlende wenigstens 50000 Mark be, trägt und der Gustav-Adolf-Berein bei Aufbringung dieser Summe lediglich auf Liebesgaben angewiesen ist, so ist es von Herzen zu wünschen, daß noch recht viele ein Scherflein zum Bau der evangelischen Exulanten kirche beitragen. - - Die „versunkene Glocke " Gerhart Hauptmanns „Versunkene Glocke" ist nun auch hier durch das Berliner Residenz- Ensemble zur Ausführung gelangt, und tvelches leb hafte Interesse man diesem schönen Werke des Dich ters entgegenbrachte, das bewies der zahlreiche Be such des Ehrenabends von Fräulein Hella von Hall. Mit Recht nennt es Hauptmann ein Märchendrama: denn das Märchenhafte überwiegt bei weitem da rein Menschliche und weiß uns auch weit mehr zu fesseln als dieses. Was unten am Fuße der Berge in dem Dorfe geschieht, tritt zurück gegen das ge heimnisvolle Leben der Wald- uud Wassergeister, der Elfen und Kobolde auf den Höhen des Gebirges und im Märchengrunde, in deren Welt mit einer gewissen grotesken Naivität die alte Wittichen hineingestellt wird, die in schlesischem Baucrndialekt redet, ein wirklicher, schlichter Mensch ist und doch wie zu den wunderlichen Wesen gehört, die im Grunde nur in der Phantasie der Menschen existieren. Aber der Dichter stellt ihre Gestalten mit vollem Realismus menschlich auf die Bühne, wir leben und empfinden Mit ihnen und glauben an ihre Existenz wie der Glockengießer, dem ihre Welt verhängnisvoll wird- Hauptmann ist niemals mehr Poet gewesen, als in diesem Stück, wo er den ganzen Zauber entzückender, märchenduftiger Mondscheinnächte lebendig werden läßt in fesselnden und sarbenvolten Bildern, und wo seine Sprache an unser Ohr klingt wie wunder sames Glockenläuten, das die Seele des Hörers er greift. Das sind Vorzüge, die kein anderes seiner Werke in diesem Maße austveist, und auf ihnen be ruht nicht zum mindesten der Erfolg des Märchen dramas, in welchem etwas lebt von dem Ringen und Streben des Dichters selbst, der sich erheben will mts seiner bisherigen Sphäre in die reine äther- klare Höhenluft. Aber zuletzt ist es doch nur die theatralische Wirkung, welche zumeist in dieser Dich tung scsselt, der eigcntliclw Kunstwert ist minder groß. Eine Reihe effektvoller Szenen, von allerlei Arabesken umgeben, sind noch kein Drama. Ein solches ver langt vor allem einen Helden, nnd dieser Glocken gießer Heinrich ist kein solcher. Er ist groß in schönen Worten, arm an Taten: er will ein Faust sein, die Geisterwelt sich dienstbac machen, und er ist im Grunde nur ein Schwüwlin«, der.in -- —- «"offen Schiffbruw leidet Ec will „höher hinauf", aber welche Ideale will er verwirklichen, welches Große für die Menschheit erringen? Er weiß es selbst nicht und - der Dichter auch nicht. Unklar und verschwom men, wie im Märchendust zerrinnend, ist das ganze Problem: In Gottes Nähe gelingt das Menschenwerk, in der Ferne von Gott nicht — und der Eindruck, deu wir mituehmeu, ist der ciucs bunten Traumbildes, nicht jener eines Dramas mit straff gegliedertem Aufbau, nlit einer überzeugenden Idee. Und das ist schade' Tie Vorstellung war von Herrn Direktor Pei ne rt stimmungsvoll und mit außerordentlich feinem Verständnis inszeniert und bot viel Schones. Auch wundersame Lichtesfckte waren in den Dienst deS Durch die Klippen. Roman von AlexRömer. 30. Nachdruck verboten. Was versunken gewesen, ibre Stellnng zu — einander — kehrte in ihr Gedächtnis zurück, pein lich erschüttert ivandte sie sich ab. „Ich will jetzt gehen", sagte sie tcijc, „und spreche später noch einmal vor." Er nickte. Auch der Arzt empfahl sich, nachdem er noch einige Verlwltungsmaßrcgeln gegeben hatte. Der Vater blieb bei feinem Kinde allein. Es war totenstill um ihn her, nur die leisen Atemzüge des schlummernden Knaben trafen sein Ohr. Er sank in einen Stuhl uud vergrub sein Gesicht in seinen Händen. So verharrte er regungslos, was in ihm vor- ging, vermochte wohl niemand zu ermessen. Schwerfällig erhob er sich endlich. Jetzt galt es, den Uamvi aufzunchmen mit dem Weiber-Regiment in seinem Häufe, Ordnung zu fchaf- fen, sich zum Herrn der Lage zu machen. Würdige Aufgaben — ein unsäglich bitterer Zug lag auf seinem Gesicht. zogen sich in deu Korridor, der in den Flügel führte, zurück. Grete wies fcheu auf Elisabeth, die sich zuwartcud verhielt, bis die beiden Herren verschwunden waren. „Ach! Tu bist da!" rief Annaliese in halb weiner lichem, lzalb ärgerlichem Ton, auf Etisabetb zu schreitend, „na, freilich, Du hast das ganze Hans in Alarm gesetzt, und Baby schläft ganz rnhig, wie Grete mir eben sagt." Elisabeth faßte Annalieses Hand. „Komm in Tein Zimmer, ich muß mit Tir rede«", sagte sie leise. „Geben Sie sich keine Mühe, gnädiges Fräulein", rief Grete frech, „ich weiß, Sie sind im Komplott mit dem Herrn RegierungSrat, aber ich bleibe bei der gnädigen Frau, die verlasse ich nicht, die wäre ver raten nnd verkauft, wenn ich nicht da wäre." Elisabeth würdigte sic keiner Antwort: sie zog Annaliese mit sich sort und schloß die Tür ihres Ankleidezimmers, in dem diese Hut uud Cape ab warf, hinter fich zu. Annaliese warf sich sehr übel gelaunt in einen Stuhl. „Was ist eigentlich los?" sagte sie. „Ta ist nian mal ein bischen fidel, will fich mal amüsieren, so bald man ins Haus kommt, geht der Spektakel los. Grete sagt, Tu lwbcst Baby, mein armes, süßes Baby, mal erst halb umbriugen wollen, um die Kiudsfrau Als Elisabeth das Haus verlasse« wollte, begeg nete sie Annaliese, die lant lachend in lustigster Laune mit ihre«! Papa und einem stutzerhast gekleideten Herrn von ihrer Spazierfahrt heimkehrte. Elisabeth erkannte in dem Fremde« einen Schau spieler des Residenztheaters. Ter Tiener war schon, ehe Annaliese sie gewahrte, herangetreten und hatte Meldung gemacht von der Erkrankung des Kindes. Annaliese schrie laut aus, da stürzte Grete her bei, nahm ihre Herrin in Beschlag und redete auf geregt auf sie ein. Doktor Lambeck und der Fremde aus dem Hause zu schassen und Dich und Deine Künne ins Licht zu stellen." Elisabeth blieb vollkommen ruhig. „Grete ist eine gefährliche Person, Annaliese. Tie Kindsfrau wirst Tu entfernen müssen, der Arzt, auch Dein Mann, werden Dir Aufklärungen über das Vor gefallene geben Von mir, denke ich, weißt Du, daß ich Dir und Teinem Kinde nur helfen will." „Ja freilich — Tu willst immer helfen. In allen gräßlichen Zeiten meines Lebens hast Du eine Rolle gespielt. Als Tu in unser Haus kamst, starb meine liebe, süße Mama. Spürer habe ich Tich gerufen, als ich Teurer dringend bedurfte. Ich hätte Golm nie geheiratet, wenn Tu damals bei mir gewesen wärest Er hatte meine Verlassenheit ausgenutzt, ick» weiß das jetzt alles; Tich hat er srüher viel lieber gehabt und mich bloß um des (N'ldes willen ge nommen — pah, ich bin klug gewordden in der Welt." Ter Wortschwall floß so unaufhaltsam über Anna lieses Lippe«, daß'gar keine Gegenrede einzuschalten war. Elisabeth berührten die nnsinnigen Anschuldi gungen gar nicht, sie hörte draußen eine wohlbe kannte feste, befehlende Stimme. Ter Hausherr entließ die ungetreuen Diener. Gretes schreiende Stimme war deutlich vernehm-» bar. Annaliese fuhr empor. Ihre Auge» funkelten, ihr Gesicht war kirschrot „Es ist wirklich ein Komplott, er will mir meine Grete nehmen, er — er lvagt es " Sic stürzte auf die Tür zu, um draußen einzu- greiscn. Elisabeth packte ihr Handgelenk und hielt sie mit eiserner Kraft fest. „Bleib! Mische Tich nicht hinein! Du mordest Tei« Kind, wenn Tu diese Personen in Teinem Hause behälst. Ich habe die Beweise, daß das traurige Siechtum Deines Kindes durch die Gewissenlosigkeit der Wärterin hervorgerufen ist, und Grete hat ihren vollen Anteil an den Fahrlässigkeiten. Sie haben die Milch, die sie dem Kinde gaben, vergiftet." Annaliese starrte ihr schreckensbleich ins Ge4 sicht ' . ' Elisabeths Blick bannte sie, sie zitterte und ' weinend in ihre» Stuhl zurück. >