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Großbetriebe, insofern diese nicht in der Form eines Einkaufsvereines oder einer offenen Handelsgesell schaft derartige Waren verkaufen, sollen mit einer Umsatzsteuer belegt werden, deren Erträge den Ge meinden überwiesen werden. Was ein Großbetrieb ist, soll für jede einzelne Gemeinde besonders und zwar nach Einwohnerzahl, Umsatz und anderen Merkmalen festgesetzt werden. Auch der Begriff „Warenhaus" ist im Gesetz ausdrücklich zu bestim- men. Die Forderung, den Beamten die Teilnahme an Konsum« und anderen Vereinen zu verbieten, hat man fallen lassen. Landwirtschafts- und Handwerks- jgenossenschasten sollen von der Umsatzsteuer frei bleiben. Berlin. (Der Reichstag) erledigte gestern seine Lutzerst umfangreiche Tagesordnung in wenig mehr als zwei Stunden und vertagte sich dann bis zum Herbst. Sämtliche Vorlagen wurden im wesentlichen nach den Beschlüssen der zweiten Beratung in drit ter Lesung angenommen, auch dort, wo sich die Re gierung dagegen erklärte. So wurden auch nach kur zer, aber ziemlich erregter Debatte in der Novelle zum Münzgesetz die Bestimmungen, betreffend die Ausprägung von Dreimark st ücken, die der Bundesrat ablehnt, mit 178 gegen 9 t Stimmen bei drei Enthaltungen aufrecht erhalten. Eine zweite namentliche Abstimmung gab es beim Vogelschutz- gesetz, der Versuch, das Verbot des Dohnenstieges zu beseitigen, wurde mit 225 gegen 68 Stimmen bei drei Enthaltungen abgeschlagen. Sonst ging alles glatt. Der Abgeordnete Bassermann sprach unter lebhaftem Beifall dem Präsidium den Dank des Hau ses für seine Geschäftsleitung aus, der Staatssekre tär von Bethmann-Hollweg verlas die kaiserliche Verordnung, durch die der Reichstag bis zum 20. Oktober vertagt wird, und mit einem brausenden, dreimaligen Hoch auf den Kaiser gingen die Abge ordneten in die großen Ferien. — (Die Reichsdisziplinarkammer zu Potsdam) hat den Regierungsrat Martin des Dienstvergehens für schuldig gesprochen und auf Dienstentlassung und Erstattung der baren Auslagen erkannt. Martin war beschuldigt, bei verschiedenen Anlässen die seinen Vorgesetzten schuldige Achtung verletzt zu haben. — (Rückkehr deutscher Offiziere aus den Kolo nien? Oberstleutnant von Estorfs wird, wie die „D. Post" wissen will, binnen kurzem aus Südwcstafrika, wo er wieder seit 1904 weilt, in der Heimat ein- tresfen, um nicht wieder hinauszugchen. Ebenso wird der Major beim Stabe der Kameruner Schutztruppe Langhold nicht wieder in die Kolonie zurückkehren. — (Sämtliche deutsche evangelische Kirchen-Re gierungen) werden Vertreter zu der Konferenz am 18. Juni nach Eisenach entsenden, da entscheidende Fragen der evangelischen Landeskirche zur Bera tung stehen. Aus Nah und Fern. Lichtenstein, den 8. Mai 1908. *— Sommerurlaub. Mehr und mehr bürgert sich auch im Kaufmannsstande die schöne Sitte ein, den Angestellten während der ruhigeren Svmmer- wonatc einen Erholungsurlaub zu gewähren: denn er ist ein dringendes Bedürfnis auch für die Hand lungsgehilfen, um Schaffenskraft und Arbeitsfreu digkeit zu erhalten. Die guten Erfahrungen, die mit dieser Einrichtung überall gemacht sind, sichern ! ihr immer weitere Verbreitung, und die Zahl der Firmen, die ihren Angestellten diese Wohltat ge währen, wird immer größer, weil sie wissen, daß sich dieses Opfer vielfältig bezahlt macht. *— Lande-posauueufest. Das diesjährige Lan desposaunenfest der sächsischen Männer- und Jüng lingsvereine wird bekanntlich in den Tagen vom 9. bis 11. Mai in Glauchau abgehalten werden. Neben zahlreichen Festteilnehmern erwartet man gegen 400 Posaunenbläser, darunter auch die aus Lichtenstein-Callnberg. Die Leitung der Gesamtchöre liegt in den Händen des zweiten Vereinsgeistlichen für innere Mission, Pastors Müller-Dresden. Sonn tag früh 7 Uhr findet Morgenmusik auf vier Plätzen statt. Die Festpredigt hält Professor Jhmels von der theologischen Fakultät der Universität Leip zig Im Festgottesdienst wirken die Posannenbläser auch mit. Darnach ist Matzmusik auf dem Markt platze und nachmittags 3 Uhr folgt eine Festver sammlung im Lindenhof. Gleichzeitig mit dem Posaunensest wird der Glauchauer Männer- und Jünglingsverein sein LOjähriges Bestehen feiern. *— Stiftung für Angenleidende. Bei dem Königlichen Ministerium des Innern wird unter dem Namen „Johann-Berta-Stiftung" eine Stiftung für Angenleidende verwaltet Tie Stiftung hat den Zweck, arme, würdige, in Sachsen heimatsangehörige Augenkranke bezw. Erblindete zu unterstützen. Ins besondere sollen solche bedacht werden, die infolge von Erkrankung der Augen beziehentlich nach und trotz Vornahme einer Operation erblindet sind. Ferner solche, denen eine Augenkur verordnet ist und denen nach einer Operation oder aus einem anderen Grunde vom Augenarzt eine Schonung der Augen empfohlen wird. Die Verwilligung der Stif tungsunterstützungen erfolgt jedesmal zu Weihnach ten. Gesuche um Zuwendung der Stiftung sind bis Ende August bei der Königlichen Kreishaupt mannschaft in Chemnitz einzureichen. *— Arbeiterzählung. Bet der am 1. Mai dieses Jahres erfolgten Arbeiterzühlung in den ge werblichen Betrieben hiesiger Stadt wurden 1079 (1907: 1032» Personen gezählt und zwar 101 männ liche, 77 weibliche im Alter von 14 bis 16 Jahren, 131 männliche und 209 weibliche von 16 bis 21 Jahren, 415 männliche und 135 weibliche über 21 Jahre und 6 männliche und 5 weibliche unter 14 Jahren alt. *- - Allerlei Wünsche. Der Gesamtvorstand des Verbandes sächsischer Industrieller beschloß auf Antrag mehrerer Mitgliedsfirmen, erneut eine Ein gabe an die Zweite Ständekammer um Abschaffung des Hohneujahrsfestes zu richten und gleichzeitig die gleichmäßige Festsetzung des Kirchweihfestes in den verschiedenen Orten einer Kreishauptmannschaft anzustreben. * - Landwirtschaftliches. Tie Egidicr Weide genossenschast hat das von Herrn Geipel erworbene Grundstück nun soweit vorbereitet, daß im Laufe dieses Monats der Auftrieb von Jungvieh erfol gen kann. In den nächsten Tagen wird die Firma Ernst Krohn hier damit beginnen, die Wasserleitung nach der Viehtränke zu legen. *— Ortskrankenkasse Callnberg. In der gestrigen Generalversammlung gelangte unter an derem die Jahresrechnung auf 1907 zum Vortrag, deren Einnahme Mark 6123,76 und Ausgabe 5814,16 Mark betrug, der Kassenbestand beträgt 309,60 Mark, das Gesamtvermögen Mark 7272,44. 1906 hatte die Kasse ein Vermögen von Mark 7724,74; 1907 mußten Mark 550,— abgehoben werden, so dem Vorjahr gegenüber ein weniger von Mark 4452,30 eintrat Als Arbeitgeber wurde in den Vor stand Herr Schieferdeckermeister Karl Parthel, Vock den Arbeitnehmern die Herren Klemms Vogel und Emil Knapp gewählt. Bezüglich der Sarrenzzeit ver blieb es wie bisher, indem nach achttägiger Krank heit die ersten drei Tage ebenfalls mit bezahlt wer den. Burgstädt. (Automobilverkehr.) Auf der Strecke Mittweida—Burgstädt—Limbach sind seit Eröffnung des Automobilverkehrs (August 1906) über 40000V Personen befördert worden. Dresden. (Stillegung der Mühlen und Brot fabriken.» Tie vom Arbeitgeberverband der säch sischen Mühlenindustrie beschlossene Stillegung der Mühlen und Brotfabriken von Dresden und Um gegend ist vollständig durchgeftthrt, da die Arbeiter der Firma Gebrüder Braune bis Mittwoch 12 Uhr die Arbeit nicht wieder ausgenommen hatten. Es handelt sich hier, wie bei vielen Streiks, um eine Machtprobe der Arbeiterorganisation. Bon der Stillegung werden ungefähr 20 Betriebe und 45V Arbeiter betroffen. Hohenstcin.Ernstthal. (Unverbesserlich.) Eick zehnjähriger Schulknabe, Sohn einer in der Bahn straße wohnenden Familie, der seinen rechtschaffeneck Eltern durch seinen Hang zu Diebereien und durchs sein störrisches Wesen schon viel Kummer bereitet lmt, ist unter Mitnahme eines Betrages von 28 Mark, Ersparnissen seines Vaters, von hier ver schwunden und nach einer vom Polizeiamte ick Chemnitz hierher gelangten telephonischen Mittei lung dort aufgegrisfen worden. In seinem Besitze befanden sich noch 21 Mark. Von seinen Eltern selbst, die trotz strenger Behandlung den Taugenichts nicht auf den Weg der Besserung zu bringen ver mochten, ist Antrag auf Unterbringung des Jungeck in einer Zwangserziehungsanstalt gestellt worden. Frankenau bei Mittweida. (Ein größeres Feuer) war am Mittwoch früh in der zweiten Stunde im Imprägnier- und Härtemittelwerk von Türpes Erben ausgebrochen. Neber einem Ofen war die Dachver schalung in Brand geraten, wobei ein Teil des Dach stuhles zerstört wurde. Kirchberg. (Ungetreuer Buchhalter.) Der bei der Firma Otto Popp seit mehreren Jahren «»gestellt gewesene Buchhalter M. hat Gelder unterschlagen und Modelle, Eisenteile usw. entwendet, vermut lich, um sie in seinem eigenen, kürzlich errichteten Geschäft zu verwenden. M. wurde zunächst ver haftet, daun aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Limbach. (Gefährlicher Selbstmordkandidat.» Wahrscheinlick» infolge eines Anfalles von Delirium sprang am Mittwoch der Brauer Karl Paul Kur» aus Freiwaldeu (Bezirk Sagan» in den Teich hinter dem Schlachthofe. Ter Lebensmüde war kaum an das Land gebracht worden, als er plötzlich einen 5jährigen Knaben erfaßte und ihn in den Teich schleu derte. Tas Kind konnte, ohne Schaden genommen zu haben, gerettet werden. Ter Mann Murde durch einen Schutzmann ins Krankenhaus gebracht. Leipzig. (Uuterschlagung.) Ein in Leipzig-Reud nitz wohnhafter 35jähriger Buchhalter hat in der Druckerei der Leipziger Volkszeitung, wo er ange stellt war, gegen 2000 Mark unterschlagen: er wurde seit Montag vermißt. Am Ufer der Mulde im Dorfe Schmölen bei Wurzen wurde jetzt ein Die Furcht Roman von Friedrich Jakobsen. 20 Rochdruck verboten. Hier und da wurde Max gegrüßt oder grüßte auch selbst. Einem grauen Männchen ging er aus dem Wege, das war ein alter Querulant, der über seinen verlorenen Prozeß verrückt geworden war und die Behörden peinigte. Jetzt saß er den größten Teil des Tages und schrieb Eingaben, und die Ein gaben kamen nicht über das Psörtnerhaus hinaus. Egon war in seinem Arbeitszimmer, eiueni Hellen und freundlichen Raum, wie alles in der Anstalt einen Hellen und freundlichen Eindruck machte. Und er selbst war fröhlich. „Du kommst gerade recht", sagte er, „Tu kannst mir gratulieren. Die Verhandlungen mit Thalheim find abgeschlossen, zum 1. September übernehme ich die Leitung der Anstalt. Hier liegen die Papiere." Max lächelte. „Vom Berg ins Tal, ans dem Norden in den Süden, aus diesen Hallen in eine Zelle. Aber Du Wirst ein junger Direktor, ich wünsche Dir Glück." Er nahm Platz und sah etwas zerstreut vor sich hin. „Die Sache kommt nicht überraschend, es war ja schon etwas im Gange. Wann wirst Du hier ausscheiden?" „Am ersten August Es ist ein voller Monat bis zum Antritt der neuen Stellung, aber eine kleine Ruhepause kanu nichts schaden. Außerdem bringt der Umzug eine vollständige Umwälzung in meinen Verhältnissen." ,^Fa", sagte Max nachdenklich, „das ist sicher; Deine Mutter kannst Du aus gewissen Gründen nicht mitnehmen: und Esther wird sich schwerlich von der kranken Frau trennen. Ich sehe es schon kommen, daß Du im August auf die Brautschau mußt." „Warum?" „Ter Leiter einer Anstalt, in der beide Ge schlechter vertreten sind, kann nicht ohne Frau sein. ES gibt auch in Deiner Wissenschaft manche Dinge, die nur von einem weiblichen Charakter richtig be urteilt werden. — Oder bist Du darin anderer An sicht'?" „Ja" — sagte Egon entschieden. „Wir kommen nicht ohne geschulte Wärterinnen aus, das ist ganz selbstverständlich, aber die Gattin des Irrenarztes bleibt am besten ganz diesem Kreise fern. Mei» Gott, wenn wir im Schoße unserer Familie weilen, wol len wir niclü an den Jammer nnd an das Elend unseres Bernses erinnert werden." Max zuckte die Achsel. „Das ist ganz gut, mein Lieber, aber Tu wirst doch in der Anstalt wohnen. Tic Frau eines Zucht hausdirektors sicht täglich Sträflinge um sich. Deine zukünftige Gattin wird sich an den Anblick von Irren gewöhnen müssen. Es gehört dazu sreilich eine ge sunde Seele." Sie schwiegen beide eine Weile und jeder mied den Blick des anderen. Es wurde da zwischen ihnen eine Frage verhandelt, die sehr nahe lag und keines wegs besondere Beziehungen voraussetzte, aber sie wußten, daß dennoch in der Tiefe ein Geheimnis ruhte, und daß ihre Hände soeben daran getastet hatten „Eine gesunde Seele" — wiederholte Egon end lich halblaut. „Ich sage Dir, Freund, diese Frage beschäftigt mich oft in einsamen Stunden und sie ist viel ernster, als man eS außerhalb dieser Mauern ahnt. Jeder Brief birgt einen Ansteckungsstoff in sich und teilt ihn allmählich seinem Träger mit. Der Apotheker wägt das Milligramm und er wird ein Pedant, der Lehrer teilt täglich sein Wissen mit und er wird lehrhaft, der Fürst schlichtet den Streit und er wird ein Rechthaber. Ich hörte irgendwo das leichtfertige Wort prägen, daß alle Irrenärzte verrückt wären und auch diese grobe Uebertreibung birgt wohl einen Kern von Wahrheit in sich. EK ist das Kontagium in unserem Beruf, und wenck ich dabei an die wachsweiche Psyche des WeibeK denke, jo wird mir schwül. Vielleicht hat eii.»Jrren- aczt die Pflicht, ledig zu bleiben, und seine Leibes kraft wird ja auch io sehr in Anspruch genommen, daß sür den Privatgebrauch zu wenig übrig bleibt." Er sah durch das Fenster in die Anlagen, uni» seine umdüsterte Miene hellte sich auf. „Wie schwer wird es mir, von hier fort zck gehen! Unter diesen Grüblern sic sind ja nicht allc dlödc nnd sie sichten sich nicht alle unglücklich — unter diesen Philosophen der Narrheit hebe ich manchen guten Freund. Fast jeder trägt siÄ mit einer fixen Idee, manche sorgen sich darum» aber Sorgen haben wir auch. Nur die Furcht ist schreck« lich, aber ziemlwich selten. Ter geht wie ei^j alter Schuster. Er hat sein Lebtag gestickt und ut auch hier in der Anstalt; er liefert gute ^rbeit — aber wenn das Spintisieren übcr ihn kcwmt, dann näht er oben den Stiefelschaft zu „Warum tun Sie das, Meister?" frage ich ihn, denn Meister will er genannt werden, und er entgegnet: ,Herr Doktor, das ist ein Loch und ich soll die Löcher zu- machen " Seine Logik ist etwas kürzer geraten alK unsere Logik, aber wir lassen ihn jetzt nur neue Stiefel anfertigeu, und da passiert nichts, denn er hat ein anderes Ziel vor Augen. So hilft ma» sich, indem man die Tiefe hinunter steigt — — auf die Höhe können wir doch die wenigstens ziehest " „Habt Ihr auch eingebildete Kranke?" fragte Max, den der Gegenstand interessierte. (Fortsetzung folgt) «L- *