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mit dem Gesammtinteresse sich nicht in Ein klang bringen lassen. (Breslau.) Mit dem Zustandekommen der Handelsverträge hat man glücklich und definitiv die Bahn der autonomen Tarifer höhungen verlassen und für eine längere Reihe von Jahren den Industriellen und Kauf leuten die Sicherheit gegeben, dass sie durch plötzliche Heraufschraubungen der deutschen Eingangszölle oder der Zollschranken jener Länder, mit denen wir in besonders lebhaf tem Waarenaustausch und im Vertragsver- hältniss stehen, nicht überrascht werden kön nen. Allerdings sind in beiden Richtungen die Tarifzugeständnisse, welche bei Verein barung der neuen Handelsverträge gemacht wurden, unseres Erachtens ungenügend. Ohne uns mit der Ansicht befreunden zu können, dass eine Rückkehr zu radical-frei- händlerischen Grundsätzen der deutschen Volkswirthschaft in diesem Augenblicke zu träglich sein würde, müssen wir beklagen, dass der deutsche Tarif in vielen Abtheilun- gen noch Hochschutzzölle enthält und ein räumen, dass es vortheilhaft wäre, eine Herab minderung dieser Zollpositionen zum Com- pensationsobjekt bei weiteren Tarifnachlässen unserer Nachbarn zu machen. Das wäre die erste Unzufriedene, welche sich aber von den nachfolgenden Colleginnen wesentlich dadurch unterscheidet, dass die Handelsverträge ihr nicht weit genug gehen, während sie dem übrigen Chor der Unzu friedenen um jeden Schritt zu weit gegangen sind. (Cottbus.) Wir wollen ja gern der Hoffnung Ausdruck geben, dass die abge schlossenen Handelsverträge für die Zukunft heilbringend sein werden, können jedoch hier bei nicht unerwähnt lassen, dass die hiesige bedeutende Tuchindustrie keine Ursache hat, sich derselben besonders zu freuen, da die in diesei - Beziehung seiner Zeit von der Handels kammer ausgesprochenen Wünsche und gemach ten Vorschläge nur unbedeutende und, so weit sie auf Zollherabsetzung der vertrag schliessenden Staaten für unbedruckte wollene Webwaaren (Buckskins, Streichgarn- und Kammgarngewebe) gerichtet waren, gar keine Berücksichtigung gefunden haben. (Mannheim.) Es scheint Baden nicht gestattet gewesen zu sein, gleich anderen Staaten, z. B. Bayern, Preussen, Königreich Sachsen, nicht blos Vertreter der Finanz ministerien bezw. der Zollbehörden, sondern auch Vertreter der einschlägigen volkswirth- schaftlichen Ministerien bezw. die einschlägi gen Gewerbereferenten zu den Verhandlungen zu entsenden. Selbstredend pflegen die letz teren ungleich besser über die bei Handels verträgen in Betracht kommenden Interessen unterrichtet zu sein, als die Organe der Zoll- und Steuerdirectivbehörden. Leider haben die am Schlüsse des Jahres dem Reichstage noch vorgelegten und von ihm berathenen Zölle und Handelsverträge mit Oesterreich- Ungarn, Italien, Belgien und der Schweiz vielfach den Interessen der vielverzweigten Industrie unseres Kammerbezirks nicht ent sprochen. — (Es werden nun als geschädigte Beispiele die Tapeten-, Cement- und Speiseöl industrie angeführt, auf deren Beschwerden wir jedoch als Organ der Textilindustrie nicht einzugehen brauchen, weil in zollpolitischen Dingen die Gepflogenheit besteht, dass jedes Gewerbe nicht rechts noch links, sondern nur auf sich selbst schaut.) Noch verschnupfter drückt sich die Handelskammer in Barmen aus: „Leider haben unsere Kundgebungen bei den bis jetzt abgeschlossenen Verträgen mit Oester reich-Ungarn,- Italien, Schweiz und Belgien wenig oder gar keine Berücksich tigung erfahren. Das Wenige, was für die Industrie, besonders die Textil-Industrie er reicht ist, trifft unsere heimathliche Industrie nur vereinzelt und in geringem Maasse. Da gegen hat unsere Besatz-Industrie für ihre Ausfuhr nach der Schweiz in Folge des dort im October v. Js. eingeführten neuen Gene ral-Zolltarifs, trotz der später vertraglichen Herabsetzung, wesentliche Zollerhöhungen, wie nicht minder das geringe Entgegenkom men Oesterreich-Ungarns zu beklagen, dessen seit einem Jahrzehnt herrschende, einschnei dend hohe Absperrungszölle auf diesseitige Artikel — adjustirte Nähgarne, Besatz-Ar- tikel, Posamentirwaaren etc. — unverändert bestehen geblieben sind. Das Gleiche ist in Italien der Fall. Noch in letzter Stunde hatten wir die Zollerhöhungen der Schweiz, die namentlich die Stapelartikel um das 3- und4fache vertheuern, abzuwenden versucht.“ Gleichwohl kommt die Barmener Han delskammer zu einem versöhnenden Ab schluss ihrer Betrachtungen, denn sie nähert sich der Breslauer Anschauung, indem sie hinzufügt: „Wenn wir nun auch leer ausgegangen sind, so gewähren uns die Vertragsabschlüsse mit den genannten Staaten immerhin die Genugthuung, dass wir die deutsche Zoll politik an einem Wendepunkt angelangt sehen, der den Weg für weitere friedliche Verstän digungen und wirthschaftliche Annäherungen eröffnet, und der uns hoffen lässt, dass die Principien des Freihandels, die wir von jeher verfochten haben, zum endlichen Durchbruch gelangen; denn es lässt sich nicht leugnen und wir begrüssen es mit Freuden, dass durch die deutscherseits eingeräumte, wenn auch für die Industrie unseres Thales uner hebliche Zollermässigung auf eindrähtiges eng lisches Baumwollgarn von No. 60 aufwärts, sowie auf ausländisches Getreide offenbar der Anfang gemacht ist, mit der bisherigen der Textil - Industrie verhängnissvoll gewesenen Schutzzollpolitik für die Folge zu brechen.“ Unsere Wochenberichte, No. 3 und 4 dieses Jahrgangs, wissen von der Garnnum mer 60 zu erzählen und erklären die frei händlerischen Aufwallungen Barmens, welche wohl nicht so bös gemeint, sondern nur dar auf berechnet sind, die Gladbacher Weiss weber sammt den Elsässer Feinspinnern und den Verein süddeutscher Baumwollindustrieller ein wenig zu necken, wie dies unter Lands leuten gerne vorkommt. Der Jahresbericht der Handelskammer für Schwaben und Neuburg bleibt auch die Antwort nicht schuldig, denn zwischen ihr und dem Verein Süddeutscher Baumwollindustrieller besteht eben eine offenkundige Verstrickung der Interessen, welche bei wiederholten Anlässen zum Ausdruck gekommen ist. Der Augsburger Bericht sagt nämlich ohne Umschweife: Seitdem der Wortlaut der Verträge bekannt geworden, hatten wir unsere von Anfang an gegen dieselben bewahrte, reservirte Haltung nicht zu bereuen. Die selben haben selbst in denjenigen Kreisen, von welchen Zumuthungen an uns ergingen, für das Zustandekommen der Verträge zu agitiren, nur eine sehr getheilte Zustimmung gefunden. Zieht man von den lobenden Stimmen den Antheil ab, welcher angeblichen oder wirklichen politischen Vortheilen und abstrakten freihändlerischen Bestrebungen zu kommt, so bleibt gar wenig Lob übrig. Die vielgepriesene Stabilität, welche die Verträge unserem Aussenhandel sichern sollen und der weitere Vortheil, dass alle von den Vertrags staaten neu abzuschliessenden Verträge infolge der Meistbegünstigungsclausel auch Deutsch land zu gute kommen, haben nichts mit ein ander zu schaffen. Wenn ein Vertragsstaat durch einen neuen Vertrag seine Zölle gegen über dem mit Deutschland vereinbarten Ver tragstarife ad minus ändert, bleibt die Ver minderung unabhängig von dem Vertrags verhältnisse mit Deutschland. Der deutsche Exporteur ist deshalb immer der Gefahr ausgesetzt, die Zölle wieder erhöht zu sehen. Ebenso ist derselbe beständig dem Risico ausgesetzt, in dem dritten Lande einem neuen Concurrenten gegenüberzustehen. Aehnlich, aber weniger schroff, spricht sich Gera über die Handelsverträge aus: „Es hat sich seitdem wohl in vielen, auch von denjenigen Kreisen, die in sanguinischen Hoff nungen den Abschluss der Handelsverträge als für Deutschland sehr vortheilhaft be- grüssten, die Ueberzeugung Bahn gebrochen, dass es nicht ohne erhebliche Concessionen von deutscher Seite dabei abgegangen ist und dass die Nachbarstaaten es wohl ver standen haben, sich Vortheile zu erwirken. Infolge der Meistbegünstigungsclausel kommen die von Deutschland gemachten Concessionen auch den Vereinigten Staaten von Nordame rika, Frankreich, England u. s. w. in gleicher Weise zu gute. Welchen Industriezweigen besonderer Nachtheil aus den neuen Ver trägen entstehen wird, lässt sich jetzt noch nicht sagen, und inwieweit die zu bringenden Opfer durch die Rücksichten auf die poli tische Stellung Deutschlands zu den vertrag schliessenden Staaten geboten waren, entzieht sieh unserer Beurtheilung. Wir stehen jetzt vor der vollendeten Thatsache, dass' auf 12 Jahre an den zollpolitischen Verhältnissen mit den genannten Staaten nichts geändert werden kann.“ Nachdem auch andere industrielle Kreise bis jetzt kaum in der Lage gewesen sein werden, die Vortheile und Nachtheile der neuen Verträge ganz genau gegen einander abzuwägen, so wird es freilich schwer fallen, jetzt schon ein Gesammturtheil über ihre Wirkung abzugeben. Wir mussten uns dar auf beschränken, beide Parteien zu hören und wenn man uns selbst um unsere Meinung fragen würde, wüssten wir auch nur zu erwidern: in 12 Jahren sprechen wir uns wieder. Kielmeyer. Die Ausstellung der sächsischen , Handspitzen-Industrie in Chicago. (Eigenbericht.) uf der Weltausstellung in Chicago im Jahre 1893 werden im Rah- men der sächsischen Textil-Ge- V sammtausstellung auch Erzeug nisse der Handspitzen-Industrie des Königreichs Sachsen unter dem Namen „Sächsische Handspitzen“ zur Vorführung ge langen und es sollen dieselben schon in nächster Zeit nach ihrem Bestimmungsorte abgehen. Um nun den Bewohnern des Erzgebirges und Vogtlandes wieder einmal Gelegenheit