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Beilage M Nr 176. Sonntag, den 31. Juli 1904. Zeitgemäße Sonntags-Plauderei Nachdruck verboten. Lichtenstein, den 30. Juli 1904. Wir leben jetzt mitten in der Zeit des süßen Nichtstuns, denn wem es Stand und Berus nur halbwegs ermöglicht hat auszuspannen, der hat es getan, und in Sommerfrischen und Bädern wird nun Erholung gesucht und neue Kraft gesammelt für des Berufes Last und Bürde. Auch die Diplo matie der Welt hat sich in die Bäder zurückgezogen, um einmal frei zu sein von all den politischen Schach» und Winkelzügen, die jedem Einzelnen von ihnen das Leben ost recht schwer machen. Aus diesem Grunde weilte auch der Leiter des deutschen StaatS- schiffesGraf Bülow schon längere Zeit in Norderney, um hier in den kühlen Fluten der Nordsee Er frischung zu suchen nach allen den hitzigen Sachen, welche in den letzten Wochen den deutschen Reichs kanzler etwas warm gemacht hatten. Aber merk würdig ! Es hat den Anschein, als ob er in diesem Jahre auch an den Gestaden der Nordsee die so lange herbeigesehnte Ruhe nicht habe finden sollen, denn Rußland braucht Geld zu seinen kostspieligen Kriegsoperationen und um diesem Mangel abzu helfen, ist ihm selbst die Ruhe eines deutschen Reichs kanzlers nicht heilig genug, um sich von einer Unter brechung derselben abhalten zu lassen. Deshalb auch die plötzliche Reise des russischen Finanzministers Witte über Berlin nach Norderney, um dort in tagelangen Beratungen mit Graf Bü low über ein baldiges Zustandekommen des deutsch russischen Handelsvertrags zu konferieren. Wie die Blätter berichten, soll tatsächlich eine Einigung über die schwierigsten Punkte erzielt worden sein, sodaß wir ebenfalls bald von der Unterzeichnung des Ver trages Kenntnis erhalten werden. Was in aller Welt veranlaßte Rußland aber, das dem Abschluß des Vertrages bis vor kurzem die größten Schwierig keiten entgegen stellte, plötzlich so entgegenkommend zu werden ? Die russischen und deutschen Offiziere behaupten, es wäre ein Herzenswunsch des Zaren, in der jetzigen schwierigen Lage wenigstens mit dem westlichen Nachbar Deutschlano reinen Tisch zu be kommen, deshalb die Eile. In Wirklichkeit liegt die Sache wohl anders und neben dem Handelsvertrag hat Herr Witte mit dem deutschen Reichskanzler wohl noch über andere Sachen verhandelt, denn Rußland braucht Geld, viel Geld und will durch sein Entgegenkommen Deutschland für die Auflegung einer russischen Anleihe geneigt machen, nachdem es mit demselben Wunsche bei seinem Bundesgenossen Frankreich abgeflogen ist. So will Herr Witte, was er aus der einen Seite gibt, auf der anderen wieder nehmen! So erfreulich an und für sich das Zu standekommen des deutsch-russischen Handelsvertrages unter günstigen Beoingungen für unsere Industrie ist, so ist doch die Anleihepille, die wir mit schlucken sollen, etwas sehr bitter und es ist vor allen Dingen dem deutschen Geldmarkt mindestens ein nicht zu weitgehendes Entgegenkommen anzuraten. Durch diese Notlage Rußlands hatte Graf Bü lows Politik einen recht billigen Erfolg zu verzeichnen, und nach der Abreise des Finanzminifters Witte hatte er allen Grund, nun voll und ganz die Ge- nüsse des Badelebens zu genießen. Aber er halte wieder die Rechnung ohne Rußland, dieses Mal ohne die russische Freiwill.-Flotte des Schwarzen Meeres, gemacht. Deren Hilfskreuzer hatten mit der ruffischen Handelsflagge an Top als unschuldige Handelsschiffe unangefochten die Dardanellen passiert, hatten dann aus dem freien Mittelmeer nach See räuber-Art die Handelsflagge herunter geholt und dafür die russische Kriegsflagge gehißt, die im Bug versteckt gewesenen Geschütze auf Deck plaziert und sich so im Nu in gut armierte Kriegsschiffe ver wandelt. Nun machten die sogenannten Hilsskreuzer Jagd auf Kri-gskontrebande und scheuten sich nicht, die auf dem deutschen Dampfer „Prinzen Heinrich" befindliche deutsche Post nach Japan mit Beschlag zu belegen, sowie im roten Meer das deutsche Schiff „Scandia" überhaupt gleich ganz zu kapern. Das war ein entschiedener Bruch des Völkerrechts, das deutsche Volk verlangte laut Genugtuung und des Reiches Kanzler mußte wieder seine Ruhe unter brechen, um in geharnischten Noten gegen diesen russischen Uebergriff zu protestieren. Zum Glück war daS die deutsche Freundschaft jetzt sonotwendig gebrauchende Rußland zur Erteilung jeder gewünschten Genugtuung bereit, die Sache wurde schnell gütig beigelegt. Graf Bülow hat sich aber nicht wieder den Genüssen des Seebades hingeben können, weil die Lage in Europa ernst geworden, hat Graf Bü low seinen Badeaufentbalt in Norderny abgebrochen und ist am Dienstag früh nach Berlin zurückgekehrt, mit ihm Staatssetretär Graf Posadowsky und Land- wirtsckaftsminister Podbielski. Also doch! Ja, Rußland handelte in letzter Zeit eben zu unklug und England raffelt gar zu stark mit dem Säbel! kastieus. Droben im Wald. Novellistische Skizze von L. I. Haushofer. (Nachdruck verbot«».) Täglich unternahmen sie Touren inS Erzgebirge alle drei . . . denn die Tante, die gewöhnlich hinter herkeuchte, brauchte man füglich nicht mit zu zählen, denn die litt ein wenig unter ihrem Embonpoint und huldigte außerdem dem Grundsätze mancher Reisenden: . und die Berge von unten." Da war also mal Franzi, Franziska Gabler, die reiche Erbin, Backfisch zwar, aber doch schon echt modern . . . etwas amerikanische Erziehung, sehr munter, ja ausgelassen, frei ohne frech, nichts weniger als spröde ohne kokett zu sein. Und dann der Baron, Ende zwanzig, ein schneidiger Herr, dem man den Leutnant a. D. schon von weitem ansah. Er schien sehr reich zu sein, denn er warf immer mit Goldstücken um sich. Andere, die ihn kannten, behaupteten daS Gegenteil. Jedenfalls ganz munter, wenn auch etwas blasiert. Aber der dritte im Bunde: Ein Künstler, genial — ein Adomis an Schönheit, ein Herkules in Kraft und mit einem Tenor . . . einem Tenor: „Du hast mit Deinem Zauberlied Dich in mein Herz gesungen!" Er war arm gewesen, wenige Tausend, die er gehabt, waren für die Ausbildung und Equipierung draufgegangen und mit 30 Mk. in der Tasche hatte er sein neues Engagement angetreten. Nur ein halbes Jahr ... bei einem mittelmäßigen Stadt theater . . . 250 Mk. Gage ... Da hatte ein Intendant von ihm gehört. Sofort hatte er ihn engagiert, 1000 Mk. Gage ... na und damit läßt sich auskommen! Aber sonst hatte er nichts, gar- nichts. Aber er war der Abgott der Frauen, wo hin er kam. Und Franzi Gabler blieb kühl gegen ihn ... kühl bis ans Herz . . . und er liebte sie doch so sehr, sterblich war er in sie verliebt und er hätte etwas drum gegeben, hätte er gewußt, wie es da- drin in ihrem Herzen aussah! Andere wußten das übrigens auch nicht! War sie vor dem Künstler auf der Hut, von dem sie vielleicht glaubte, er angele nach dem Gold fisch . . . oder traute sie dem Baron ein Gleiches zu, weil sie an dessen Reichtum zweifelte? Aber Franzi blieb sich gleich, und die beiden Kavaliere, die sich im Kurort getroffen hatten und ganz gute Freunde geworden waren, die faßten nach und nach gegen einander einen unbezwinglichen Widerwillen, den sie nur mit Mühe verbargen. Sie waren Rivalen geworden. Aber plötzlich sollten ihnen die Augen aufgehen. Oberhalb desKurortcs begannderWald,herrlicher, prächtiger Hochwald — und über dem erst erhob sich die kahlere Region mrt ihren Almen und Matten — über die dann wieder Gletscher und Firnen her vorragten. Und in dem Wald wurde gewildert. Den Förster hatte man oben vor 8 Tagen tot im Walde aufgefunden und seitdem pürschte der Jagdgehilfe mir dem Eifer eines Schweißhundes, um den Mördern auf die Spur zu kommen. Man hatte ihm seinen väterlichen Freund erschossen .... er wollt ihn rächen, um dem beleidigten Gesetz Ge nugtuung zu verschaffen. Das schien sein einziger Lebenszweck! Auf Vorschlag des Barons machten die drei., oder eigentlich die vier, einen Ausflug nicht auf die Schroffen nach den Gletschern, sondern durch den Wald ... Da sollte es ja wundervoll sein. Draußen war die Hitze kolossal, also konnte man sich ja kaum etwas besseres wünschen! Und in der Tat — es war herrlich! Grüne, kühle Dämmerung umfing die fröhlichen Wanderer und eine Lust — herrlich, rein, erquickend, voller Dust, stärkend, ozonreich. Das leise Raunen der Wipsel, das Rauschen eines krystallklaren, von den Bergen niederhüpfenden Baches, Kuckucksruf — Finkenschlag, das Knacken der Büsche, wenn ein aufgescheuchtes Reh durch sie hindurch jagte — — o LaubeSdust, o WaldeSzauber! Selbst der Baron mußte den großartigen Ein drücken seinen Zoll zahlen und wenige Augenblicke schwieg auch er, ganz benommen. Aber der Sänger? ES schwieg — er war einfach Ohr und Auge, er hörte das Waldweben und durch seine Seele klangen die wunderbaren Töne des Siegfrieds-Idylls! Man schien es übrigens auch nicht zu beachten, daß er schwieg. Franzi harte mit ihm einen kleinen Streit gehabt, allerdings nur ein harmloses Wort gefecht, allein es schien doch, als wolle sie ihn dafür ein wenig peinigen, indem sie ihn ignorierte. Um so mehr flirrtete sie jetzt mit dem Baron, dem es jetzt leicht war, neben dem schweigsamen Nebenbuhler mit seinem Geiste zu glänzen! Da knackten neben ihnen die Büsche, ihren Weg kreuzte der Jagdgehülfe, die Augen schienen im Waldesdämmer Feuer zu sprühen, die Büchse hatte er schußfertig, die Hand am Abzug. Er bemerkte die Gesellschaft wohl kaum und verschwand im Dickicht, jenseits deS Weges. Der Baron blieb stehen, er war passionierter Jäger, wie auch der Sänger, der stehen geblieben war und in die Richtung starrte, wohin der Jagd gehilfe verschwunden war. Franzi warf einen erstaunten Blick auf die Beiden, lachte dann kurz auf und rief: „Was sie neugierig sind, die Herren der Schöp fung — und da wollen sie immer noch spotten, die Neugier sei ein Erbstück von Urmutter Eva an ihre Töchter!" Sie wandte sich lachend ab und tat einen Schritt vorwärts. Aber in diesem Augenblick krachte ein Schuß und aus dem Munde eines der beiden Herren schallte ein unterdrückter Schrei. Sofort wandte sich Franzi um und, nicht achtend, daß jetzt noch zwei Schüsse rasch hinter einander fielen, stürzte sie auf den Sänger, der dem Dickicht am nächsten stand, zu, ergriff seine Hände und rief angstvoll: „Um Gottes Willen, Ullrich, sagen Sie, sind Sie getroffen?" Der sah sie erstaunt an, mit leuchtenden Augen. Da aber schlug ein bitteres Lachen an ihr Ohr. Es kam aus dem Munde des Barons. „Nein, meine Gnädigste," rief der, „ich habe das außerordentliche Vergnügen, der verwundete Schlachtenbummler zu sein! Sie können sich also ganz beruhigen, es ist weiter niemand als meine miserable Wenigkeit. Jedenfalls aber bin ich dem Mann im Busch dafür dankbar, daß er mich an- geschossen hat —" „Oh, Herr Baron — das tut mir aber leid, tut mir von Herzen leid —". „Aber bitte Gnädigste — sehr verbunden sür freundliche Teilnahme — allein die ist ja, wie ich schon sagte, deplaciert, ich bin ja dem Manne wirk lich dankbar — denn indem er mir die Schulter zerschmetterte, öffnete er mir die Augen, heilte mich von einer Blindheit, mit der ich zum Kinderspott schon seit Wochen hier herumlief. Ich habe die Ehre —". „Aber Baron", rief Franzi, „Sie wollen doch nicht allein den Rückweg antreten? Das geben wir ja garnicht zu. Sie bluten ja stark, sie würden unterwegs liegen bleiben. — Lieber Ullrich, stützen Sie ihn doch, bitte — wir bringen ihn nach Hause!" Aber er wehrte den Sänger ordentlich heftig ab. „Keinesfalls, lieber Echtermeyer — Sie haben wichtigeres zu tun — namentlich jetzt. Heda guter Freund," rief er dem Jagdgehilfen zu, der zurück- kehrte und die Büsche knackend teilte, „bringen Sie mich da nunter in das schicke Nest. Die Kugel, die Ihnen galt, habe ich freundlichst auf meinen Pelz bekommen — und ich meine, eine Liebe ist der an dern wert." — „Aber g'wiß gnä Herr — übrigens hab i Jhna glei ordentli gerächt und dem Sauhund oans auf's Pelz brennt, daß ihm ka Zahn mehr weh tuat — na denn kommens." Er faßte den Baron um den Leib, dieser schlang den unverwundeten Arm um des Jagdgehilfen Hals und so schritten sie rasch vorwärts. Unterwegs aber verband ihm der Wackere die Schulter noch mit dem Taschentuch. Langsamer folgte diesem seltsamen Paar das andere, schön wie Venus und Adonis, wie für ein ander geschaffen. „Engel, Rätsel — Sphinx!" flüsterte Ullrich, nach Franzi's Hand haschend. „Ullrich — sein Sie artig," rief sie mit einem Versuche zu scherzen. Aber er erwiderte fast unwillig. „Franzi — Liebste — Teuerste — mir liegt nichts ferner als Scherz — ich liebe Dich — liebe Dich über alles — mehr als ich sagen kann." —