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tritt hell aus dem Schatten ihre Gestalt, sieht ihn an und wendet sich wieder ab, genau so, wie er e8 abends geträumt hatte. Mit keuchender Brust, ausgebreitcten Armen eilt er ihr nach; die nackten Füße streifen den Tau vom Grase. Er stürmt vor wärts, dem fliehenden Spuk nach. „Olga!" ruft es noch einmal laut, dann ein Schrei, ein Poltern — und in der Tiefe der Klamm rauscht das Wasser auf. * * * In strahlender Klarheit war der Morgen an gebrochen. Am Rande der Klammschlucht standen Leute und flüsterten, bange, scheue Blicke nach der Tiefe richtend. „Hier muß er abgefallen sein," meint der Bauer, „man merkt's ja genau. Bis hierher führen auch die Tritte im Grase." „Wird wohl sein," antwortet ein Holzknecht, „dem ist nicht mehr zu helfen. Wir werden, wenn die Stricke kommen, uns herablassen und ihn suchen, daß er wenigstens ein ehrlich Begräbnis finde. Beten wir ein Vaterunser für die arme Seele." Als die Leute niederknieten, erschienen auf dem Wege Menschen; der Baron führt Frau Olga, und diese lacht über die Begleiter, die aufstöhnend sich den Schweiß von der Stirne trocknen. Sie lacht, und ihr Helles Lachen tönt hinüber zu den Leuten, die am Rande des Abgrundes für einen Toten beten. Seliger Tod. Skizze aus dem russisch-japanischen Kriege. Von H. v. d. Osten. (Nachdruck verboten.) Blutrot senkte sich die Sonne hinter den kahlen Bergen am rechten User des Aalu. Die Talfalte, in der der mörderische Kampf gewütet hatte, war mit Toten und Verwundeten übersät, Wimmern, Stöhnen, Gejammer, lautes Beten, wildes Fluchen stieg zum wolkigen Himmel empor. Ein erstickender Dunst von Blut und Verwesung lagerte über der Erde, atemraubend, sich wie ein Alb auf die Brust legend. Weiße und Gelbe, Grünröcke und Braun» röcke im wilden Durcheinander. „Woda!" (Wasser) wimmert hier ein junger Schütze vom dritten Regiment, dessen Waffenrock oben über der rechten Brust ein kleines Loch zeigt. Ein dicker Blutstrom muß ihm entquollen sein, seinen Weg bezeichnet eine erstarrte dunkelbraune Masse, die sich zur Hüfte hinunter zieht und die Erde be netzt hat. „Ivan Wassiljewitsch, Väterchen", antwortet ein rauher Baß, „wie magst Du nur so jammern um Deine Wunde, jammere um unser armes Vaterland, um unser heiliges Rußland. Unser Ruhm ist dahin, wir sind geschlagen zu Wasser und zu Lande, wir sind ein Spott unserer Feinde und der Ungläubigen im Westen. Das heilige Rußland trauert um seine Söhne, Väterchen Zar wird blutige Tränen weinen und Du jammerst um Deine Wunde?" „Jesus Christus erbarme Dich!" wimmert der andere weiter, „Peter Nicolajewitsch Väterchen, wie magst Du mich nur so schelten. Die Wunde brennt, ich kann's nicht mehr ertragen!" „Wenn Du wüßtest, Iwan Wassiljewitsch", gab der alte Feldwebel, der Besitzer des Basses zurück, „welche Schmerzen ich leide. Mein linker Unter schenkel ist zerschmettert — wenn nicht bald ein Arzt kommt, der mir hilft, so wird der Brand drankommen und ich muß hier verenden wie ein Hund. Oh, wie gern wollte ich das ertragen — aber wir sind geschlagen! Oh — an dem Tage, wo wir Plewna nahmen — Väterchen, welch ein Jubel — ein junger Rekrut war ich wie Du, ich lag auch unter den Toten und Verwundeten, ich hatte eine schwere Wunde in der Hüfte — ich hätte laut schreien mögen vor Schmerz — aber wir hatten gesiegt — und als immer neue Kolonnen heranrückten, da rief ich mit „Hurrah" und „Es lebe der Zar!" Hurrah können wir jetzt nicht rufen — leider! Aber wir dürfen auch nicht klagen! Sollen uns die gelben Teufel hier auslachen? Sechs Stunden liege ich hier, sieben Kerle sind hier gestorben in meiner nächsten Nähe. Einem hatte ein Granatsplitter den Bauch aufgerifsen, daß die Eingeweide heraus hingen, einem andern war der Unterkiefer zerschmettert. Wieder einer hatte das Bein verloren dicht unter dem Rumpf — sie krümmten sich am Boden, sie bäumten sich auf, sie fielen zurück ohne einen Laut, die Lippen fest geschlossen, ine Zähne zusammen gebissen. Sollen wir uns vor ihnen schämen. Sie würden es auch nicht verstehen, weil sie nicht schreien vor Schmerz. Sie würden denken, wir heulen, weil wir glauben, alles sei verloren, wir jammerten um den Untergang des heiligen Rußlands. Aber bei dem unschuldigen Blute unseres Heilandes und bei der heiligen Muttergottes von Kasan — wenn ich auch laut schreien möchte um die Schmach des heili gen Rußland — an den Untergang des Vaterlandes glaub ich nicht. Unsere Millionen und Abermillionen werden kommen und die Scharen der kleinen gelben Teufel werden vor ihnen zerstieben wie Spreu vor dem Winde. Und wir werden über das gelbe Meer setzen und ihre Städte stürmen, daß kein Stein auf dem andern bleibt und auf ihre Götzentempel werden wir das Kreuz auspflanzen —" Er wurde unterbrochen. Sein Kamerad hatte schon lange nicht mehr zugehört. Er war blutrot im Gesicht, seine Augen glänzten wie Fieber, er bäumte sich auf und wieder lallten seine Lippen: „Woda — Woda!" Ein Kosak kam dahergehumpelt, man hatte ihm den linken Fuß zerschmettert, er hinkte auf einem Bein und stützte sich auf zwei gebrochene Lanzen- schäfte. Er keuchte schwer, sein Atem flog, zuweilen blieb er stehen und tat einen Zug aus seiner Feld flasche. „Heda, Väterchen!" rief ihm der Alte zu, „hier liegt ein Sterbender, erbarme Dich, gib ihm zu trinken." „Was glauben Sie, Väterchen, Euer Wohlge boren", rief der Kosak dem Vorgesetzten zu, „bin selber todesmüd, habe selber einen Höllendurst" — und er humpelte weiter. Ein kräftiger Fluch des Alten folgte ihm. Da kroch ein kleiner gelber Kerl heran, sein Kopf war mit einer Binde um wunden, sein linkes Knie war zerschmettert. In der Linken hielt er die Flasche, er reichte sie dem Fieberkranken und sagte in gebrochenem Russisch: „Hier Batuschka — nimm und trink, Kutfika hat noch zu trinken — Kutfika gibt wackerem Kameraden." Iwan Wassiljewitsch setzte die Flasche an und tat einen durstigen Zug. Der alte Feldwebel aber entriß sie ihm, damit er sie dem wohltätigen Ja paner nicht gänzlich austrinke und er gab sie dem Gelben zurück. „Gott segne Dir's, Kamerad", sagte er, „und rechne Dir's an nach Deinem Tode, damit Du nicht zu lange zu brennen brauchst im Fegefeuer." Da kamen lange Schatten über das Schlacht feld, Frauen in grauen Kleidern und weißen Hauben, hinter ihnen Soldaten mit Tragbahren, eine Binde mit dem roten Kreuz am Arme. „Hierher, zu Hilse, Mütterchen, wenn noch zu helfen ist, rief der Feldwebel, der den Zug heran kommen sah. Eine der Schwestern kam herbei, unter der Haube blickte ein schönes junges Gesicht hervor. Sie ging aus den Feldwebel zu und kniete neben ihm nieder. Er aber wies mit der Rechten auf den jungen Kameraden: „Hierher, Mütterchen — mit mir hat's Zeit und es ist an mir alten Kerl nicht viel gelegen." Die Schwester wandte sich dem Jüngling zu. Als sie ihm in's Gesicht sah, fuhr sie betroffen zurück. „Iwan Wassiljewitsch!" rief sie. „Ja — Iwan Wassiljewitsch!" sagte der Feld webel — „ein braver Soldat, so jung er ist. Kennst Du ihn, Mütterchen?" Aber die Schwester hörte nicht. Sie flößte Wasser zwischen seine brennenden Lippen, sie hielt ihm Aether unter die Nase, denn er hatte das Bewußtsein verloren. Endlich schlug er die Augen auf und starrte die über ihn Gebeugte an, dann lächelte er und schloß blinzelnd wieder die Lider. Da rief sie seinen Namen dicht bei seinem Ohr. Er öffnete die Augen wieder und fragend kam es von seinem fiebernden Munde: „Marja Alexejewna?" „Ja — ich bin's, Iwan!" Und sie drückte einen Kuß auf feine Lippen. „Wie kommst Du hierher, Maruschka?" „Als der Vater Dich bei Deiner Werbung schimpflich abgewiesen hatte und Du aus Verzweif lung unter die Soldaten liefst, da verließ auch ich des Vaters Haus und ging zum roten Kreuz — und hier — hier finde ich Dich wieder?" „Und wir müssen gleich wieder von einander, Maruschkina, mein Seelchen", hauchte er, „zu helfen ist mir nicht, ich fühl' es. So umarme mich und küsse mich, dann preise ich mich selig vor allen, die heute für das heilige Rußland gestorben sind." Sie tat wie er gesagt. Lächelnd hauchte er seine Seele aus. Schluchzend hielt sie ihn in den Armen. Der alte Kamerad faltete die Hände zum stillen Gebet — das letzte Abendrot übergoß die traurige Gruppe mit rötlichen Strahlen. Das Filialwesen im Schnhhandel und seine Auswüchse. Wie sehr gewisse „Fabrikanten" bemüht sind, die Dummen an ihre Leimrute zu locken, um ihre Produktion in ganz eigentümlicher Weise an den Mann zu bringen, wobei sie einesteils den reellen Schuhhandel sehr schädigen, andernteils aber auch ein gutes Stück Nationalvermögen rauben, so schreibt ein Mitarbeiter des „Schuhmarkt", mag nachstehen der verbürgte Fall, dem ich noch zwölf gleich ver bürgte zur Seite stellen kann, zur Warnung für alle, an die ähnliche Verlockungen heranireten sollten, dienen ! In einer westfälischen Stadt lebt ein Rentier, gelernter „Tischler", der es durch Fleiß, auch durch glückliche Spekulation, zu etwas gebracht hat, denn er besitzt acht eigene Häuser! In einem dieser Häuser hatte er ein Ladenlokal unvermietet, und von dem Drange beseelt, sich noch etwas Beschäftigung zu machen (er steht im besten Mannesalter), kam er auf die unglückliche Idee, ein Schuhgeschäft anzu fangen, da das nach seiner Ansicht das leichteste Metier sei, das man so mit der langen Pfeife im Munde sehr bequem handhaben könne! Zufällig las er in der Lokalzeitung, daß eine bedeutende Fabrik in Sachsen jedem Menschen ohne Fachkenntnisse (wenn er nur eine Nase vor dem Kopse habe) kunstgerecht ein fix und fertiges Schuhgeschäft auf den Präsentier» teller lege! Er wandt« sich an di« Firma, und wenige Tage später erschien schon ein „Oberinspektor", der dein Biedermanne an den fünf Fingern vor» rechnete, daß er im Spazierengehen ebensoviel« Mill«, wie er Finger habe, verdienen könne; nichts leichter als ein Schuhgeschäft zu betreiben! Einschieben möchte ich noch, daß der biedere Tischler Ausdrücke, wie Boxcalf, Chevreau, Roßleder, Stichmaße usw. noch nie gehört hatte, also ein brauchbarer, gefügiger Hammel! Unter den verführerischen, glänzenden Vorspiegelungen, fünf Mille jährlich ohne Mühe, ohne Disposition usw. (die konnte er der Fabrik ruhig überlassen) verdienen zu können, ging er auf den Leim und unterschrieb mit seiner Ehefrau (der Vorsicht wegen) einen Vertrag! Allmächtiger Gott, wo werden solche . . . Verträge nur erfunden? Ich werde ihn der Redaktion zur Verfügung stellen, damit sie ihn in der nächsten Nummer des „Schuh markt" zum Abdrucke bringen kann. Nur so einzelne Punkte greife ich heraus: Verpflichtung 42 000 Mk. Umsatz jährlich; Anzahlung und Eintragung einer Kredithypothek; Hergabe von Akzepten für alle geliefert erhaltene Ware, monatlich mindestens 2000 Mark zahlbar ! Verkauf nur zu den von der Fabrik abge stempelten Preisen und Verbot bei Konventional strafe, auch nur ein Schnürsenkel anderweit zu kaufen. Abführungen der Tageslösungen zur Deckung der laufenden Akzepte! Das einzige was dem „Inhaber" zug ute kam, war, er bekommt 20 Prozent von den auS- gestempelten Preisen (die 40 Prozent vertrügen,) dafür darf er alle Unkosten, Miete, Steuern usw..selbst tragen. Der „Oberinspektor" soll für die Zuführung dieses fetten Hammels 1000 Mark Extcagratifikation von der Fabrik erhalten haben! Nun war besagter Tischler glücklicher Geschäftsinhaber, seine Bedenken bei Hergabe der Akzepte und Eintragung der Kredit hypothek wurden mit Androhung auf Klage zur Erfüllung des Vertrags beschwichtigt! Die Ein richtung des Geschäftes und das Einräumen der Ware besorgte der „Oberinspektor" mit zwei Henkers knechten. Da die Werbetrommel gerührt wurde, der Mann auch einige SO Mietsleute hatte, die bei Eröffnung bei ihm lausten, so ging die Sache an fangs gut. Aber schon nach wenigen Wochen rief mau dem sonst geachteten Manne „Pappdeckel-Josef" nach, kein Mensch läßt sich mehr in seinem Laden sehen, seit 14 Tagen hat er keinen Pfennig Lösungen mehr — aber ein Warenlager und ausgestempelte Preise, die sich gewaschen haben! Das weitere wird sich jeder ausmalen können. Nun steht ein Para graph im Vertrage, dahingehend, daß, wenn der Inhaber des Ladens seine vertraglichen Verpflich tungen nicht erfüllen kann, die Fabrik berechtigt ist, ihr Warenlager (dem Kontrahenten gehört es erst nach Vollzahlung) bestmöglichst versteigern zu lassen. Die Differenz zahlt der „Gemachte", ohne 20 Proz. für seine Bemühungen. Buntes Feuilleton. Eine „pflichtgetreue" Schildwache. In England hat sich dieser Tage eine Merkwürdig keit zugetragen, die man ohne Bedenken zu den noch nie dagewesenen Dingen rechnen darf. Die Schildwache vor einem königlichen Palais hat ihre Postenzeit dazu benutzt, um sich in das Schloß ein zuschleichen und dort eine Reihe von Diebstählen zu verüben, und hat sich dann aus dem Staube ge macht. Die Geschichte, die begreifliches Aufsehen er regt hat, spielte sich folgendermaßen ab. Als in einer der letzten Nächte der aufführende Mann vor das Palais des Prinzen Alexander von Teck in Aldershot kam, um den dortigen Posten abzulösen, and er, daß dieser verschwunden war. Eine nähere Untersuchung zeigte, daß in das Palais eingebrochen und verschiedene Wertgegenstände, darunter meh rere Anzüge des Prinzen, geraubt worden waren. Später entdeckte man im Gebüsch ver steckt, die Uniform und Leibwäsche der Schildwache. Es schien demnach die Täterschaft des Postens über jeden Zweifel sicher. Die Polizisten begaben sich also auf die Jagd nach dem Verschwundenen. Sie war schon binnen kurzem von Erfolg gekrönt. Der Täter, ein Soldat namens Topping, wurde in der Londoner Vorstadt Tottenham abgefaßt, wo er auf das eleganteste, nämlich in einen Sommeranzug des Prinzen Alexander gekleidet, durch die Straßen spazierte. Briefkasten B. 5«. Sie können unmöglich eine Benach teiligung erleiden, weil 8 18 des Gewerbe-Unfall versicherungsgesetzes folgendes bestimmt: „Hinterläßt der Verstorbene Verwandte der aufsteigenden Linie, so wird ihnen, falls ihr Lebensunterhalt ganz oder überwiegend durch den Verstorbenen bestritten worden war, bis zum Wegfalle der Bedürftigkeit eine Rente von insgesamt 20 Prozent des Jahresarbeitsver dienstes gewährt." Wir fügen hinzu, daß die Unter stützung auch in Arbeitsleistungen, Natural- und sonstigen Leistungen bestehen kann. A . . Völlig ausgeschlossen, denn 8 80 des Krankenversicherungsgeses lautet: „Den Arbeitgebern ist untersagt, die Anwendung der Bestimmungen dieses Gesetzes zum Nachteile der Versicherten durch Verträge (mittels Reglements oder besonderer Ueber- einkunft) auszuschließen oder zu beschränken. Ver tragsbestimmungen, welche diesem Verbote zuwider laufen, haben keine rechtliche Wirkung." Verantwortlich für den redottionlüen Leit Otto Koch, für Anzeigen Emil Koch. Druck und Verlag von Gebrüder Koch in Lichtenstein,