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Lichtenstein - kattnbeM Tageblatt früher Wochen- und Nachrichtsblatt. 53. Jah<ga«g ' Beilage zu Nr. 296.Mittwoch, den 23. Dezember.1903. Aus Stadt und Laud Lichtenstein», 22. Dezember. *— Am Letzte«. Ein Tag wie jeder sonst und doch wieder welch ein andrer, dieser letzte im Monat. In der gierigsten Weise hatte die Ebbe in den vergangenen Tagen die letzten Silberlinge noch hinweggeschwemmt und alles bloßgelegt, bis hinein in die geheimsten Geheimfächer des Portemonnaies, wo zu Anfang des Monats, wenn die guten Vor sätze noch nicht wieder durch das schlechte Leben auf gehoben worden sind, die kleinen, runden Dinger chen aufbewahrt werden für Extraausgaben oder wohl gar als Grundstock für eine Sparkasseneinlage. Alle drese rotglänzenden Münzen, die so angenehm und verführerisch klingen, sind verschwunden und auch die letzten Fünfer und Skatpfennige sind aus den Westentaschen hervorgeholt worden, um dafür etwas Rauchstoff zu bekommen, es braucht ja nicht gerade eine Havanna zu fein. Da der Dezember die Weihnachtstage hat, ist in diesem Monat der Dalles besonders groß, denn die Geschenke für die Familie, Verwandte, Bräute usw. haben ein ge waltiges Loch in den Beutel gerissen. Nichts ist ge blieben, als die Gewißheit, daß, wie nach den Winterstürmen der Lenz kommen muß, so auch nach dem Letzten der Erste, und diese Gewißheit übt selbst auf den unverbesserlichen Pessimisten eine be ruhigende und versöhnende Wirkung aus. Wenn am Letzten die Laufburschen in den Bureaus und Kontoren das Frühstück einholen gehen, kommen sie zu vielen Herren, denen so eigentümlich zu Mute ist, daß sie nicht den geringsten Appetit haben und des halb für heute auf Frühstück verzichten wollen. Dann lächeln die kleinen Burschen verschmitzt, denn sie kennen das schon, daß vielen Herren an den letzten Tagen im Monat regelmäßig so eigentümlich zu Mute ist. Der Letzte ist so recht ein Tag zur Einkehr und Buße. Niemals dürfen mehr und bessere Vorsätze gefaßt werden, als am Letzten, und wenn nur ein ganz kleiner Teil davon ausgeführt würde, so müßten auf den städtischen Sparkassen und in den Bankhäusern ungeheuere Summen angesam melt werden, und die Pfandleiher müßten schnöde zu Grunde gehen. Zwar sind diese guten Vorsätze schon öfters gefaßt worden, aber das war eben früher, diesmal soll es ganz bestimmt anders kommen, man wird solide werden; aber ganz sicher. Hoffen wir es, wenn es auch nicht ganz wahrschein lich ist. *— Eine Hand wäscht die andere Freund los und freudlos durchs Leben zu gehen, ist eine große Strafe. Jeder Mensch hat das Bedürfnis, sich andern mitzuteilen; seine Leiden sind halb so groß, seine Freude doppelt, sobald sein Freund oder Bruder ihm Teilnahme zeigt. So ist ein Mensch auf den andern angewiesen. Freundschaft und Liebe, wie süß ist Ler Klang dieser beiden Worte! Wie hätte das Leben wohl Wert für uns, wenn es nicht von diesen Gottesgaben begleitet würde! „Eine Hand wäscht die andere", sagt ein altes Sprichwort. Dieses Sprüchwort sagt nichts anderes, als was das Gebot der christlichen Liebe gebietet. Doch sie, die christliche Liebe, beschränkt sich nicht auf den Freund und Bruder. Wenn deinen Feind hungert, so speise ihn und sammle feurige Kohlen auf sein Haupt. Es ist nichts Sonderliches, wenn wir unserem Freunde und Bruder aus der Not helfen, dies Gebot lehrt uns, unserm Feinde gleichen Dienst zu erweisen. Machen wir es uns zur Lebensaufgabe, jede Gelegen heit wahrzunehmen, einem Nächsten oder einem Feinde „die Hand zu waschen", so wird die Frucht dieser Handlungsweise nicht ausbleiben, wir werden mit Freuden wahrnehmen, daß wir hierdurch in ein innigeres Zusammenleben mit unseren Mitmenschen eingetreten sind. Der größte Feind kann uns nützen, der kleinste Feind aber kann uns schaden. Stadtdämchen, vom armen Ladenfräulein bis zur Baronesse und weiter, wie viele Minuten, ja Stunden möchte ich fast sagen, widmen sie dem Erzeuger und Förderer aller Eitelkeit, genannt Spiegel! Ist „Eitelkeit" wirklich eine im hohen Grade verwerfliche Untugend ? Ja I Denn sie ist die Verführerin zur Verschwendung, der Urgrund aller Herz- und Ge- mütlosigkeit, tötet die Arbeitslust, die edleren Schwingungen und Ziele der Seele und führt zum Müßiggänge, zur Hohlheit des Geistes und wie oft zum Laster! Sie ist eines der schlimmsten Uebel, das die weibliche Seele befallen kann, denn sie streist allen Schmerz, alle jugendliche, bezaubernde Natürlichkeit von Anmut ab! Und doch ein paar Worte seien zu Gunsten der „Eitelkeit" gesagt. Etwas „Gefallen" — ein häßliches Wort das, und darum besser gesagt, etwas Streben zu ge fallen möge Mann wie Frau besitzen, nicht um zu gefallen zu Glanz und Putz und kostbare Dinge, sondern durch Reinlichkeit, Ordnung und appetit liches Arrangement der Kleider, durch Pflege des Körpers und namentlich durch Pflege und Bildung des Geistes. Schon aus Rücksicht für unsere Neben - Menschen, die Gesellschaft, in der wir leben, sind wir es schuldig, uns gut, anständig, geschmackvoll zu kleiden, um die Augen, das ästhetische Gesicht unserer Mitwelt nicht zu verletzen. Eitelkeit bis d. - her ist am Platze! Sobald sie aber beginnt, si.) anszudehnen über luxuriöse Dinge, Schmuck, T, o rc, sobald sie beginnt, Tätigkeit, Fleiß und Uu G e zwungenheit hintenan zu setzen und Geziertheit u w die Sucht, aufzufallen, heroorzulreten aus der Meng , sobald sic erkauft wird mit Mitteln, die besser zum Lebensunterhalte oder dem Wohle der Menschheit benützt werden sollten, wird sie lächerlich, häßlich und verderblich l Schmückt euch, ja, denn es ist kein Unrecht, äußere Reize hervorzuheben oder zu erhöhen, aber bedenkt, daß das einfachste Blümchen des Feldes euch lieblicher macht wre Perlen und Edelsteine, bedenkt, daß ihr vernünftigen Menschen schöner und begehrenswerter erscheint, wenn ihr einfach, reinlich und zierlich seid und nicht in einer Takelage von Schmuck und Putz steif und kokett einherschreitet l jlmrMzcke fio8snti-ägep ttanäsekuke (rsflstten Ki'agensetionei' 8siline Illokep 6väov ^ie ciie ^rösRo ^uswabi iu äsr Saison! ZU oxtra billjAöv Urcison 1 «» 8peLl«1<H«8iI»Litt k. n. krnM. Eitelkeit O.-X. Welches junge Mädchen könnte auf Ehre und Gewissen von sich sagen, nicht, auch nicht ein klein wenig eitel zu sein, das heißt, nicht mit besonderer Liebe und der Vorfreude, gesehen und bewundert zu werden, ein neues Kleid anziehen, ein hübsches Hütchen auf die Haarwellen drücken, elegante Hand schuhe über die Finger streifen rc. ?? Welches? Wohl keines, denn selbst das an Arbeit gewöhnte und in größerer Einfachheit erzogene Landmädchen schlüpft an den Sonntagen froh und lächelnd in seiner! Putz und blickt in eitler Selbstgefälligkeit in den halberblindeten Spiegel. Und erst diese Namensverhunzuugeu O.-X Eine schreckliche Unsitte hat gegenwärtig über hand genommen, eine Unsitte, die jedem ethisch und ästhetisch veranlagten Menschen die tiefsten Bedenken einflößen -muß. Woher sie stammt, wissen wir nicht, kann uns auch gleichgültig sein. Wir rechnen nur mit der Tatsache, daß es in vielen Familien leider der Ge brauch geworden ist, die Namen der Kinder zu ver stümmeln, insbesondere die Mädchennamen, und zwar durch Ersetzen des letzten Buchstabens derselben oder gar der ganzen Silbe durch ein y. Wohin man hört, wenn Kinder gerufen werden, tönt einem die entsetzliche Verhunzungsmanier ans Ohr, die geradezu systcmathifch betrieben wird. Da gibt es keine Bertha, sondern eine Berthy. Für Lenchen sagt man Lenh, für Pauline: Pauly, für Hedwig: Hedy, für Martha: Marthy, für Anna: Anny, für Lina: Linny, für Klara: Klary, für Gertrud: Trudy, für Rosa: Rosy und so weiter und so weiter. So viele weibliche Vornamen die deutsche Sprache kennt, so viele Verunstaltungen gibt es auch durch das y, das schon dieses Grundes halber wert wäre, aus dem Alphabet entfernt zu werden. Ja, um alles in der Welt: Was >oll diese Mißge- staltung unserer schönen deutschen Namen nur bedeuten ? Die Eltern, Tanten und lieben Basen glauben, mit dem ominösen y den Kindern ein Zärtlichkeit zu erweisen — aber weit gefehlt: Diese Namensänderung fand man bis vor ca. einem Jahre nur bei Kellnerinnen und noch tiefer stehenden Mädchen, deren landläufige Bezeichnung wohl nicht erst genannt zu werden braucht. Deren Namen so umzumooeln, war und ist noch heutigen Tages gang und gäbe, überall da, wo die Sinnlichkeit zu Hause lst, hört man überhaupt keinen Namen ohne das ange- hangcne y. Ebenfalls macht man sich noch Hundenamen in dieser Weise zurecht. Damit hat's denn aber auch geschnappt. Daß die Kinder anständiger Leute mit solchen verschandelten Namen bedacht werden, ist skandalös und empörend. Denn ein auf y modifizierter Name schließt für einen anständigen Menschen die Kränkung seines Ehrgefühls ein, insofern, als die Benennung den Vorwurf der Unmoral enthält, oder doch zum mindesten Zweifel in die moralische Qualifikation des so Ange- rufencn setzt. Ganz toll aber ist es bei Knaben, wenn < an sie Roby ruft anstatt Robert, Fritzy anstatt Fritz, Hansy anstatt Hans rc. Da schweigt der Verstand der Ver- ständigen, denn hierin liegt, abgesehen von allem - n deren, noch eine nie und nimmer zu verstehende Verhäts ct elung. Soll man sich bei einer solchen Erziehungsmethode noch über die ständig wachsende Zunahme der Degenerierten wundern? Will man den Kindern zärtlich und kosend ent gegenkommen, dann hat unsere Sprache für die Silbe chen gesorgt und wie schön klingt Aennchen, Klärchen, Hänschen rc. Aber y entsetzlich I Humoristisches Zarter Wink. Fräulein Laura (das sehr viel Klavier übt und spielt): „ . . . Ach, besonders seit mich meine Schwester verlassen, ist mir das Klavierspielen eine Wohltat!" — Zimmernachbar: „ .. . Aber Fräulein . . ., Wohltaten soll man im stillen üben! Von der Schmiere. In einem Trauer spiel der ernstesten Szene bricht dasPublkikum in lautes Lachen aus. Da erhebt sich der sterbende Held und ruft wütend von der Bühne herab: Ihr Schafs köpfe, das ist doch ein Trauerspiel und keine Ko mödie!" („U. BI." Gewohnheit. Vagabund (der eben wegen Bettelns freigesprochen wurde, nach Entfernung des Gerichtshofs zum Publikum, das der Verhandlung beiwohnte, sich wendend): „Bitt' schön, eine kleine Gab' für einen armen unschuldig Freigesprochenen !" („N- Bl.") Lesefrüchte Das Leben ist ein Rätsel; jenseits der Grabestür wirst Du die Lösung finden. Der herbste Tadel läßt sich ertragen, wenn man suhlt, das; derjenige, welcher tadelt, lieber loben würde. Marie v. Ebner-Eschenbach. Wenn Gift und Galle die Welt Dir beut Und du möchtest dein Herz dir gesund bewahren: Mach andern Freude; Du wirft erfahren, Daß Freude freut. Frdr. Vischer. Nicht Kunst und Wissenschaft allein, Geduld will bei dem Werke sein; Ein stiller Geist ist jahrelang geschäftig, Die Zeit nur macht die seine Gährung kräftig. Göthe. Gleich und gleich gesellt sich gern, Wer Du bist zeigt dein Begleiter; Aus dem Knecht kennt man den Herrn, Ans der Fahne ihre Streiter. Was du billigst, noch so fern, Ist nach Tagen oder Wochen Dein, als ob du s selbst gesprochen. Franz Grillparzer' I>voss M MU. SW. Ludes-Mime Ziehung erster Klasse 11. u 12. Jan 1004 hat abzugeb. f. MM, »m. 4 H. iWI, WM».