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AWßeiii - MnbtM Tagtblaü srühei 1903. 2. Beilage zu Nr. 294. Wochen- und Nachrichtsblatt 2». Jahrqang — Sonntag, den 20. Dezember. Zeitgemäße Plauderei (Nachdruck verboten.! Lichten st ein, den 19 Dezember 1903. Er hatte wieder einmal seinen guten Tag, ja sogar seinen besten Tag, wie sehr viele Blätter be haupten, unser Reichskanzler Graf Biilow in der Reichstagssitzung am Donnerstag voriger Woche, deshalb auch die Kritik und die Freude an derselben bis in diese Tage hinein. Er ging erbarmungslos um mit dem alten Parteidiktator Bebel, der erst vorher in seiner Etatrede über alles, wie Finanznot, Soldatenmißhandlung, Rechtspflege, innere und äußere Politik, Militarismus, russische Judenver folgung rc. gesprochen hatte. Mit satyrischem Humor erklärte Graf Bülow, daß der sonst so geistesstarke Bebel bei all dem Vorgebrachten ganz und gar den Dresdner Parteitag vergessen habe, er wolle für ihn diese Vergeßlichkeit nachholen. Und nun ging es los I Unter dem fortwährenden Beifall des Hauses beleuchtete er m humorvoller Weise alle die Schwächen der sozialdemokratischen Partei, die sich so eklatant auf dem Parteitage herausgestellt Haven, gab Bebel das Wort „Hofschranzen" damit zurück, daß noch viel gefährlicher als diese die „Volksschranzen" seien, an denen es gleichfalls im deutschen Vaterlande nicht mangele. Bebel hielt wiederholt wie abwehrend die Hände gegen diese Zerpflückung empor, was er mit entsprechenden Zwischenrufen begleitete. Das hals aber alles nichts, der Kanzler hatte einmal seinen guten Tag und es folgte Schlag aus Schlag. Leb hafter Beifall, der sich sogar mit dem unparlamen tarischen Händeklatschen vermischte, war der Lohn für diese Humoristika. So war es den Genossen, mit welchen mit Rücksicht auf die Bebel'sche Etat rede die Tribünen stark überfüllt waren, vergönnt, einmal auch von dem ersten Beamten des Reiches aus ihre Parteibestrebnngen beleuchtet zu sehen. Auch in einer Sitzung des schwedischen Stor- thing fehlte es nicht an einer humoristischen Szene. Hier waren rs die Frauenrechtlerinnen, welche die Veranlassung dazu gaben, da ihr Antrag, Zulassung der Frauen zu allen politischen Wahlen, zur Be- ralung sland. Sie mußten ihrer Sache ziemlich ge wiß sein, diese Wasserstieflerinnen, denn der Präsi dent verlaß noch vor der Abstimmung ein Schreiben, in welchem sich diese schvn im voraus sür die An nahme ihres Antrages bedankten. Es war aber wieder einmal nichts, denn die jede freie weibliche Geisteseil richtung knechtenden männlichen Rivalen lehnten denselben einstimmig ab. Nun müssen vor läufig die armen Frauen bei Kochtopf und Schere ihre politischen Probleme weiter zu lösen suchen. Die Frauen verursachten in der letzten Zeit überhaupt allenthalben Kopfschmerzen. So auch dem Beherrscher aller Reußen, der ein energisches Veto gegen die beabsichtigte Verlobung des russischen Thronfolgers mit der vor nicht langer Zeit geschie denen Großherzogin von Hessen einlegen mußte. Die Ehescheidungen spielen in den höheren Kreisen jetzt wieder einmal eine große Rolle, wie zum Bei spiel diejenige eines adeligen Schriftstellers von gutem Namen in Dresden, der seinem Weibchen durch das ernste Arbeiten in seinem idealen Berufe nicht genügen konnte und es dieses deshalb vorzog, Mann und Kinder im Stiche lassend, mit einem Hausfreunde nach der Schweiz durchzugehen. Als der durch seine Frau katholisi erte Prinz von Schönburg- Waldenburg mußte in dieser Hinsicht sehr üble Er fahrungen machen. Hier soll es nach der einen Lebensart ein italienischer Offizier, nach der anderen sogar ein Kutscher sein, welcher die frühere spanische Prinzessin zu dem Ehebrüche veranlaßte. Gottlob faßt der hohe Gemahl diese Trennung sehr gemüt lich auf, denn nach übereinstimmenden Berichten der Blätter sind die beiden Eheleute unter der Ver sicherung der unwandelbaren gegenseitigen Freund schaft von einander geschieden, nachdem noch zuvor die Prinzessin notariell bekundet hatte, daß dem der Ehe entstammenden vor fünf Jahren gebornen Prinzen kein schönburgischeS Blut in den Adern fließe. Nun kann wenigstens kein zweiter Prozeß nach Kwilecki- Art entstehen und frei lebt die von ihrem Vater Don Carlos für tot erklärte Tochter recht lebens lustig in dem sonnigen Italien, in demselben Lande, wo ihre gleichfalls tot erklärte Schwester mit einem Maler das Dasein fristet. Ferner sieht sich Belgi ns König, der als gewandter Geschäftsmann bekannt ist, genötigt, den Gläubigern seiner Tochter, der in einer Nervenheilanstalt untergebrachten Prinzessin von Koburg, eineu Vergleich ' anzubieten, da die s-lben ihm wegen Bezabluna der sechs Millionen Schulden, w iche die Prinzessin mit ihrem ungarischen Leutnant seinerzeit machte, energisch auk den Leib rücken. Reebuel man hierzu noch die Damen aus der kleinen Garnison und Frau Doktor Lilli Braun, welch? sich als Tochter bereit finden ließ. Briefe ihres verdorbenen Vaters, des Generals v. Kretsch mann, aus dem. deutsch-französischen Kriege zu ver öffentlichen, die diesen, weil sie der Wahrheit nicht entsprechen, seh-- bloß stellen, so wird u an den Ausspruch für berechtigt finden, daß es die holde Weiblichkeit speziell aus den höheren Kreisen war, welche recht bedenkliche Kopfschmerzen verursachte, und in recht unlielnamer Weise von sich sprechen machte. Rustious Die mOW We m Wb les Ws» iü DmtiM-WMti MMns des WiMgki, des Kus» Gleich nach dem Zusammentritte der österreichischen und ungarischen Parlamentsdelegationen am 16. Dez. in Wien und nach der Ansprache des Kaisers an die selben hat der Minister Goluchowsky im Ausschüsse der ungarischen Delegation für auswärtige Angelegenheiten ein Exposee gegeben, welches als die bedeutenste offi zielle Erklärung über die europäische Lage, zumal in Hinblick auf die mazedonische Frage angesehen werden muß, die seit Jahr und Tag bekannt geworden ist. Der Minister Goluchowsky hat in seiner tatsächlich sehr sach lichen und treffenden Art und Weise alle Angelpunkte der europäischen Politik behandelt und Erklärungen ab gegeben, die jeden Friedens- und Kulturfrcund erfreuen müssen. Zunächst gedachte Graf Goluchowsky der Er neuerung des Dreibundes zwischen Deutschland, Oester reich-Ungarn und Italien als der festen Grundlage der Friedenspolitik dieser drei Länder, die nun seit einem Vierteljahrhundert tatsächlich Europa auch den Frieden erhalten haben. Der Dreibund entspreche auch vollstän dig den politischen Interessen Oesterreich Ungarns, da der Dreibund die Rechte und Pflichten gleichmäßig ver teile und jeder Macht die notige Bewegungsfreiheit lasse. Natürlich habe auch der Dreibund Widersacher, zumal bei solchen Leuten, die vor keiner noch so albernen Er- findnng zurnckschrccken. um ihren Wühlereien neue Nah rung zu schaffen. In diese Kategorie der Wühlereien gehört anch die Hexerei der irrcdcntistischen Kundgebun gen gegen Oesterreich in Italien, aber es sei, wie Graf Goluchowsky besonders betonte, ganz verfehlt, wenn mau diesen Hetzereien ein größeres Gewicht als hohlen De monstrationen bcimesscn wolle. Tic korrekte Haltung der italienischen Regierung in dieser Frage sorge ja auch dafür, die guten Beziehungen zwischen Italien und Oesterreich-Ungarn vor jeder Trübung zu bewahren. Freudig gedachte auch Graf Goluchowsky der Beziehun gen zu Rußland, die sich zu einem Vcrtraucnsvcrhält nisfe zwischen dem russischen Reiche und der österreich isch-ungarischen Monarchie gestaltet haben und der För derung des Friedens große Dienste leisteten. Diese habe sich hauptsächlich bei dem Ausbruche der Unruhen in Mazedonien gezeigt, zu deren Bekämpfung Rußland und Oesterreich-Ungarn auf Anregung der österreichisch-un garischen Regierung Hand in Hand gegangen seien. Großen Tank bat sich Graf Goluchowsky nun offenbar dadurch erworben, daß er über die Ursachen der unheil- vollcn Zustände in Mazedonien reinen Wein nach allen Leiten hin einschcnkte und das türkische Verwaltungs system als in jeder Hinsicht fehlerhaft und verderblich bezeichnete, aber auch die Forderung einer eigenen christ lichen Regierung sür Mazedonien als unannehmbar be zeichnete, da dadurch die türkische Bevölkerung unbedingt zum Aufstande gezwungen und ein großer Krieg auf der Balkanhaibinscl unvermeidlich geworden wäre. Um nun nicht diese gefährliche Frage dem langsam arbeiten den Apparat eines europäischen Konzertes zu überlassen, hätten sich Rußland und Oesterreich-Ungarn zunächst über die Behandlung der Frage verständigt, und dann von dein ernsten Streben geleitet, zugunsten der christ lichen Bevölkerung in Mazedonien eine Reihe von For derungen bei der türkischen Regierung durchzusetzen, dies auch schließlich bei dem Sultan erreicht. Diese For derungen seien auch schließlich von allen Signaturmäch- tcn gebilligt worden. Tie Durchführung dieser Forde rungen sei aber sehr schwierig, zumal derselben von der türkischen wie auch von der bulgarischen Regierung fort während Hindernisse bereitet würden. Rußland und Oesterreich-Ungarn, unterstützt von den übrigen Groß mächten, blieben aber in ihren Forderungen fest, und gelte es zumal die Türkei von ihrer geradezu selbst mörderische» Politik durch wirksame Ueberwachungs- maßrcgeln abzuhalten. Aber auch Bulgarien müsse wissen, daß cs kontrolliert werde, denn es habe bei der Bildung des Komitees der Ausständischen eine Lässigkeit gezeigt, die einer Unterstützung des Aufstandes in Ma zedonien gleichkäme. Auch der tragischen Ereignisse in Serbien und der leidenschaftlichen Ausfälle der radikalen serbischen Parteien gegenüber Oesterreich-Ungarn gedachte der Minister, hoffte aber, daß es dem neuen Könige, dessen Berufung auch Oesterreich-Ungarn seine Zustim mung gegeben habe, um in Serbien den Ausbruch einer Revolution zu verhindern, gelingen werde, die Zustände in Serbien zu reformieren. Weihnachten bei Fuchsens. Humoreske von I. v. d. Elm. (Nachdruck verboten) Gewöhnlich ist es der sehnlichste Wunsch einer i jeden Mutter, ihr Töchterchen unter dem Weihnachts- s bäume verlobt zu sehen — falls die teure Badereise, die diesem Zwecke dienen sollte, erfolglos verlaufen ist. In diesem Falle befand sich Frau Adele Fuchs, die mit Körperfülle ebenso reich gesegnet war, wie ihr Ehegatte, Herr Friedrich Fuchs, ein zur Ruhe gesetzter Maurermeister mit vergänglichem Silber und Gold und doch Thilde, ihr Töchterchen, kriegte keinen Mann und das kam so: Thilde gehörte zu jenen Idealen, die man Hopfenstangen nennt. Hübsch war sie auch nicht, geschweige denn schön zu nennen, allein dies ersetzte sie durch einen auffallenden Mangel an Geist. Infolgedessen fand sich kein reicher Freier für sie. Denn junge Leute aus reichem Hause haben leider die Wahl auch unter den Goldfischen. Sie brauchen nicht die Frau als lästige Zugabe zur Mit gift zu nehmen und können sich etwas aussuchen, was ihnen nebenbei auch gefällt, ^.o war denn die Queue, die sich um Fräulein Thilde gruppierte, zu sammengesetzt aus unbesoldeten Referendaren, armen Leutnants, Gymnasiallehrern, die da hofften, sich mit dem schwiegeroäterlichen Gclde habilitieren zu können, und sogar aus Glücksrittern aller Art, denen zwar ein „guter" Name und eine siebenpunktige Krone zur Seite standen, denen aber zugleich die Mittel zur Weiterführung ihres lockeren Lebens wandels nuszugehen begannen. Diese wurden von Herrn Friedrich Fuchs mit größter Promptheit an die Luft gesetzt. Tenn soweit er seiner „besseren" Hälfte auch den Willen ließ, so sehr sie sonst auch im Hause das Zepter schwang, — in diesem Punkte zeigte er ihr den Herrn. Er wollte keinen Habe nichts zumschwiegersohn — nicht zwar, daß er die, die nichts hatten, sonst aber bedeutend und tüchtig waren, gering geschätzt hätte — dazu war er gar nicht fähig, denn er hatte ja selber klein angefangen. Aber wer in aller Welt gab ihm denn die Garantie, dak solch ein Habenichts kein Lump war und sich bloß mit Herrn Friedrichs Gelde weich betten und dann gar- nichts mehr tun wollte? Vor der Hochzeit konnte man das nie wissen — und wenn wirklich einer diese Absicht nicht hatte, wer weiß, was aus ihm wurde, wenn er nicht mehr zu arbeiten brauchte? Da sich aber die Schar der vermögenslosen Anbeter dennnoch nicht verminderte, so verfiel er auf den genialen Gedanken, jedem, der überhaupt ins Haus kam, gleich im Laufe des Gesprächs zu sagen, daß seine Tochter zwar eine brillante Aussteuer mit be käme und daß ihr eine Hochzeit ausgerichtet werden würde, wie man sie seit Menschengedenken nicht gesehen habe — aber Bargeld bekäme sie keinen Pfennig. Das wirkte und bald war der Fuchs'sche Salon leer von dergleichen Parasiten. Nur einer ließ sich nicht abschrecken und das war Baron von der Hallstedt. Dreißig Jahre alt, ehemals Offizier gewesen, nicht reich, aber dock so vermögend, daß er ohne zu arbeiten, aber aucy ohne sich gerade allzusehr einzuschränken, leidlich anständig leben konnte. Er ging nicht, unterhielt mit seinem schlagfertigen Witz die ganze Familie, machte Thild- chen auch wohl gelegentlich den Hof — aber er er klärte sich weder der Tochter noch den Eltern. Er dachte, seine Saat werde schon relfen, wenn Thi!d- chen noch einige Jahre älter geworden sei. Eines Tages aber, als er bei seinen Gastfreunden sehr gut gegessen hatte, schickte man Thildchen hinaus, Papa Fuchs setzte dem Herrn Baron ungefähr zum zwanzigsten Male seine Grundsätze auseinander und sagte ibm zuletzt mit dürren Worten, er möge sich also nicht die geringste Hoffnung auf Thildchen