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WM» - WM v ÄOlai früher Wochen- und Nachrichtsblatt. - - — 5». Jahrgang —— 1 Beilage zu Nr. 294.Sonntag, den 20. Dezember.(903. Das Werk der Freude. Ein Stückchen Erlebnis aus der Vorbereitungszeit zum Weihnachtsseste. Von Friedrich Sieck. (Nachdruck verboten.) Es war ein kalter Dezembertag. Droben in der dritten Etage eines Hauses der Großherzoglichen Residenz sitzt im abgetragenen, aber doch vornehmen Kleide eine Frau am Nähtische. Wie bleich ist ihre Wange, wie die Rosen an den Fenstern, die seit mehreren Tagen schon nicht ausgctaut sind! Einst muß diese Frau schön gewesen sein und sie ist es noch, trotz ihrer Armut, deren eiskalte Hand die Blüten der Menschen lebend knickt und Jugend und Schönheit zu früh sonst raubt. Dann und wann, wenn ihre erstarrten Finger den Dienst versagen, blickt sie von der Arbeit auf und läßt den sorgen vollen Blick durch das Zimmer gleiten, dessen Ein> richtung auch noch von besseren Zeiten zu reden weiß, oder sonst auch gespannt auf den Atemzug ihrer Kleinen im Nebenzimmer, immer fürchtend, daß das eine oder andere erwachen könnte und nach Brot rufen — und ach I Wie groß auch die Not schon gewesen und wie manche Thräne auf ihrer Wange schon bei der grimmigen Kälte erstarrt sein mag, so hat die Verzweiflung, die so häufig im Ae- solge der Armut sich findet, doch noch keine Herr schaft über ihr Herz erlangt. Noch immer blickt ihr durch die Nacht der Sorgen der Stern der Hoffnung auf bessere Zeiten. Ein großes edles Menschenherz richtet sich an sich selbst aus und — die Not ver edelt große Herzen. Wenn sie in's Auge ihrer Kinder schaute bei der Verteilung des mageren Brotes, dann hatte sie für jedes ein Lächeln. Mutig rang sie sich los aus den Fesseln der Not und holte aus ihrem Herzen, aus dem tiefen Quell des Mutterherzens die Labe für ihre Kinder: das Glück im Mutterauge. Was schafft sie denn so emsig am Nähtisch? — Das Weihnachtsgeschenk für ihre Kleinen. Da sehen wir für den kleinen Albert ein Röckchen, geschmack voll hergestellt aus einem Rock des Vaters, ebenso sind das Höschen und die Pelzmütze aus alten Stoffen so reizend gefertigt, daß cs eine Lust ist. Weiter sehcn wir Puppenkleidchen für die beiden kleinen Mädchen. Aus alten längst zurückgelegten Stoffen so niedlich geschaffen, verziert mit allerlei Bändchen und Flitter, wie sie sie noch aus eigenerJugendzeit auf bewahrt, als habe sie geahnt, daß es eine Zeit geben könnte, wo Wertloses wertvoll werden kann. Wie freut sich das Mutterherz im Anblick dieser ärm lichen Sachen! Wohl ist alles ärmlich, wohl sind cs nur Lappen und Läppchen, aber Harmonie und Geschmack herrscht in der Zusammenstellung dieser Zeichen der Armut. Aber was vor allen Dingen das Weihnachtsgeschenk der Mutter den Kindern wertvoll machen wird, das sind — die unsichtbaren Zierden daran: Die Gebete und Tränen der Mutter — die Hoffnungen und Wünsche, die die erstarrten Finger mit hineingeflochten haben in das Weihnachts geschenk für ihre Kinder. Und wie werden sie glänzen, alle die Perlen, wenn erst der heilige Strahl des Weihnachtssternes auf sie herabfällt aus der lichten Engelwelt, wo sie gewiß erhört werden die Gebete, und die Tränen gezählt werden, die eine Mutter weint, wenn sie mit den Goldfäden der Liebe ihre Armut zum schönsten Reichtum im Auge der Unschuld aufzuputzen versteht. ; Auf der Treppe wurden Schritte vernehmbar. Schnell sprang sie auf und eilte auf die Tür zu, wo ihr Mann ihr entgegen trat. „Guten Abend, lieber Anton!" rief sie ihm freudig entgegen. ' Tonlos war sein Gegengruß. Stumm nur ' drückte er ihre dargebotene kalte Hand und brach dann auf einem Stuhl zusammen. - „Armer Mann, Du bist krank!" sprach sie leise ! fürchtend und blickte ihm besorgt in das bleiche Ge sicht, wo hinein die Hand der Sorge ihre geheim nisvollen Runen gezeichnet hatte. > «Ja, ja, mein Weibchen, ich bin krank —" ant- < wartete er tonlos. „Hoffnungsärmer als ich ging, kehre ich zurück und trauriger als je ist die Lage, in der ich Euch wieder finde. Ich sehe Euch leiden r und kann Euch nicht helfen ; ich sehe Euch im Elend i versinken und kann Euch nicht retten — das bricht « mir das Herz. Was fange ich an? — Was ant- ! warte ich meinen Kindern, wenn sie erwachen und < um Brot bitten? — der nächste Morgen verzehrt den Rest meiner Habe. — — Was dann ?" i „Dann hilft Gott weiter — verzage nicht! Nur wer den Glauben an sich selbst verliert, hat alles verloren." Sanft legte sie ihren Arm um seine Schulter und drückte sein sorgenschweres Haupt an . ihre Brust, wo fein Ohr ihren Herzschlag vernehmen konnte, der immer aufs neue ihm zurief: „Verzage nicht!" „Sieh nur, mein Anton, was ich alles für unsere Kleinen zum heiligen Feste vorbereitet habe!" rief sie freudig, die Tränen in ihrem Auge erstickend, und hielt ihm die Puppe entgegen. Er wagte nicht aufzusehen. — Ein namenloser Schmerz schnürte ihm die Brust zusammen — sein ganzes Elend stand vor ihm und eine gewaltige, erschütternde Sprache redeten die Lappen und Läpp chen — zum Weihnachtsgeschenk seiner Kinder. „Armes, armes Weibchen — " „Arm? — Wie sollte ich arm sein! Mein Mann ist Künstler, der das Höchste und Herrlichste in der Kunst zu schaffen versteht ". „Leonore!" Der Ruf klang wie ein Schrei — dann zuckte es wie Hohn über sein Antlitz. „Laß mich, mein Anton, laß mich! — Sind wir auch heute noch arm an irdischen Gütern, so sind wir doch reich an Hoffnung auf eine Zeit, die Dich aner kennen wird und muß, wie Du es verdienst, und in Deiner Anerkennung liegt unser Glück. Das Verdienst muß Dir werden; Du bist ein Maler, der nicht um sonst leben darf. Deine Kunst ist unser Vermögen, unser Reichtum." Sie hatte mit Begeisterung gesprochen, wies ihr ihr hoffendes Herz cingegeben. „Unser Vermögen besteht in einem Taler ." Sein Haupt sank müde auf die Brust herab. „Genug, dafür kann ich morgen Brot und Feuerung kaufen — dann — dann kommt ja das liebe Weih- nachtsfest, da wird der Weihnachtsengel uns gewiß nicht vergessen — — „Weihnachtssest — Weihnachtsengel!" Wie Hohn der Verzweiflung klangs. „Nicht so, mein Freund, auch der ärmste hat seinen Weihnachtsengel — und wir auch. Eine innere Stimme sagt es mir, die Hilfe ist uns näher als wir glauben." Ihre Stimme klang so sicher, daß er sie wie überrascht ansehen mußte. Es war, als wachse ein Trost in seine Seele hinein, als tauchte ein Hvffnungsstern über dem Dunkel seines Lebens auf, als er ihr in das edle Antlitz blickte, das wie vom Himmelslicht der Hoffnung verschönt und ver klärt schien. — „Sieh nur, mein Anton", sprach sie nach einer Pause, indem sie ihn sanft zu sich empor zog und in das Schlafzimmer ihrer Kleinen führte — „sieh nur, wie sie so süß schlummern, unsere lieben Kleinen! — Kannst Du aus ihrer engelreinen Stirn etwas von Sorge lesen?" Der Vater beugte sich auf die Kleinen herab und hauchte einen Kuß auf ihre Sirn. — — Ein Tränenstrom rann über die Wangen der Mutter, als sie die Tränen im Auge ihres Mannes gewahrte — die erste, die sie in seinem Auge je gesehen. — Sie schlug ihre Arme um seinen Hals und wie ein Gebet, das sich vom Herzen loslösen mutzte, klangen die Worte: „O, Menschen Herz, verzage nicht, So lang der Hoffnung Himmelslicht, Und wärs auch nur gleich Kerzenschein, Dir leuchtet in das Herz hinein!" „Mein liebes, mein mutiges Weibchen, Du gibst mir mich selbst zurück. An Deinem Herzen erstarkt mein Mut zum neuen Kampf für Dich und unsere Kinder!" Es verging ein Augenblick der aewechtesten Andacht und Stille, wo jedes Herz mit sich selber nur zu reden schien. — „Nun sage ja, mein Anton, sage ja und schicke Dein neuestes Gemälde in die Ausstellung! Lag ja, ich bitt Dich so sehr!" Die Not hatte ihn an sich selbst und seinen l Leistungen verzweifeln lassen, als er sich überall zurück gesetzt sah. : „Essei ." : „Hab' Dank, mein guter, nun wieder mutiger, ' lieber Mann!" — Glückselig hauchte sie einen Kuß ! auf seine Lippen. , Eine größere Menschengruppe, die soeben laut > und einstimmig ihre Bewunderung ausgedrückt hatte über ein schon viel besprochenes Gemälde, machte ehr- ' erbietig einer hohen, ältlichen Dame Platz, die in Begleitung ordengeschmückter Kavaliere aus einer anderen Abteilung der Kunstausstellung eintrat. ' ! Es war die Groherzogin, die Herrin des Landes» ' in Begleitung des Direktors der Kunstakademie und : zweier Hofkaouliere. Auch der hohen Dame fiel das ! Gemälde sofort auf. Sie trat vor das Kunstwerk hin und prüfte es mit Kennerblicken wohl eine halbe : Stunde lang, ehe sie ein Wort zu ihrer Um gebung sprach. „Ohne Zweifel wird die Jury diesem Gemälde den ersten Preis zuerkennen müssen, Herr Direktor, es ist meiner Meinung nach die Perle der Aus stellung." Wit diesen Worten wandte sie sich an den Direktor der Kunstausstellung. „Königliche Hoheit — ich — weiß nicht" — er widerte der Angeredete zögernd, als stimmte er der Ansicht der Großherzogin nicht so recht zu. „Was wissen Sie nicht, sprechen Sie sich aus; wir befinden uns hier in einer öffentlichen Aus stellung, wo e ine freie Kritik am Platze ist." „Sollten Königliche Hoheit nicht eine Vorliebe für die Landschastsstudien haben?" — Der kleine Direktor rückte etwas verlegen an seiner goldenen Brille, um seinen Unmut über die so frei geäußerte Ansicht der hohen Dame zu verbergen. „Möglich, Direktor",antwortete die Großherzogin etwas kurz, einen vielsagenden Blick auf den DireÜor werfend, „möglich, aber ich glaube kaum, daß die Vorliebe mein Urteilsvermögen beschränken kann." „Verzeihung, Königliche Hoheit, so war es nicht gemeint. Ich würde nicht wagen, an dem Urteil meiner gnädigen Gebieterin zu zweifeln." „Schon gut, Herr Direktor. Uebrigens bemerke ich Ihnen, daß es in der Kunstkritik kein Gebieterin gibt; da gilt allein das Urteil, das Urteil des Kenners — das vorurteilsfreie Urteil" setzte sie scharf betonend hinzu. „Von wem ist das Gemälde?" „Von einem gewissen Anton Waldau, König liche Hoheit." „Anton Waldau — —?" Die Großherzogin sann nach, als wollte sie in den Blättern der Er innerung diesen Namen suchen. „Anton Waldau von wo?" „Von vor hier — Königliche Hoheit." Die Antwort war zögernd Das Gesicht des Di rektors wurde merklich länger. „Anton Waldau von hier ?" wiederholte sie scharf, jedes Wort betonend. „Ich kenne den Künstler nicht. Warum ist der Künstler nicht bei Hof eingeführt? — Es ist doch bekannt, wie sehr mir daran gelegen ist, hervorragende Künstler meines Landes persönlich kennen zu lernen. Oder kennen Sie den Künstler auch nicht, Herr Direktor?" „Freilich, Königliche Hoheit, aber —" „Ich liebe nicht Ihr „Aber", Herr Direktor." „Ich wagte nicht, Ew. Königliche Hoheit auf Herrn Waldau aufmerksam zu machen, weil — weil der Künstler — mich auch nicht gesucht hat — — Waldau geht in der Kunst seine eigenen Wege — neue Wege. — Seine gesellschaftlichen Verhältnisse sollen infolgedessen etwas — zerrüttet sein." Der Direktor fühlte sich unbehaglich unter dem Richter spruch — dem strafenden — zerschmetternden. Er allein hatte Waldau unterdrückt und konnte nun gar rn die Lage kommen, ihn anerkennen zu müssen. Sich zu behaupten, fehlte ihm der Mut. „Herr Direktor! — Also deshalb nicht? Der Armut sind die Pforten zur Landesmutter stets ge öffnet. Gerade, weil der Künstler arm ist, verdient er des besonderen Schutzes der Landesmutter, denn die Armut, die schutzlose, ruiniert Künstler und Kunst. Aber ein großer Armer kommt nicht auf, wenn es keinen Reichen nicht gefällt. Gerade der Künstler, der seine eigenen, neuen Wege geht, geht die rechten Wege. Und seine Vorliebe »ür die eigenen neuen Wege erklärt auch seine Vergeßlichkeit, Sie aufzusuchen. Der Weg zu Ihnen, Herr Direk tor, dürfte schon sehr ausgetreten sein. Ich seye, ich werde nicht nach Wunsch bedient; da muß ich mich schon selbst besser unter den Meinigen umsehen, damit jeder seinen rechten Platz nach Verdienst finde." Kalt wandte sie sich ab, einen ihrer Kavaliere zurufend : „Herr Graf, ich möchte dieses Gemälde für meine Gallerte erwerben." Stand nicht hinter dem Herrn Direktor der Gräber mit dem Grabscheit in der Hand? Das Urteil der Jury* war gefallen. Anton Waldau war zu Hof besohlen.