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NWÄ-MbMUzM 1903. fiüher Wochen- und Nachrichtsblatt. 5». Jahrgang — 2. Beilage zu Nr. 276. Sonntag, den 29. November. Zum Advent Wiederum ein neues Kirchenjahr, und in ihm ein neues Kommen des gekommenen Heilands und Königs, ein neuer Schritt seinem künftigen glorreichen und herr lichen Kommen entgegen. „Herr gedenke an mich, wenn Du in Dein Reich kommst!" — diese Schächerbitte ist auch unsre Bitte: „Herr, gedenke mein, gedenke unser! Wenn Du im neuen Kirchenjahre wiederum Dein Volk besuchst, dann geh' auch an unserm Haus und Herzen nicht vorüber, kehre ein bei uns! und wenn Du einst kommst in Deiner Herrlichkeit und Dich als König offenbarst, dann reiche auch uns die Hand und mache uns zu Erben Deines Reichs!" Aber ist's denn wirklich wahr, daß das Reich unsres Gottes und Heilandes jetzt schon unter uns gegenwärtig ist? daß er unter uns ein Volk hat, dessen König er in der Tat und Wahrheit ist ? Viele leugnen es. So lange es noch in der Welt Starke, Gewaltige gäbe, die die Schwachen unterdrückten; Reiche, die in ungerecht erwor benem Reichtum schwelgten; Arme, die unter dem Druck un verdienter Armut seufzten; ungleiche Verteilung der Güter, Genüsse, Freuden und Lasten dieses Lebens — so lange wäre eS auch mit der Gegenwart des Reiches Gottes Nichts. Ein rechter Advent wäre erst dies, wenn man das Reich Gottes einmal im Großen einhersahren sähe; wenn der zur Rechten Gottes erhöhte Menschen sohn aus seinem verborgenen Walten hervorträte und im Weltleben, im Völkerleben, in den gesamten äußeren Verhältnissen etwas von seiner weltbezwingenden Macht und Herrlichkeit offenbarte, sodaß auch die Gleichgültigen und die Ungläubigen, die frechen Diener des Lasters und der Lästerung es spürten und merkten, erschräken und umkehrten; wenn Elend und Jammer, Not und Armut in der Welt, Zwist und Uneinigkeit, Krieg und Blut vergießen in der Christenheit aufhörten; wenn die Geistes gaben der apostolischen Zeit, die Wunder, die Kraaken- heilungen, die Weissagungen wieder erwachten. Allein all' diesen Gedanken und Wünschen liegt eine ungeduldige Verwechselung dessen, was das Reich Gottes einmal werden soll, mit dem zu Grunde, was es nach Gottes Willen und Ord nung jetzt ist und sein soll. Em Ende der Tage, welches der Vater seiner Macht vorbehalten hat, am Tage der Erscheinung des ersehnten Heilands in den Wolken des Himmels und im blutroten Schein des Firmaments — dann, aber nicht eher, wird das Reich Gottes in seiner vollen Kraft und Herrlichkeil erscheinen: Es wird kein Leid, kein Ge schrei, keine Schmerzen und kein Tod mehr sein, der heilige Geist wird wunderherrliche Gaben wirken, die ganze Christenheit wird Eine Herde unter Einem Hirten werden. Bis dahin jedoch bleibt's bei den Worten der Schrift: „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Geberden, es ist inwendig in euch; es ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist", und gilt die Adoentsbitte : Hosianna, Herr, hilf doch! schenke Liebe und neue Treue, neues Vertrauen und neue Geduld, bis wir Dich mit neuen Zungen loben bei Deiner herrlichen Wiederkunft! Die Rächevin Roman von Guido Heiberg. (2. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten. „Tun Sie doch nicht so, als wären Sie sonst an gebrochenem Herzen gestorben. Aber, was haben Sie gemacht, Sie böser — und zugleich unpraktischer Mann? — Wer?" „Das Feuerwerk geht seinem Ende entgegen. Ich höre die Klänge des Feuerzaubers — und ich habe nichts davon gesehen. Sie haben mich hier mit solchen Dingen seftgehalten. — Das war böse von Ihnen. — Aber meine Gnädigste." „Und so habe ich nichts davon gesehen — und mich daran zu hindern, war unpraktisch. Ich kann nun nichts davon erzählen und keine kolossale Re- klame dafür machen — aber nun entschuldigen Sie, daß ich dort weiter vorgehe, ich möchte von der wabrigwabernden Lohe doch noch etwas sehen. — Damit enteilte sie. „Kokette l" preßte Richard Keßler zwischen den Zähnen hindurch und gelangte, nachdem er den Seiten pfad durchschritten hatte, zu anderen Gruppe von zwei Herren, die sich angelegentlich mit einander zu unterhalten schienen. Der eine von Ihnen, ein sehr eleganter, hoch- »achsener Herr mit etwas mattem Lebemännergesicht, sah ihn kommen und rief ihm entgegen: „Du Richard, ich babe Herrn Luckhardt gebeten, mit uns noch eine Flasche zu leeren, wenn sich der Schwarm verlausen hat. — Es ist Dir doch recht?" „Aber gewiß, Erwin, wir haben doch noch so mancherlei zu reden." „Also in einer halben Stunde", entgegnete Erwin und wandte sich dann wieder zu seinem Bruder, „Du mußt nämlich wissen, Herr Luckhardt will sich noch ein wenig den Damen widmen." Luckhardt, ein großer, hübscher Mann mit blon dem Haar und gebräuntem Gesicht, nickte ihnen zu und trat dann wieder zu einer der jungen Damen, bei der er vorher gestanden. Sie war hoch und schlank gewachsen und ebenfalls blond. Ihre wunder vollen blauen Augen erschienen bei der eigenartigen Beleuchtung des Feuerwerks tief veilchenfarbig. „Nun, ist die wichtige Angelegenheit denn schon erledigt?" rief sie ihm entgegen. „Eine Verabredung, weiter nichts, meine Gnä digste, und nun lassen Sie mich wieder auf das zu rückkommen, wovon ich vorher sprach. Meine Ver hältnisse habe ich Ihnen auseinandergesetzt. Sie haben daraus hoffentlich ersehen, daß ich einer Frau wohl ein behagliches Heim, eine sorgenfreie Zukunft bieten kann. Und nun, mein Fräulein, o, Sie haben es sicher schon verraten — und ich kann auch nicht, wie sonst, in solchen Augenblicken üblich und wie mich mein Herz drängt, vor Ihnen auf die Kniee stürzen — denn der Garten ist voller Menschen —, so frage ich Sie: Wollen Sie es mit mir wagen?" Sie wurde zwar rot, aber sie sah nicht verlegen zu Boden oder zur Seite — nein, in kindlichem Vertrauen richtete sie ihre großen blauen Augensterne auf ihn und sagte weiter: „Ja, Herr Luckhardt — ich bin die Ihrige, hier meine Hand, aber da ich noch nicht mündig, so be darf ich zu einer Heirat mit Ihnen der Genehmigung meines Bruders Erwin, der mein Vormund ist. Sprechen Sie also auch noch, bitte, mit ihm." „O, Dank, tausend Dank, Bertha, meine Beriha", stammelte er und wollte ihre Hände an seine Lippen ziehen. „Nein Geliebter", sagte sie, „nicht -och, man sieht uns." „Du hast Recht, Liebste, und nachher gleich spreche ich mit Ermin. Da kommt ja Leutnant Bachner, ich lasse Dich in seiner Gesellschaft und sage den Meinigen Bescheid." Während dieser Unterredung befanden sich die jenigen, die Luckhardt als die Seinigen bezeichnet hatte, ganz in der Nähe des Teiches, wo man das Feuerwerk ganz aus der Nähe beobachten, jeden Ton der Musik vernehmen konnte. Die „Seinigen" waren eine alte Dame mit weißen Haaren, die wellig um die Schläfen gelegt waren, und ein blutjunges Mädelchen, zierlich und brünett, mit zartem, elfenbeinfarbigem Teint und großen träumerischen dunklen Augen. Sie stand jetzt hinter dem Gartenstuhl, auf welchem die Tante Platz genommen hatte, und sah zu einem ebenfalls jungen, aber auffallend hübschen Manne auf, dem eben der erste Flaum auf der Oberlippe sproßte. Seine grauen, ungemein klugen Augen waren auf das liebliche, zu ihm erhobene Antlitz gerichtet, als er ihr zuflüsterte: „Und, wenn ich wieder komme, mein verehrtes Fräulein — in einigen Jahren — werden Sie auch dann noch so liebenswürdig zu mir sein, wie jetzt?" „Aber Herr Keßler!" flüsterte sie zurück, „was meinen Sie?" Sie hätten ruhig noch weiter flüstern oder viel leicht gar leise reden dürfen, denn die Musik setzte jetzt gerade mit dem gewaltigen Feuerzauber ein. „O nein, Fräulein Hedwig, Sie — Sie sollen jetzt gar Nichts, wie könnte ich das jetzt verlangen? Wir sind ja berdenoch so unendlich jung, wir können eigentlich von dergleichen Sachen noch garnicht mit reden. Darum bitte ich Sie auch, mir ruhig zuzu hören, was ich Ihnen jetzt gestehen möchte, da ich morgen doch wieder abreisen muß. Ich habe Sie nur einige Male gesehen, allein der Eindruck, den Sie auf mich gemacht haben, ist ein unaus löschlicher — und ich weiß, daß mich Ihr Bild be gleiten wird immer und immer. Und im Gedenken an Sie werde ich die Kraft finden, alles zu über- winden, was sich mir entgegenstellen sollte auf meinem Wege zum Guten und zum Rechten. Ich liebe Sie von ganzem Herzen, so jung ich bin, weiß .ich dies, und ich frage Cie nicht, ob Sie mich wieder lieben, das würde Sie binden und das soll es nicht. Kommt, während ich fort bin, ein würdiger, vor trefflicher Mann, der Ihrer wert ist, dann sollen und müssen Sie ihn natürlich nehmen, wenn Ihr Herz für ihn spricht und Sie dürften sich nicht den Träumen hingeben, an einen jungen unbedeutenden Menschen, dessen ganzer Himmel Sie sind. Nur dies eine frage ich Sie und bitte, antworten Sie mir aufiichtig, wie es Ihnen ums Herz ist. Bin ich Ihnen nicht so gründlich zuwider, daß für später gar keine Hoffnung wäre, jemals Ihre Liebe zu er ringen ?" „O nein, Otto, Sie sind mir nicht zuwider, nicht im Geringsten, ja von allen —" „O, nicht weiter!" sagte er jetzt in seinem Ent zücken laut, daß die Tante sich erstaunt umsah. „Nicht weiter," fuhr er dann, sich zusammen nehmend, fort, „durste diese herrliche, gewaltige Musik auf uns eindringen, weil wir Pygmäen sonst die Gewalt dieser Tetanentöne nicht ertragen könnten." Sie hatte ihn verstanden und drückte seine Hand, bevor sie dieselbe losließ. Es war ein Wechsel auf die Zukunst. „Ich glaube, dort kommt Ihr Herr Bruder", sagte er und begann dann eine gleichgültige Unter haltung. „Meine Lieben", bemerkte jetzt Eugen Luckhardt zu den Seinen, „mir ist soeben eine liebenswürdige Einladung geworden, außerdem habe ich noch mit den Herren -cs Hauses eine wichtige Besprechung. Ihr gestattet deshalb wohl, daß ich Euch nachher zum Wagen geleite, aber erst später komme." Dagegen wandte keines etwas ein, denn es war eben nichts dagegen einzuwenden. Die Villa Luckhardt lag außerhalb der Stadt. Der Kutscher, der Portier, und wer sonst noch sich dort befand, war im Dienste des Besitzers, der mit den Seinen das Haus allein bewohnte. Abgesehen also davon, daß es Niemanden etwas anging, erfuhr auch kein Mensch davon, daß die beiden Damen nach zehn Uhr, freilich nur eine Viertelstunde nach zehn Uhr nach Hause kamen. 2. Der Schwarm hatte sich verlaufen. Tante Er nestine und Richard hatten die Honneurs gemacht, während Erwin ein behagliches Zimmer im Land hause musterte, wo einige vorzügliche Flaschen kalt gestellt und vielversprechende Zigarren auf bronzenen Rauchservicen prangten. „Anton", sagte er zu dem Diener, der ab und zu ging, „sage Herrn Luckhardt, wir lassen bitten, wenn er seine Damen an den Wagen begleitet Hal, und führe ihn dann hierher; und sage auch meinen Bruder, er möge sich beeilen." Der Diener enteilte und gleich darauf erschien auch Richard im traulichen Gemach. Beide Brüder sahen einander sehr ähnlich : dieselbe Art, das dunkel blonde Haar zu scheiteln, den Schnurrbart zu drehen, dieselbe Blässe der Gesichtsfarbe; aber der abgespannte Ausdruck in Erwins Gesicht war die Folge seiner stark ausgebildeten Lebemann-Allüren: Er war ver lebt. Richards Gesicht aber sah nicht minder schlaff aus, als das seines Bruder — aber das rührte von dem Uebermaß an Arbeit her, das auf seinen Schultern ruhte: er war abgelebt. Sein Blick war stumpf und glanzlos, wie es bei Bureaumenschen so häufig ist — Erwins Blick dagegen war verschleiert — wie bei Lebemännern. Und doch war er bislang die Seele des Geschäfts gewesen, der Organisator, der Mann mit den Ideen — Richard dagegen die Hand» die in saurer Arbeit diese Ideen ausführte. „Also ist alles ein und für allemal aus mit Rita? Was wolltest Du mir noch sagen, ehe der Langenberg zu uns trat?" „Es gibt weiter nichts zu sagen, Erwin", erwiderte Richard, sich unmutig in einen Sessel fallen lassend, „es war ein Korb in aller Form — ja noch mehr eigentlich." „Hm !" — Ihre Winke habe ich nicht verstehen wollen." — „Und hieltest doch an? So was tut man doch nicht." — „Ja, da ich wußte, was auf dem Spiele stand." — „Dann erst recht nicht, lieber Bruder, Du hast doch noch nicht ausgelernt." — „Doch wer keck ist ur d verwegen —" — „Der Geist mein Junge — der Geist — nicht der Buchstabe! Hier liegt die Entscheidung von Fall zu Fall und weißt Du wer am sichersten geht: . . . wem wenig dran gelegen — Scheinet, ob er reizt, ob rührt.. ." Man läßt einige Zeit, setzt sich in und wieder auf