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NGMUckWWM früher Wochen- nnd Nachrichtsblatt s 3. Jahrgang - - ' - - — Beilage zu Nr. 201.Sonntag, den 30. August.1903. Im Zick Zack dnrch -ie Woche. (Nachdruck verboten.) Lichtenstein, den 29. August 1903. Schon seit längerer Zeit beschäftigt sich im ganzen Sachsenlande die öffentliche Meinung sehr stark mit der Wahlrechtsfrage für unsern Landtag. Es herrschte schon seit Einführung daS jetzigen Dreiklassenwahl, systems nur eine Stimme, daß das Wahlgesetz von 1896, welches man mit Recht das schlechteste aller L estehenden nannte, über kurz oder lang eine Ab änderung erfahren müsse. Hierüber waren sich auch alle Parteien, die konservative mit eingerechnet, einig, und nur in Regierungskreisen wollte man bis vor kurzer Zeit nichts davon wissen. Nachdem aber auch hier in dieser Frage eine bessere Einsicht Platz ge> griffen hat, und.die Regierung ernstlich an eine Ab« änderung denkt, tauchen von ollen Seiten Verbesse- rungsvorschlägeauf.diemehroder weniger derBeachtung wert sind. Wie verlautet, soll die Regierung beab- sichtigen, den beiden Ständekammern einen Gesetz entwurf dahingehend zu unterbreiten, daß unter Beibehaltung der jetzigen Einteilung der Wähler in drei Klassen jede einzelne derselben in direkter Wahl, also ohne die bisherigen Wahlmänner, ihren Abge ordneten wählt. Obwohl hierdurch der Sozialdemo kratie von vornherein ein Drittel der gesamten Mandate sicher ist, da nach der politischen Lage unsres Landes die dritte Wählerklasse ausschließlich die Kandidaten diese» Partei mit großer Mehrheit wählen würde, so ist dieselbe doch gegen dieses System und schlägt das allgemeine gleiche direkte Wahlrecht vor, während die nationalliberale Partei dem Regierungsvorschlage freundlich gegenüber zu stehen scheint. In verschiedenen Kreisen, namentlich in denjenigen der Aerzte, macht sich die Forderung geltend, den künftigen Landtag nach Berufsständen zusarnmenzusetzen, um so eine gleiche Interessenver tretung der einzelnen Stände herbeizuführen. So annehmbar für den ersten Augenblick dieser Vorschlag erscheint, so stellen sich ihm doch auch wieder bedeu tende Schwierigkeiten, namentlich in Bezug auf die Einteilung der Berufszweige, entgegen. Des weiteren wird auch von verschiedenen Seiten dem Plural- Wahlsysten das Wort gesprochen, das in der Weise ausgeüvt werden soll, daß zunächst jedem Wähler die Abgabe einer Stimme unbedingt zusteht. Bei der Entrichtung eines jährlichen Steuer satzes von vielleicht 25 Mark steht ihm ohne weiteres die Abgabe einer zweiten Stimme zu. Auch der Bildungsgrad des Wählers soll demselben eine solche zusichern, ungefähr so, daß vielleicht vom Inhaber des Berechtigungsscheines zum Einjährig freiwilligen Militärdienst an, eine Stimme mehr ab gegeben werden darf, während ein akademisch Ge bildeter sogar das Recht zur Mehrabgabe von zwei Stimmen erhalten soll. Durch ein derartiges System könnte dann sehr oft der Fall eintreten, daß ein Industrieller, der sich durch Intelligenz und Schaffens kraft vom Arbeiter zu seiner Stellung emporge- fchwungen hat und dadurch Hunderte beschäftigt, mit nur zwei Stimmen zur Wahlurne tritt, während sein bei ihm beschäftigter Kommis über deren drei und sein Ingenieur gar über vier verfügt. Das würde zu Consequenzen führen, die diesen Vorschlag als von vornherein nicht durchführbar erscheinen lasten. Bei allen diesen Schwierigkeiten, die sich den ver schiedenen Wahlrechtsneuerunaen entgegenstellen, ist es leicht erklärlich, daß die Regierung die Verant wortung für die Einbringung einer solchen allein nicht übernehmen will, und deshalb beabsichtigt, eine Kommission einzuberufen, die mit ihr vereint die Vorbereitung eines diesbezüglichen Gesetzent wurfes vornehmen soll. Die Handelskammern haben hierzu ihre Hilfe angeboten, sind aber mit dem Hinweis, daß die Beratung nur in begrenztem Rahmen stattfinden solle, mit ihrem Anerbieten ab gewiesen worden. Dagegen verhalten sich wieder die konservative und auch die nationalliberale Partei ablehnend gegen diese Absicht der Regierung in der wohlweislichen Vorsicht, sich nicht vor einer Be ratung im Landtage die Hände zu binden. So liegt den Staatsleitern noch ein schweres Stück Arbeit ob, und es ist nur zu wünschen, daß es ihnen gelingen möge, ein Wahlgesetz zu finden, welches geeignet ist, die Unzufriedenheit, welche das jetzige allgemein in der breiten Maste des sächsischen Volkes hervorge rufen hat, zu beseitigen. Notwendig ist es dabei in erster Linie, daß damit auch eine Neueinteilung der Wahlkreise und namentlich eine Vermehrung der städtischen eintreten muß, denn seit dem Jahre 1868 haben sich die Verhätnisse in ganz Sachsen bedeutend verändert, da sich durch den in dustriellen Ausschwung der Schwerpunkt der Interessen von dem platten Lande nach den Städten durch be deutendes Anwachsen ihrer Einwohnerzahl verschoben hat. Eine Verteilung der Mandate auf 37 städtische und 45 ländliche Abgeordnete ist deshalb nicht mehr zeitgemäß, sondern wäre für die Zukunft sogar ungerecht. Aus diesem Grundt müßte aber auch zugleich eine Neuzusammensetzung der ersten Ständekammer mit in Vorschlag gebracht werden. Bei aller Achtung vor alten verbrieften Rechten ist es wohl den heutigen Zeitverhält- mssen nicht mehr entsprechend, daß zum Beispiel an der ersten Kammer 22 Rittergutsbesitzer beratend teilnehmen, während Handel, Industrie und Gewerbe in ihr sozu sagen nicht vertreten sind. Diesen Hauptfaktoren in unserm heutigen Staate muß entschieden mit Rechnung getragen werden, und das geschieht am besten dadurch, daß auch sie, die ihnen ernstlich zukommende Anzahl von festen Sitzen in der ersten Siändekammer erhalten. Ein Wiederfinden Episode aus der Schlacht bei Kulm. 30. August 1813. Von Herbert v. Ling. (Nachdruck verboten.) Der Tag war heiß, von klarblauem Himmel, der noch vor kurzem unendliche Regengüsse nieder gesandt hatte, brannte die Sonne in sengenden Strahlen. Heißer noch aber als die Sonne tobte die Schlacht. Vandamme bedrängte die Rusten, die ihm den Weg verlegten, mit seiner ganzen Macht. Heldenmütig hielten die Söhne aus dem Tale der Wolga und von den Ufern der Moska und Newa Stand. Leutnant v. Lindikoff kämpfte wie ein Ver zweifelter. Den rechten Arm trug er in der Binde, den Säbel führte er in der hocherhobenen Linken. Der Tschako war ihm längst vom Haupte geschossen und auch um den Kopf trug er einen Verband, unter dem das Blut unablässig hervorsickerte. „Kinder", sagte er jetzt, nachdem er mit seinem Zuge wieder einen vergeblichen Angriff auf einen von einer feindlichen Batterie besetzten Hügel unter nommen hatte, „Kinder, wir müssen, — wir müssen hinauf! Wir stehen auf dem äußersten rechten Flügel. — Gelingt es uns, die Batterie zu nehmen, so schaffen wir unserm Regiment Platz, den Feind zu umgehen. Hilfe muß kommen. Kundschaft ist uns doch geworden, daß die Preußen unter General von Kleist auf dem Abmarsch sind. Seht Ihr nicht, wie verzweifelt die Franzosen fechten — welche Be wegung in ihren Reihen? Wie es scheint, rüsten sie sich zu einem Vorstoß. Nun aber die Zähne auf einander und die Ohren steif und somit vorwärts auf den Feind I Hurrah I" Und mit lautem Hurrah stürzten ihm seine Kerls nach. Seine Augen leuchteten, er sühlt nicht den Schwerz seiner Wunden, die wie Feuer brannten, nicht das Feuer, das durch seine Adern tobte. Alles übertäubte seine glühende Kampfesbegeisterung. Sein fieberhaft glänzendes Auge sah nur die feind liche Batterie und über dieser in rosigen Wolken einen Genius, ihm mit den Augen winkend, in der erhobenen Rechten einen Lorbeerkranz, in der linken einen Palmzweig haltend. Und der Genius trug die geliebten Züge, die er kannte. „Marie I" flüsterte er — „Marie!" Da plötzlich ein Dröhnen, Donnern, Pfauchen, Pfeifen, ein Schwirren und Schmettern, wie wenn der Vesuv dort drunten im sonnigen Süden sein unterirdisches Grollen hören läßt und aus seinem unergründlichen Schlund einen Hagel glühenden Gesteins auswirft. Wie gemäht sanken die braven Kurländer unter dem vernichtenden Granatfeuer und als erster Führer ihr Leutnant v. Lindikoff. Ein Granatsplitter hatte ihn in die Brust getroffen. Seine Fnberphantasien entführten ihn der schmerzvollen Gegenwart, er war nicht mehr der kaiserlich-russische Offizier, sondern der einfache Kur ländische Edelmann aus deutschem Blute, der auf Breslaus hoher Schule den Wissenschaften oblag. Er sah sich in dem kleimn, gemütlichen Kreise, zu dem auch sein bester Freund Ferdinand v. ^Kalkstein gehörte. Und wieder wie damals reiste er mit diesem auf dessen Güter in Oberschlesien und wieder sah er sie, die von nun an sein ganzes Sein er füllen sollte, Marie von Kalkstein, Ferdinands siebzehnjährige, wunderschöne Schwester. Alle die unvergeßlich schönen Tage stiegen wieder vor seinem Geist auk, als er mit ihr in dem herrlichen, alten Park des alten Kalkstein'schen Schlosses wanderte, in heiterem und ernstem Gespräch — aber das Beste blieb ungesprochen, das sagte der Blick der Augen, der Druck der Hand Wieder standen jene unvergeßlichen Märztage vor seiner Seele, da der Preußenkönig sein Volk zu den Waffen rief und Ferdinand zu den ersten gehörte, der unter die Fahnen trat. Vater und Schwester kamen, um von Ferdinand Abschied zu nehmen und da hatte denn Alexander v. Lindikoff die Hände des schönen Mädchens in die Seinen ge nommen und hatte sie bittend gefragt: „Marie, werden Sie meiner gedenken in Not und Gefahr?" „Gehen Sie mit Gott", hatte sie unbefangen geantwortet, „meine Gebete werden stets mit Ihnen sein." Und so war er fröhlich davongezogen, wohin ihn die Pflicht rief. Die freundlichen Bilder wurden durch andere verdrängt und bald war es wieder Nacht vor seinem Geiste. * * Die bisher unerschütterlich stehenden Reihen der Franzosen gerieten plötzlich ins Wanken. Was war das dort auf jener Hügelkette — was blitzt da im Sonnenschein? Waffen — Waffen! Was wälzte sich da auf der Nollendorfer Landstraße heran im Rücken der Streitmacht Vandammes? Feindliche Kolonnen sind es, riesige Heeresmassen. Man kennt diesen eisernen, dröhnenden Schritt, diese straffen, präzisen Bewegungen — es sind Preußen! „Die Preußen in unserem Rücken!" Ein pa nischer Schreck ergriff die Franzosen, denn in der Front erneuert Prinz Eugen o Württemberg mit seinen tapferen Russen den Angriff. Schon wanken die Reiben des Feindes und nur die Batterie, die die braven Kurländer vernichtet hat, hält eisern stand. Rasch wirft sie Wall und Graben auf, wendet drei ihrer Geschütze gegen die Preußen und nun spenden die Geschosse auch dort Tod und Verderben. Da, nachdem preußische Infanterie den Angriff mehrfach erneuert hat, drängt sich ein wackerer Pionier durch die Reihen. Einen Pulversack trägt er in der einen, sein Gewehr in der andern Hand. „Bleibt einen Augenblick zurück, Kameraden!" ruft er den Infanteristen zu — „hier muß Luft ge schafft werden, komme es, wie es wolle!" Er dringt bis zu der Umwallung vor, wirft den Puloersack gegen den Erdwall und feuert fein Gewehr dagegen ab. Ein furchtbarer Krach, der Wall ist einige Meter breit wie wegrasiert, die Geschütze rollen ein paar Schritte zurück, in der Luft fliegen entsetzlich verbrannte menschliche Körper und die Batterie schweigt. Als der Rauch sich verzogen hatte, sahen die Preußen mit Jubel die Verwüstung. Ein Leut nant mit hochgeschwungenem Säbel stürmt durch die Bresche, die Seinen ihm nach, mit gewaltigem Hieb erlegt er den Batteriechef, der ihm, den Degen in der Faust, entgegentritt. Ein kleiner Fahnenjunker tut neben ihm Wunder der Tapferkeit und bald rst die Batterie in den Händen der Preußen. Sie kehren die Geschütze gegen den fliehenden Feind. „Wasser!" ertönt da vom Boden eine Stimme in erstickenden Lauten an die Ohren der Verfclger. Der Leutnant wendet sich dem Schalle zu und — hält mitten im Laufe inne. „Alexander!" ruft er und sinkt neben dem Ver wundeten nieder. Der reißt die Augen weit auf. „Kalkstein l — O — Du hier, mein Ferdinand?" „Alexander — Freund — bist Du's wirklich — welch Wiedersehen!" „Dem Himmel sei Dank — die Preußen — und ich sehe Dich noch einmal —" „Um Gott — Deine Wunden werden doch heilen?" „Für mich gibt's nur eine Heilung —! Doch — o — was macht Marie?" „Dort siehst Du sie — den kleinen Junker, dec daher stürmt. Läuft mir nach in's Feld der Ehre und schlägt sich wie der bravste Grenadier. Marie! Der Junker blickt sich um und tritt auf die Gruppe zu. „Marie!" „Alexander!" Er ergreift ihre Hände und will etwas sagen. Aber plötzlich wird sein Gesicht ganz gelblich, sein