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1VV3. Beilage z« Nr. 153. 5 3. Jahrgang Sonntag, den 5. Juli. Sein Geheimnis. Novellistische Skizze von Leo P. Eichel. (Nachdruck verboten.) Im Hause des Herrn Rechtsanwalt Bernburg herrschte Mißstimmung! Der Herr Rechtsanwalt liebte es, den Haustyrannen zu spielen und in dieser Eigenschaft machte er jetzt ein über das andere Mal Fiasko. Seine Frau fing nämlich an aufsässig zu werden, seine dreißig jährige, wunderhübsche Frau. Sie sagte immer, sie wisse etwas von ihm und das setzte ihn in Angst und Schrecken. Er war eine durch und durch moralische Natur — aber er hatte ein Geheimnis vor seiner Frau. Das war eine dunkle Geschichte: Ein Freund von ihm, der Kassierer bei einer Bank gewesen war, hatte umfangreiche Unter schlagungen begangen und war nach Amerika geflüchtet, Frau und ein vierjähriges Kind mittellos - wie man glaubte, zurücklassend. Ehe er die Flucht ergriff, hatte sich ihm sein Freund Weichert anvertraut und ihm von den unterschlagenen Geldern einen Teil anvertraut für sein Weib und sein Kind. „Wenn ich's meiner Frau da lasse, so werden sie mir's nehmen" hatte er gefleht — „nimm Du's und brings den Meinen monatsweise. Zwei Jahre kommen sie damit hin — und dann werde ich hoffentlich soviel haben, daß ich schicken kann — und ich werde schicken — verlaß Dich darauf — aber nicht an meine Frau — das könnte Verdacht erregen ! Dir werd ich's schicken — und des Namens Freemann werde ich mich bedienen drüben — ich nehme mir nur soviel mit, daß ich die Reise nach Westen bestreiten und mir dort eine Farm oder sonst etwas kaufen kann. Dann laß ich die Meinen kommen." In Bernburg hatte cs gekocht. Was sollte er tun? Sollte er den Verbrecher packen und der Gerechtigkeit überliefern? Dann kam Weichert ins Zuchthaus, seine Gläubiger hatten doch das Nachsehen, denn neunzehntel des unterschlagenen Geldes waren doch verspekuliert! und eine junge Frau und ein unschuldiges Kind standen dann ganz hilflos aus der Welt. So versprach ec denn dem ehemaligen Freunde den Willen zu tun und Weichert war hinausgestürmt durch die Nacht auf den Bahnhof. Er hatte vierzehn Tage Urlaub genommen und es so schlau eingerichtet, daß man die Unterschlagungen erst entdecken konnte, wenn er nach Ablauf seines Urlaubs nicht zurückkam. Während man ihn in Tirol glaubte, schwamm er auf dem Ozean, und als man sein Ver sprechen entdeckte und der Telegraph überall hin spielte, um ihn zu suchen, befand er sich auf dem Marsche nach Clondyke. Zwei Jahre blieb er auch für seinen Freund Bcrnburg verschollen — dann aber schickte er ihm Geld und schrieb, er sei vom Goldlande zurück, habe sich viel zusammen „gediggt," wolle sich nun eine Farm oder ein „duis6v688" kaufen, und, sobald sein Verbrechen ver jährt sei, Frau und Kind nachkommen lassen. Das war Herrn Bernburgs Geheimnis, das er ängstlich gehütet hatte — .denn wenn es herauskam, so verhaftete man Weichert in Amerika und ihn als Hehler hier. Nun war seit vierzehn Tagen seine Frau hinter die Sache gekommen — so schien es ihm wenigstens — denn sie sagte immer drohend, sie sei nun hinter seine Schliche gekommen. Es war furchtbar Peinlich! Was wußte sie denn nun? Wußte sie alles oder war sie nur dahinter gekommen, daß er an jedem Ersten zu Frau Weichert hiuging und ihr das Geld persönlich in's Haus trug? Denn nicht um alles in der Welt hätte er es in irgend einer Form der Post anvertraut! Und Frau Bernburg hütete sich, das Geheimnis preiszugeben! Ein Fächer und ein Spitzentaschcntuch in der Brüstiasche von ihres Mannes Paletot — das war doch mindestens verdächtig gewesen! Und wie schön es gewirkt hatte. Den Frühjahrshut und das Sommer» gackelt, welches er sonst immer erst nach Ostern zu be willigen pflegte — der Tyrann! — das hatte sie nun schon 8 Tage vor Palmsonntag erhalten! O — wie schön war es doch — den Tyrannen so unterzukriegen! Und da fiel ihr etwas anderes ein: Fritzchen mußte jetzt, elf Uhr — ja wohl aus der Schule kommen und sein Osterzeugnis mitbringen. Wie das wohl ausge fallen war? Der Junge war ein Ausbund von Klug heit und Fleiß — aber leider auch ein Ausbund an Ungezogenheit. Schon das vorige Quartal hatte man gedroht, man würde den elfjährigen nicht nach Quarta versetzen, wenn er nicht im Betragen gewaltige Fort schritte machte. Richtig — da ging die Korridorglocke — etwas schüchtern — das mutzte Fritz sein und offenbar hatte er kein gutes Gewissen. — Ja er wars. In der einen Hand das blaue Heft — in der anderen mehrere Palm kätzchen. „Mütterchen", sagte er mit dem vergeblichen Versuche, unbefangen zu scheinen, „ich habe Dir hier, einige Palmen mitgebr'cht — morgen ist ja Palm sonntag — ich weiß, Du magst die Dinger so sehr gern — und da —". „Komm her, mein Sohn, — die Palmen wirst Du nachher wohl besser gebrauchen können", sagte die Mutter ernst, und nun zeig mir mal Dein Zeugnis!" Na ja, da hatte mans. Betragen: verdiente oft schweren Tadel. Fleiß und Aufmerksamkeit: Vor zügliches — ebenso die meisten Leistungen I oder gar la. Aber dann die böse Bemerkung: Ist wegen seines ost sehr tadelnswerten Betragens nur be dingungsweise nach Quarta versetzt. „Sage mal, Fritz — wirst Du denn niemals anders werden?" „Ach Gott, Mamachen!" stammelte der Junge weinerlich, „sei Du man doch nicht auch gleich so. Das mit dem Schneeball ist ja auch dabei, ich hatte ihn ja'n bischen naß gemacht und Curt Plathow'n damit geworfen, daß er ein blaues Auge gekriegt hat — aber ich wollte ihn garnicht ins Auge treffen. Na und denn das, wo wir den alten Dr. Eichwald eine Nadel in den Polsterstuhl gesteckt haben und er sich reingesetzt und ihm die Spitze hinten drin sitzen geblieben ist im —". „Hör auf — ich habe vollkommen genug —". „Ja sieh mal, das ist eigentlich der Luz Weller gewesen — und ich habe ihn nur dabei geholfen —". „Ich kenne Dich, Spiegelberg! Nun paß mal a uf Wenn Papa kommt, giebst Du ihm die Kätzchen und ich schicke Dich dann fort, mit einer Bestellung, hülst Du?" Fritz hörte, was sonst garnicht seine Art war, er war sogar ganz Ohr! Als dann Papa nach einer Stunde aus dem Bureau kam, sprang Fritz sehr unbefangen auf ihn zu und rief : „Guten Tag, lieber Papa — hier habe ich Dir Kätzchenpalmen mitgebracht!" Des Vaters verdrießlicher Gesichtsausdruck machte einem halb erstaunten, halb mißtrauigen Zuge Platz als er sagte: „Danke mein Junge — und das Zeugnis?" „Das hat Mama", rief Fritz zuversichtlich, „Gleich Alfred, geb ich's Dir", warf die teure Gattin schnell ein, „Fritz Du kannst mal hinüber laufen zu Frau Werner und fragen, ob ich heute nachmittag zu ihr zur Anprobe kommen kann, sonst hat sie mein Kleid am Karfreitag noch nicht fertig!" Wiederum war Fritz ein Muster von Gehorsam, wiederum sah ihm der Vater mißtrauisch nach und dann empfing er aus den Händen seiner Gattin das Schulzeugnis seines Sohnes. Zunächst erfolgte ein Wutausbruch uud dann giftige Bemerkungen über schwächliche Weibererziehung. Frau Bernburg ließ ihn eine Weile gewähren, dann fragte sie scharf: „Bist Du nun fertig? Dann will ich Dir mal etwas sagen. Du wirst dem Jungen für diesmal verzeihen, nicht wahr?" ..Ich? Fällt mir nicht ein! Seine Haue kriegt er —" „Du — Alfred — Du weißt doch —". „Herr Gott — kommst Du mir denn schon wieder damit? Ja — ja" „Dein Ehrenwort? —" „Mein Ehrenwort —" und mißmutig setzte er sich in eine Ecke. „Nun", lenkte sienach einer Weile ein, „deshalb brauchst Du doch nicht gleich zu brummen, der Junge wird schon artig werden —" „Ach was — der dumme Junge — denke schon garnicht mehr an ihn —" „Nun — an was denn?" „Lächerliche Geschichte — und mir höchst unan genehm ! Mir fehlen die Beweisstücke in einem Ehe scheidungsprozeß, meiner Ansicht nach habe ich sie in meinem Schreibtisch geschlossen, aber ich kann sie nicht finden." „Was war es denn?" „Ein Spitzentaschentuch — gezeichnet E . . . " „E. T.?-" „Ganz recht", sagte er und stutzte ein wenig, „und ein bemalter Fächer — ein Amor, über eine Frühlingslandschaft dahinschwebend und darunter die Inschrift . . . Gott — wie wars doch —". „Meiner lieben Milly zum freundlichen An denken!" warf seine Frau rasch ein. „Richtig — aber woher weißt Du denn?" „Ach Gott — na — da hab ich mich ja schön verschnoppt!" „Tausend", fuhr er von seinem Sitze auf und aller Verdruß war aus seinem Gesichte verschwunden, „war das vielleicht das — weshalb Du mich be ständig gequält und gepeinigt hast? —" »Ja — das wars, nicht in Deinen Schreibtisch hast Du's verschlossen, in Deine Rocktasche hast Du's gesteckt." „Na — Gott sei Dank, daß es nichts weiter war! —" „Ja juble nur — nun kannst Du wieder den Brummbär spielen —". „Nein, nein Herz — wahrhaftig nicht — ich will mich ändern — bessern. —" „Versprich nicht soviel — aber halt, Du sagtest, daß es weiter nichts war. Also hast Du doch noch etwas zu verbergen? —" Da zog er sie auf seine Knie und erzählte ihr die Geschichte seines verbrecherischen, ehemaligen Freundes, erzählte ihr von einem armen, jungen Weibe und einem verlassenen Kinde und fragte sie, ob sie anders gehandelt hätte. „Nein", rief sie nnd schlang die Arme um seinen Hals — nein — nichts anders — Du Guter — Du Edler!" Fritz, der versuchen wollte, wie seine Aktien jetzt wohl ständen, trat ein und starrte verwundert auf die Gruppe. „Na komm her, mein Junge", rief Herr Bern burg seinem Sohne zu, der ihn noch ein wenig miß trauisch von der Seite ansah, nun versuch doch mal, ob Du nicht so artig sein kannst, wie Du klug und fleißig bist!" Er strich ihm durch das krause Haar und küßte ihn auf die Stirn. „Schade, daß es zu Johannes, Michaelis und Weihnachten nicht auch Palmkätzchen gibt!" dachte Fritz, während er die ungewohnte Liebkosung über sich ergehen ließ. Aus Stadt und Land Lichtenstein, 4 Juli. *—6 Hohenstein-Ernstthal, 1 Juli Die heutige Hohensteiner Konferenz hatte das beson dere Interesse, daß der neue Leipziger Professor Jhmels zum erstenmal vor einer größeren Anzahl Pastoren des Landes (etwa 120) seine Lehranschau ungen entwickelte. Er hatte sich das Thema „Gesetz und Evangelium" gewählt. Die intereffanien und scharfsinnigen Ausführungen legten dar, wie die Sinnesänderung, die sogenannte „Buße mit Lust und Liebe" zwar erst in denen zustande kommt, die den Glauben schon haben, und in ihnen bewirkt wird durch die frohe Botschaft von der freien Gnade Gottes in Christo Jesu, welche die Sünder selig macht, — wie aber die Ruße als Glaubensanfang durch das Gesetz gewirkt wird. Darum muß die Gesetzespredigt den Boden bereiten, in den der Same des Evangeliums fallen soll.Eoangeliumspredigt ohne Gesetz wird von natürlichen Menschen nicht verstanden. Gesetzespredigt ohne Evangelium treibt nicht zum Glau ben, sondern zur Verzweiflung. Gesetz und Evangelium sind nicht zu vermischen, sondern jedes in seiner Eigenart zu erfassen und miteinader zu predi gen, wobei das Gesetz stets der Anfang des Wegs, das Evangelium stets das Z'el bleibt. Ein zweiter Vortrag von Pastor Vogel in Lugau behandelte die Frage, wie das Verständnis für Kirchenzucht in den Gemeinden geweckt werden könne. Kirchenzucht, also das Ergreifen von Maßregeln zur Aufrechterhaltung kirchlicher Zucht und Sitte, ist dem Ideal nach Gemeindesache. Die Gemeinden der Gegenwart sind aber außer aller Uebung darin. Soll die Ausübung der Kirchenzucht durch Pastor und Kirchenvorstand nicht bloß als „schwarze Polizei" in der Gemeinde aufgefaßt werden, so muß die Er kenntnis von der Notwendigkeit der Kirchenzucht erst der ganzen Gemeinde nahegebracht werden. Die ältere Form (Abendmahlszucht) leidet an schwer fälliger Zucht und ist in großen Gemeinden nicht durchführbar. Die neuere Forni (Verfahren zur Ent ziehung der Ehrenrechte, Brautkranzregulatio und dergl.) betont zu einseitig die kirchlichen Gebräuche