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* Luise von ToScanaS Abreise aus Lindau hat vorgestern stattgefunden. Prinzessin Luise von Toscana ist vorgestern mit ihrer Tochter von Lindau über Romanshorn avgereist. Die Prinzessin begibt sich bekanntlich in eine südfranzösische Pension. *Ein ultramontaner Justizminister. Die „Tägl. Rundsch." erhält von zuverlässiger Seite die Mitteilung, daß dem Justizminister Schönstedt selbst Rücktrittsgedanken fern liegen, daß aber ultramontane Kreise ein gewisses Interesse daran haben, diesen übrigens mit Sicherheit zu erwartenden Rücktritt bald vollzogen zu sehen, indem kein anderer als der Führer des Zentrums, Reichsgerichtsrat I)r. Spahn, der sich der besonderen Gunst des Reichskanzlers erfreut, Aussicht haben solle, Len freiwerdenden Sessel emzunehmen. Tatsache sei jedenfalls, daß vr. Spahn in letzter Zeit im Justiz- ministerim ein- und ausgegavgen sei, zunächst um seinen Einfluß bei der Besetzung höherer Verwaltungsstellen für Gesinnungsgenossen geltend zu machen. Der ultra montane Einfluß ist ja heute, so bemerkt mit Recht die „Magd. Ztg." dazu, unzweifelhaft sehr groß, daß aber Herr I)r. Spahn schon für das Justizministerium reif sei, vermögen wir nicht zu glauben. * Zn der Frage der Anerkennung des Königs Peter von Serbien wird Deutschland den rrächstbeteiligten Mächten, Oesterreich-Ungarn und Rußland, den Vortritt lassen. Wird der neue König von diesen anerkannt, und daran ist wohl nicht zu zweifeln, dann wird Deutschland, das weiter keinen Wunsch Hal, als daß die Ruhe auf dem Balkan er halten bleibe, auch nichts gegen den neuen König haben und ihn anerkennen. Oesterreich. * Wien. Die hiesigen Zeitungen verhalten sich noch ziemlich reserviert über die Wahlresultate in Deutschland und konstatieren, daß das Zentrum doch aus dem Kampfe heroorgehe. Italien * In geregeltes Fahrwasser zu kommen scheint die Ministcrkrise in Italien. Zarnadelli hat den Auftrag zur Kabinettsbildung angenommen, feinem staatsmännischen Geschick und seiner Energie wird es hoffentlich gelingen, die italienische Politik so zu leiten, wie es für sie nutzbringend ist, ohne besondere Neube setzungen in den Miuistcrstellungen cintreten zu lassen. Frankreich. * Die französische Armee hat vorgestern eine bedenkliche Demonstration gegen die Kulturkampf- Politik des Kabinetts Combes veranstaltet. Das Kriegsgericht in Nantes hat den Leutnant Portier, Ler sich bei den Zwischenfällen aus Anlaß der Durch führung des Vereiusgcsetzes weigerte, an dem Dienste zur Aufrechterhaltung der Ordnung tctlzunehmen, einstimmig freigesprochcn. Man darf gespannt sein, wie das Kabinett Combes auf dieses Tendenzurteil reagieren wird. Denn daß Leutnant Portier nach dem Wortlaut und dem Geiste des Gesetzes wegen Gehorsamsverweigerung verurteilt werden mußte, liegt auf der Hand. Spanien * Ein großer Landarbeiterstreik brach finden spanischen Provinzen Sevilla und Cadiz aus, kurz vor der Ernte. Um die Lage noch zu ver schimmeln, legten in verschiedenen Städten die Maurer, Tischler, Buchdrucker und Schlosser die Arbeit nieder. Es wurde Militär aufgeboten. Serbien. * Belgrad. Wie mitgeteilt wird, beabsichtigt König Peter Ende nächster Woche in Belgrad ein- zutreffen. Die russische Gesandtschaft ist bereits mit der neuen Regierung in Verbindung getreten. — Nach einer anderen Meldung verlas gestern der Ministerpräsident in der Skupschtina das vom Zaren übermittelte Telegramm. Als der Ministerpräsident die Worte: Kaiser von Rußland sprach, erhob sich die Skupschtina und hörte das Telegramm stehend an. Gestern wurde den Vertretern der Presse ge stattet, den Konak zu besuchen, an dessen Wieder herstellung tüchtig gearbeitet wird. Aus Stadt und Land Lichteustei«, 18. Juni. * — Die Kirschenplantage auf der Rümpf ist bei der gestrigen Auktion von Herrn Carl Merkel aus Calluberg zum Preise von 526 Mark gepachtet worden. * — Die „Glauchauer Ztg." schreibt: Bei der Reichstagswahl wurde in einem Bezirke unseres Wahlkreises ein Stimmzettel abgegeben, welcher folgenden poetischen Erguß, den wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen, enthielt: Doktor Rumpelt, Ignaz Auer, Sieh'n heut Beide auf der Lauer. Mit Worten sind ja spät und srüh Die Herren wohlbecaten, Jedoch von Keinem hat noch nie Bemerkt man große Taten, Auch Keiner ist's Finanzqenie, Das uns Hilst auf die Dauer; Drum wähl' ich Doktor Rumpelt nie, Auch niemals Ignaz Auer. * — Trinkt kein Bier „vom Eis". Zahl reiche Fälle von Magenbeschwerden, insbesondere aber viele Fälle von Herzschlag, sind, wie bei den jetzt so häufigen Füllen dieser Todesursache in Er innerung gebracht sein mag, ausschließlich auf den Genuß von kaltem Bier zurückzuführen. Die Ur sache hiervon liegt hauptsächlich darin, daß das Bier gewöhnlich auf Eis gelagert und bis auf nur wenige, gewöhnlich vier Grad abgekühlt wird, wäh rend es früher durchschnittlich eine Temperatur von zehn und mehr Grad Celsius hatte. Tausende aber haben sich auch schon den Magen verdorben durch den unvorsichtigen, überreichlichen raschen Genuß von zu kaltem Wasser, wenn der Magen vorher leer oder sonst nicht in Ordnung war und man sich dann nicht rasch Bewegung machte oder etwas dazu aß. Viel schlimmer aber als zu kaltes Wasser ist zu kaltes Vier. Viele Menschen trinken gerade das recht kalte Bier gern und ahnen nicht, welches Un heil dasselbe in ihrein Organismus, zumal im Magen anrichten kann, und wie vielen es sich sozu sagen aufs Herz geschlagen hat. Je rascher ein sol ches Bier getrunken wird, desto schädlicher ist es in seinen Wirkungen. *— Wie gestaltet sich das Wetter in den nächsten Tagen? Diese Krage ist in der warmen Jahreszeit stets eine sehr wichtige und nicht nur der Landmann, dessen Wohl und Wehe ja völlig von der Witterung abhängt, sondern auch der Sommer frischler und der Städter (letzterer speziell am Sonn abend) beschäftigt sich gar angelegentlich damit, auf Grund eigener Beobachtung den Versuch zu einer Wetterprognose zu machen. In erster Linie verstehen sich natürlich die Landbewohner auf allerlei Vor zeichen für das Welter, die häufig zutreffen, jedoch nur wenig bekannt sind und in den Augen der wissenschaftlich gebildeten Meteorologen keine Beach tung haben. So weiß zum Beispiel jeder Landmann : Wenn die Sonne heiter untergeht, geht sie heiter auf; wenn der Mond weiß leuchtet, wenn die Milch straße abends recht deutlich zu sehen ist, wenn die Eulen nachts schreien, die Feldmäuse am Abend lustig herumlaufen, wenn die Wolken morgens oder abends von West nach Ost ziehen, die Kerzen ruhig brennen, der Rauch des Schornsteins zum Himmel steigt, die Mücken nach Sonnenuntergang noch lustig tanzen — dann kommt Sonnenschein. Wind verkünden uns der rotaufgehende Mond und die rote Sonne, wenn Sonnengewebe herumfliegen, die Sterne schießen. Liegt der Froschlaich im Wasser, so gibt es einen trockenen, liegt er am Ufer, einen feuchten Sommer. Die Spinne aber ist die treffliche Wetter» Prophetin, besser und sicherer als das Barometer und sagt das so viele Tage voraus, waS letzterer nur so viele Stunden voraussagt. Spinnt sie recht lange Fäden, so darf man auf zehn bis vierzehn Tage schön Wetter rechnen, spinnt sie garnicht, ver steckt sie sich und zeigt uns den Rücken, so kommt sicher Wind und Regen. *— Bon der sächsischen LandeSlotterie. Die Ziehung der 1. Klasse der nächsten 144. König!. Sächs. Landeslotterie findet am 6. und 7. Juli statt. Dresden. Bei den Hauptwahlen im König reich Sachsen erhielten, den „Dresd. N. N." zufolge, die Sozialdemokraten allein 100 000 Stimmen mehr als alle übrigen Parteien zusammen. Den Wünschen der Leipziger Aerzte bezüglich der Honorare für die Praxis in der Ortskrankenkasse soll nach Möglichkeit entsprochen werden, sodaß vor aussichtlich eine kleine Erhöhung der MitgliedS- beiträge eintreten wird, um die erforderlichen Mittel zu schaffen. Leipzig. Als eine Warnung für Steuerhinter zieher mag gelten, daß der Privatmann G. vom hiesigen Landgericht zu 740 Mark Geldstrafe verurteilt wurde, weil er in zwei aufeinanderfolgenden Jahren Mk. 90,00 und Mk. 94,40 Steuer hinterzogen hatte durch un richtige Angaben über sein Einkommen. Der Zwickauer Stadlkasse sind auf das Vorjahr 183,142 Mark 93 Pfg. Kohlcnzehntcn vom Kohlenabbau unter städtischen Grundstücken zugeflosscn, während im diesjährigen Hanshaltplan nur 175,000 Mark vorgesehen waren. Der Ueberschuß an 8142 Mark 93 Pfg- soll dem Zehntensonds zugewicscn werden. Freiberg. Am 15. d. M. abends verunglückten auf dem Bahnhof drei Rangierer bei Ausübung ihres Dienstes, wobei einer sofort tot auf dem Platze blieb, während die beiden andern schwer verletzt aufgehoben und in das Krankenhaus überführt wurden. An ihrem Auskommen wird gezweifelt. Einsiedel. Die in der hiesigen Oberförstern be dienstete 19jährige Martha Straube verunglückte in ent setzlicher Weise dadurch, daß beim Nachgicßcn von Spiritus in die Kochmaschme die Flasche explodierte, wodurch das Mäochcn derart schwere Verbrennungen des Gesichtes und des Haupthaares erlitt, daß die Aerzte an dem Wiederauskommen der Verunglückten zweifeln. Bärenstein. Ein schrecklicher Unglücksfall hat sich in der benachbarten böhmischen Grenzstadt Weipert ereignet. Dort war ein etwa 12 Jahre alter Knabe als Dreher eines Karussells beschäftigt. Er geriet hierbei in das Räderwerk, wobei ihm der Kopf vollständig vom Rumpfe getrennt wurde. Bautzen. Der König hat der Tochter des Oberbürgermeisters Dr. Käubler, Fräulein Frida Käubler, eine goldene Brosche mit Namenszug und Krone, sowie dem Töchterchen des Stadtkassierers Zimmermann hierselbst, Margarete Zimmermann, ein goldenes Kreuz mit Kettchen, Namenszug und Krone, zur Erinnerung als Geschenk überreichen lassen. Jede der Damen hat dem Könige gelegent lich seiner Reise in die Lausitz beim Empfange einen Rosenstrauß überreicht. Das Geheimnis der alten Bettuscha Roman aus Rußlands jüngster Vergangenheit. Von Julius Berger. (Nachdruck verboten.) (2. Fortsetzung.) „An mir solls nimmer liegen, meine Herren," be- teuerte der Inspektor. „Und nun ein anderes Thema, Papa," unter- Lrach Gräfin Zeluscha die bisherige Unterhaltung, „Mama und ich möchten doch auch gerne etwas davon haben. Herr Wladschinsky hat gewiß in Petersburg recht oft das Theater und die Konzerte besucht und wird vielleicht so liebenswürdig sein, uns hierüber etwas zu erzählen. Ach Gott, in unserer Einsamkeit steht und hört man nichts von Ler großen, schönen Welt, von der edlen Kunst!" Die Sprecherin dieser Worte war eine soeben erst erblüte Blume. Zu der Schönheit ihrer Mutter hatte sie die stattliche Figur geerbt, die den Grafen von Sarin bereits von Alters her eigen war. Eine ausgeprägte Brünette mit feurig-schwarzem Auge und vollen, eleganten Formen, besaß Gräfin Zeluscha in ihrem Wesen ein Etwas, das Jedermann bezauberte, Ler irgend Gelegenheit hatte, sie näher kennen zu lernen. „Meine Gnädigste," antwortete ihr Wladschinsky frei und offen, „wenn ich selbstredend auch für Theater und Musik, überhaupt für die Kunst, schwärme, so ließen es andererseits meine Studien nicht zu, daß ich die Stätten der schönen Künste allzuhäufig besuchte. Zudem kann ich ja sagen, denn Offenheit schändet nicht, fehlte «s mir an Mitteln, der Kunst nach oieser Richtung hin erhebliche Opfer zu bringen. Meine Mutter . . ." „Ach ja," unterbrach der Graf etwas unvermittelt, «Ihre Mutter, Herr Wladschinsky, befindet sich doch wobt?- „Ich danke, ja, Herr Graf," antwortete der Inspektor ihm, „nachdem sie vor etwa 2 Jahren eme böse Krankheit überstanden, welche sie nahe an des Grabes Rand gebracht, scheint es ja, als ob sie ihre frühere Gesundheit wieder hätte." „Wladschu, kennst Du Herrn Wladschinskys Mutter, weilDu Dich nach ihremBefinden erkundigst?" fragte inzwischen die Gräfin ihren Gatten. Gleichsam mit einer Verlegenheit kämpfend, die jedoch von niemanden der am Tische Sitzenden be achtet worden war, sagte der Graf leichthin: „Ober flächlich, ja! Vor etwa 2 Jahren, als ich in Peters burg war, kam ich mit einem meiner intimsten Studieugenossen in das Haus und lernte da Herrn Wladschinsky und seine Mutter kennen. Sie erinnern sich doch wohl noch, Herr Inspektor?" „O, sehr genau, Herr Graf," antwortete der Ge fragte, „damals gerade war meine Mutter so totkrank und Herr Graf war so edel und gut . . ." Ihn schnell unterbrechend, fuhr der Graf lebhaft fort: „Ganz recht, ich erfuhr von meinem Intimus, der sich für Sie ja ganz speziell interessierte und dem Sie ja wohl die Gelegenheit Ihres Studiums verdanken, von der Krankheit Ihrer Mutter. Und da ich mit meinem Intimus, Ihrem Gönner, schon zu jener Zeit die Eventualität ins Auge gefaßt hatte, für meinen Sohn einen tüchtigen Lehrer, für mein Gut einen tüchtigen Inspektor zu engagieren und von ihm auf Sie aufmerksam gemacht worden war, nahm ich damals Gelegenheit, Sie aufzusuchen. Da her datiert unsere geistige flüchtige Bekanntschaft." „So ist es," ergänzte der Inspektor den Grafen, der sehr eifrig gesprochen hatte. „Meine arme Mutter war also nicht in der Lage, mir zum Be suche nobler Kunstinstitute die Mittel zukommen zu laff-n," nahm der Inspektor den Faden des Ge spräches wieder aus; „aber mit einem Studiengeuossen bin ich doch ab und zu in das Theater, in das Konzert und in verschiedene Kunstsammlungen ge kommen." „Ihre Frau Mutter ist Witwe, Herr Inspektor," fragte die Gräfin. „Jawohl, gnädige Frau" antwortete Wlad schinsky artig, „schon sehr, sehr viele Jahre. Ich habe meinen Vater gar nicht gekannt. Wie meine gute Mutter mir erzählte, hatte sie in großer Liebe an meinem Vater gehangen, aber nur in kurzem Glück mit ihm zusammengelebt. Er starb, als ich noch ein ganz kleiner Bursche war. Ein weitläufiger Verwandter von uns, der ehelos geblieben, aber in sehr guten Verhältnissen lebt, hat an mir sozusagen Vaterstelle vertreten. Er ist Professor an der Peters burger Universität und ja wohl derselbe Herr, dessen Herr Graf eben zu erwähnen beliebten." „Derselbe, jawohl, mein Intimus," bekräftigte der Graf. So floß denn nun die Unterhaltung in an regendster Weise hin ; Gräfin Zeluscha war sich dessen bald inne geworden, daß sie vorhin mit ihrer Seiten frage über Theater und Kunst in ein Fahrwasser ge lenkt hatte, das am Ende dem Inspektor unange nehm geworden war, indem die Erinnerung an die vaterlose Zeit seines Lebens, an sein abhängiges Verhältnis von seinem Gönner, an die Krankheit seiner Mutter wachgerufen worden war. Sie gab sich in der Folge alle Mühe, ihr unbeabsichtigtes Versehen wieder gut zu machen, wußte allerliebst zn plaudern und von allem Möglichen zu reden. Die Gräfin erst machte der Unterhaltung ein Ende. (Fortsetzung folgt.)