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sie auch! Dieser Konflikt drohte Leska'S seelische Kräfte zu verwirren, und um einer Katastrophe zu entgehen, eilte sie hinaus in den Park nach der dunNen Tannen hecke, ihrem Lieblingsplatze. Dort sank sie auf die Rasen- bank und ließ ihren Tränen freien Lauf. O hätten sie sich doch nie wieder gesehen, dann hätte LeSka mit der Zeit den Jugendtraum der ersten Liebe, wenn auch nicht vergessen, so doch wohl überwunden! Jetzt aber mit ihm Aar unter einem Dache wohnen und täglich ihn sehen, ihn sprechen, da standhaft zu bleiben, dazu gehörte doch wohl eine andere Natur, wie die ihre. Sie war keine griechische Heldin, keine Anti- pone, kein Hero, sondern ein Kind der Gegenwart mit all den Fehlern und Schwächen der meisten Menschen. Versucht hatte sie es ja groß, tapfer und selbstlos zu sein, ihrem Mann gegenüber damals an jenem Abend an der Eliasquelle, und auch Adloff gegenüber hatte sie sich zu beherrschen gewußt. Nun aber war sie mit ihrer Kraft zu Ende, und wäre sie noch länger in dem Krankenzimmer geblieben, hätte sie ihre aufsteigenden Tränen wohl kaum noch zurückhalten können, ja wohl aar in ein herzzerreißendes Schluchzen gefallen. Nun saß sie hier unter den Tannen, gleich einem verirrten Kinde. Wenn jetzt Martina ihre Hand ergriffen, ihr gesagt, ich will dich führen und leiten, da hätte sie wohl nochmals Mut und Kraft gefunden, dieses Leben weiter zu tragen, so war Leska aber dem Verzweifeln nahe. Es nahte auch eine Dame sich der unglücklichen jungen Frau, aber es war nicht Martina. „In Tränen, Frau Brandhorst!" tönte plötzlich Elsa Bergers Stimme an Leskas Ohr, „und rch dachte und hoffte eine glückstrahlende Frau zu finden. Der Geliebte ist in Ihrem Hause, Sie dürfen ihn sogar pflegen. Besser konnte das Schicksal cs doch garnicht fügen. Und nun sehe ich Tränen ! Da wage ich ja gar nicht mehr von dem übergroßen Glück zu reden." Fragend sah Leska sie an. Uebergroßes Glück ? Gab es denn das überhaupt auf dieser Welt? „Heinz Brandt hat geschrieben," fuhr Elsa fort, „nannte ich Ihnen seinen Namen schon? Wohl kaum. Nun er ist cs, der mich die wahre Liebe kennen lernte, damals in Italien. Er ruft mich jetzt als seme Braut. Alle Hindernisse sind beseitigt. Morgen tnfft er schon hier ein. Unsere Hochzeit soll bei einer Tante meines Bräutigams in Breslau stattfinden. Im Fluge bin ich hierher geeilt, um Ihnen wenigstens Lebewohl zu sagen, die Einzige hier, die mich und meine Liebe verstehk. Mögen die Andern alle hinter mir her lästern, das soll mich nicht kümmern. Was verstehn diese Hordenmenschen hier von einer großen, alles bezwingenden Liebschaft. O fort, fort aus diesen öden Kreisen, der Gedanke fort zu kommen allein ist schon belebend, beseligend. Könnten Sie mit uns fort, mit ihm, wir Menschenkinder hätten dann ihr Glück dem Schicksal abgetrotzt!" Leska schüttelte resigniert den Kopf und wies die Versucherin mit den Worten ab: „Adloff würde solche Gedanken mit Entrüstung von sich weisen. Er wird nie etwas tun, was die Welt verdammen muß. Er ist fertig mit der Liebe, seine Kunst ist ihm alles!" „Aber grade der Künstler bedarf einer großen, wahren Liebe, feine Natur mutz sich auch in dieser Hin sicht voll ausleben," fuhr Elsa beredt fort. „Die In- spirationen, welche die Liebe hervorruft, das sind die heiligsten, die schönsten," pflegte Heinz oft zu sagen. „Sein Bild „Weltverlassen," das er damals auf Capri gemalt, fand ungeteilten V. "all. Der Entwurf war ja nicht neu, nicht originell, a^er wie er ihn ausgesührt, das war so schön, so eigenartig. Die graue Färbung des wild bewegten Meeres, >i mklcr Felsmassen, das ist alles so stimmungsvoll, so packend. Dazu nun die Frauengestalt, an einen Felsen gelehnt, mit todestraurigen Augen starrr sie hinaus auf das Meer. Alles an ihr, ihre Haltung, jeder Zug des blassen Gesichts drückt es aus, daß sie ganz einsam, ganz verlassen dasteht in dem weiten Weltgetriebe. Als Gegenstück wollte Heinz mich malen und „Weltfroh" sollte das Bild genannt werden." „Weltfroh", sagte Leska sinnend vor sich hin. „Würde sie es jemals wieder werden?" Einst war sie es auch gewesen in der Heimat, damals wo sie Tausendschönchen im Haar und ein weißes Kleid trug. O des großen Glücks damals auf dem Ball. Da war sie froh, glücklich, weil sie ihr Glück m einer großen, reinen Liebe zu finden hoffte. „Es kam aber nicht dazu, daß Heinz das Bild malen konnte", fuhr fort, „wir mußten uns trennen für lange Jo' eltfroh war ich nicht in dieser Trennungszeit. Nun aber mag er mich malen, nicht nur als ein weltfrohes, nein als ein überglück liches Weib! Aber ich verplaudere hier die Zeit und wollte doch nur Abschied von Ihnen nehmen. O, daß ich Sie so traurig, so verzweifelt finden mußte, das ist wie ein Schatten auf meinem jungen Glück." „Vielleicht lerne ich jetzt, wo ich ihr strahlendes Gesicht gesehen, wieder an das Glück glauben," sagte Leska. „Halten Sie nur fest diesen Glauben, Sie sind ja noch so jung, Sie dürfen noch nicht verzweifeln und haben sicher vom Leben noch manches zu fordern". „Was habe ich noch zu fordern, was kann ich noch erhoffen, wo mir doch das höchste Lebensglück versagt bleibt?" „O, es wendet und fügt sich bisweilen ganz wunderbar. Ich hatte auch oft genug verzweifelte, hoffnungslose Stunden, glaubte an keine glückliche Lösung der Dinge". „Sie waren doch frei und das bin ich nicht. Ich bin an Ketten gefesselt. ES bleibt mir nur noch der eine Wey, die Kette mit Anstand und Ehren haftigkeit weiter zu tragen." „Arme junge Frau! Warum konnten Sie als Mädchen nicht sich Ihre Freiheit wahren. Doch ich muß Ihnen Lebewohl sagen, die Zeit drängt und der Herr Gemahl oder die liebenswürdige Schwägerin könnten mir hier noch begegnen, und danach ver langt mich nicht! Sie gehören ja Beide zu den kleinlich Denkenden, die mich verdammen." Eine stürmische Umarmung Leskas von Elsas Händen erfolgte und sie eilte davon, elastischen Schritts, wie jemand, der dem Glücke entgegen geht. Leska schaute ihr nach, als hätte sie eine Er scheinung gehabt. Was hatte sie da alles vernommen, die jubelnde Stimme des Glücks hatte in ihr Elend hineingetönt, gleich einem Klang aus einer andern Welt. Nun war es wieder totenstill, nur neben ihr im Gebüsch zirpte eine Grasmücke ihr melancholisches Liedchen. 14. Ungestört konnte Leska wieder ihren trüben Ge danken nachhängen, ganz so trostlos, so verzweifelt wie vorher waren dieselben aber nicht mehr. Ein Schimmer des Hoffens hatte ihr Elsa doch zurückgc- lassen. Als ein hohes Glück würde Leska es ergreifen, dürfte sie wenigstens noch an seine Liebe glauben, einmal nur noch das beseligende Wort: „Ich liebe Dich noch" von seinen Lippen vernehmen, dann würde sie alles, alles leichtertragen; gleich einem Talisman würden die Worte sie begleiten auf all ihren Lebens wegen und die Losung für sie beide würde lauten: „Entsagung aus höherem Pflichtgefühl". Lauschend bog sie sich jetzt vor, die Augen nach der Villa richtend. Waren das nicht einzelne musi kalische Akkorde, die da durch die Stille des Sommer morgens klangen, und nun tönte eine Melodie, gleich einem leidenschaftlichen Liebeszruß zu ihr herüber. War das die Antwort auf all ihre Fragen? Ich liebe Dich doch, schien ihr jeder Ton der Melodie zuzurufen. Mit Worten darf ich es Dir nicht sagen, meine Muse aber soll es Dir künden und dieser Sprache darfst Du lauschen, niemand kann Dir darüber einen Vorwurf machen. Das schien Adloff ihr in diesen Tönen sagen zu wollen. So lauschte sie dann, nicht nur in diesen Morgen stunden, nein, täglich war es ihr vergönnt, dieser schönen Sprache der Musik. An den warmen Sommerabenden saßen Leska und Brandhorst oft draußen auf der Terrasse. Adloff spielte und sang in seinem Zimmer, aber die Fenster waren weit ge öffnet, voll strömten die Töne heraus. Die Sprache der Töne mochte ihr künden, was er ihr in Worten nicht sagen durfte und sagen wollte. Leska hörte von ferne und sie ließ sich einwiegen in süßes Träumen. Verstummte dann das Spiel, dann blickte sie verwundert auf. Neben ihr saß Brandhorst, das Licht der Ampel fiel voll auf sein Gesicht, sein düsterer Blick hatte auf ihr geruht während des Spiels. Was für Gedanken mochten ihn beschäftigt haben? Ver stand er auch die Sprache der Töne, diese bestrickenden Melodien voll Liebe und Leidenschaft, Jubel und Schmerz, oder ließen ihn dieselben ebenso kalt und gleichgiltig wie seine Schwester, die gelangweilt in den Zeitungen blätterte. Marta hatte trotz Leskas Drohung das Haus des Bruders noch nicht verlassen, denn sie wollte durchaus die Entwickelung der Dinge hier noch ab warten und die Augen offen behalten, da der Herr und Gebieter des Hauses ja ganz und gar mit Blindheit geschlagen schien, seit jenem Abend, wo der verwundete Oberkontrolleur hier in's Haus ge bracht wurde. Brandhorsts Eifersucht mußte sich wirklich jetzt in Zuneigung Adloff gegenüber ver wandelt haben. Der beste Freund konnte nicht be- sorgter, nicht aufopfernder als Brandhorst für Adloff sein. Seine ganze freie Zeit widmete er dem Kranken, und später dem Genesenden. Mit der Nachbarschaft hatte fast aller Verkehr in der Villa aufgehört. Marta war die Einzige, die ihn aufrecht erhielt, Besuche machte und immer auf dem Laufenden war über die Tagesereignisse der kleinen Welt um sie herum. Heute hatte sie nun auf solch einem Besuch eine höchst interessante Neuigkeit vernommen und brannte förmlich darauf, dieselbe in der Villa zu verkünden. Wenn nur das langweilige Klavierspiel einmal auf hören wollte, denn währenddem mußte man ja stets im andächtigen Schweigen verharren, diese Kunst genüsse durften um alles in der Welt nicht gestört werden. Endlich trat eine Pause in dem Klaoier- spiel ein, und nun konnte Marta mit ihrem sensatio nellen Klatsch Herausrücken. Aber sie kam trotzdem nicht gleich dazu, denn Brandhorst klatschte Adloffs Spiel so lebhaften Bei fall und war so davon begeistert, daß er diesem noch ein besonderes Lob spendete. „Tausend Dank für den herrlichen Genuß, Herr Oberkontrolleur!" rief Brandhorst. „Nun aber bitte ich herauszukommen und sich mit einem Glase Rhein wein zu stärken." Adloff trat in die Tür, in seinen Zügen lag noch die Erregung, die das Spiel hervorgerufen, sein Blick streifte über di« drei Menschen auf der Veranda und blieb dann einen Moment auf Leska hasten. Sie sah aus wie jemand, der soeben aus schönem Traum erwacht. „Auch ich danke Ihnen," kam e» leise über ihre Lippen, „Ihr Spiel entrückt einem völlig der Außen welt, man muß sich erst ordentlich wieder besinnen auf die Gegenwart." Da war aber die Zeit für MartaS scharfe Zunge gekommen. „DaS kann ich nun von mir grade nicht be haupten", nahm sie eifrig daS Wort. „Ich bin wohl zu wenig musikoerständig, und dann habe ich auch heute drüben bei Amtmanns so seltsame Dinge gehört, die meine Gedanken gänzlich in Anspruch nahmen." „Na, dann rücke nur heraus damit, teure Schwester, man sieht es Dir ja an, wie Dir die Neuigkeit förmlich auf den Lippen brennt", rief Brandhorst lachend. „Fräulein Bergers," begann Marta, den stechen den Blick auf LeSka gerichtet: „Deine Freundin ist plötzlich auf und davon, und zwar mit ihrem Ge liebten, dem Maler, und hat Onkel und Tante verlassen." „Die Sache ist nicht so schlimm," versetzte die junge Frau ruhig, „wahre, echte Liebe überwindet eben alle Hindernisse und die Elsa Bergers und der Maler lieben einander und heiraten sich in Kürze." „Na, das ist aber stark, Du nimmst wohl gar Partei für das undankbare Geschöpf!" bemerkte Marta. „Wie konnte sie des Malers wegen so plötzlich ihre Verwandten verlassen, die ihr so viel Gutes erwiesen haben." — „Marta, Du verwechselst geradezu das höchste und stärkste Gefühl in eines Weibes Brust, die all mächtige Liebe mit der einfachen Dankbarkeit," ent gegnete Leska. „Heißt es denn nicht schon in der Bibel von der Tochter: „Und sie wird Vater und Mutter verlassen und ihrem Manne anhangen." Und da sollte sich Elsa Berger von Onkel und Tante zurück halten lassen? Ich konstatiere nur, daß ihre Liebe zu dem Maler echt und wahr ist. Mit Hindernissen hat solche Liebe wohl meistens zu kämpfen, und die Lieben den müssen sehr stark, sehr energisch sein, sie zu über winden, und sich über das Urteil der Welt hinwegsetzen. Das vermag nicht jeder." „Und es ist gut, daß es nicht jeder vermag," nahm Brandharst das Wort, was würden wir sonst für Zu- stände haben. Nach Deiner Ansicht freilich muß man solcher großen, wahren Liebe wohl alles verzeihen?" „Das habe ich nicht gesagt, aber ich meine, man könnte mit solchen Menschen immerhin eine Ausnahme machen. Ich für meine Person verdamme Elsa Bergers nicht, daß sie so plötzlich dem Rufe des Geliebten folgte. Sie ist ja frei, durch nichts gebunden, soll sie das höchste Lebensglück von sich weisen, engherziger Menschen wegen, die sie nicht verstehen, keine Ahnung haben von der Macht der ersten Liebe!" „Du aber verstehst sie!" sagte Marta mit einem malitiösen Lachen. „Ja", erwiderte Leska kurz, fast schroff. Adloff setzte das Glas Wein, das ihm Brandhorst eingeschenkt, an die heißen Lippen, seine Hand zitterte, als er es aber wieder auf den Tisch stellte. Welche ent setzliche Situation für ihn. Aus jedem Wort Leskas glaubte er einen Vorwurf gegen sich heraus zu hören. War das der Lohn für den schweren Kampf, den er gekämpst, daß das geliebte Weib sich nun verächtlich von ihm wandte, weil er nicht, wie Elsa Bergers und ihr Maler, nur der Stimme der Liebe und Leidenschaft gehorchend, sich über alles hinweg zu setzen vermochte. „Was ist denn ihre Ansicht in der Sache, Herr Oberkontolleur ?" fragte da die verschlagene Marta plötzlich. „Sie sind ja auch ein Künstler mit jedenfalls idealen Lcbcnsanschauungen." Eine dunkle Blutwelle stieg in das Antlitz des jungen Mannes, er fühlte förmlich den gespannt auf ihn gerichteten Blick Leskas, ihm war es, als sollte er eine entscheidende Schicksalsfrage beantworten. Mit leeren Redensarten konnte das nicht geschehen, er mußte seine Meinung ehrlich aussprechen. „Es gibt Gesetze der Sitte und Moral, denen auch die Liebe unterworfen ist, mag dieselbe noch so groß, noch so leidenschaftlich sein," erklärte er kurz. Brandhorst nickte ihm freundlich zu und sagte: „das meine ich auch!" Leska zerzupfte erregt eine Rose, die sie in der Hand hatte, und suchte sich zu beherrschen. Sie hatte es ja gewußt, daß Adloff fo und nicht anders antworten würde und doch stieß es in ihr auf in Zorn und Schmerz. „Elsa Bergers hat aber nicht gegen solche Gesetze gehandelt," sagte sie dann rasch, um auch an der pein lichen Erörterung teilzunehmen. „Wer will sie ver dammen, wenn sie dem Ruf des Geliebten folgt. Der Maler Heinz Brandt ist nicht mehr verheiratet, er ist frei, sie lieben sich, warum sollen sie sich nicht durch die Ehe vereinigen sür's Leben". „Nun, zunächst hat wohl die erste Frau das Recht, ihn zu verdammen," nahm Brandhorst das Wort. „Denn Fräulein BergerS wegen hat er sich doch wohl von ihr scheiden lassen, ihr Leben ist zerstört, vollends, wenn sie ihn geliebt hat, was man doch annehmen kann. Woher weißt Du übrigens, daß der Maler frei ist." „Von Elsa Bergers selbst, sie hat vor einigen Tagen Abschied von mir genommen." „Ah, also Du wärest schon unterrichtet," sagte Marta, „Du bist wohl die Vertraute von Fräulein BergerS gewesen?" (Fortsetzung folgt.)