Volltext Seite (XML)
schwerden mußten im Jahre 1893 30505 berücksichtigt werden, 1897 aber schon 35443, und es ergab sich, daß man in diesem Jahre den Reklamanten 21,5 Millionen Mark Einkommen mehr angesonnen hatte, als sie zu versteuern verpflichtet waren. Es gibt Steuerpflichtige, die eine Reihe von Jahren hinter einander wieder und wieder zu hoch eingeschätzt worden sind und deren Einspruch jedesmal berücksichtigt werden mußte, ohne daß jedoch dadurch eine neue Ueberschätzung verhütet worden wäre. Daß solche Er fahrungen eine stille Verbitterung hinterlassen, ist begreiflich." * Die Prinzessin Louise von Toscana, ehemalige Kronprinzessin von Sachsen, sieht in diesen Tagen ihrer Niederkunft entgegen, was aus der Tat sache hervorgeht, daß die Mutter der Prinzessin, die Großherzogin Alice von Toscana, telegraphisch nach Lindau gerufen wurde. Italien Infolge eines Erdrutsches bei Corneto wird die Ankunft des Kaisers sich erheblich ver zögern. Ingenieure gingen nach Corneto ab, um den Betrieb wieder herzustellen. Türkei * Bei dem Dorfe Baldo im Krise Nevrekop ist eine 50 Mann starke bulgarische Bande von türkischen Truppen überfallen worden. Die Bande hat 29 Tote und 17 Verwundete verloren; die türkischen Truppen hatten angeblich nur einen Verwundeten. * Konstantinopel. Der Zar begnadigte den Mörder des russischen Konsuls in Mitrowitza, natürlich weniger um den Sultan aus seiner Verlegenheit zu helfen, als den Albanesen in Mazedonien zu zeigen, was sein Wort gilt. Aus Stadt und Laud Lichtenstein, 4. Mai. * — Die lokalen Neuigkeiten, welche natur gemäß den Hauptbestandteil eines jeden unpolitischen Lokalblattes bilden, werden erklärlicherweise im Sommer, in der sogen, „sauren Gurkenzeit", zuweilen etwas knapp und auf die Frage: „Was gibt es Neues?" erwidert das Publikum in der Regel mit den bedeutungsvollen Worten „Nichts!" Dasselbe liebe Publikum, welches mittags ganz genau weiß, daß es absolut „nichts Neues" gebe, verlangt aber am Abend von seiner Zeitung, daß sie ihm eine ganze Leite lokaler Neuigkeiten biete. Wo der Redakteur solche herbekommen soll, daran denkt in der Regel kein Mensch, im Gegenteil, mit den Worten: „Heut steht wieder nichts drin I" legt man mißvergnügt die Zeitung aus der Hand. Jst's nicht so, lieber Leser ? Eine Zeitung „voll" zu bekommen, das ist gar keine Kunst für den Redakteur, Neues gibt es täglich in Hülle und Fülle, aber wenn er gerade in erster Linie den Teil reichhaltig gestalten will, der die Leser vor allem interessiert, — und das ist doch der lokale Teil! — so hat der Redakteur eine Aufgabe, zu deren Lösung er auf die Mithilfe freundlicher Leser angewiesen ist. Die Redaktion bittet daher das verehrl. Publikum wiederholt, ihr von bemerkens werten Vorkommnissen Nachricht zu geben. Wird uns diese Bitte erfüllt, können wir die Zeitung um so eher derart gestalten, wie wir gerne möchten, nämlich: für Alle gleich interessant. * — Platzmufik. Die gestrige erste diesjährige Platzmusik auf dem Marktplatze hatte infolge des herrlichen Frühlingswetters ein zahlreiches Publikum, auch von auswärts, herbeigelockt, welches den schönen Darbietungen unserer Stadtkapelle aufmerksam Gehör schenkte. * — In beträchtlicher Höhe schwebte gestern vormittag während der Platzmusik ein Storch über hiesigem Marktplatz. Wo derselbe später Absteige quartier genommen, ist bis jetzt nicht zu ermitteln gewesen. Jedenfalls aber hatte er verschiedene dringende Geschäfte zu erledigen, denn nach Anhören des historischen Marsches „Friedrich der Große" ent schwand er den zahlreich auf ihn gerichteten Blicken. * — Die gestern imGasthauS Grüntal abgehaltene öffentliche Volks-Bersammluug war zahlreich besucht. Herr Redakteur Schneider- Chemnitz sprach in ca. 2stündiger Rede über die bevorstehende Reichstagswahl. Redner gab u. a. auch einen Ueberblick über die Tätigkeit der sozial demokratischen Fraktion in der abgelausenen Legis laturperiode des Reichstags, undforderte am Schlüsse zur Wiederwahl des bisherigen Abgeordneten, des Schriftstellers Ignaz Auer, auf. * — Steinwerfen. Ein recht betrübender Unglücksfall, hervorgerufen durch frechen Uebermut eines noch unermittelten Knaben, brach gestern abend gegen 8 Uhr über die Familie des Herrn Silberarbeiter Lämmel hier herein. In der Nähe des Schloßbergs wurde der 9jährigen Tochter ge nannter Familie ein Stein ins Gesicht geschleudert, wodurch am rechten Auge eine ca. 1>/, cm tiefe Wunde hervorgerufen wurde. Nach ärztlichem Aus spruch ist es nicht ausgeschlossen, daß das bedauerns werte Kind die Sehkraft des rechten Auges unter Umständen verlieren kann. Hoffentlich gelingt es, den frechen Steinwerfer zu ermitteln und gehörig bestrafen zu lassen. * — Zur NeichstagSwahU Infolge mehr facher Anfragen aus unserem Leserkreise über die Bestimmungen des vom Reichstage angenommenen Reglements für dieReichstagswahlen gebenwirin fol gendem die wichtigsten neuen Bestimmungen des selben wieder: Die Dauer der Wahlhand lung ist auf die Zeit von 10 Uhr vormittags bis 7 Uhr nachmittags festgesetzt. In Bezug auf die Stimmzettel bestimmt F 11, daß sie neun zu zwölf Zentimeter groß, oon mittelstarkem, weißem Schreib papier und mit keinem Kennzeichen versehen sein sollen; sie sind oon dem Wähler in einem mit amt lichem Stempel versehenen Umschläge, der sonst keine Kennzeichen haben darf, abzugeben. Die Umschläge sollen 12 bis 15 Zentimenter groß und aus un durchsichtigem Papier hergestellt sein; sie sind in der erforderlichen Zahl bereit zu halten. Ueber dieAb - gäbe des Stimmzettels ordnet Z 15 fol gendes an: Der Wähler, welcher seine Stimme abgeben will, nimmt von einer durch den Wahl vorstand in der Nähe des Zuganges zu dem Neben raum oder Nebentisch aufzustellenden Person einen abge- stempelten Umschlagan sich. Er begibt sich sodann in den Nebenraum oder an den Nebentisch, wo er seinen Stimm zettel unbeobachtet in den Umschlag steckt, tritt an den Vorstandstisch, nennt seinen Namen sowie auf Erfordern seine Wohnung und übergibt, sobald der Protokollführer den Namen in der Wählerliste ge funden hat, den Umschlag mit dem Stimmzettel dem Wahlvorsteher oder dessen Vertreter, der ihn sofort uneröffnet in die Wahlurne legt. Wähler, welche durch körperliche Gebrechen behindert sind, ihren Stimmzettel eigenhändig in den Umschlag zu legen und diesen dem Wahlvorsteher zu übergeben, dürfen sich der Beihülfe eines Vertrauensgenoffen bedienen. * — „Nun glüht und blüht eS allerwegen, wohin das frohe Auge trifft; — die Lenzessonne schreibt den Segen — Auf Berg und Tal mit grüner Schrift. Und tausend bunte Frühlingsblüten — Aus schlanken Reisern brechen auf — Was half dem Winter all sein Wüten — Nichts hemmt des Maien Siegeslauf! " Der Frühlingsdichter hat wirklich recht, wenn er singt „Nichts hemmt des Maien Siegeslauf!" Wir sind den Frühlingsliedern egenüber im Allgemeinen etwas mißtrauisch ge- gorden, denn sie sind oftmals etwas sehr „verfrüht", wer ein Spaziergang in jetziger Jahreszeit belehrt abs doch darüber, daß die Welt im Mai herrlich, unnderschön ist. Dieses Grünen und Blühen rings- wuher! Der bezaubernde Duft der Obstbäume, der prächtige Anblick des frischen Sommerkleides an Baum und Strauch, an Feld und Wald, der prächtige Anblick von vielen Tausend zarter Blümchen ist wohl geeignet, die Herzen höher schlagen zu lassen und das Gemüt froh zu stimmen! „Raus aus dem engen HauS!" sei daher jetzt die Losung; wer von seinen Berufsgeschäften ein Stündchen erübrigen kann, der erquicke sich durch einen Spaziergang in Gottes herrlicher neuerstandener Natur! So ein fröhlicher Gang durch blühende Felder und Auen ist eine vorzügliche Medizin für zagende, betrübte Menschen. Das Gemüt wird froh und heiter ge stimmt angesichts der Lenzespracht und namentlich jetzt, in der Zeit der Baumblüte, sollte man sich viel öfter, wie es im Allgemeinen geschieht, . des herrlichen Anblickes freuen! * - Bom Völkerschlachtdenkmal. Die Ar beiten nehmen einen raschen Fortgang, sodaß im kom menden Jahre bei vorhandenen Mitteln mit dem Auf bau der Treppenanlagen begonnen werden kann, auch die Ausfahrtswälle sind dann soweit fertig gestellt, um sie beiderseitig mit Bäumen bepflanzen zu können. — Die Baugelder sollen neben freiwilligen Beiträgen durch eine von der Sächs. Staatsregierung genehmigten Geldlotterie, die wie keine andere sich rühmen darf, in allen Kreisen volkstümlich zu sein, aufgebracht werden. Die Lose fin den einen flotten Absatz, da man allseitig bestrebt ist, dem Deutschen Patriotenbund seine Ausgabe erfüllen zu helfen. Lose zu 3 Mark sind in der Tageblatt - Druckerei (Gebrüder Koch) zu haben. *— Eallnberg. Die öffentlichen unentgeltlichen Impfungen sollen im laufenden Jahre am 13., 14. und 16. Mai im Klassenzimmer Nr. 2 der hiesigen Bürgerschule und zwar dergestalt vorgenommen werden, daß am 13. Mai die Erstimpflinge milden Anfangsbuchstaben A bis N, am 14. Mai die Erst, impflinge mit den Anfangsbuchstaben O bis Z, an beiden Tugen nachmittags 4 Uhr und am 16. Mai die Wiederimpflinge, um 4 Uhr die Knaben und um 5 Uhr die Mädchen, zu erscheinen haben. Die Nach- schau findet bei allen Kindern am gleichen Wochen- tage der auf den Jmpstag folgenden Woche nach mittags 4 Uhr im Jmpflokal statt. Jmpfpflichtig in diesem Jahre sind: 1. alle Kinder, welcheimoorigen Jahre geboren und nicht bereits geimpft sind oder die natürlichen Blattern überstanden haben, 2. alle diejenigen Kinder, welche in früheren Jahren ge boren, aber bis jetzt der Impfung entzogen geblieben oder krankheitshalber zurückgestellt worden sind sowie 3. alle diejenigen Zöglinge hiesiger Lehr anstalten, welche in diesem Jahre das 12. Lebens jahr erreichen, sofern sie nicht nach ärztlichem Zeug nis in den letzten 5 Jahren die natürlichen Blattern überstanden haben, oder mitErfolg geimpft worden sind. *-— Mülsen St. Niclas. Ein schwerer Un glücksfall ereignete sich am 1. Mai im nahen Heinrichsort. Der hier wohnhafte Schieferdeckermeister Hertel, welcher dort Arbeiten auszuführen hatte, fuhr am frühen Morgen ein mit 2 Pferden beladenes Fuder Schiefer dorthin, eben als Hertel im Begriff war und die Schiefer ablud, scheuten die Pferde und rasten von Heinrichsort nach Marienau zu, einen steilen Abhang herunter. Hertel kam hierbei zu Falle und unter den Wagen zu liegen, wobei ihm der noch über die Hälfte beladene Wagen mehrere Male über den Körper ging. Erst später hat man die Pferde zum Stehen gebracht. Hertel hat das linke Bein gebrochen und am rechten Bein, welches arg zerfleischt war, mußten mehrere Teile abgetrennt werden. An seinem Aufkommen wird gezweifelt. Dresden. Rechtsanwalt Dr. Franz Gustav Alfred Bernhardt hier, der am 20. April von der 2. Straf kammer des hiesigen Königlichen Landgerichts wegen Betrugs zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt wurde, ist am Freitag gegen Hinterlegung von 15000 Mk. Kaution aus der Hast entlassen worden. Die Maifeier der Leipziger Genossen im Garten der Genossenschaftsbrauerei Burghausen war von etwa In goldenen Ketten Roman von F. S u t a u. (Nachdruck verboten.) (18. Fortsetzung.) Warum hatte sie damals, wo es noch Zeit gewesen, nicht den Mut gehabt, allem zu trotzen, sich frei zu machen von den goldenen Ketten? Nun war es zu spät! Wie im Traume ging sie an Brandhorsts Seite über den weichen Teppich. Nun standen sie vor dem Altar, die Orgel verstummte, der Pfarrer begann seine Traurede. Er sprach so warme, zu Herzen gehende Worte von der Liebe und Treue und von den Pflichten, die sie beide jetzt übernommen, und wie sie Freud und Leid nun zusammen tragen müßten. Um Valeska Lippen zuckte es dabei so eigentümlich. Ihr Leid mußte sie ja allem weiterschleppen" durch das ganze lange Leben hin durch, und der Mann da neben ihr am Traualtäre durste nie etwas ahnen davon. Jäh durchzuckte sie der Gedanke, wenn sie noch in dieser letzten Minute nein sagte, mit lauter Stimme rief, daß es all die Menschen hier hörten, ich kann nicht, ich kann nicht die Frau des reichen Mannes werden, denn ich liebe einen andern! Aber sie fürchtete den Aufruhr und Skandal. Ihr dauerten auch die Mama, deren Schulden Brandhorst bezahlt, und die Schwestern, deren Toiletten er ange schafft. Noch nach Jahren würde man in der Stadt von dem Skandale sprechen und sie mußten wohl an «inen sernen Ort fliehen, wenn sie jetzt die Trauung vereitelte. Wie konnten ihr nur noch solche tollen Ge danken in den Sinn kommen! Das war doch Wahnsinns! Valeska nahm ihre ganze Willenskraft zusammen, die Rolle auf der Lebensbühne, die das Schicksal ihr vorgeschrieben, nun auch mit Anstand, ohne stecken zu bleiben, zu Ende zu führen. Und sie blieb nicht stecken! Das bindende „Ja" kam zwar etwas hart, fast rauh von ihren Lippen, aber das machte wohl nur die große Erregung, die ja so begreiflich war bei ihrer Jugend. Die Ringe wurden gewechselt und der Segen über das Neuvermählte Paar gesprochen. Nun war ja alles vorüber. Im Hotel, wo die Hochzeit gefeiert wurde, nahm das jung vermählte Paar die Glückwünsche der Gäste entgegen, dann begannen die Tafelrunden. Es befanden sich einzelne wirklich glückliche Menschen an dieser Hochzeitstafel. Da war in erster Linie die Frau Rat. Man mußte selbst Jahre lang solch einen bitteren Daseinskampf gekämpft haben, wie sie, um ihr Glück zu begreifen. Es war nicht leicht, mit so geringen Mitteln, wie sie besaß, immer noch standesgemäß aufzutreten, wie sie, und trotz unbezahlter Rechnungen, die sich von Jahr zu Jahr mehrten und das Gespenst gänzlichen Ruins näher und näher rückten, sich über Wasser zu halten. Es ge hörte schon ein so leichtlebiger Sinn, wie der ihre, und eme zähe, echt weibliche Geduld dazu, sich über all solche Kalamitäten hinweg zu setzen und auf eine glückliche Zukunft zu hoffen. Heute stand sie am Ziel alles Hoffens, Wünschens. Die schweren, sorgenvollen Zeiten lagen für immer hinter ihr, und vor ihr stand die Zukunft im rosigsten Licht. Schwiegermutter eines Millionärs zu sein, o, das war doch ein erhebendes Gefühl! Freilich, Leska hatte »hr noch die ganze Zeit her mit ihrer oft verzweifelten Duldermme Sorge gemacht. Förmlich erleichtert atmete deshalb die Frau Rat auf, als diese heute das bindende Wort „Ja" gesprochen hatte. Die Duldermine wird sie ja als junge, reiche, beneidete Flau nun endlich ablegen und zu der Einsicht kommen, daß ihr Lebenslos doch ein beneidenswertes ist, dachte die Frau Rat. Der Ausdruck von Leskas Gesicht schien ihr jetzt schon ein ganz anderer geworden zu sein. Leska trank soeben ihrer Freundin Martina lächelnd zu, ihre Wangen waren gerötet und in ihren dunklen Augen leuchtete etwas von dem früheren Uebermut, der jugendlichen Lebensfreude. Sie hatte doch wohl ein gut Teil von dem leichtlebigen, sorglosen Sinn ihrer Mutter geerbt, und der predigte ihr nun, daß es das Beste sei, den Trank der Vergessenheit an die Lippen zu setzen, ver gessen lernen und sich dem vollen, reichen Leben in die Arme zu werfen. Martina, die jetzt ihr Glas erhob und der Freundin zunickte, gehörte auch zu den Glücklichen an der Tafelrunde, saß doch der Bräutigam neben ihr! Der junge Herr Forstamtskandidat war seit einigen Tagen zu einem Ferienaufenthalt nach Haus ge kommen, und Leska, die das zufällig erfahren, hatte Martina die Ueberraschung bereitet und ihm noch eine EinladungDzum Polterabend und zur Hochzett zugehen lassen. M ^MMM(Fortsetzung folgt.)