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MMMÜM WN . — »3. Jahrgang. — Beilage zu Nr. 2«. Sonntag, den I. Februar 1903. kiit Wem« Äons cheleht. Die Friedensverhandlungen mit Venezuela ver laufen, wie schon kurz gemeldet, anscheinend durch aus nicht so glatt, wie man anfangs glauben machen wollte. Wie das „Reutersche Bureau" erfährt, sandten die Regierungen von England, Deutsch land und Italien eine gemeinsame Antwort an den Gesandten Dowell bezüglich seines Vorschlages, daß alle Länder, welche Forderungen an Venezuela haben, auf gleichen Fuß mit den drei verbündeten Mächten gestellt werden sollen. Die Antwort sagt, daß dieser Vorschlag Venezuelas nicht angenommen werden kann. Dagegen scheint man über die baldige Auf - Hebung der Blockade im Prinzip einig zu sein. Die Newporter „Sun" hatte gemeldet, Deutsch land zögere mit der Annahme der Bowenschen Vor schläge, weil es den angebotenen Prozentsatz der venezolanischen Zölle nicht für ausrichend halte. Diese Meldung ist, wie die „Post" erfährt, falsch. Nichtig ist, daß alle drei Mächte bereit sind, die Blockade aufzuheben, und daß von keiner Seite besondere Vergünstigungen gefordert werden. Wohl aber erwarten alle drei Mächte vor der Aufhebung der Blockade noch eine bestimmte Er klärung Venezuelas über die angeboteneu Garantien. Inzwischen wird von amerikanischer Seite bereits ein neuer Versuch gemacht, eine Trübung der Beziehungen zwischen Deutschland und England herbeizuführen. Eine Washingtoner Laffan-Meldung befugt: Die Nachricht, daß Großbritannien zuerst Deutschland ein g e m e i n s a m e s V o r - gehen gegen Venezuela vorgeschlagen habe, wird durch hier eingetroffene Meldungen aus London bestätigt. Danach trat Großbritannien m't der Sache hervor, nachdem Deutschland seine Absicht: gegen VenezuelaZwangsmaßregeln anzuwenden, ange- kündizt und die britische Regierung erfahren hatte, daß Deutschland auch allein in diesem Sinne vorgehen würde. DaßGroßbritannienspäternichtvonder Uebereinkunft zurücktrat, habe, so wird ge sagt, seinen Grund in der Befürchtung des Londoner Kabinetts gehabt, die deutsche Regierung würde den be treffenden Schriftwechsel veröffentlichen. Die Tendenz dieser Ausstreuung ist zu durchsichtig, als daß sie ernsten politischen Kreisen irgendwie imponieren könnte. Aus Stadt und Land Lichtenstein 31. Januar. *— Die Anstellung pensionierter Geist licher und Lehrer in» Gemeindedienst Da auch pensionierte Geistliche und Lehrer anderweite Anstellung im Gemeindedienste finden und durch ihr neues Amt ein Einkommen, durch das unter Zu rechnung ihrer Pension ihr früheres Einkommen überstiegen wird, erwerben können, hat das König!. Ministerium des Innern die Stadträte usw. in gleicher Weise, wie dies bezüglich der im Gemeinde- dienste angestellten pensionierten Staatsdiener ge schehen ist, angewiesen, daß sie entsprechende Anzeigen an das Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts zu erstatten haben, wenn es sich um pensionierte Geistliche und Lehrer handelt. *— Künstliche Angen für Menschen wurden schon vor 300 Jahren aus Gold, Silber oder Kupfer gefertigt und eingesetzt, oder man malte ein Auge auf Leder, zog dieses über eine Palette und befestigte dieselbe mit einem um den Kopf gehenden federnden Draht. Später wurden gläserne Augen in den Glashütten von Murano hergestellt. Am Ende des 18. Jahrhunderts verwendete man schon Augen aus Email und waren die in Paris von Boissoneau angefertigten als die besten bekannt. In Deutsch land wurden die ersten künstlichen Augen von Lud wig Müller-Uri in Lauscha i. Th., und zwar Anfang der 40er Jahre, angefertigt und bereits 1844 in Berlin ausgestellt und mit einem Ehrendiplom prämiiert. Da das in Deutschland vorhandene Material zur Herstellung der künstlichen Augen nicht besonders geeignet war, so stellte sich Müller-Uri nach vielen Versuchen und Studien ein passendes Material selbst zusammen, welches so gut gelungen war, daß schon 1852 Autoritäten die von diesem Material hergestellten Augen den Pariser Augen gleichstellten und in manchen Beziehungen vorzogen. Der Verfertiger war unausgesetzt bemüht, sowohl das Material als auch die Augen selbst immer mehr zu vervollkommnen, und brachte es mit Hilfe seiner Söhne, die in den 60er Jahren in das Geschäft ausgenommen wurden, dahin, daß das ausländische Fabrikat von diesen deutschen Erzeugnissen in jeder Hinsicht übertroffen wird. Die Kranken lernen das Einlegen und Herausnehmen des künstlichen Auges in der Regel sehr bald. Liebe und Leidenschaft. Roman von L. Jdeler-Derelli ^Nachdruck verboten.) (39. Fortsetzung.) „Wollen Sie Fräulein Steinbrink verklagen, weil sie Sie nicht heiraten will, und meinen Sie, das Gericht könne die Dame deshalb verurteilen und womöglich durch Exekution zwingen, Sie zu hei raten ?" sagte der Rechtsanwalt mit unverhülltem Spott. Johannes stand auf und rief erregt: „Ich sehe, daß Caroline das Recht hat die Verlobung aufzu heben, und für mich bleibt nur der Schaden. Was bin ich für die Erkundigung schuldig V" Nachlässig nannte der Rechtsanwalt das Honorar; er ärgerte sich über das Betragen dieses Mannes. Johannes bezahlte wortlos, dann verließ er ohne Gruß das Bureau und fuhr nach Rothenhagen zurück; sein Herz war dunkel geworden. Neuntes Kapitel. Ain Morgen nach der Gesellschaft im Hause des Justizrats hatte Graf Feodor Brunn mit seinen Angehörigen eine lange, ernste Unterredung. „Du warst immer ein Mann von Ehre, lieber Sohn," schloß dec Vater, „nun gehe heute zu Fräu lein Steinbrink und biete ihr Dein Herz und Deine Hand; Du wolltest es, aber jetzt mußt Du es auch." „Ja," bestätigte die Mutter, „damit dies arme, vielgeprüfte Mädchen endlich an einem treuen Herzen die sichere Heimat findet. Sie war mir von Anfang an lieb und wert; sie soll mir als meine Tochter herzlich willkommen sein." „Die Stürme ziehen endlich auch an jedem Menschen vorüber," bemerkte Else, die Hand ihres jungen Gatten fassend, „und das Herz, das außer halb stand, soll eine Stätte des tiefsten innerlichen Friedens finden." „Ich gehe!" entgegnete Feodor freudig, und nach wenigen Minuten schon stand er im Empfangs zimmer des Justizrats. Er hatte Caroline zu sprechen gewünscht und sie kam schnell; ein trauriges Lächeln legte sich über ihr Antlitz. Wie edelmütig war doch dieser Mann dort vor ihr. wiederum wollte er ihr beweisen, daß sie persönlich schuldlos sei an allem Geschehenen, wie damals nach dem Tode seines jungen Verwandten. Er trat rasch auf sie zu und ergriff ihre Hand. „Caroline, jetzt weiß ich, weshalb Sie vor kurzem meine Liebe zurückweisen zu müssen glaubten; doch nun ist der Stein des Anstoßes beseitigt, Sie sind frei! Wollen Sie nun jetzt mir angehören?" Sie schüttelte langsam, traurig den Kopf und sagte: „Sie handeln unüberlegt, Herr Graf Brunn. Was würden die Leute sagen, wenn Sie sich mit einem Mädchen verlobten, das fortwährend den Ge sprächsgegenstand für alle müßigen Zungen bildete; ein Mädchen, an das sich trotz seines einsamen, ab geschiedenen Lebens ein Skandal nach dem andern knüpft?" Er sah sie erstaunt an. „Seit wann achtet Graf Brunn auf das Gerede der Leute?" fragte er dann stolz. „Ich liebe Sie, und meine Familie heißt Sie willkommen. Das sollte Ihnen genügen." „Ich weiß es," antwortete sie, kaum im Stande, ihre Tränen zurückzuhallen, „ich weiß, daß Sie alle gut und freundlich über ein armes Menschenherz denken, das ohne jede Schuld in Blut und Sünde, in Elend und Tod hinein verflochten wurde. Und wenn ich mich auch über die Vergangenheit hinweg, setzen wollte, Herr Graf, ich kann es nicht über die Zukunft. Die Toten versprachen mich einst diesem Manne, der Lebende zerriß das Band gewaltsam; das ist für immer zerrissen, aber ein neues darf ich niemals knüpfen. Johannes Born hat nun keinerlei Recht mehr an mich, und er wird auch keinen Ver such mehr machen, mich noch wiederzugewinnen. Aber wenn ich nun jetzt Ihnen die Hand reiche, wird da nicht er, wird da nicht jeder denken, ich hätte den alten Bräutigam nur abgestreift, um einen besseren zu erlangen? Weiß Gott, es ist nicht so, ich habe Born niemals geliebt, ich sah ihn stets, auch als ich noch das einsame Dorf bewohnte, für das Unglück meines Lebens an, aber die Eltern haben es gewollt, Herr Graf! Und mich würde dieser Ge danke in den glücklichsten Familienkreis hinein ver folgen, und er würde mir die Ruhe nehmen, müßte ich immer denken: „Du brachst den Schwur! Der Mann, dem Du eine Gefährtin fein solltest, lebt einsam und verlassen, und Du folgtest freiwillig einem Andern ? Ich kann Ihnen ein ruhiges, freudiges Herz darbringen, Herr Graf, und ich will nicht auch noch Ihr Leben mit meinen Selbstvorwürfen ver giften. Seien Sie versichert, daß ich Ihre Güte niemals vergessen werde." Er war bleich geworden. „Soist keineHoffnung?" fragte er leise. „Keine!" gab sie traurig zurück. „Nun", rief er erregt, „beantworten Sie mir noch meine Frage, aber, bei allem, was Ihnen im Himmel und auf Erden heilig ist, wollen Sie mir die Wahrheit sagen?" „Ich schwöre!" entgegnete sie fest. „Wenn Johannes Born selber Sie von dieser Verpflichtung durch sein Tun freispräche, wenn er eine andere heiratete oder stürbe, würden Sie dann mein sein wollen?" Ein dunkles Rot färbte ihr bleiches Gesicht. „Diese beiden Fälle treten nimmer ein. Ec ist ein junger, kräftiger Mann, dem der Tod fern siebt, und eine andere wird er auch nicht heiraten, nun gar» nicht, dazu kenne ich ihn zu gut." „Antworten Sie mir, Caroline. Ja oder Nein?" „Ja!" gab sie leise zurück, „ja, denn ich liebe Sie! Ich liebte Sie vom ersten Tage an, wo Sie als ein gänzlich Fremder in das stille Forsthaus zu Rothenhagen eintraten. Ich hätte es Ihnen wohl sonst nie gesagt, aber jetzt, wo wir uns trennen müssen, will ich Ihnen nicht verschweigen, wie tief mir Ihre Güte in das einsame Herz gedrungen ist. Leben Sie wohl, Feodor, mein Weg führt außerhalb des sonnigen Glücks!" Sie reichte ihm die Hand, er faßte sie fest in der seinen und küßte sie. „Ich warte!" sagte er leidenschaftlich. Sie sah ihn traurig au. „Haben Sie Dank!" sagte sie tieferschüttert. Dann verließ sie das Zimmer. Feodor suchte sein Elternhaus auf, in seinem innersten Herzen klangen wiederum die Worte des alten Volksliedes nach: „Und ich wollte, es könnt' anders sein!" Mit aufrichtigem Bedauern erfuhr die Grafen familie den Ausfall dieser Unterredung. „Die Stürme schweigen wohl," sagte Else tiefbekümmert, „aber nun will sich der Winterfrost auf Euer Glück legen und die Hoffnung erstarren." „Ich hoffe," erwiderte Feodor fest, „so gewiß, wie über mir die Sonne leuchtet, so gewiß will ich das Mädchen, das ich liebe, erringen." „Wenn wir etwas dazu tun könnten," meinte der Vater. „Vielleicht läßt sich der Herr Born mit der Zeit herbei, anderweitig zu heiraten," entgegnete Herr von Caclstein rasch. „Ich habe einen Freund, der Gutsbesitzer in der Nähe von Rothenhagen ist; wenn ich ihn bitte, wird er Born beobachten und kann vielleicht ganz unversänglich auf ihn einwirken, sich nach einer andern Frau umzusehen. Seine Ver lobung ist ja doch nun für immer gelöst, und auf die Dauer ist eine große Landwirtschaft ohne Haus frau eine Unmöglichkeit. Wenn mein Freund all mählich Born zu diesem Schritt zu bewegen sucht, kann dec störrische Mann doch nimmermehr denken, daß dies von uns ausgeht; sowie er das freilich be merkte, würden wir natürlich sofort auf den äußersten Widerstand stoßen. Ich will Senden die Sache ge nau auseinandersetzen, er ist ein geschickter, kluger Mann, der uns wesentlich nützen wird." Feodor drückte seinem Schwager die Hand. „Tu', was Du kannst, und ich will Dir für alles dankbar sein," antwortete er herzlich, und denselben Abend noch schrieb Carlstein einen langen Brief an seinen Freund. Am Nachmittag desselben Tages kam Johannes Born nach Rothenhagen zurück. Er war ganz lang sam gefahren und hatte bei der weiten Entfernung viele Stunden auf den Heimweg verwendet. Die Dämmerung des Herbstabends senkte sich bereits auf die flache Landschaft und hüllte alles in undeutliches Grau; Johannes sah um sich, noch nie waren ihm die heimatlichen Felder so öde und reizlos erschienen. Ihn fröstelte und eine tiefe Müdigkeit überkam ihn; es war ihm, als habe nun sein Leben keinen Zweck mehr, und der junge, lebensfrische Mann wäre bereit gewesen, wenn es sein sollte, zu sterben. Der ihm ergebene, unter so sonderbaren Umständen erkrankte Knecht, der aus dem Dorfe stammte, war von seiner Familie gleich abgeholt worden, und der Vater hatte erklärt, sein Sohn würde nicht wieder in diesen Dienst zurückkehren. Johannes konnte es den ein fachen Menschen nicht verdenken, wenn es ihnen un heimlich in seinem Hause wurde. Nun war eine