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MMMßGMgM " - Aahrg«««. > — 2. Beilage zu Nr. 284. Sonntag, den 6. Dezember 1896. r«Oe»l«s<btchte. 8 Der Prozeß Wege« Entstellung de« Ezaren- toaste« hat i« Berlin Mittwoch gegen Leckert und Genosse« begonnen. Unter de« geladenen Zeugen befinden fich u. a. der Staatssekretär de» Auswärti gen Amte«, Frhr. Marschall v. Bieberstein und Prinz Alexander zu Hohenlohe, Sohn deS Reichskanzler«. Der erste Punkt der Anklage bezieht fich auf ver leumderische Beleidigung deS Oberhofmarschall« Grafen zu Eulenburg. Hier stad Leckert jun., von Lützow und Dr. Ploetz beschuldigt. Bei ver Galatafel, die am 5. September d. 3. im Anschluß an die Kaiser- Zasammeukurft in Breslau staltfand, erwiderte der Kaiser von Rußland die Rede de« deutschen Kaiser« und gebrauchte hierbei die Worte: er sei von den selben traditionellen (althergebrachten) Gefühlen be seelt, wie Seine Majestät (Kaiser Wilhelm). Der Berichterstatter de« Wölfischen Telegraphenbureaus verstand aber, wie „sein Vater". Diese Fassung wurde nachher berichtigt. Die beiden Hauptangeklag- ten: Leckert und v. Lützow, wußten nun vor kurzem einen Artikel und bald darauf einen zweiten in die Presse zu bringen, in welchen sie den Grafen Eulen burg beschuldigten, er habe sich au« politischen Grün den — englischen Einflüssen folgend — einer Fäl schung der Ezarenrede schuldig gewacht, und da« zu hintertreiben, wo« im Sinne seine« kaiserlichen Herrn lag: die Annäherung Deutschlands an Rußland. Die Behauptungen enthalten somit den Borwurf der Fälschung, de« Verrat« und de« gröblichsten Ver- traueuSbruch». Der zweite Teil der Anklage macht den beiden Benannten zum Borwurf, daß sie durch ihre bezüglich der beiden Lulenburg-Artikel gemachten Erklärungen den Staatssekretär Frhr. Marschall v. Bieberstein und den Wirkt. LegattonSrat Dr. Ham mann verleumderischer Weise beleidigt hätten. Diese Beleidigungen sollen in den wider bessere« Wissen bei den verschiedenen Anlässen ausgestellten Vehaup- tuvgen der Angeklagten liegen, daß Herr v. Mar schall und Dr. Hammann die gegen de« Grafen zu Eulenburg gerichteten Verleumdungen angestiftet und zu deren Veröffentlichung betgetragen haben. Ange klagter Leckert, ein noch ganz junger Mensch, war bi« 1893 Schüler de« Französischen Gymnafium« in Berlin, dann kurze Zett — etwa ein halbe« Jahr — Kaufmannslehrling und wandte fich dann der Journalistik zu. Er war kurze Zeit in der Redak tion der „Deutschen Warte" thätig, bemühte sich nach seiner Entlassung vergeblich eine andere Redaktions stelle zu erhalten. Er gab dann eine Korrespondenz heraus, die ihn aber nicht ernährte, lodaß er vonseiuem Vater, dem Kaufmann Leckert in Berlin, dauernd zu seinem Lebensunterhalt eine Unterstützung beziehen mußte. Im Sommer diese« Jahre« wurde er mit dem Journalisten v. Lützow bekannt und arbeitete mit dem selben zusammen. Beide gingen im September nach BreSlau, um über die Kaisermauöver und die Kaiser zusammenkunft für die Zeitungen zu berichten. Er will seine Nachrichten einem Gewährsmann zu ver- danken haben, den er sich ehrenwörtlich verpflichtet habe, nicht zu nennen. Auch die Behörde will er nicht nennen, bei welcher der Gewährsmann ange stellt ist. — Die Aussagen Leckert'S machen einen durchaus unglaubwürdigen Eindruck. E- scheint, daß der betreffende Gewährsmann nur in seiner Phantasie existiert. Da» Auswärtige Amt und da« Poltzei-Präsidium haben ihre eigenen Stenographen t« de« Gerichtasaal entsandt. Im Laufe der Ver handlung gab der Angeklagte v. Lützow zu, die bei de« inkrimioierten Artikel verfaßt zu haben. De« Stoff dazu will er von Leckert erhalt,» habe«. Lützow ist ein früherer Offizier; er ist vor Jahren vom Kaiser verwarnt worden, weil er Beziehungen mit einer deutschfeindlichen kr-ienno »nterhtelt. * * Zu Donna Elvira« Flucht wird der „Magde burger Zeitung" aus R o m geschrieben: Die Flucht der Prinzessin Elvira von Bourbon mit dem Maler Folgt hält noch immer da- Interesse deS ganze« Laude« gefangen. Bereit« sind die ersten Nummer« eine« LteferungSromanS erschienen, „Die Liebe einer Königstochter" betitelt, in denen Donna Elvira ver herrlicht wird; der Roman hat eine» ganz unge heuren Erfolg. Tagtäglich werden neue Enthül lungen über die Beweggründe, di» Douna Elvira zu ihrem verzweifelten Schritte getrieben habe», i« Umlauf gesetzt. Die Einen sagen, da« arme Mäd- chea sei von ihrer Stiefmutter, einer geborene» Prinzessin Rohan, bi« auf'« Blut gequält wordeo, uud dieser Meinuug soll augeblich auch der Papst beipflichtev, dem man di« S«ußeru»g in den Muad legt: „Da« Uuglück, daS jetzt über diesen Fürste» (Dou LarlvS) hereiubricht, ist nur eiue Folge s«t»er «»bedachte« zweit« Vermählung, von der wir ihm dringend abgeraten haben." Die Verfechter dieser Ansicht verfteigeu sich sogar bi« zu der Behauptung, daß Sigaor Folgi die Prinzessin gar nicht für fich entführt habe, sonder« am ihre Vermählung mit dem Geliebten ihre» Herzens zu ermögliche», der nicht Folgi, sondern ei« veuetianischer Nobile sei. Dabei begreift man nur nicht, warum dieser Nobile sich nicht selber der süßen Aufgabe unterzogen hat, feine Geliebte zu entführen. Eine andere Partei ver sichert, Donua Elvira sei geflüchtet, weil sie ihre Schaube nicht länger habe geheim halten köoue«. Inzwischen ist nur da- eine sicher, daß Frau Folgi mir ihren beiden Kindern noch immer in Viareggio «ohut uud die Flacht ihre« Gatten mit großer Fas sung erträgt. Auch bestätigt e« fich, daß da« flüch tige Pärchen in Barcelona gesehen wordeu ist, wo durch sich Donna Jaime, der Bruder Donna Elvira«, zu der Drohung ermutigt gesehen hat, erwerbe den Entführer feiuer Schwester töten, fall« dieser sich nach Frankreich wage. Warum will er da« nicht in Spanien thun? Aber wahrscheinlich befindet fich Herr Folgi mit seiner Donna Elvira auch nicht mehr in Spanien. Die Dame besitzt ein sehr gro ße« mütterliche« Erbteil — man spricht den zwei Millionen Frank« — da« bei dem Credit Lyonnais und der Bank von England hinterlegt ist und über da« sie frei verfügen kann. Mithin hindert sie nichts, mit ihrem Galan den Ozea» zu durchqueren und iu der neuen Welt ihrem Glücke zu leben, bi« die un vermeidliche Ernüchterung eintretea wird. Die Nach richt, daß Donna Elvira hysterisch oder gar schwind süchtig sei, hat überall, wo man die Dame kennt, Lachen hervorgerufen. BermischteO. * Schicksale einer Artistin. Die Schicksale einer russischen Zauberkünstlerin, die nicht als solche auf trat, sondern auch Männerherzen al« interessante« Objekt für ihre Kunst ansah, wachen in der Peters burger und Moskauer Gesellschaft augenblicklich viel von sich »den. Bor zehn Jahren huldigte die jeuassss äorss der russischen Hauptstadt der Juli» etta Dumniako, einer geborenen Dalmatinerin von berückender Schönheit, welche im Hause ihre« Schwa ger«, dr» Besitzer- einer der vornehmsten Ver- gnügungS-Ltablissement« Petersburg«, lebte. Keiu Wunsch blieb der jungen Südländerin versagt; Fürsten strebten nach ihrer Hand, doch Niemand durfte sich rühmen, auch nur irgend eine Bevorzugung erhalten zu haben. Ihr Einfluß reichte sehr hoch hinauf, und manch armer Teufel, der eine politische Sünde auf seinem Gewisseu hatte und Julietta um Hilfe anflehte, pochte nicht vergeben« an die Thür. Da wurde eine« TageS Petersburg durch die Nachricht von Julietta« Verlobung mit einem der reichste« polnischen Kavaliere der russischen Metropole über rascht. Kaum waren vier Woche« verflossen, als au« dem flotten Lebemanne ei» schwermütige« Men- schenkiud geworden war, welche« sich in einem Hotel der Stadt eine Kugel durch da« Herz jagte, nicht ohne seine Juwelen seiner Braut vermacht zu haben. Nach weiteren vier Wochen war au« der Braut, die sich rasch getröstet hatte, die Gattin eine« Zauber künstler« geworden, eines der schönsten Männer Ruß land«, der seine kolossalen Einnahmen in den euro päischen Hauptstädten ebenso schnell verschwinde» ließ, wie die Objekte seiner Kunst. Ru» begann ein Reiseleben durch die ganze Welt; kein Erdteil blieb uubcrührt, jedoch Julietta blieb ihrem Gatte» treu trotz aller Anfechtungen. Aber Julietta« Treue wurde vom Prestidigitateur so schlecht belohnt, daß Scheidung die Folge war. Er erschoß sich später in Kalifor nien, nachdem er an der Spielbank alle- verloren, während seine Gattin, von ihren Anverwandten ver lassen, durch den Verkauf ihre, Pretiosen ein kleines Verwögen zusamwenbrachte, von dessen Zinsen sie in einer deutschen Residenz zurückgezogen lebte. Eine unglückliche Börsenspekulation beraubte sie dann ihre« Verwögen-. Sie siedelte nach Petersburg über, im Hause ihre« Schwager« bei ihrer Schwester vergebe»« Unterkunft suchend. Kurz entschloffea fuhr sie nach Moskau, wo ihr durch Selbstmord auS dem Leben geschiedener Bräutigam einst beigesetzt wurde, um am Grabe deS vo» ihr betrogenen Freier- ihre« Leben ei» Ende zu machen. Vorher betrat sie de« Laden eine« Wechsler-, um ihren noch ein zigen Besitz von Wert, ein russische« StaatSloS, zu, Deckung ihrer Beerdigungskosten »a verkaufen. „Bor sechs Jahren ist da- do« mit 100000 Rubel« ge zogen wurde»," verkündete der Bankier nach Durch sicht der Lo«listen, „seit sechs Jahre« schuldet Ihne« der Staat diese« Betrag. Ich bin bereit, denselben § nach Abzug «einer Provision sofort zu zahle»." Frau Julietta lebt heute «och ... sie nimmt bei einem tüchtigen Reitlehrer Moskaus Unterricht, um demnächst al« Schulreiterin in europäischen Zirkussen zu glänzen. * AuS Freude wahnsinnig geworden. Bo» ei nem tragischen Geschick wurde «n Wiener Beamter betroffen, der in dem Augenblicke, als e« ihm ge gönnt war, die Erfolge seiner jahrelange» pflicht treuen Thätigkeit zu genieße», au» Freude über die eingetreteue Aenderung iu seine, Stellung wahnsin nig wurde. Der Unglücklich« hatte im Austrage des mährischen Centralverbandes der deutschen laud- wirtschaftlichen Kredit-Genossenschaften im Herbste daS landwirtschaftliche Genossenschaftswesen uud ins besondere die RevisionSeinrichtuugen in ganz Deutsch land studiert uad war nach erfolgter Rückkehr in Anerkennung seiner Verdienste zum Direktor einer großen Kredit-Genossenschaft ernannt worden. Die Freude über die Anerkennung, die seine aufopfe rungsvolle Thätigkeit gefunden, hatte aus den Geistes zustand de» i« so ehrende« Weise Ausgezeichnete» eine verhängnisvoll« Wirkung auSgeübt. Der stille, bescheidene Mann bekam plötzlich Anwandlungen von Größenwahn und telegraphierte an die Kredit-Ge nossenschaften der verschiedenste» Länder und lud sie »amen» der österreichische» Regierung zu einem in Oesterreich stattfindenden „Weltkongreß de, Kredit- Genossenschaften" ein. Eiue solche auswärtige Kre dit-Genossenschaft, die nicht vorsichtig genug war, erst schriftlich anzufragen, sendete thatsächlich einen Delegierten nach Wien und ist um die Reisekosten geschädigt worden. Außerdem bestellte der I,,fin nige für den Weltkongreß vier Theatersttze, sowie massenhafte Gedecke in eleganteu Restaurants. Die Sitze wurde» reserviert, die Gedecke vorbereitet, aber selbstverständlich ganz vergeblich. Dazu kam »och, daß der Wahnsinnige mehrere hundert Gulde«, die er zur Besörderung seiner ungezählten Telegramme benötigt hatte, sich von einem Hotelportier ausborgte. Da» tragische Schicksal deS Bedauernswerten erregt allgemeine Teilnahme. * Eine tolle Spukgeschichte hat ihr« natürliche Erklärung gefunden: Auf einem Gute unweit Labe sieht da« neunjährige Töchterchen bei eintretender Dunkelheit mit einem Mal im Zimmer eine weiße Gestalt, welche plötzlich erscheint und auch wieder verschwindet. Kein anderer der Familienangehörige» kann von dieser Gestalt etwa« sehen, our da» Töch terchen sieht sie kommen und gehen; täglich gegen Abend erscheint sie. „Seht Ihr denn nicht, da steht sie ja, Taute Leue, und sie hat eiue Tafel, da raus steht, daß uaten im Keller unter dem große» Stein am Ftuster eine alte Handschrift liegt." Man sieht im Keller »ach uud findet richtig unter einem großen Stet» ein halb vermoderte- Schriftstück, eine alte Familienchronik. Am andern Abend erscheint Tante Lene dem Kinde wieder, und von ihrer Tafel liest da- Kind, daß oben auf dem und dem Zimmer in dem alten Schreibtisch in einem geheime« Fache eiue alte Chronik liege. Man sucht nach, entdeckt in der That in einem ganz verborgenen Schubfach deS alten TischeS eine alte, vergilbte Handschrift, in welcher jene Chronik i« Keller erwähnt ist. Am an deren Abend erscheint Taut« Lene wieder und spricht von einem Schatz unter der alten Lii^e auf dem GutShose. Die Eltern, schon längst der Meinung, die Sache könne nicht mit rechten Dingen zugeh««, schicken zum Arzt, und aus eiudringliche« Zurede» gesteht nun das kleine Töchterchen, daß eS zu alle« von der Tante, die im Hause wohnt, angestistet sei, um nicht in Pension zu müsse», wie im Familien- rate gegen den Willen der Tante beschlossen war. Diese hatte nuu die alte Handschrift zufällig in dem Schreibtisch entdeckt, dieselbe vorsichtig durchgelesrn und wieder an ihren Platz gelegt. Um nun ihre» Willen besser durchsetzen zu können, hat sie diese ganze Spukerei erfunden und dem Kinde beigebracht. * Die glücklichste» Menschen trifft mau immer am Bahnhof. Die Eine» freuen sich, daß sie fort- kommeu, die Anderen si«d froh, daß sie wieder da fiud. * Ein Licht die ganze Nacht hindurch brennend zu erhalte». Ein matteS Licht, wie eS z. B. bei Krankheiten so wünschenswert, kann man ohne wei teres durch eine brennende Kerze erlangen. Man braucht nur so viel fei» gepulvertes Kochsalz um de« Docht herum z» legen, daß «S bi« an den schwarze» Teil des Dochtes reicht. Da« Licht brennt nun mit schwacher, gleichmäßiger Flamme und so langsa« ab, daß ei« kleine« Stück für di« ganz« Nacht hin reicht. Petroleumlampe» tief herabgeschraubt brenne» zu lasse«, ist für Gesunde und Kranke gefährlich, »eil da»« der Docht fortwährend raucht und ba- Zimmer mit schädliche» Gase» «»füllt.