Volltext Seite (XML)
Durch Äftcht zu« ÄHt. Snählml« au« de« niederdeutsche« Laudlebe» von Hugo Werth. p»l " IRE«»« »ewM».; (Fortsetzung.) . Der alte Holst saß schweigend am Laßer feine» Kindes, da« bleich wie der Ted In seine« Blate dalag, während der Inspektor unablässig um sie be schäftigt war and stets frische nasse Tücher auf die klaffend, Wunde preßte, au» der unaufhörlich Blut hrrvorfickerte. Manchmal schlug die Verwundete die Augen auf, ein Beweis dafür, daß sie au» „der Bewußt losigkeit, in welche sie zunächst gefallen, wieder er wacht war. Gie schaute dann mit einem müden Blick ringS im Zimmer umher, versuchte auch wohl einmal zu sprechen, schloß aber, noch «h« die Worte hrrvorkamen, von Mattigkeit übermannt, wieder die Äugen. Endlich in früher Morgenstunde erschien der Arzt. Als er da- Mädchen erblickte, legte sich, aber nur für »ine Sekunde und nur für einen sehr auf merksamen Beobachter bemerkbar, «in leichter Schatte« auf sein Gesicht; dann ging er ruhig an die Unter suchung und Behandlung der Wunde. . Er sprach kein Wort dabei und ging so vor sichtig, wie möglich, zu Werke; trotzdem spiegelte sich einige Male auf der Kranken Antlitz quälender Schmerz wieder; meisten« lag sie indes teilnahms los mit weit geöffneten Augen da. Nach ein und einer halben Stunde war der Verband fertig und der Arzt ging, nachdem er alles, wa« bis zu seiner Rückkehr am Nachmittage zu geschehen hatte, ange- orbuet, besonder- ober die größte Ruhe zur streng sten Pflicht gemacht und gebeten hatte, ihn sofort zu holen, fall- eine Aenderung im Befinden ein- treten sollte. > Heinrich war, nachdem man ihn etngesperrt hatte, zunächst in tiesen Schlaf gesunken; aber nicht lange hatte er sich der Ruhe zu erfreuen gehabt. Roch ehe der Morgen graute, fuhr er von wüsten Träumen geplagt wieder in die Höhe. Die feuchte, dumpfe Kellerluft, der gänzliche Rangel an Licht, die unheimliche Stille ringsum, alle- belebte seine so wie so erhitzte Phantasie aus da- stärkste, von fürchterlichen Vorstellungen gefoltert, schloß er deshalb schnell wieder die Augen, um von neuem einzuschlafen. Aber eS gelang ihm nicht ganz und in dem nun folgenden Halbschlummer vermehrten sich die Qualen nur noch. Er fuhr mit de« einen Hand nach der andern und wischte über dieselbe hin; eS kam ihm vor, als rinne noch immer de- Mädchens Blut darüber, nur nicht mehr warm, sondern eiskalt wie der Tod. Dan» erschien ihm Liese in ein weißes Trauergewand gehüllt, ohne Vorwürfe und ankia- gende Worte, aber ihn mit einem so elenden, jammer vollen Blick ausehend, daß eS ihm das Herz zerriß. Er wollte sich erheben, aber er fürchteie sich und blieb zusammengekrümwt bi« zum frühen Morgen in der Ecke des Keller- auf einem Bund Stroh liegen, lange, qualvolle Stunden verlebend. Als «S endlich hell wurde, versuchte er durch Klopfen an die Thür jemanden herbeizurufen manch mal hörte er auch Menschen vorbeikommen, aber stets entfernten sich dieselben wieder, ohne ihn zu erhören. Endlich nach stundenlangem peinvollen Warten wurde die Thür geöffnet und der Inspektor erschien in Begleitung eine« Gendarmen. Als Heinrich den Gendarmen sah, wurde er noch bleicher, als er infolge der so schrecklich ver brachten Nacht schon war. Eine entsetzliche Ahnung stieg bei dem Anblick der blanke» Knöpfe, deS blitzen den HelmeS und de« schweren Säbels in seinem Innern auf, und qualvoll entrang sich seinen zittern den Lippen nur da« eine Wort: „Tot? ' Aber es lag eine solche Fülle von Furcht und Hoffen, von Elend, Reue und Zerknirschung in dem eine» Worte, daß die Männer tiefes Mitleid mit dem Burschen erfaßte, und sie denselben zunächst mit kur ze» Worten über die Lage der Dinge in Kenntnis setzte«, ehe sie chm ankündigten, daß er vor dem Herr», der ja auch die Polizei in Händen hatte, erscheinen solle, um verhört zu werden. Je nach dem Ausfall dieser Vernehmung werde er daun ent weder in Haft genommen oder auf freiem Fuße be lassen werden. Heinrich hörte stumm zu und sprach dann unter wegs die Gitte au», zunächst einmal da« Mädchen sehen zu dürfen. Der Inspektor verwies ihn mit derselbe» au den Herrn, erklärte sich aber bereit, bei diesem ein guter Wort für ihn einzulegen. DaS Verhör wa« schnell beendet; Heinrich ge stand, in der Trunkenheit von Zorn und Eifersucht hingerissen, da« Resser gezogen za haben, um seinem vermeintlichen Nebenbuhler Wilhelm Schnur damit eine Verwundung beizubriugen, wobei denn infolge deS DazwischentreteuS LieseS diese getroffen sei. At er da- letzte erzählte und er sich dabei aller der Güte erinnerte, die da- Mädchen stets für ihn an den Tag gelegt hatte, da drohten ihm Thränen in di« Auge» zu treten, und nur mühsam brachte er die Bitte vor, die Verwundete sehe« zu dürfen. Nachdem dieselbe gewähr worde« war, trat er i« Begleitung de« Inspektors in da» nur spärlich erleuchtete Krankenzimmer. Holst war, der Müdigkeit »icht länge« wider stehend, auf seinem Stuhle eingeschlafe«, und «an hatte ihn in das ansttztzeude Zchaher gebiet, wäh rend die Köchin Gusts» die VW«, am Lag« ihr« Herzkü-li-seLbeknouaue«. DieWaWimmwarG dicht vor die Feister gHogen, sodaß Zur em schmal« Streifen Sonnenlicht in da- ZinnW« drang «Wb zisterud aus der Peck« spielt«, unter welch« da blaffe von den wirr herabhängende« braunen Socken umrahmt« Antlitz der Kranken hervorschaute. Heinrich hielt einen Augenblick auf der Schwelle de» Zimmer» inne. Die Erinnerung au einen ander« ähnlichen An blick tauchte lebhaft in seinem Gedächtnis auf und fast meinte er, abermals au der Leiche seine» BqterS zu stehen und« durchlebte in wenigen Sekunden in seinem Innern alle» da» noch einmal, wa» sich seit jene« Tage ereignet, an welchem er sich so heilig gelobt hatte, bester zu werden, und eiu wilder, wahnsinniger Schmerz zerriß ihm da« Herz, al- er an die so nah liegende Möglichkeit dachte, daß dieses Mädchen da, unter besten veredelndem Einfluß er schon bester zu werden begonnen hatte, vielleicht niemals wieder die Augen aufschlagen, sondern von ihm gemordet da- hinsterben würde. Aber da- durfte ja nicht geschehen, so grausam konnte das Geschick nicht mit ihm in- Gericht gehen; sie mußte wieder gesund werden und er ihr zeigen dürfen, daß er jetzt endlich besser und ihrer würdig werden wolle. DaS alles ging in tollem Wirbel durch den Kopf de« Burschen, während er auf da- Lager der Kranken zutrat. Lang« stand er vor demselben ohne eiu Wort zu sprechen; aber ein tiefer ungeheuchelte« Schmerz malte sich in seine« Zügen, und Guste, die sich zunächst mit Abscheu von ihm abwenden wollte, wurde schnell für ihn gewonnen und zer drückte eine Thräne im Auge. Da regte es sich im anstoßenden Gemach und gleich daraus trat Holst schlaftrunken um sich blickend rin. Eine Sekunde lang herrschte nun peinliche atem- lose Stille, während welcher der Alte aus der Schwelle stehen bleibend Heinrich betrachtete. Daun aber trat er einen Schritt weiter in da- Zimmer vor und begann: „Ah, Du wagst iS noch, hierherzukommen, um Dir auzusehen, waS Du vollbracht; ja, sieh eS Dir an, wie Du mein einzige- Kind hingemordet hast, sieh eS Dir an, genau sich e« Dir an und dann... dann an den Galgen mit Dir!" Während die ersten Worte in erregtem Flüster ton Hecs« hervorgestoßen waren, hatte Holst die letzten Worte mit markerschütternde« Kraft laut ge- schrieen und Heinrich war mit flehender Geberde vor dem Vater Liese» niedergesunken, um seine Knie zu umklammern, während erlautrief: „Barmherzigkeit, Barmherzigkeit". Holst ab« stieß ihn von sich und schrie noch laut«: „Mörder, Mörder!" Da hörten sie in leisem Flüstertöne vom Bett her eine Stimme wir au» eine« Grabe rufen: „Heinrich, Vater!" Und als sie dorthin blickten, sahen sie, wie die Kranke sich mit Aufbietung aller Kräfte emporrichtete und flehend zu ihnen hinübersah, und hörten, wie sie mit derselbe» hohlen Stimme abermals rief: „Heinrich, Dat«! Seid einig!" Dann sank sie wieder in die Kiffen zurück, die Augen schloffen sich müde, die Wangen wurden blau und manchmal lies ein krampfhaftes Zucken üb« da» Gesicht. Ab« nur «inen Augenblick schwieg sie, daun be gann sie wieder ohne die Augen zu öffnen, zusammen- hangSlose Worte zu sprechen, denen Heinrich und Holst schweigend lauschten. Einmal öffnete sie dann noch die dunklen, aaS» druckslos glänzenden Augen weit und brachte in langen Zwischenpausen mühsam zusammenhängende Worte hervor: „Heinrich — bleibe brav — versprich mir, daß Du nie wieder — nie wieder zornig werden willst — Vater, Du — bitte — versprich mir, daß Du ihn behalte» willst, nicht fortjagen — nicht fort jagen — versprich mir — Heinrich, Bat« — ver sprecht eS mir — dann kann ich — sterben." Erschöpft durch die lange Rede sank sie Wied« zurück. Aber die Ruhe war nun völlig dahin, sie wurde von heftigem Fieber ergriffen und phanta sierte fast unaufhörlich. Der Inspektor sandte zum Arzt, während Guste mit den beiden Männer» bangend am Lager der Totkranten verharrte. * * * Was bisher durch ntchtS zu erreichen gewesen, daS trat jetzt infolge deS erschütternden, alle Ge müter in Aufregung versetzenden Ereignisse- ein. Wilhelm Schnur söhnte sich mit Kathrin aus. Er machte sich aus den Weg und erschien iu deS Schäfers Wohnung, al- außer dem Mädche» »jemand daheim war. Und da gab e« kein spötti- fche- Lächeln, kein stolzes von ihm Abwenden mehr, fovdern still schaute sie vor sich nieder und hörte die ernsten Worte an, die er zu ihr sprach. „Kathrin," sagte er, „Du siehst, wie gebrechlich wir Menschen sind, wie schnell uns der Tod dahin raffen kann; kommt e- Dir da nicht auch wie eine Sünde vor, wenn zwei Menfchen, die sich doch im Gruude genommen so li«b haben, wie sie einen ander« nie wieder haben könne», wegen kleiner Zwistigkeiten zürne«, vielleicht so lange züruev, bi» j es z« spät ist and ei»« weinend am Grabe des j «»der» steht. Kathrin, Kathrin, laß eL «ist »» nicht so gehe«! Oder liebst Da «ich wirklich »icht Mehr?" „Wilhelm, ach Wilhelm, ach, meta Wilhem, sage hoch so etwa- nicht," rief sie da schluchzend au» aud sank ia seine geöffnete« Arme. - Währeuddeff«« lag Liefe «och iwm« sheftig fiebernd im Herrenhause, denn a« eine Ueberfirdelung in die Heidkath« war noch nicht zu denken. Am ersten Tage hatte der Arzt überhaupt fast alle.Hoff- nuvg aufgegeben, am zweiten aber wär schon wunder bar« Weise, eine erhebliche Besserung eingetrete«. Trotzdem schwebte sie üb« «ne Woche lang in Lebens gefahr. Heinrich eilte jetzt jeden Abend sofort nach Beendigavg der Arbeit an ihr Lag« und wachte an demselben. Wenn er dann so dasaß, jeden leise« Atemzug der Kranken beobachtend, dann vergaß er alles außer ihr, daS schöne Aenncheo, de» dicke« Joseph, Wilhelm Schnur, di« Hofgänger, den Krug und sein einziger Gedanke war: o möchte sie doch wieder genesen! Und sie genaß, er sah e» und fühlte e» tief in seinem hoffoungschwellenden Herzen mit, und schöne, verheisungsvolle Bilder stiegen vor seinem Geiste auf, von einer glücklichen Zukunft, in der er und sie als Mann und Weib in der einsamen Heidkathe schalten würden. Nur manchmal beschlichen ihm bange Zweifel darüber, ob sie überhaupt einen Mann, brsonder» aber, ob sie ihn lieben könne, ob sie ihn nicht mit Abscheu von sich stoßen würde. Dann erschien sie ihm wieder wie ein reiner Engel, der nicht« mit den Menschen gemein hat, al- daß er unschuldig ihre Leiden mit erduldet. Aber solche Gedanken wußte er zu verscheuche« durch fleißige Arbeit und rechtschaffenen Lebenswan del, durch welche er mehr und mehr wieder Achtung vor sich selbst und die Ueberzeugung gewann, daß e« zu einer Umkehr für ihn »och nicht zu spät sei. Auch mit Holst söhnte er sich allgemach wieder auS. Der alte Man» worde um so freundlich« ihm gegenüber, je mehr er die berechtigte Hoffnung haben durfte, seine Liese wieder völlig genesen zu sehen. Die Heidkathe war jetzt meisten« fast unbe wohnt, da die beiden ihre Mahlzeiten auf dem Hofe einnahmen. Holst körperliche» Befinden blieb übri gens dasselbe; er konnte ost nicht mehr recht seine volle Arbeit thu» und war bei derselben leicht er mattet. Heinrich half ihm daun stets mit rühren der Bereitwilligkeit, oder vertrat ihn, wenn Holst daheim bleiben mußte, ganz. Da« geschah besonder-häufig, al- der Septem ber sich seinem Ende zuneigte und nach dem heißen Sommer ein rauher Herbst unter Sturmwind und Regenschauern seinen unter solchen Umständen doppelt unangenehm empfundenen Einzng hielt. Da wurde Heinrich nicht selten selbständig mit dem Bestellen der Wintersaat betraut und erregte dabei die volle Zufriedenheit deS Inspektor-, der seine Arbeitskraft mehr und wehr schätzen lernte und wohl einsah, welche tiefgehende Aenderung in dem ganzen Wesen de- Burschen vor sich qegangen war. Holst fühlte sich immer unbehaglicher, er ver mißte sehr da« frühere stille gemütliche Leben in der Heidkathe und wünschte sehvlichst die Zeit herbei, da seine Liese wieder in das alte Heim übersiedeln könne. Und auch diese war von demselben Wunsch be seelt, jetzt, da sie da» Fieber überstanden hatte und sich außer aller Gefahr befand, trotzdem e« ihr im Herrenhause so wohl «ging, wie nur möglich. Endlich sollte denn auch dieser Wunsch in Er füllung gehen. Eine« Tage«, al« der Herbstwind weniger rauh über die Felder fuhr, gestattete der Arzt den Umzug in die Heidkathe. Kutsch« Bämel fuhr mit dem schweren Lan dauer au der Freitreppe de« Herrenhauses vor, und nachdem Liese sich vou der Herrschaft verabschiedet and vou Herzen für alle« erwiesene Gute gedankt hatte, bestieg sie fast ohne Hilfe den Wagen. An ihr« Seite nahm Holst Platz; Heinrich war schon vorauf gegangen. In langsamer Gangart begann nun die Fahrt, zunächst durch die Allee, deren Bäume schon fast ganz ihre« Blätterschmuckes beraubt waren, dann auf einem sandigen Wege den Tagelöhnerwohnunzen im Dorfe zu. DaS Wetter war prächtig und kein unangenehm« Wind zu verspüren, sodaß man bald die eine Hälfte de» Wagenschlages herablassen durfte. Liese freute sich, als sie nach der laugen Zeit wieder zum ersten Mal frei die Natur und frische Lost ge nießen durfte und freundlich begrüßte sie jeden, d« ihnen begegnete. Auch über Holst« Züge breitete sich ein zufrie dene» Lächeln, als er wahrnahm, wie schnell bei Liese die alte Munterkeit wieder eiokehrte. Als sie beinahe bi- an« Lud» de« Dorfes ge kommen waren, erschien plötzlich auf Liese« Waogea eine leichte Röte und unruhig blickte sie zu ihrem Bat« empor, vor der Thür einer der letzten Kathe« saßen einträchtig nebeneiuand« Wilhelm und Kathrie. Der Barsche stickte freundlich zu de« beiden Insassen de- Wagens hinüber a»d auch Kathrin grüßte herz lich; Liese aber erwiderte ihre« Gruß mit eiann kaum m«Mcheu Neigeu de- Kopfe» and sah daua wieder fragend ia da» Gesicht ihre» Hat«». (Fortsetzung folÄ.)