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kommen, zumal da auch die Reichsregierung mehr oder weniger diese Bestrebungen fördert. Von Inter esse ist die in der Reichstagskommission abgegebene Erklärung über ihre Stellungnahme zur Frage der Tarifverträge. Diese Erklärung hat folgenden Wort laut: „Der Staatssekretär des Innern steht der Frage des Abschlusses von Tarifverträgen und dem ganzen Tarifvertragswesen überhaupt grundsätzlich durch aus sympathisch gegenüber. Er nimmt an der Frage ganz besonderes Interesse, und es sind auf seine Anordnung verschiedene höhere Beamte des Reichs amts des Innern mit dem eingehenden Studium dieser Materie befaßt, um insbesondere auch zu prüfen, ob und inwieweit es möglich sei, das Tarif recht auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Dabei dürfe nicht verschwiegen werden, daß, je mehr man sich in das Studium gerade der letzteren Frage vertiefe, desto größer die Erkenntnis der Schwierigkeiten würde, welche sich ihrer gesetz geberischen Lösung entgegenstellten. Es wird dabei vielleicht noch schwieriger sein, dasjenige gesetzlich festzulegen, was in einen Tarifvertrag nicht auf genommen werden dürfe, als die positive Fest stellung der in den Bereich des Tarifvertrages einzu beziehenden Rechtsfragen. Soviel ist aber ohne weiteres klar, daß die Tarifvertragsfrage und die Frage der Gewinnbeteiligung zu den allerschwierig sten und allerbedeutsamsten Fragen der modernen Sozialpolitik gehören. Sollten diese Fragen einmal zur gesetzgeberischen Erledigung gebracht werden können, so dürfte dies nur geschehen nach eingehender und sorgfältigster Prüfung aller in Betracht kom menden Verhältnisse in einem die Frage für alle Industrien möglichst gleichmäßig und grundsätzlich regelnden Gesetzentwurf. Es sei der Gedanke auf getaucht, daß, falls die Beteiligten sich nicht frei willig über einen Tarifvertrag einigen könnten, die Berufungskommission einen solchen ihrerseits selb ständig festsetzen und darin die Höhe der Löhne ebenfalls bestimmen solle. Ein derartig tiefgreifender Eingriff in die Freiheit des Arbeitsvertrages ist bis her unseres Wissens in der Gesetzgebung keines Kulturstaates unternommen worden. Ist dagegen die Absicht nicht darauf gerichtet, daß im Falle des Nichtzustandekommens eines Tarifvertrages die Berufungskommission einen solchen selbständig und zwangsweise festsetzen solle, so frage ich, ob dann überhaupt gesetzliche Bestimmungen nötig und erfolgverheißend sein würden. Könnten sich die Arbeitnehmer mit ihren Arbeitgebern über die Arbeitsbedingungen nicht einigen, und käme es darüber, sowie über die Frage der tariflichen Fest legung der Arbeitsbedingungen zwischen den beiden Parteien zum Streit, so würde dieser durch Anrufung des Gewerbegerichts als Einigungsamts zum Aus trag zu bringen sein.“ So erfreulich es ist, daß die Reichsregierung dem nach von einem gesetzlichen Zwange vorläufig nichts wissen will, um so weniger erfreulich ist es, daß die Reichsregierung dem „ganzen Tarif Vertrags wesen überhaupt grundsätzlich durchaus sympathisch gegen über steht“. Und zwar ist dies um so auffälliger, als die Reichsregierung, wie überhaupt die Staats behörden, für ihre Betriebe von der ganzen sozial politischen Experimentiererei nichts wissen wollen. Die bayerische Staatsregierung, bei welcher der Gedanke der gesetzlichen Einführung von Tarif verträgen in der Industrie ganz besondere Sympathie gefunden hat, will für ihre Betriebe von Tarifverträgen überhaupt nichts wissen, genau dasselbe gilt von anderen Regierungen. Die Regierungen nehmen auch für sich in Anspruch, daß die Arbeiter der Staats betriebe von dem Arbeitskammergesetz nicht be troffen werden usw. Die Erklärung der Reichs regierung in der erwähnten Reichstagskommission ist in bezug auf das Problem der Gewinnbeteiligung und der Lohnregelung nicht kalt und nicht warm. Es ist weiter nichts als eine bloße Ausrede, wenn hier gesagt worden ist, „jedenfalls“ gehörten diese Probleme zu den schwierigsten der Volkswirtschaft überhaupt. Der Reichstag will, das ist gerade der springende Punkt in seiner sozialpolitischen Mehr heit, die Industrie auf indirektem Wege zwingen, Tarifverträge einzuführen. Das Bedauerliche hieran ist der Umstand, daß alle diese Bestrebungen zu erklären sind aus dem Haschen nach der Gunst der Massen, denn gerade diese Sozialpolitiker wollen wieder gewählt werden. Man betrachte sich doch einmal den bisheri gen Entwicklungsgang des Tarifvertragswesens in Deutschland. Die Großindustrie ist von der Tarif vertragsidee so gut wie unberührt geblieben. Ledig lich in handwerksmäßigen Betrieben, die nicht mitzubieten haben auf dem Weltmärkte, hat der Tarifvertrag sich im gewissen Umfange Eingang verschafft. Aber auch hier beginnen die beteiligten Arbeitgeber allmählich ihre Ansicht über die Tarif verträge nachzuprüfen. Die Erfahrungen gerade der letzten Zeit beweisen, daß durch den Tarifvertrag, der sich auf große Organisationen stützen muß, die sozialen Kämpfe auf eine viel breitere Grundlage als bisher gestellt werden. Der Tarifvertrag gibt den Arbeiterorganisationen infolge seiner meist mehrjährigen Dauer Gelegenheit, Kriegsmittel an zusammeln, um beim Ablauf des Tarifvertrages gewappnet dazustehen und zu versuchen, ungewöhn lich hohe Forderungen durchzusetzen. Gerade die Gewerbezweige, in denen die meisten Tarifverträge abgeschlossen werden, werden auch am meisten durch große Kämpfe erschüttert. Ein schlagender Beweis hierfür ist das Baugewerbe, in dem die meisten Tarifverträge abgeschlossen sind. Es soll garnicht geleugnet werden, daß für Gewerbezweige mit rein nationalem Charakter, deren Absatzgebiet also an den Grenzpfählen des Vaterlandes Halt macht, der Tarifvertrag, theoretisch betrachtet, von Vorteil für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein kann. In der Hauptsache bietet er aber dem Arbeiter Vor teile. Praktisch dagegen verstehen die Gewerk schaften als einer der Vertragskontrahenten aus dem