Volltext Seite (XML)
492 Stahl und Eisen. Der Bundesrat und die Dampfkessel - Gesetzgebung. 29. Jahrg. Nr. 14. so daß die Maßnahme in merkwürdigem Gegen satz zu der sonstigen gern in den Vordergrund gestellten sozialen Fürsorge des Reichs steht. Wir wollen dies näher zu erklären versuchen. Während in ihrem Vorschlag die frühere Normen-, jetzt Sachverständigen-Kommission die Verwendung der härteren Bleche für Landdampf kessel unter bestimmten Vorsichtsmaßregeln zu gelassen hatte, um die bisher gänzlich fehlenden Erfahrungen über das Verhalten der harten Bleche im Feuer zu sammeln, aber mit gutem Vorbe dacht durch eine doppelte Kontrolle in den Walzwerken und den Kesselschmieden durch Sachverständige (z. B. Ingenieure der Kesselüber wachungsvereine) einschränkte, um Unfälle zu ver hüten, erleichtern die bezeichneten Streichungen, durch welche die vorgesehene Kontrolle in den Kesselschmieden und ein Teil der vorsichtigen Be arbeitung wieder beseitigt wird, nicht nur diese Verwendung, sondern drängen sie den Kessel schmieden im Wettbewerbskampf geradezu auf, da mit ihrer Verwendung große Ersparnisse in den Anlagekosten zum Schaden der Lebensdauer und Sicherheit der Kessel verbunden sind. In dem für die harten Bleche gleichzeitig durch die Vorschriften die zulässige Rechnungsfestig keit von 36 auf 44 kg gesteigert und die bisherige fünffache Sicherheit auf die vierfache herabgesetzt wird, bedeutet ihre Verwendung eine Verminde- 36 4 rung des Gewichts um 100—100 44 X5= 34,5 °/o. Die Ausnutzung dieser wesentlichen Ersparnis, die für alle beheizten und nicht beheizten Bleche, die nicht gebörtelt werden und nicht im ersten Feuerzuge liegen, d. h. für den größten Teil der normalen Kessel eintritt, ist schon aus reinen Wettbewerbsgründen für die Kesselfabriken ge boten, so daß auch diejenigen unter ihnen, die auf solide Fabrikation den größten Wert legen, durch das Gesetz indirekt gezwungen werden, die härteren Bleche in möglichst weitgehendem Maße zu verwenden, wenn dies auch gegen ihre tech nische Ueberzeugung geht. Da aber weiter gleich zeitig vorgeschrieben ist, daß die Nietung in Doppellaschung und maschinell erfolgt, so können von den härteren Blechen nur diejenigen Kessel fabriken Gebrauch machen, denen diese Vorschrift keine Schwierigkeit macht, da sie die dazu ge hörigen kostspieligen maschinellen Einrichtungen besitzen. Den übrigen Kesselfabriken wird somit durch diese bundesrätliche Verfügung die Möglich keit ihres weiteren Fortbestehens mit einem Schlage genommen, da ihre Wettbewerbsfähigkeit beseitigt wird, und sie nur zum kleinsten Teil in der Lage sein dürften, sich die erforderlichen Einrichtungen neu zu beschaffen. Wir erleben somit das seltsame Schauspiel, daß der Bundesrat technische Maßnahmen polizeilich trifft, die den Erfahrungen der Sachverständigen schnur stracks zuwiderlaufen und zu größten Bedenken Anlaß geben, daß er aber auch gleichzeitig einen Zustand schafft, durch welchen die größeren Kesselfabriken, die finanziell gut situiert sind, gegenüber den kleinen und mittleren, nicht kapital kräftigen Schwesterbetrieben plötzlich in eine wirtschaftlich bevorzugte Lage gebracht werden, welche das Fortbestehen der letzteren, die heute schon sowieso schwer um ihr Dasein zu kämpfen haben, in Frage stellt, wahrscheinlich in den meisten Fällen sogar unmöglich machen wird. Es bleibt abzuwarten, welche Stellung die Sachverständigen-Kommission zu dieser ihr ge wordenen offensichtlichen Mißachtung nehmen wird, und ob der Bundesrat ihre verletzte W’ürde wiederherzustellen sich bereit finden wird; zu nächst ist es uns noch unerfindlich, Wie der Bundesrat sich die weitere ersprießliche Fort arbeit seiner so mißhandelten Sachverständigen denkt. Alles in allem genommen, bildet der Vor gang ein unerfreuliches Zeichen für die derzeitige geringe Stärke unserer Reichsregierung, deren Vertreter, unterstützt von denjenigen Preußens, in den langwierigen Verhandlungen der Normen kommission zwar die bündige Erklärung abge geben haben, daß unter Aufrechterhaltung des formalen Beschlußrechtes des Bundesrates an eine selbständige Altänderung der technischen Beschlüsse der Normen- bezw. Sachverständigen- Kommission durch ihn entfernt nie zu denken sei, nun aber den Vorwurf hinnehmen müssen, daß die Zusage eines Vertreters der Reichsregierung nichts zu bedeuten habe. Nicht minder muß ihrer technischen Vertretung vorgeworfen werden, daß sie es offenbar versäumt hat, den Bundesrat auf die seinen Mitgliedern selbst verständlich unbekannte technische Tragweite seiner Beschlüsse aufmerksam zu machen. Der wertvollste Teil der Bekanntmachung ist vielleicht die Bestimmung des letzten Ab satzes des letzten Paragraphen, welche vorsieht, daß die Bestimmungen erst ein Jahr nach ihrer Veröffentlichung, d. h. zum Schluß dieses Jahres, in Wirksamkeit treten. Vielleicht sehen Reich und Bundesrat bis dahin ein, welche unerträgliche Verantwortlichkeit sie unbewußt übernommen haben, und treffen geeignete Maßnahmen, um das jetzt schwer verletzte Ansehen ihrer eigenen Sachverständigen in formaler wie in materieller Hinsicht wiederherzustellen und den begangenen Mißgriff wieder gutzumachen, ehe er in unheil volle Wirksamkeit tritt. Die Redaktion.